Hubert Nietsch

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Hubert Nietsch (*12. August 1893 in Flensburg, † 9. September 1965 in Gelsenkirchen) war ein deutscher Bildhauer und Mitglied der Künstlersiedlung Halfmannshof. Er verstarb in seinem Atelierhaus in Ückendorf.[1]

Hubert Nietsch
Nietsch auf einer Zeichnung im ehemaligen Glückauf-Keller

Leben

Ausbildung

Hubert Nietsch besuchte die Kunstgewerbeschule in Flensburg. 1912 legte er seine Gesellenprüfung als Holzbildhauer ab. Seine Gesellenjahre verbrachte er in Schweden, unterbrochen vom ersten Weltkrieg. Zwischen 1919 und 1921 lebte Nietsch in Dänemark, Kiel und Hamburg. Ab 1921 war er in der Werkstatt des Architekten Prof. Metzendorf in Essen tätig. 1925 legte er in Flensburg die Meisterprüfung als Holzbildhauer ab und begann ein Studium der Baukeramik an der Kunstakademie Berlin. 1926 wurde er Meisterschüler an der Düsseldorfer Kunstakademie (Prof. Langer). Ab 1928 übte er in Essen eine selbstständige Tätigkeit aus.

30er Jahre und Drittes Reich

Im Jahre 1931 gehörte Nietsch zu den Gründern der Künstlersiedlung Halfmannshof in Ückendorf, wo er bis zu seinem Tod lebte und arbeitete.

Während des Dritten Reiches nahm Nietsch, wie auch andere Künstler des Halfmannshofes Aufträge der NS-Propaganda an. Er schuf dem Zeitgeschmack entsprechende überdimensionierte Figuren mit pathetischer Geste, die teilweise in Gelsenkirchen ausgestellt wurden. Ab 1935 war Nietsch Kulturbeirat der Stadt und so direkt an der Umsetzung der NS-Kulturpolitik in Gelsenkirchen beteiligt.

Eine Stellungnahme Nietsch’s zu seiner Rolle während des Dritten Reichs ist nicht bekannt.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg war Nietsch der Hof-Älteste der Künstlergemeinschaft Halfmannshof. Mit der Parole: „Wir packen an wo anzupacken ist und bauen auf wo aufzubauen ist.“ begannen die Künstler den Wiederaufbau nach den Kriegszerstörungen. Der Mangel der Nachkriegszeit wirkte sich auf die Kunstproduktion aus. Nietsch stieg daher von Großplastiken auf Holzschnitzereien um.

In der folgenden Zeit etablierte Nietsch sich als Schöpfer von freundlichen, gefälligen Figuren und Objekten. Seine Arbeiten waren bei der Stadt als Ehrengaben zu verschiedenen Anlässen beliebt, ebenso wie seine Figuren bei Kindern: das Eselchen, Der Lachende sowie eine Reihe von Tür-Figuren in der Grillostraße in Schalke. Zu Nikolaus entwarf Nietsch regelmäßig Plaketen oder anderes als Gabe für die Freunde des Halfmanshofes.

Nietsch’s letzte wichtige Arbeit ist der „Mann im Sturm“, der im Gegensatz zu den meisten anderen Arbeiten der Nachkriegszeit von eher gebrochener Stimmung ist.

Am 19. September 1965 starb Hubert Nietsch in Gelsenkirchen.

Werk

Hubert Nietsch arbeitete in seiner künstlerischen Tätigkeit als Bildhauer in Stein und Bronze, als Elfenbein- und Holzschnitzer, als Keramiker und Maler. Ein Künstler der Avantgarde war er nie, sondern immer um traditionelles Handwerk und eine solide gestalterische Basis bemüht, was ihm, wie auch den anderen Halfmannshofkünstlern, während des Dritten Reiches zum Vorteil wurde. Eine frühe, beschriebene Arbeit von Nietsch ist eine Magdalenen-Statuette aus dem Jahre 1927.[2]

Werke aus der NS-Zeit

Während des Dritten Reichs entwarf Nietsch Figuren, die dem heroischen Pathos der Nationalsozialisten entsprachen. 1937 schuf er einen zwei Meter großen knienden Bogenschützen im Anschlag darstellt, der für die Jägerkaserne in Arnsberg bestimmt war.

Für die Kaserne in Bielefeld schuf er drei große Keramik-Büsten von jeweils etwa zwei Zentner Gewicht, die einen Arbeiter mit einem Hammer, einen Bauern mit einer Ähre und einen Soldaten mit Helm und Uniform darstellten. Sie wurden aus Anlass des Gautreffens 1937 auf Holzpostamenten auf dem Bahnhofsvorplatz ausgestellt.[3] Diese Büsten, die in ihrer Überdimensionalität und den markant herausgearbeiteten Zügen des sogenannten "Ariers" genau den Geschmack des NS-Regimes trafen, befinden sich noch heute auf dem Gelände der Kaserne in Bielefeld. Eine Studien-Version des Arbeiterkopfes dagegen befindet sich heute an einem halböffentlichen Ort in Gelsenkirchen.

Eine weitere Nietsch-Arbeit aus der NS-Zeit ist der Adler über dem Portal des ehemaligen Gesundheitsamtes an der Zeppelinallee.

Werke der Nachkriegszeit

Stilistisch noch in gewisser Nähe zu den arischen Büsten entstanden 1952 zwei Wand-Reliefs für das Gebäude der IG-Metall in der Augustastraße. Die linke Tafel zeigt wiederum den Arbeiter-Typus mit großem Hammer und diesmal noch einem Eichenblatt in der Hand. Die rechte Tafel bildet das freizeitliche Pendant dazu. Die Arbeiter heben den Becher und zwischen ihren Beinen schaut eine Katze hervor. Diese Katze verweist in ihrer freundlichen, naiven Darstellung bereits auf weitere Tierdarstellungen, die in den nächsten 10 Jahren folgen sollten.

An der Ecke Kirchstraße / Lohfeldstraße befindet sich ein Rattenfänger von Hameln aus Keramik aus dem Jahre 1950.[4]

An einer Häuserzeile in der Grillostraße befinden sich verschiedene Tierfiguren aus Keramik über den Hauseingängen. Auffällig ist hier ein Fisch, auf dessen Rücken ein kleines, nacktes Kind reitet.[5]

1954 erhält Nietsch von der Stadt Gelsenkirchen den Auftrag zur Gestaltung eines Relief-Frieses für das Rathaus in Buer, das 1958 fertig gestellt wurde. Dieser Fries befindet sich noch über dem Portal des jüngeren Gebäudeteils und besteht aus drei 2,7m breiten und 1,25m hohen patinierten Bronze-Tafeln mit einem Gewicht von je 8 Zentnern und den Titeln "Buch, Theater unf Musik", "Familie" und "Landwirtschaft und Bergbau".[6]

1957 wurde die wohl bekannteste Nietsch-Figur in Gelsenkirchen aufgestellt: Das gusseiserne Stadtgarten-Eselchen.[7] Inspiriert möglicherweise von der Figur des "Eselchen Grisella" des Halfmannshöfer Puppenspielers Heinrich Maria Denneborg wurde diese Figur fortan zu einem festen Bestandteil Gelsenkirchener Kindheiten und zu einem beliebten Fotomotiv. Im Laufe der Jahrzehnte wurden Rücken und Ohren des Eselchens von ungezählten Kinderpopos und -händen blank poliert. In den 1990er Jahren wurde das Eselchen gestohlen.

In der 1957 geweihten Paulus-Kirche in Bulmke befindet sich ein großes, von Nietsch gestaltetes Fenster. Die Glaswand hinter dem Kreuz zeigt das von Nietsch entworfene Motiv des Lamms mit der Siegesfahne in 35-facher Ausführung.[8]

Der "Taubenvater, der auf seine Tauben wartet" ist eine Figur auf einer Wiese am Nattmannsweg in der Nähe des Halfmannshofes. Eine in sich zusammengesunkene Gestalt schläft mit schiefem Kopf und in den Schoß gelegten Händen.[9]

In Herne befinden sich zwei Plastiken. Am Hölkeskampring die Bronzeplastik "Bergmann mit Ziege", und am Rathaus "Unteilbar trotz Mauer". Sie zeigt Menschen diesseits und jenseits der Berliner Mauer. [10]

Eine weitere sehr bekannte Figur Nietsch’s ist "Der Lachende", ein kugeliger Stein-Kopf mit sanft gerundeten Gesichtszügen und einem breiten, lachenden Mund. Nietsch entwickelte diese Form aus einem "Stein-Kugel-Spiel" und erregte mit der im Vergleich zu seinen anderen Arbeiten relativ modernen Form Aufsehen. Der Lachende fand seinen Platz auf dem Gelände des stadteigenen Landschulheims Lieberhausen, wo er sich noch heute befindet.[11]

1962 wird Nietsch’s Figur "Mann im Sturm" vor dem Senioren- und Pflegeheim (Haunerfeldstraße) aufgestellt. Die düstere Gestalt eines Mannes, der sich gegen einen starken Wind zu stemmen scheint, ist als Hohlfigur ausgeführt und führte zu unterschiedlichen Interpretationen. Den Bewohnern des Seniorenheims zumindest war diese Figur zu unheimlich, sie habe eine ‚’depressive Wirkung’’. Deshalb wurde sie wieder abmontiert und lagerte viele Jahre in einem Schuppen des Grünflächenamtes im Werkshof Schloss Berge, bis sie Ende 1991 durch Zufall wiederentdeckt und an ihren jetzigen Standort am Rathaus Buer gebracht wurde.[12]

Kontroverse um braune Vergangenheit

1991 wurde erstmals offen über Nietsch’s Rolle während der NS-Zeit diskutiert als der Halfmannshöfer Künstler Heiner Szamida einen von Nietsch gestalteten hölzernen Frauenkopf aus den 20er Jahren, der Jahrzehnte lang vor dem einstigen Nietsch-Atelier gestanden hatte, eigenmächtig entfernte mit der Begründung, Nietsch sei ein "Nazi-Künstler" gewesen und die Figur sollte nicht länger vor dem Haus stehen. Diese Aktion stieß auf heftige Kritik der Vorsitzende des Kunstverein Gelsenkirchen Anneliese Knorr, die Szamida empört vorwarf, sich an der Arbeit eines Künstkerkollegen zu vergreifen und seine Rechte als Mieter zu überschreiten.[13]

Dass Nietsch und auch andere Halfmannshof-Künstler sich in den 30er Jahren dem NS-Regime tendenziell angedient hatten, war im Grunde nie ein Geheimnis gewesen und in verschiedenen Publikationen des Institut für Stadtgeschichte dokumentiert. Im öffentlichen Bewusstsein war dies jedoch keine allzu bekannte Tatsache und eine eigene Publikation über die Geschichte des Halfmannshofes während des Dritten Reiches fehlte. Das geriet in den öffentlichen Fokus, als die Gelsenkirchener Geschichten sich 2008 mit Nietsch auseinandersetzten und dabei auf dessen braune Vergangenheit stießen. Die WAZ nahm die daraus entstandene Diskussion auf. Der Sprecher des Halfmannshofes, Helmut Kloth, äußerte jedoch, er sei dagegen die Geschichte der Siedlung zwischen 1933 bis 1945 aufzuarbeiten und durchleuchten zu lassen. Das passe nicht in die Linie, man sei zukunftsgewandt, so Kloths Begründung. Dies wiederum stieß bei anderen Halfmannshöfern auf Kritik. Der Fotograf Pedro Malinowski sagte, es sei Kloths persönliche Meinung und keine offizielle Stellungnahme des Hofes. Man sei im Gegenteil sehr an einer Aufarbeitung der Vergangenheit interessiert. In der Folge erhielt das Institut für Stadtgeschichte den Auftrag zur Erstellung einer entsprechenden Dokumentation. [14]

Es wird wohl letztlich offen bleiben, ob oder inwieweit ein Künstler wie Hubert Nietsch, der Aufträge von Nazi-Funktionären annahm und ausführte, auch ideologisch diesem Regime nahe stand. Betrachtet man sein Werk der Nachkriegszeit, so findet man darin keine Bezüge zur Ästhetik des Dritten Reiches mehr, Nietsch entwickelte im Gegenteil eine sehr eigene, zeitlose Formensprache. Es wurde der Versuch gemacht, in den späteren Arbeiten wie etwa dem „Mann im Sturm“ Hinweise auf eine Auseinandersetzung Nietsch’s mit seiner eigenen Vergangenheit zu sehen. Belege dafür gibt es jedoch nicht.

Quellen

Weblinks

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