LebensgeschICHte - Reinhold Adam

Gelsenkirchener blicken auf ihr Leben zurück und erzählen

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hörmal
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LebensgeschICHte - Reinhold Adam

Beitrag von hörmal »

[center]Reinhold Adam[/center]
[center]Bild[/center]
[center]"So sehe ich mich, als einen Menschen aus der Mitte des Potts. Hier bei Ente Lippens."[/center]

Ich bin der Reinhold Adam. Ich bin am 4. August 1946 hier in Gelsenkirchen-Horst geboren, im Schatten der Fördertürme der Zeche Nordstern, in der Rüttgergasse. Sie hieß früher „Im Winkel“, weil es dort nur ein paar Häuser gab. Meine Eltern kamen 1928 aus Ostpreußen. Die haben sich hier kennen gelernt. Meine Vorfahren kommen alle aus Ostpreußen, aus der Nähe von Gumbinnen. Mein Vater fing hier auf der Zeche Matthias Stinnes in Essen-Karnap an und dann hat er meine Mutter kennen gelernt. Das erste Kind ist mit 2 Jahren aus dem Fenster gefallen und ist gestorben; meine Schwester ist 1938 geboren. Dann kam noch ein Sohn, der an Diphtherie gestorben ist und 1946 kam ich dann. Meine Eltern sind relativ alt gewesen, als ich geboren wurde. 41! Aber ich bin immer noch nicht der Jüngste gewesen. Ich bekam noch eine Schwester und die ist 3 Jahre jünger als ich. Eine meiner Schwestern ist mit 51 Jahren gestorben und die andere wohnt im Sauerland.

Ich bin hier zur Schule gegangen, in der evangelischen Hebbelschule; es war eine Volksschule. Ich war 8 Jahre in der Schule und habe am 4.4.1961 hier auf der Zeche Nordstern meine Lehre als Berglehrling begonnen. Für uns gab es ja nicht viel mehr als die Zeche. Zu der damaligen Zeit gab es die Stadt, es gab die Stadtteile, es gab die Viertel, die Straßenzüge, wo wir groß geworden sind und da gab es die eigene Welt, wo wir lebten, mit den eigenen Fußballvereinen und vielen Dingen mehr.

Meine Kollegen wollten alle auf der Zeche Nordstern anfangen. Mein Vater war ein bisschen dagegen. Er war einige Jahrzehnte auf der Zeche Matthias Stinnes. Er war eigentlich gelernter Friseur. Aber er war da tätig als Bergmann unter Tage. Er hat nur so nebenbei den Kumpels die Haare geschnitten für einen Schnaps oder 50 Pfennig oder weiß ich was. Und da hat er viel erfahren über das Leben von den Bergleuten, von den Kumpels und das hat mich von Anfang an sehr fasziniert. Aber das ist häufig so im Leben. Die Väter wollen, dass ihre Söhne etwas Besseres werden, es nicht so schwer haben im Leben. Und so sollte ich erst Fliesenleger werden beim Bekannten, und dann Schweißer in Bottrop, aber ich habe mich heimlich auf der Zeche Nordstern angemeldet, als Berglehrling. Ich wollte das. Die ganzen Kollegen wollten auf Nordstern anfangen, die Väter waren auf Nordstern, und auf unserer kleinen Straße – die war vielleicht 200m lang – da wohnten nur Bergleute und Maurer.

Und wir hatten unsere Welt hier. Der Rhein-Herne-Kanal, das war unser Revierpark, wie man heute sagen würde, unser Abenteuerspielplatz. Unser Fußballverein war STV Horst Emscher im Fürstenbergstadion.

Das war sehr sehr sehr wichtig für uns und wir haben uns auch damit identifiziert. Auch die Fußballer, die da spielten; da kamen viele aus unserer Ecke. Zum Beispiel der Günter Thon, der hat bei uns gewohnt. Olaf Thon ist ja ein Begriff. Oder der Werner Jestremski, der später in der Bundesliga bei Fortuna Düsseldorf gespielt hat.

Es war unsere Welt, unser Leben und auch die Zeche. Wir kannten nichts Anderes.

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hörmal
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Beitrag von hörmal »

1961 bin ich also hier angefangen mit 5 Doppelten in der Tasche (10 Schnitten Brot), der Helm bis an die Ohren und da haben wir unsere erste Schicht gemacht. 3 Jahre insgesamt ging die Lehre als Berglehrling. Wir waren über Tage überwiegend in der Schreinerei, in der Elektrowerkstatt, am Leseband oder in der Rohrschlosserei. Ich war ein bisschen klein und schwach. Ich brauchte nicht immer die Berge klauben am Leseband. Da kamen die Kohlen von unter Tage unverlesen. Das heißt, da musste der Stein von den Kohlen getrennt werden und das Grubenholz, was da drin war. Das machten meistens junge Leute oder ausrangierte Bergleute, die für unter Tage untauglich waren. Man fing quasi am Leseband an und hörte am Leseband auf. Das war der Kreislauf im Bergbau.
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[center]Reinhold Adam (ganz rechts) 1961 als Berglehrling[/center]

In der Ausbildungsabteilung waren immer so zwischen 400 und 600 Auszubildende, damals Lehrlinge. Die wurden in allen Berufen ausgebildet. 1961, als ich hier anfing, da war ja schon die Krise. Seit 1958 war es schon sehr am Kriseln mit unbezahlten Feierschichten und dergleichen mehr. Aber für mich gab es wie gesagt nur die Zeche.

1962 kam ich am 1. September unter Tage, mit 16 Jahren, und ich habe meine Lehre da weiter geführt, bis ich 1964 die Knappenprüfung machte. Das war eine Facharbeiterprüfung. Ich war ein halbes Jahr als Knappe beschäftigt unter Tage an Bandübergängen, an Ladestellen oder so. Dann sind einige meiner Kollegen auf den Gedanken gekommen: sie wollten umschulen, als Elektriker.
Zu der Zeit haben sie Handwerker gesucht. Viele Handwerker sind 1964, 1965 nach Bayer Leverkusen abgehauen. 1962 wurde das Opelwerk in Bochum fertig gestellt und da haben viele schon mal sich so umorientieren wollen.

Aber es fehlte unter Tage an Zechenelektrikern und da habe ich mich mit Kollegen gemeldet und habe 2 Jahre eine Umschulung zum Zechenelektriker gemacht. Die Prüfung habe ich bestanden.

Da habe ich kurze Zeit später die Hauerprüfung gemacht. Das ist eine qualifizierte Facharbeiterprüfung. Der Vorteil war, dass der Hauer mehr Geld bekam. Er war der qualifizierte Bergarbeiter oder Grubenhandwerker. Mit 21 konnte der Knappe oder ein Handwerker unter Tage die Hauerprüfung machen. 2 Monate Lehrgang und da wurde geprüft von der Bergbehörde und da war man Hauer.
Man kriegte den Hauerschein. Dann bekam man den vollen Hauerlohn.
Die kein Hauer waren, die bekamen vom Lohn einen Abzug und das Geld wurde aufgeteilt und das bekamen die Hauer. Die wurden also besser bezahlt.

Da war ich Elektrohauer. Ich war sehr stolz drauf. Es war für mich was Besonderes. Wir hießen „Edelhandwerker“.

Ich habe in der Schule normale, durchschnittliche Zeugnisse gehabt. Die Schule war nichts Besonderes. Es war nur so etwas, wo man hin musste. Die Schularbeiten habe ich meistens kurz vorher gemacht oder weiß ich wo. Ich war nicht so der Hellste in der Schule. Aber das lag auch daran, dass ich eine Abwehrhaltung gegenüber Lehrern hatte.
Aber ich habe ein Fräulein in Erinnerung. Der habe ich die Tasche zum Bus getragen. Die habe ich sogar mit Vorname angesprochen. Ich war wie viele andere in sie verliebt. Und dann war man traurig, als sie irgendwann mal nicht mehr an der Schule war. Sie ist irgendwie versetzt worden.
Mein Problem war, dass ich Linkshänder war und man versuchte mir die Linkshändigkeit auszutreiben mit Rohrstock, mit Ohrendrehen, mit ganz schlimmen Brutalitäten oder als kleinster in der letzter Bank.
Ich habe aber das meiste davon verdrängt.

Da hat mich eine ehemalige Schulkollegin, die mich in der Zeitung gesehen hatte, angerufen. Sie hatte ein paar Fotos für mich. Die hat mir das erzählt. Ich wusste nichts mehr davon.

Oder diese Ungerechtigkeit: ich hatte mit irgendjemandem etwas gebastelt. Es war so ein Clown und mein Kumpel, der mit mir hier in Horst im Kindergarten war, der hat gar nichts gemacht. Ich habe den Clown mit viel Liebe gemacht. Und nachher sagte der Lehrer, der glaubte nicht, dass ich das gemacht hatte. Ich habe eine 5 und der andere eine 2 gekriegt. Das waren solche Dinge, die mich für das Leben geprägt haben. Da könnte ich jetzt noch heulen, wenn ich daran denke.

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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Ich hatte in der Schule keine besondere Motivation. Meine Motivation bekam ich erst, als ich die Hauerprüfung gemacht habe. Ich hatte zum Beispiel immer Schwierigkeiten mit Raumlehre. Das waren abstrakte Begriffe. Das kann vielleicht dran liegen, dass ich Linkshänder bin. Das waren für mich wie böhmische Dörfer, so was Abstraktes. Aber wir hatten einen alten Fahrsteiger. Und der hat uns beigebracht, wie man Rechnungen macht, wie man Formeln anwendet, mit ganz einfachen Mitteln. Auf einmal konnten wir Äquivalenzrechnungen durchführen und solche Dinge. Das war schon phänomenal.

Im Beruf habe ich immer einen besonderen Ehrgeiz gehabt. Ich wollte immer, wenn ich etwas tat, mein Bestes geben und auch zeigen. Man hat das honoriert. Ich habe mein ganzes Leben Arbeit nicht nur als Arbeit oder als Broterwerb gesehen sondern mehr als Entfaltung. Unter Tage war Eigenständigkeit, da war Verantwortung, das Zusammenleben der Kumpels, es gab auch eine eigene Sprache: das „Gedinge“ z.B. Das ist der Akkord. Man „fährt“ anstatt geht, man „befährt“ die Grubengebäude, die Leitern sind „Fahrten“. Es herrscht eine ganz andere Sprache, es ist eine ganz andere Welt. Und wir hatten ein sehr starkes Zusammengehörigkeitsgefühl auch in schwierigen Zeiten, auch wenn einem die Scheiße bis zum Hals stand. Das war lebensnotwendig. Und diese Verbundenheit unter Tage, das war etwas Besonderes.
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Nach der Grubenfahrt....[/center]
Es herrschte nicht nur eitel Freude und Sonnenschein. Es war auch ein Kampf manchmal unter Tage. Und ich bezeichne immer das Verhältnis zur Zeche so wie ... Ich vergleiche sie immer mit einer Ehe: Wir haben den Pütt gehasst und wir haben ihn geliebt. Unter Tage haben wir geflucht über die Arbeitsbedingungen, über den Steiger oder über das Geld oder weiß ich was. Aber wenn einer von unter Tage aus gesundheitlichen Gründen rauskommen sollte, da hat er sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Man war ja selbstständig. Ich konnte selbst entscheiden, was ich tat. Ich war z.B. Revierelektriker in einem Kohlenrevier, das hieß, dass ich dafür zu sorgen hatte, dass die Kohle kam, dass die Bänder liefen, dass alles seine Richtigkeit hatte. So habe ich dann meine bergmännische Tätigkeit als Zechenelektriker verrichtet.

Die Zeit in der Rüttgergasse, das war eine prägende Zeit. Wenn ich heute gefragt werde, wo ich studiert habe, sage ich: Meine Universität war die Straße. Ich habe die Menschen studiert. Ich kenne sie in- und auswendig. Ich brauche nur in die Augen gucken dann weiß ich, was ich für einen Menschen vor mir habe. Die brauchen nicht viel erzählen. Ich sage, die Augen sind wie Fenster zur Seele. Da spürt man eine Bewegung oder nicht. Das hat mir sehr geholfen. Wenn man nicht der Größte ist – ich war nicht der Größte, nicht der Stabilste -, da muss man sich andere Mittel ausdenken, um bestehen zu können.

Wir haben früher zu der Zeit auch viel Steine gekloppt, von den Ruinen. Die Wohngebiete in Horst waren ja im Krieg zu 60% zerstört worden. Die kriegswichtigen Betriebe waren von der Royal Air Force niedergemacht worden. Gelsenberg-Benzin AG hatte im Krieg Flugbenzin hergestellt.

Die Zeche Nordstern 3-4 nebenan hat über Bänder die Kohle dahin transportiert. Da war die Zentralkokerei mit den damals einmaligen 6 Meter hohen Öfen. Da gab es die Zeche Nordstern und da ist vieles niedergemacht worden und da gab es viele Ruinen.
Viele Steine zu kloppen. Ein Stein ein Pfennig. Da kann ich mich genau dran erinnern. Manchmal hat man die vorn verkauft und von hinten wieder ein paar entwendet.
Oder Morian, dieser Schrotthändler in Horst. Das hieß: Morian nimmt alles an, auch Papier mit Scheiße dran. Dem haben wir Dinge verkauft.
Oder Kohlen geklaut. Das nannte man damals „Klüttenklau“ oder „Fringsen“, weil im Winter 1946 der Kardinal Frings sozusagen die Absolution für das Kohlenklauen erteilt haben soll. Da ist der Bahndamm an der Zeche. Für einen Eimer Koks oder Kohle haben wir damals 2 Mark gekriegt.
Das hat uns als Kinder oder Jugendliche geprägt, dass, wenn wir was haben wollten, wir uns das erarbeiten mussten, weil die Eltern das nicht hatten. Wir hatten zwar mehr Liebe oder Wärme, obwohl wir das gar nicht als Wärme empfunden haben, weil die Erziehung mit dem Rohrstock noch an der Tagesordnung war. Aber wenn ich heute zurückdenke, hatten wir alles.

Das ist eine Tugend des Reviers gewesen: die Eigeninitiative entwickeln, nicht nur warten, wenn Probleme da sind, dass sie jemand beseitigt, sondern die Schüppe in die Hand nehmen und den Berg, der vor dir liegt, wegpacken. Wenn man seine Träume erfüllen wollte, musste man etwas tun, musste man sich bewegen. Und das hat mich mit Sicherheit bis heute noch geprägt.
Heute ist das alles etwas anders. Das sage ich den jungen Leuten heute: Verliert eure Träume nicht aus den Augen aber ihr könnt nicht warten, bis sie wie gebratene Hähnchen in euren Mund fliegen. Ihr müsst auch euch darauf zu bewegen. Irgendwann erreicht ihr eure Träume und wenn nur emotional, nur gefühlsmäßig. Wir haben uns unsere Träume damals erfüllt, so gut wie wir das konnten. Und so empfinde ich das als eine schöne Zeit.

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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Meine Träume bewegen sich in meiner kleinen Welt in Horst. Ich war stolz auf Horst, auf den Fußballverein. Was hatte man da für Träume? Eine schöne Frau, die Arbeit war sowieso da und die nahm dir auch keiner. Musik, feiern... Andere größere Träume hatte man nicht. Heiraten, Kinder bekommen, die Frau auf Händen tragen, den Kindern eine bessere Zukunft geben. Ich weiß nicht, ob mich meine Frau 43 Jahre auf Händen getragen habe. Aber die Ehe besteht heute noch. Aber das liegt auch daran, dass wir mit wenig zufrieden waren. Ich war mit dem zufrieden, was ich hatte, mit dem Geld, das ich mit meiner Hände Arbeit oder durch andere Tätigkeiten verdient habe.

Um mich herum waren meine Kollegen alle verschwunden. Sie waren verheiratet.
Wir waren als Junggesellen immer zum Tanzen unterwegs, in der Gaststätte Norkus, die noch heute existiert, mit Live-Musik und Kapelle. Da gab es Fußball, Tanzen, Musik, Frauen... Man sagt, der Bergmann hatte einige Leidenschaften. Dazu gehörten Fußball, Frauen, saufen... Die anderen hatten Tauben, Schrebergarten. Das war das Klischee der 60er Jahre. Ich habe sehr früh dagegen gekämpft und auch dagegen, dass man sagt, das Ruhrgebiet sei geschichtslos gewesen. Das ist aber ein Kapitel für sich. Ich habe meine Frau auch in der Gaststätte Norkus kennen gelernt. Genau wie meine Schwestern und auch viele andere ihre Männer da kennen gelernt haben. Da gab es auch noch die Gaststätte Gehb oder Tanzpalette... Es gab damals weniger Diskotheken. Die erste gab es in Schalke, die Discothek Royal. Letztens habe ich gelesen „Hotel Monopol“. Für uns war es “die blaue Grotte“.
Ich habe 1964,1965 umgeschult. Wir mussten donnerstags zur Berufsschule, zur Erdbrüggenstr. Und wenn wir Schule aus hatten, haben wir uns dort einen zur Brust genommen. Und dann kamen wir manchmal erst freitags Morgen nach Hause. Wer arbeitet, kann auch saufen...
Wenn Familienfeiern waren, da war es sonntags nachmittags, mit Kaffee und Streuselkuchen. Das war eine andere Atmosphäre.
Ich kann mich an den ganzen Wohlstand erinnern, wie ich ihn mitbekommen habe, bevor ich geheiratet habe!
Ich kann mich zum Beispiel noch an den ersten Fernseher erinnern! Wir bekamen den ersten Fernseher 1961 oder 1962. Dafür hatten wir als einzige auf der Straße das 2. Programm. Es war zwar voller Schnee aber die Nachbarn kamen schon hin und wieder für einen Spielfilm vorbei, so wie wir als Kinder zu den Nachbarn gegangen waren, wenn es „Sport – Spiel – Spannung“ oder alte Filme von „Dick und Doof „ oder von „Pat und Patachon“ gab.
Die Leute hatten auch die Türen offen.
Ich kann mich gar nicht erinnern, dass bei uns abgeschlossen wurde. Vielleicht nachts.
Der Briefträger brachte doch die Briefe nach oben. Manchmal war er voll wie tausend Russen. Die Rente wurde auch zum Teil vorbeigebracht. Oder bei uns gegenüber wohnte eine Familie mit 12 Kindern. Da spielte es keine Rolle, ob jetzt das 13. dabei war. Solche Geschichten haben ein bisschen zusammen geschweißt.
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Das, was der Papst gesagt hat, als er im Ruhrgebiet war: „Die Kraft des Reviers ist die Solidarität“.
Das war ja die Stärke, die ganzen Jahre. Ob unter Tage oder über Tage. Dadurch hat man viele Krisen überwunden. Von Anfang an. Auch als die Zuwanderung hierhin kam...

Wenn man sich das vorstellt. Die Zeche Nordstern wurde in einer sumpfigen Landschaft gebaut, in der Emscher Niederung. In der tiefsten Stelle der Emscher Niederung. Man hatte nie gedacht, dass nördlich der Emscher Bergbau wirtschaftlich betrieben werden könnte. Und 1868 wurde die Förderung aufgenommen, bei einer Teufe von ca. 240 Metern. Aber südlich von der Emscher, Richtung Essen oder Hessler war der Bergbau schon länger zugange.

Die erste Schachtanlage in Gelsenkirchen ist 1858 in Betrieb genommen worden. Das war Hibernia.
Nordstern kam dann relativ spät. Sie hieß erst Zeche Blücher und wurde dann in Zeche Nordstern umgewandelt, weil es damals die nördlichste Schachtanlage im Ruhrgebiet war.
Und in diese sumpfige Landschaft kamen dann die Evangelischen aus Ostpreußen. Ein paar Meter weiter im Nordsternpark, rechts von der Pyramide war die alte Kolonie. Das war die erste Bergarbeitersiedlung. Sie ist 1870 gebaut worden. Wallstr., Blumenstr. kamen 1898, 1899 dazu. Der Name Blumenstr. kommt von „Blumenlake“. Blumenlake heißt blühende Blume im Sumpfgebiet.
[center]Bild[/center]
[center]Reinhold und die Zeche Nordstern; ein unzertrennliches Paar.[/center]
Horst bestand nur aus dem Schloss, der Burgstr. und der Essener Str. Viel mehr gab es nicht, als der Bergbau hier einzog. Und die Emscher war lange Zeit nicht nur eine wirtschaftliche sondern auch eine politische und eine konfessionelle Grenze. Was südlich vom Kanal war gehörte zum Herzogtum Berg und da waren die Evangelischen und Horst hier gehörte zum Erzbistum Köln. Hier bauten die Katholiken. Und das Vest RE, das galt lange lange Jahre als das schwärzeste Gebiet.
Und da kamen die Menschen mit ihren Gedanken, mit ihrem Glauben. Die Masuren waren evangelisch, aber polnisch sprechend. Das war das Besondere an ihnen. Und sie waren in Sekten organisiert.
Und da sind die Menschen in eine Sumpflandschaft gesetzt worden. Daher der Name Kolonie.

1925 hatten die Polen ca. 25% Anteil an der Horster Bevölkerung. Aber sie waren Angehörige des deutschen Reiches. Sie haben sich nach dem Versailler Vertrag für Deutschland entschieden und haben z.T. ihre Namen verändert: aus Gorny wurde Bergmann und aus Jaskowski wurde Jasberg. Es gab viele, die ihre Identität aufgegeben haben. Sie wurden germanisiert. Die Integration ging damals schneller aber auch brutaler.

Die Betriebsordnungen wurden in Deutsch geschrieben, alles wurde in Deutsch geschrieben. Die katholische Kirche hat nachher polnische Kapläne eingestellt und polnische Gottesdienste durchgeführt. Sie hatten Angst, dass die Arbeiter weggehen.
Die Zechen haben sie sich gegenseitig abgeworben. Die Fluktuation auf den Zechen war ein Problem. Die Leute sind dahin gegangen, wo es das meiste Geld gab. Aus diesem Grund, um die Bergleute sesshaft zu machen, ist der Wohnbau entstanden. Der hatte allerdings noch einen anderen Vorteil. Die Arbeitsverträge waren an den Mietverträgen gekoppelt. Wer die Arbeit verlor, verlor auch die Wohnung. Die Kündigungsfrist für eine Wohnung betrug meistens einen Tag. D.h. wenn es hier einen Streik gab und einer hat sich beteiligt, da kam er nach Hause und der Gendarm stand schon vor der Tür. Er hat schon die Räumung durchgeführt. So war das bis ca. 1918.

Die Beschäftigten haben versucht sich zu organisieren. Der Bergmann spielte eine besondere Rolle in der Gesellschaft. Bis 1865. Er war ein Privilegierter unter der Arbeiterschaft. Er war vom Militärdienst befreit, er zahlte keine Steuern, als äußeres Zeichen seines Standes trug er eine Uniform, zumindest zu Festumzügen. Man muss sich vorstellen: der Landesherr ist der Besitzer der Grube. Und alles, was unter Tage war, gehörte den Landesherren oder –fürsten. Einer der bekanntesten war ein gewisser Herr Goethe aber in Sachsen.
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Beitrag von hörmal »

Die Zeche war da, die hat mich versorgt. Das war fast eine rundum Versorgung: Gewerkschaft, Betriebsrat, alles drum und dran. Wenn du keine goldenen Löffel geklaut hast, wurdest du auch nicht entlassen.
Du hattest deine Arbeit. Meistens hast du auf der Zeche angefangen und auch da aufgehört.
Dann kam die Bergbaukrise, sie wurde immer schlimmer, man hat Zechen geschlossen. Manche hatten 8 Zechen.
Aber die erste Zeche war so was wie deine Heimat.
So wie Grönemeyer das als Gefühl beschreibt.
Heimat als Gefühl.
Man fühlt diese Heimat.
Darum ist Heimatverbundenheit da.
Das ist meine Heimat hier.
Ich fühle das als meine Heimat, meine Familie.
Aber die Träume waren eher dahingehend, man hatte seine Wohnung.
Die erste Wohnung hat 80 Mark gekostet.
2,5 Zimmer.
Dann war das erste Kind da.
20 Monate später, das zweite Kind. Das ging ziemlich schnell.
Vor dem 1. Kind war das erste Mal Mallorca Urlaub mit der Frau. Da war man auf Wolke 7. Dann hat man andere Gedanken.
Familie versorgen...
Ich habe 2 Kinder, ein Mädchen, ein Junge. Dass die einen vernünftigen Beruf kriegen. Du bist dann in einem ganz anderen Rhythmus. Du bist verheiratet. Ich bin nach den preußischen Tugenden erzogen worden: der Mann hat Geld zu besorgen und die Frau ist für den Haushalt und die Kinder da. Und so haben wir es gemacht.
Ich habe gearbeitet und sie hat die Kinder erzogen und den Haushalt geführt.
Dann will man in Urlaub fahren. Auf der Zeche war das so: man konnte in Urlaub fahren und das wurde etwas später in 3 Raten abgezogen. Der erste Urlaub hat für meine Mutter, für meine Frau und mich mit 2 Kindern mit Vollpension und allem drum und dran 500 Mark gekostet und das wurde in 3 Raten abgezogen.
Wir waren im Sauerland, in einem zecheneigenen Haus. Das zweite Mal waren wir im bayrischen Wald und dann in Jugoslawien. Einmal in Bulgarien und dann immer in Jugoslawien.
Die Zeche stand für mich an erster Stelle. Zu der Zeit noch war das Verhältnis anders als heute. Zuerst kam die Arbeit, dann die Familie und dann die Freizeit. Da gab es Zeiten, wo man Tag und Nacht auf dem Pütt war. Wenn besondere Ereignisse waren oder Umbaumaßnahmen, da hat man noch ein paar Schichten mitgenommen. Die wurden auch bezahlt.

1972 fing ich an, mich für die Gewerkschaftsarbeit zu interessieren. Einige Kollegen waren ja im Betriebsrat. Als ich 22 war, hatte ich mich schon mit der Rechtschreibung, mit Formulierung beschäftigt, weil ich schon immer gern geschrieben habe. Ich habe auch an Lehrgängen teilgenommen, um mich weiter zu schulen und da hat man mir geraten, ich sollte viel lesen, um meine Ausdrucksform zu steigern.
[center]BildGewerkschaftsarbeit 1977
[/center]
Das habe ich auch getan. Ich war immer sehr ehrgeizig. Man muss sich das vorstellen. Zu der Zeit war ich immer sehr aufgeregt. Wenn ich zwei Wörter hintereinander sprechen sollte und ich aufstehen und reden musste, dann fingen die Knie an zu zittern, die Glieder an zu schlottern, ich musste mich festhalten und ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich musste mir alles aufschreiben, was ich sagen wollte. Das tue ich heute noch, aber ich brauche das nur als Krückstock. Ich muss nicht mehr drauf gucken.

Damals gab es das Schlagwort „Wissen ist Macht“. Wir wollten sehr viel wissen und sehr viel verändern. 1975 da wirkte 1968 noch nach. „Die alten Zöpfe abschneiden“... Wir waren die jungen Stürmer, die etwas verändern wollten. Rotation ... Was die Grünen später erst auch propagiert haben. Als sie merkten, wie süß die Macht schmeckt, wollten sie sie nicht mehr abgeben.
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Beitrag von hörmal »

Ich war 14 Jahre im Betriebsrat und das war nicht einfach, da hinein zu kommen. Es gab sehr viele Bewerber und es waren Listenwahlen.
Die Funktionäre stellten zwei Listen auf und die Belegschaft konnte nur zwischen Liste A oder B entscheiden.
Da bin ich 1975 aufgestellt worden, an 18. Stelle. Ich war 28 Jahre alt. Der Betriebsrat umfasste 23 Personen, 20 Arbeiter und 3 Angestellte.
Bei der nächsten Wahl, 3 Jahre später, hatte ich mit dafür gesorgt, dass wir eine Persönlichkeitswahl bekamen. Ich bin zum Schachtgewerkschaftsvorsitzenden auf der Zeche Nordstern gewählt worden. Dann konnte jeder 20 Namen ankreuzen. Ich bekam die zweit meisten Stimmen.Um die 1000 Stimmen. Bei der Wahl 1978 hatte ich die meisten Stimmen , über 1500 , 1981 hatte ich fast 1800 Stimmen.

Ich habe mich auch sehr viel für die ausländischen Arbeitnehmer eingesetzt. Das wurde ein bisschen verspottet. „Türkenpapa“! Das war der Neid! Wenn man die Motive und den Zweck kennt, was der Andere damit will, dann kann man dagegen steuern. Aber hinterher haben sich alle bemüht um die Türken und natürlich auch andere Nationalitäten.

Von den 14 Jahren im Betriebsrat war ich 4 Jahre Betriebsratsvorsitzender. Als Betriebsrat war ich von der Arbeit freigestellt.
Ich war auch im Gesamtbetriebsrat der Bergbau AG Lippe und war dort im Arbeits – und Sicherheitsausschuss , daneben Vorsitzender des Sozialauschusses des Bergbauunternehmens. Die hatten mal an die 40 000 Bergbaubeschäftigte.
Das war um die Zeit als die Zeche mit Zollverein zusammengelegt wurde. Da wurde eine Strecke von 5 Kilometer unter Tage getrieben. Die Kohlen von hier wurden auf Zollverein gehoben. Das war 1982.
Am 23. Dezember 1986, wurde die Zeche Zollverein still gelegt.
Nordstern war dann allein.

Wir hatten damals etwa 6800 Beschäftigte, beide Bergwerke zusammen. Und die Aufgabe war, die Belegung auf 2000, 2200 Menschen ohne Kündigung zurückzufahren. Das war ein schweres Unterfangen. Junge Leute wurden verlegt, weil man gesagt hat, junge Bäume kann man eher verpflanzen. Und die älteren sind in den Ruhestand gegangen.
[center]Bild
"Auf, auf zum Kampf..."[/center]
Die Untertagearbeiter erst mit 50, dann mit 49. Das war schon eine harte Sache. Am Anfang ging es um Verlegungen maximal von hier nach Dorsten oder nach Hugo. Aber das war für die Kumpels, die die Arbeit hier vor der Haustür hatten, auch schon weit.
Zum Schluss ging es um Neukirchen-Vluyn. Das ist ca.50 Kilometer von hier entfernt. Wir haben es in vielen Bereichen so regeln können, dass vieles auf freiwilliger Basis durchgeführt wurde. Z.B. wenn jemand mit dem Werksbus aus Altenessen nach Nordstern gefahren ist, dann haben wir gesagt, da kann man die ganze Buslinie nach Prosper (Bottrop) umleiten.
Damals gab es noch Buslinien. Wir wollten nur verhindern, dass es eine Art von Zechentourismus gibt. Dass jemand von Dortmund nach Bottrop und die von hier nach Dortmund fährt.
Die Facharbeiter wurden zu anderen Bergwerken verlegt. Daraus ist entstanden, dass man unter Tage eine Olympia-Mannschaft hatte. Alles junge, kernige Burschen, 32 Jahre alt, kerngesund.
Auf einmal stellten sie fest: da unten, unter Tage fehlt was. Die Alten fehlen mit ihrer Erfahrung.
Die Jungen, wie Frau von der Leyen erklärt hat, die können schneller rennen, aber die Alten kennen die Abkürzungen.
So ähnlich war es da. Die Jungen haben sich bemüht. Das hat mit Können gar nichts zu tun. Aber 30 Jahre untertätige Erfahrung, das ersetzt vieles.
Ich bin auch mit 49 in den Ruhestand gegangen.
Man ist sozial flankiert ausgeschieden.
Sozial flankierte Maßnahmen.
Aber das waren keine sozial flankierten Maßnahmen. Es waren finanzielle Maßnahmen. Man war nachher allein mit der Frau zu Hause. Sie hatte 35 Jahre zu Hause allein geherrscht und dann kommt auf einmal der Olle und sagt: Pass mal auf, ich zeige dir mal, wie man einen Haushalt führt. Jetzt müssen wir einiges rationalisieren. Wie der Käse geschnitten wird... Viele Frauen haben mir im Vorfeld gesagt: „Herr Adam“ oder „Reinhold, wenn mein Mann aufhört, lass ich mich scheiden“.

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Viele sind damit nicht fertig geworden. Viele sind gestrandet.
Es war für mich auch eine schwierige Zeit, weil ich sehr viel dem Alkohol zugesprochen habe.
Seit 12 Jahren trinke ich keinen Tropfen Alkohol mehr. Ich lebe in Abstinenz.
Dadurch sind in mir viele Kräfte freigeworden. Im emotionalen Bereich, um das zu tun, was ich heute tue: mich mit Geschichte beschäftigen.
Aber ich war auch in der Suchthilfe tätig, um anderen Menschen zu zeigen, wie schön das Leben ohne Alkohol, ohne Tabletten ist.
[center]BildKampf ohne Ende...[/center]

Bei dem letzten Schicksalsschlag, den ich vor 2 Jahren erlebt habe, als unser Sohn von jetzt auf gleich in Berlin starb, habe ich diese ganze Trauerphase, die heute noch gar nicht abgeschlossen ist, ohne Alkohol, ohne Tabletten, ohne überhaupt dran zu denken.
Die ganze Trauer, der ganze Schmerz und alles, was dazu gehört.

Das habe ich daraus gelernt, wie wertvoll emotionaler Reichtum ist. Ich habe in meinem Leben erfahren, dass wenn emotional verbundene Menschen da sind, ich nicht fallen kann. Sie fangen mich immer wieder auf, in welcher Form auch immer. Die sind zwar nicht immer da, aber ich weiß, ich kann auf sie zurückgreifen. Es ist wie ein Netz, das einen auffängt.
Das habe ich in meinem ganzen Leben öfter erfahren. Ich habe mir selbst eine gewisse Lebensphilosophie zugeschneidert.
Man hatte mir gesagt, jeder Mensch muss sich selbst erkennen. Nur bei diesem Wort wusste ich gar nicht, wie kompliziert das alles ist. Erkenne dich selbst, hört sich ganz harmlos an. Aber wie soll man sich selbst erkennen, wie soll man den Eingang finden. Und wenn man eine Antwort für sich gefunden hat, dann kommen wieder 5,6 Fragen dazu.
Und wieder kommen Fragen und man zweifelt an sich selbst.
Aber wichtig ist, dass man an sich glaubt. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass der Glaube wirklich Berge versetzen kann.
Jeder Mensch ist das, was er fühlt. Wir sind das Produkt unserer Gedanken und unserer Gefühle.
Wir können alles sein, was wir wollen.
Alles ist in deiner Macht.
Alles, was wir suchen, Weisheit, Glück... (Was ist Glück?) das müssen wir in uns suchen. Wichtig ist, dass man alle Gefühle zulässt. Das ist wichtig im Leben. Gefühle zeigen, äußern.
Bei meinen Führungen hier im Nordsternpark spreche ich oft darüber. Ich spreche über den Wandel, dass sich Gebäude, Landschaften wandeln. Und wenn der Mensch sich als Teil der Natur versteht und weiß, dass er dem ewigen Kreislauf unterworfen ist, gibt er dem Leben ganz andere Inhalte.
Und ich weiß, jeder Mann sehnt sich nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Harmonie, alles was eine Frau sich wünscht.
Nur die Männer sind so cool... Es wird als Gefühlsduselei abgetan.
Man muss seinen Emotionen freien Lauf lassen und nicht erst in die Disko gehen, sich einen reinballern, um der Frau dann sagen zu können, wie schön sie ist. Das muss man vorher machen.

Auch in einem Ausschuss sagte eine junge Frau, sie traue sich nicht zu reden. Da habe ich ihr gesagt, wenn du deinen Gefühlen einen Ausdruck gibst, das sagst, was du fühlst, kannst du nichts verkehrt machen. Das sind deine Empfindungen und die irren sich nicht.
Es kann keiner deine Gefühle nachempfinden.
Ja aber, meinte sie, der und der, der kann so gut reden.
Da habe ich ihr gesagt, wenn du das sagst, was er sagt, nämlich gar nichts, dann musst du mit der Politik aufhören.
Ich habe manchmal gedacht, bestimmte Situationen, in denen man war, Krisensituationen, das sei verlorene Zeit gewesen. Ich habe immer gesagt, ich muss meine verlorene Zeit suchen. Aber es gibt keine verlorene Zeit.
Es gibt nur gelebte Zeit. Und diese gelebte Zeit hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.
Ich wäre nicht der Mensch, der ich bin und ich würde nicht da stehen, wo ich stehe, wenn ich meine ganzen Erfahrungen nicht gehabt hätte. Und das ist eine wichtige Erkenntnis für mich gewesen. Danach verfahre ich auch, dass ich heute noch mit dem glücklich bin, was ich habe. Und auch Menschen helfe, so gut ich kann.

Als ich mich von dem Alkohol verabschiedet habe – ich hatte noch lange im Kopf diesen Traum vom kontrollierten Trinken, weil jeder Alkohol abhängige Mensch diesen Traum in sich trägt. Aber dieser Traum wird immer zum Albtraum.
Ich habe am Anfang immer gedacht, wie kann ich zufrieden und glücklich sein.
Und eine ältere Dame in der Türkei hat mir gesagt: Ihre Erwartungen sind zu hoch. Wenn sie den Futtertrog so hoch hängen, wie wollen Sie da dran kommen. Sie verhungern.
Und Sie sind zu ungeduldig.
Ja, ich wollte immer alles haben und sofort. Aber das geht nicht.
In der Bibel steht was mit der Zeit: jede Zeit hat ihre Stunde.
Es muss reifen, auch der Mensch muss reifen, um Menschlichkeit auszustrahlen.
Und alles, was du ausstrahlst, das kommt zu dir zurück.
Wenn du Menschen mit einem Lächeln begegnest, bekommst du ein Lächeln zurück.

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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Früher hießen sie fremdsprachige Mitarbeiter. Zuerst waren sie Gastarbeiter. Dann waren sie fremdsprachige Mitarbeiter. Das war zu der Zeit, wo der Bergdirektor anfing, die Leute mit Mitarbeiter anzusprechen.
Das war schon eine Manipulation.
Es gab eine Zeit, wo man sich mit emotionaler Intelligenz beschäftigte und dann kam jeder mit „Lieber Mitarbeiter, liebe Mitarbeiterin“...
Die Arbeitgeber haben immer versucht die Belegschaft zu spalten. Die Angestellten hatten einen anderen Status als die Bergarbeiter. Wenn ich Angestellter wurde, habe ich eine andere Wohnung bekommen. Ich musste eine Respektperson werden. Aber die Verbindungen waren trotzdem groß.

Mit den fremdsprachigen Mitarbeitern war es am Anfang ein bisschen schwierig, wegen der Sprache. Die kamen relativ spät auf Nordstern. In den 70ern so, 1971,72. Aber das ist gewachsen, das ganze Verhältnis.
Es gibt immer ein paar Hurkatoren, die froh sind, dass sie noch einen haben, den sie treten können.
Aber es ist auf Nordstern zusammengewachsen. Einige Kumpels haben sich deutsche Namen gegeben. Es gibt noch heute einen, der heißt Robert. Aber der heißt gar nicht Robert. Er hat einen türkischen Namen. Aber das war mehr so im Scherz.

Es gibt heute noch viele Verbindungen untereinander. Wir haben etwa 600 oder 700 ausländische Mitarbeiter gehabt. Und das Verhältnis war relativ gut. Besser vielleicht als in anderen Bereichen.
Die Integration ist hier im Ruhrgebiet Tradition. Erst kamen die Zuwanderer, dann nach dem 2. Weltkrieg viele aus Ostpreußen und aus den Ostgebieten. Dann Mitte der 60er Jahre die Italiener. Aber auf Nordstern gab es keine italienischen Bergarbeiter. Die gab es auf Stinnes, auch Griechen.

Na ja, Mitte der 50er Jahren sind alle nach Italien gefahren, mit dem Motorrad. Da kann ich mich dran erinnern. Das haben einige aus unserer Straße gemacht und dann haben sie danach tagelang auf dem Hinterhof von Italien erzählt. Und wir saßen da und haben von Italien geträumt. Ich bin bis heute nie dort gewesen, aber den Traum habe ich noch in mir.
Die waren auf jeden Fall von Italien begeistert, von dem Lebensgefühl, und dann kamen die Italiener, die „Spaghettifresser“ und dann stand schon mal in den Fenstern: Kein Zutritt für Italiener... oder kein Zutritt für Ausländer. Das gab es noch Mitte der 60er Jahre.

Als hier in der Fischerstr. die Moschee gebaut werden sollte, da waren viele dagegen und da war ich einer der wenigen, die dafür gesprochen haben. Im Planungsausschuss der Stadt war der Lutz Heidemann und er hat mich angesprochen, ob ich nicht tätig werden könnte.
Ich bin dann da gewesen, aber die Stadtverordneten, die dafür zuständig waren, die waren alle krank. Und dann wurde ich in der Zeitung zitiert, dass ich mich dafür ausgesprochen habe. Ich habe gesagt: Wir haben 700 Leute, sie haben alle Anspruch auf ihren Glauben. Man kann sie nicht irgendwo in einen Hinterhof verbannen. Da bin ich sehr angegriffen worden.

Ich bin auch politisch aktiv. Ich war 28 Jahre in der SPD und als es mir nicht so gut ging, hatte ich keine Informationen; ich habe den Eindruck gehabt, dass sie sich ein bisschen wegen meines Lebenswandels meiner geschämt haben. Ich bin z.B. für 25 Jahre SPD-Zugehörigkeit nicht geehrt worden. Als ich beschlossen habe, mein Leben zu verändern, habe ich die SPD angeschrieben, meine Einzugsermächtigung zurückgezogen und darum gebeten, dass man mich zu Hause kassiert. Seitdem habe ich nichts mehr von denen gehört. Ich bin also ausgeschlossen worden.

2007 bin ich dann zur Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit gegangen. War vorher in einer parteilosen Wählergruppe, die Gruppe um Strohmeier. Wir waren vorher zusammen bei der Bürgerinitiative „Viterramieter Rosenhügel und Gelsenkirchen“ und haben zusammen gegen die Privatisierung der Häuser gekämpft und haben zum Schluss eine Sozialcharta mitbetrieben. Zum Schluss hat man uns nicht mehr beteiligt. Wir haben viel bewegt.
[center]BildReinhold erzählt uns, zu Recht, mit Stolz von seinen Aktivitäten[/center]
Dann kam der Zusammenschluss der WASG mit der PDS zur Linken Partei und dann war ich Linker. Aber ich war immer links gewesen. Und dann hatten wir große Auseinandersetzungen mit dem Kreisverband um 2010. Dann kam der Streit mit den roten Bananen. Es wurde auch über den besten Weg zum Kommunismus diskutiert und ich habe gesagt: Ich will keinen Weg zum Kommunismus finden.
Und dann haben wir Ende 2010 uns zu viert – die vier Ratsmitglieder der Linken – zusammengesetzt mit zwei oder drei Bezirksverordneten und wir sind ausgetreten. Wir haben unsere eigene Fraktion im Rat gegründet: Bürgerbündnis Gelsenkirchen, kurz BBG. Da bin ich stellvertretender Fraktionsvorsitzender.
Ich habe auch den Kampf gegen die Privatisierung vom Kinderland im Nordsternpark als Alleinkämpfer geführt. Das war eine städtische Einrichtung und die war wunderbar. Dann sollte die privatisiert werden und der Ziegenmichel hat die gekriegt.
Das war meine Motivation, warum ich dann in den Rat der Stadt gegangen bin. Ich habe von den Politikern eine gewisse Arroganz mir gegenüber verspürt. Ich wollte sogar ein Bürgerbegehren machen, aber es war unheimlich schwierig.
Diese verletzende Arroganz habe ich auch verspürt, als ich auf dem Weg zum Trockenwerden war. Da haben Menschen mit dem Finger auf mich gezeigt.
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Wenn ich solche Gefühle habe, so wie mit der Arroganz, und verletzt werde, dann entwickelt das in mir eine besondere Motivation, eine Wut, und Wut kann ja positiv genutzt werden und sich auswirken, um dem Anderen zu zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lässt.
Ich habe oft gegen Windmühlen gekämpft, ich habe oft auch allein gekämpft, aber was ich auf meinem Lebensweg mitgenommen habe, ist, dass wenn ich einen Weg beschritten habe, ich diesen Weg auch zu Ende gehe. Ansonsten sind alle Mühen und Plagen bis dahin umsonst gewesen.
Den Weg, den man einmal begonnen hat, soll man immer zu Ende führen.
Es gibt natürlich Möglichkeiten, dass man sich einräumt, diesen Weg zu korrigieren, dass man sagt, ich gehe rechts und links, je nach der Situation, aber dass man immer an das Ziel und an sich selbst glaubt.

Auch bei den Gesprächen , die ich seit 12 Jahren oft mit Abhängigen oder Mitbetroffenen führe, wird mir oft gesagt: „Ich habe im Grunde gar kein Ziel“. Dann sage ich: „Das Ziel, das endgültige Ziel, das ist nicht wichtig. Das ist am Ende des irdischen Lebens. Sondern das Ziel, das besteht aus einzelnen Etappen und das ist wichtig, dass man diese einzelnen Etappen erreicht, auch um Kraft zu schöpfen für die nächste. Dass man aus jeder Situation das Positive für sich selbst rauszieht.

Ich war in vielen Bereichen tätig.
Ich war als ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht in Gelsenkirchen oder im Vorstand der Bergbauberufsgenossenschaft und habe mich sehr viel um die Umfallproblematik, um Sicherheit im Bergbau gekümmert.
Heute bin ich im Rat der Stadt GE. In zwei Jahren, wenn die Amtsperiode zu Ende ist, bin ich dann 68 und ich weiß nicht, ob ich noch einmal kandidiere, weil ich andere Prioritäten setze im geschichtlichen Bereich.
Seit 35 Jahren bin ich da sehr engagiert.
Ich lebe Geschichte und vermittle sie u.a. im Geschichtsforum Nordsternpark, den ich 2004 gegründet habe.
[center]BildBei einer Ausstellung im Nordsternpark 2006[/center]
Unsere Philosophie ist, über Erinnerungen Emotionen wecken, Geschichte lebendig werden lassen. Wir wollen, wie auf einem Marktplatz, Geschichte feilbieten für Menschen und von Menschen, die Teil der Geschichte sind, die Geschichte mitgeschrieben haben.

Wir machen Führungen, historische Rundgänge durch den Nordsternpark. Im Jahr erreichen wir ca. 2000 Menschen. Oder wir gehen in Altersheime, in Schulen und versuchen Jung und Alt zusammenzubringen.

Jetzt plane ich für 2013 mit Astrid Kaiser von der Alzheimer Gesellschaft in Gelsenkirchen und mit vielen vielen Anderen die Aktionswoche Demenz, die ab dem 1. Juni statt finden soll.
Und am 5. Juni 2013 soll der Tag „Geboren auf Kohle“ stattfinden, den ich mit gestalte.

Wir wollen nicht die Vergangenheit schön reden. Aber das war unsere Zeit, vielleicht unsere „schönste“ Zeit, unsere Glanzzeit: man kam aus der Schule, hatte einen Beruf, war verliebt, hatte eine Frau, hat eine Familie gegründet. So war es bei mir in den 60er Jahren. Aber wie gesagt, wir wollen keine Schönredner der Vergangenheit sein, wir wollen Emotionen erzeugen.
In der heutigen Zeit benötigt jeder Liebe, Harmonie, Geborgenheit.
Das sind nicht nur Begriffe.
Das soll man auch fühlen.

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Beitrag von hörmal »

Wenn wir zum Beispiel im Bergbaustollen im Nordsternpark unsere Lesungen am frühen Nachmittag machen, kommen zwischen 60 und 80 Leuten.
Wir machen das im Schein von Grubenlampen, mit Hintergrundmusik.
Beim letzten Mal waren die „Buckeckern“ vom Consoltheater da und haben eine Art Hörspiel gestaltet, „Geschichten aus dem Pott“. 6 Damen im Dialog.
Wir wollen eine Atmosphäre erzeugen, wie sie früher in den Hinterhöfen herrschte.
Mit Musik.
Also mit Gitarrenspieler, Akkordeonspieler, Mundharmonikaspieler.
Da werden Bergmannlieder gesungen und da wird auch mal getanzt.
Der Ursprung war Kurt Küther aus Bottrop. Er war einer der bekanntesten Arbeiterdichter. Er war der erste Kulturpreisträger der Stadt Bottrop. Der wurde von der Presse als Goethe für arme Leute bezeichnet.
[center]BildMit den Arbeiterdichter Kurt Küther während einer Lesung beim Schein von Grubenlampen im Bergbaustollen Nordsternpark 2009[/center]
Er hat zum Schluß Ruhrpottprogramme geschrieben, im Ruhrpottdialekt.
Das war der Anfang.
Er hat Büscher, Limpert, Kämpchen, Wohlgemuth gelesen, begleitet mit der Quetschkommode, dem Schifferklavier, Mundharmonika.
(Auch hier in den Gelsenkirchener Geschichten:) Arbeiterliteratur
Als Küther Küther lesen sollte, war er schwer erkrankt und er ist in diesem Jahr verstorben.
Leider.
Er war unsere größte Stütze.
Bei der ersten Lesung waren 23 Leute.
Und nächstes Jahr werden wir die 10. Lesung haben. Wir haben uns aber in der Gestaltung und in der Qualität gesteigert.
Beim vorletzten Mal war der Professor Payk da. Der war leitender Arzt an der Uni in Bochum und auch in Bonn. Der war bei der westfälischen Psychiatrie als Chef tätig.
Er hat etliche Fachbücher über Psychiatrie, Demenz, Sterbehilfe geschrieben.
Aber er hat auch ein Buch über seine Jahre nach dem Krieg hier in Gelsenkirchen.
Er ist nämlich hier in Horst, in der Friedrichstr., im Schatten der Fördertürme von Nordstern geboren.
Und er hat seine Jugenderinnerungen in Horst aufgeschrieben und daraus hat er gelesen.

Wir hatten auch Ilse Kibgis, Josef Büscher, Richard Limpert.
Wir waren eine Hochburg der Arbeiterdichtung.
Josef Büscher hat mich 1977 zum ersten Mal zur Schreibschule nach Marl in der Insel mitgenommen.
Und er hat hier in GE die Schreibschule geleitet und da hat er die Ilse Kibgis entdeckt.

Das Schreiben hat mich immer begeistert.
In der Schule am Horster Schloss gibt es ein Projekt mit den Lesekids, mit der Stadtteilbücherei.
Im letzten Jahr war: Zirkusgeschichten aus dem Koffer mit Petersen.
Die 8-jährigen Kinder denken sich was aus, schreiben ihre eigene Geschichte, fügen das zu einer Geschichte zusammen – das sind so 12 Kinder – und dann haben sie ein Buch und es findet eine öffentliche Lesung statt.
Und ich mache da die Moderation. Und ich sage den Kindern, wie schön es ist, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, denn es ist der größte Schatz, den man hat.
Das ist wie, wenn man einen Koffer öffnet und man spürt alle Schätze der Welt in sich.
Und wie wichtig auch das Zusammengehörigkeitsgefühl ist, wenn man etwas zusammen gestaltet.
[center]BildHier ist ein Foto von einer Lesung in der Stadtteilbibliothek Horst mit Ruth Waldhart (2. von links) .
Sie hat am 30 September 2011 in der Bücherei Horst Geschichten einer wunderbaren Freundschaft gelesen. Sie Abenteuer von Adam und Doro.
Links der Horster Zeichner und Karikaturist Uwe Wobser , daneben Ruth Waldhart, Leiterin Jutta Schwichtenberg und ich als Moderator und Initiator der Lesung.

[/center]
Und dass man sich im Leben gegenseitig helfen soll.
Und letztens war eine Veranstaltung an der Horster Schule mit 3.- und 4.-Klässlern und da wurden orientalische Tänze vorgeführt. Das war so wunderschön.
Das ist das Gleiche: im Tanz seinen Gefühlen folgen.
Ich machte auch mal 2011 Moderation bei „Kinder am Kanal“ oder Mondschein-Führungen zum „Singenden Berg“.
Das mache ich alles als Gegenpol zu meinen politischen Aktivitäten.

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Beitrag von hörmal »

In diesem Jahr haben wir eine Ausstellung gemacht: „100 Jahre STV Horst-Emscher - Aufstieg und Fall der legendären Emscher-Husaren“.
Ich habe auch die Erinnerungsveranstaltung „15 Jahre Bundesgartenschau“ organisiert. Da waren 150 Leute da.
Ich mache auch meine Führungen, Veranstaltungen...
Jeden letzten Freitag im Monat ab 16 Uhr machen wir einen Nordstern-Stammtisch in der Gaststätte Norkus in der Devenstr.. Das ist ein Stamm von 35 – 40 Leuten.
Wenn wir etwas Besonderes organisieren, sind sie dann auch alle da, wie zum Beispiel bei der Erinnerungsveranstaltung, die wir am 18. Oktober für die auf Nordstern verunglückten Bergleute auf dem Friedhof Horst-Süd gemacht haben.
Wir haben auch sehr viel Unterstützung von der Horster Werbegemeinschaft und von der Horster Bevölkerung.
Und es kommen nicht nur Bergleute dahin. Es kommen sehr viele ältere Frauen auch. Die älteste ist jetzt 82, ist aber noch sehr agil.
[center]BildBeim Stammtisch des Geschichtsforum Nordsternpark[/center]
2005 hatten wir eine Erinnerungsveranstaltung mit einem Knappenzug von einigen 100 Knappen von Nordstern und einer Ausstellung: 50 Jahre Grubenunglück von 1955 auf Nordstern, wo 14 Bergleute ums Leben kamen.
Das war am Tag des Endspiels der deutschen Fußballmeisterschaft (26. Juni 1955): Rot-Weiß Essen gegen 1. FC Kaiserslautern in Hannover.
Da wurde in die Kohle geschossen, d.h. gesprengt. Und diese Arbeiten wurden normalerweise nachts gemacht. Auf eigenen Wunsch haben die Bergleute die Schicht aber auf die Morgenschicht verlegt, damit sie Fußball gucken können.
Es gab eine ganze Reihe von Dingen, die bei der Sicherheit aufgrund mangelnder Kommunikation nicht beachtet wurden. Aus dem Gedächtnis würde ich sagen, dass der Lüfter auf Schacht 3 und 4 abgeschaltet wurde, während die da arbeiteten.
Und der, der das veranlasst hat, wusste nicht, dass die Leute da arbeiteten.
Die Genehmigung vom Bergamt ist nicht weitergeleitet worden, weil Wochenende war.
Und so kam es dazu, dass, so vermutet man, gesprengt wurde und dann die Bergleute tödlich verunglückten.
Alle, die in dem Streb waren, wurden getötet.
Keiner hat überlebt.
Es gab einen Prozess dazu und der Richter hat zum Schluss gesagt. „Ihr denkt an die Kohle, aber ihr denkt nicht an die Menschen.“
Ich war damals ein Kind und wir bekamen sogar schulfrei.
Wir haben den Weg vom Leichenzug gesäumt.
Als ich als Lehrling zu unserem kleinen Lehrrevier musste, dann musste ich an dieser Unglücksstelle vorbei und der Meisterhauer hat uns diese Geschichte erzählt.
Da bekamen wir immer ein mulmiges Gefühl.

Aber zurück zu der Erinnerungsveranstaltung.
Wir hatten ein Abschlussgespräch.
Und da meldete sich eine Frau: Mein Mann war unter den Toten.
Ich habe auch Todesmeldungen überbracht, als Betriebsratsvorsitzender und das haben wir auf unsere eigene Art verarbeitet: wir haben uns einen zur Brust genommen.
Aber sie sagte: Das konnte ich nicht, denn ich hatte zwei kleine Kinder.
Und dann hat sie ihre Eindrücke geschildert. Sie hatte eine ganze Tüte mit Erinnerungen mitgebracht: Telegramme von der Bergwerksdirektion, Beileidstelegramme von Ministern, Kopien von Zeitungsartikeln, Dokumente über den Prozess. Und das war so rührend. Sie hatte eine ganze Tüte mit ihren Lebenserinnerungen und darin war ihre ganze Liebe zu ihrem Mann noch zu spüren.
Das hat mich sehr beeindruckt.
Sie war uns sehr dankbar.
Sie hatte immer darauf gewartet, dass irgendeine Ehrung, eine Wertschätzung gegeben wird. Sie hat 10, 20, 25, 30 Jahre gewartet.
Und zum 50. Jubiläum wurde es dann endlich wahr.
Sie war zu Tränen gerührt. Und diese reizende Frau, eine Wienerin, die heute noch „wienert“, ist heute noch unser ständiger Besucher.
Wir freuen uns immer, wenn wir uns sehen.
Und so werden emotionale Verbindungen geschaffen.
[center]Bild
BildDas sind Fotos von der letzten Ehrung der verunglückten Bergleute , im Jahr 2012, wo ich die Rede halte.[/center]
Dann gibt es auch eine Dame, die ihren 80. Geburtstag irgendwo in den Bergen auf der höchsten Bergspitze im Allgäu verbracht hat.
Sie hat sich mit 80 ihren Traum erfüllt.
Das ist das Schöne. Wir wollen Emotionen in dieser Form erzeugen. Ich zeige DVD-Präsentationen, die ich selbst mache. Jeden Monat erstelle ich eine. Das ist auch eine Form, Wärme zu versenden.
1982 habe ich die erste Ausstellung „700 Jahre Freiheit Horst“ gemacht. Und die letzte war dieses Jahr 2012 im April. Dazwischen liegen 5 oder 6. Damit habe ich mir auch einen Wunsch erfüllt.
[center]BildAusstellungseröffnung mit dem OB[/center]
Am Anfang meiner Trockenheit bin ich viel Fahrrad gefahren, um Aggressionen abzubauen. Halden rauf und runter.
Und irgendwann mal waren die Aggressionen weg.
Und dann habe ich mich wieder erinnert, dass ich früher viel fotografiert habe. Ich habe also meinen Fotoapparat mitgenommen. Ich habe nämlich am Straßenrand die Blumen wieder gesehen.
Das war der Titel meiner ersten Präsentation: „Ich sehe wieder Blumen am Wegesrand stehen“.
Damit habe ich meine Emotionen eingefangen und habe somit wieder gelernt, meine Emotionen auszudrücken. Das ist ein ganz wichtiger Prozess im Leben. Emotionen spielen eine ganz große Rolle.
In unserer Zeit wird wenig Wärme gegeben.
Die Aggressivität wird größer.
Ich will jetzt nicht über die Gründe reden.
Die Einsamkeit wird größer, die psychischen Erkrankungen werden immer mehr.
Jeder möchte den starken Menschen markieren.
Und in Wirklichkeit lachen viele nach außen hin und weinen nach innen.
Wir möchten auch Freude vermitteln.

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LebensgeschICHte - Reinhold Adam, letzte Folge.

Beitrag von hörmal »

Wir haben hier Leute aus der ganzen Welt.
Ich hatte mal eine 17-köpfige chinesische Gruppe vom chinesischen Meer, eine Gruppe aus Österreich und vor kurzem hatte ich sogar eine Hochzeitsgesellschaft.
Und viele sagen mir nachher: Wir waren auf Zollverein und an vielen anderen Orten, aber hier im Nordsternpark verspüren wir die Seele.
Und das ist das größte Kompliment für mich.
Es ist das, was mich aufrecht erhält.

Ich bin 66 Jahre alt und bin dankbar, dass ich noch so fit bin, auch das Positive zu sehen. Ich habe mein Leben lang das Positive gesehen und gebe das auch an andere Menschen weiter.
Ich habe viele Kontakte und ich motiviere andere Menschen zum Schreiben, weil das meine Liebe ist, weil ich gemerkt habe, dass mir das Schreiben auf meinem Lebensweg viel gegeben hat.
Man sollte mit offenen Augen, mit offenem Herzen auf Menschen zugehen und ihnen vermitteln, dass sie ihren eigenen Wert erkennen, dass sie ein einmaliges Wesen sind, dass das Leben so wunderschön sein kann.
Wir haben viele Defizite in unseren Schulen gehabt.
Man hatte kein Selbstbewusstsein.
Da wurde einem gesagt: Du bist doof, du bist der doofe Adam.
Und da hast du fast selbst dran geglaubt.
Aber für mich gilt das lebenslange Lernen, dennWissen ist Macht.
Ich lerne mein ganzes Leben lang. Ich habe mal die Weisheit gesucht, bis ich gemerkt habe, dass ich gar nicht zu suchen brauche, dass ich alles in mir habe, was ich eigentlich suchen wollte.

Man kann sich fragen, wie ich die vielen Aktivitäten schaffe.
Das ist alles eine Frage der Organisation und der Wertigkeit.
Mein Leben ist so organisiert: ich bin Bergmann, habe Jahre lang Frühschicht gehabt und deswegen stehe ich heute immer noch früh auf. 4 oder 4.30 Uhr. Das ist meine kreativste Zeit.
Wenn ich meinen Kaffee und eine Zigarette habe, bin ich frisch.
Wenn ich die ersten Sonnenstrahlen sehe und die Vögel zwitschern höre, bin ich glücklich. Auch wenn das Wetter beschissen ist, bin ich glücklich.
Bis meine Frau aufsteht, habe ich meine schriftlichen Sachen erledigt. Oder meine Präsentationen gemacht.
Das ist Entspannung, das macht mir Freude.
[center]BildBei einer Ausstellungseröffnung.
Reinhold Adam und die Geschichte von Nordstern sind unzertrennbar.
[/center]
Dann irgendwann frühstücken wir. Und meine Frau geht zu vielen Veranstaltungen auch mit.
Ich beschäftige mich seit 35 Jahren mit Geschichte. Ich muss nicht mehr viel vorbereiten. Ich habe alles im Kopf.
Ich habe auch für mich wieder entdeckt, dass man viele Dinge auf sich zukommen lassen soll und sich nicht mit Dingen beschäftige, die ich nicht verändern kann.
Das hat sonst einen negativen Einfluss auf mich und zieht mich runter.
Ich kann die Welt nicht retten.
Aber wenn ich wirklich da bin, wo ich mit meinen Gedanken bin, also wirklich bei der Sache bin, die ich mache, und nicht schon in Gedanken bei der nächsten Aufgabe, dann habe ich keinen Stress.
Positiv denken, das ist wirklich das Wichtigste, sich an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen. Und was man sendet, das kommt zu einem zurück.
Ich habe einen Teil meines Lebens als verlorene Zeit angesehen und ich habe mich auf die Suche gemacht, um diese Zeit wieder zu finden.
Aber sie ist unwiderruflich weg und ich habe meine Erfahrungen gemacht und auch diese damals als negative empfundene Zeit hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.

Irgendwann hat dann meine Tochter gesagt: „Guck mal, der Papa kann wieder lächeln“. Das war das schönste Lob.


Wir danken Reinhold Adam für den Mut, uns seine Geschichte zu erzählen und zu schenken. Wir nehmen seine Gedanken mit in unser Weihnachtsfest.
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