Integrationsrat - Erfolge und Misserfolge

Menschen vieler Nationen leben in Gelsenkirchen friedlich zusammen. Erzählt aus eurem multikulturellen Alltag.

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Integrationsrat - Erfolge und Misserfolge

Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:Eine vernichtende Bilanz

Integrationsrat blickte auf die vergangenen drei Jahre zurück. Vorsitzender: "Wir sind noch nicht in der Politik angekommen." Kritik an schwacher Beteiligung der Migranten. Ursachenforschung

Drei Jahre nach der Wahl des Integrationsrates (IR) zog dieses Nachfolgegremium des Ausländerbeirats eine Zwischenbilanz der bisherigen Arbeit. Das Ergebnis: (selbst-)kritisch bis vernichtend.

"Wir sind noch nicht in der Politik angekommen", sagte IR-Vorsitzender Yildiray Cengiz. Als "beschämend" bezeichnete Lisa Pusch (Grüne) die Beteiligung der gewählten Migranten im Integrationsrat. Auch in der Sitzung am Dienstagabend blieben viele Bänke leer: nur neun von 18 direkt gewählten Mitglieder nahmen an der Sitzung teil - ein zuletzt übliches Bild, wie auch Silke Ossowski (SPD) betonte.

In anderen Städte bestehe dieses Problem ebenfalls, berichtete Sozialdezernentin Henriette Reker. Eine Ursache sei aus ihrer Sicht die Tatsache, dass der Integrationsrat keine Entscheidungsbefugnisse, sondern nur beratende Funktion habe. Und: Der Rückzug vieler gewählter Mitglieder könne auch eine Reaktion auf die Diskussionen im Integrationsrat sein. Wie berichtet, gipfelten die heftigen Auseinandersetzungen in der Abwahl des Vorsitzenden Ali-Riza Akyol.

Dieser beklagte in der Sitzung erneut die Bevormundung der gewählten Migranten durch die vom Rat in den Integrationsrat entsandten Stadtverordneten. "Von oben herab" fühlten sich viele behandelt, so Akyol. Und: Viele der nicht mehr erscheinenden Mitglieder seien der Meinung, die Mitarbeit bringe unterm Strich nichts.

Auch eine kurze Grundsatzdiskussion über das Thema Integration flammte auf. Einen Bericht über den Nationalen Integrationsgipfel beendete Henriette Reker mit der Anmerkung, dass die Stadt konzeptionell auf dem richtigen Weg sei, aber: "Es geht nicht schnell genug." (Indirekten) Widerspruch erntete sie vom städtischen Integrationsbeauftragten, der auf viele Initiativen und Erfolge hinwies.

"Die gefühlte Integration in Stadtteilen wie Horst-Süd, Bismarck oder Hassel ist sehr gering", sagte Wolfgang Heinberg (CDU) - und versuchte dies mit einem sehr persönlichen Beispiel zu untermauern. Am Samstag sei er im Nordsternpark von "einem zwölfjährigen Bengel" mit Migrationshintergrund gefragt worden: "Bist du auch ein Schweinefresser?" Auch in Sachen Integrationsrat ließ Heinberg klare Worte nicht vermissen: Die Arbeit sei nicht zielgerichtet, kritisierte er. Sein persönlicher Rückzug aus diesem Gremium, den er am Rande der Sitzung gegenüber der WAZ ankündigte, habe aber einen anderen Hintergrund. Und zwar: seine starke Beanspruchung als Vize der CDU-Fraktion. loc

08.08.2007
Zuletzt geändert von Verwaltung am 17.01.2014, 12:11, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:Bilinguales Einkaufen


In einem Haarsalon am Hauptbahnhof längst Alltag: Bilingual wird nach neuem Personal gesucht, bilingual wird bedient.

Nicht nur an der Dönerbude ist die zweisprachige Ausschilderung in Deutsch und Türkisch eine Selbstverständlichkeit.

In den Geschäften gibt´s auch ohne Deutschkenntnisse Beratung. Ein Bummel über die Bahnhofstraße

KOMMUNIKATION IM ZEICHEN DER MIGRATIONS-GESELLSCHAFT Das Schild an der Fensterfront des Haarsalons am Nordausgang des Hauptbahnhofs sticht ins Auge. "Friseur/in gesucht" ist auf ein Stück Papier gedruckt. Direkt darunter steht in türkischer Sprache dasselbe Gesuch. Auch im Geschäft regiert Zweisprachigkeit. Die Ansprache der Angestellten erfolgt in Deutsch. Aber - na klar - auch Türkisch geht fließend, und das Werbeplakat für ein Haarpflegeprodukt kann nur verstehen, wer des Türkischen mächtig ist.

Ein Beispiel für ein weit verbreitetes Phänomen: Die Innenstadt ist in der zweisprachigen Realität angekommen, die die Bevölkerung seit Jahrzehnten prägt. Ein Bummel über die Bahnhofstraße eröffnet den Blick in das Gelsenkirchener Sprachzentrum.

Da ist der Zeitungsständer eines Kiosks am Neumarkt. WAZ und Bild teilen sich den Platz mit sieben türkischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Sogar eine Rätselzeitschrift ist in der Erstsprache der größten hiesigen Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund dabei.

Beim Döner-Restaurant nebenan ist der Hinweis auf die Verwendung hochwertigen Fleisches ebenfalls in zwei Sprachen angebracht. "Die meisten sprechen zwar Deutsch, aber lesen ist schwieriger. Ihnen kommen wir entgegen", erklärt Geschäftsführer Salman Günes.

Um die Ecke beim SB-Bäcker dasselbe Bild. Hier klärt ein Schild in Türkisch darüber auf, dass angefasste Ware gekauft werden muss. "Viele verstehen den Hinweis in Deutsch nicht", weiß Verkäuferin Tuba Kaya. Sie selbst wurde in der Türkei geboren - "mit vielen Kunden läuft die Kommunikation ausschließlich auf Türkisch", erzählt sie.

Doch auch dort, wo Beschilderungen auf Deutsch erfolgen, haben allein türkischsprachige Gelsenkirchener keinerlei Kommunikationsprobleme. Ob Handy-Vertreiber, Textil-Geschäft, Schuhhändler oder Parfümerie - überall gibt es türkisches Personal. "Das ist bei unserer Bevölkerungsstruktur selbstverständlich", sagt C & A-Filialleiter Christian Oskamp. Die Einsatzpläne der Mitarbeiter würden aber nicht nach dem Kriterium aufgestellt, dass ständig türkisch sprechende Angestellte im Geschäft seien. Veit Evertz, Filialleiter bei SinnLeffers bestätigt: "Die meisten sprechen so gut Deutsch, dass Einkäufe gut möglich sind. Wir haben keine Probleme."

Wo die Kommunikation komplexer als beim Textilkauf wird, sieht es anders aus. Beim Handy-Anbieter steht immer ein türkischer Berater parat - "und spezielle Werbe-Flugblätter auf Türkisch hatten wir auch schon", erzählt Vodafone-Angestellte Tanja Rensch. Die Sparkasse legt tiefschürfende Werke in Türkisch auf. "Zu Steuerthemen hatten wir das schon und überlegen nun, dauerhaft Kundeninformationen auf Türkisch aufzulegen", sagt Sprecherin Beate Radtke.

Auch in der Parfümerie, wo die Vokabeln zur Umschreibung von Düften sprachlichen Tiefgang erfordern, sei Beratung auf Türkisch stark gefragt, bestätigt Douglas-Filialleiterin Nadine Wallus und werde als guter Service begriffen. Punkten können Angestellte in spe, die Deutsch und Türkisch fließend sprechen, dennoch nicht. "Zwar sind drei unserer 13 Mitarbeiter auch türkischsprachig, aber das ist kein Einstellungskriterium."

Die Bahn freilich hat die Weichen noch nicht auf Türkisch gestellt: Am Hbf wird Deutsch, Englisch und Französisch ausgeschildert. "Das ist eine einheitliche Regelung. Auch in Berlin-Kreuzberg gibt es kein Türkisch", sagt DB-Sprecher Gerd Felske.

Wird Türkisch zur allgegenwärtigen Zweitsprache in Gelsenkirchen? Diskutieren Sie mit unter www.waz.de/gelsenkirchen

08.08.2007 Von Christian Duyf

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Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:Den Dolmetscher gibt´s auf Wunsch gratis

In Kliniken liegen Listen mit Sprachkenntnissen der Mitarbeiter bereit. Beipackzettel können übersetzt werden Im Alltag nicht der Landessprache mächtig zu sein, ist eine Sache, wenn eine ernste Krankheit die Gesundheit bedroht wird Sprachlosigkeit vor dem Mediziner schnell zur ernsten Gefahr. Kliniken und Apotheken haben längst reagiert: Vielerorts ist ein Dolmetscher-Service organisiert.

Am Bergmannsheil in Buer sind die Sprachfähigkeiten des Personals im Intranet gesammelt. Bei Bedarf könne so jederzeit eine reibungslose Kommunikation sichergestellt werden, sagt Klinik-Sprecherin Sabine Ziegler. "Eben weil wir nur so effektiv jedem Patienten helfen könnten und weil es in einer Stadt wie Gelsenkirchen ein Wettbewerbsnachteil wäre, so etwas nicht anzubieten."

Ähnlich das System im Marienhospital Ückendorf: Dolmetscher-Listen liegen griffbereit, ein Patientenleitfaden ist ins Türkische übersetzt worden und im Aufzug weisen zweisprachige Beschriftungen den Weg.

In der Rosen-Apotheke gibt´s die Anleitung zum Schwangerschaftstest mit deutsch-/türkischsprachigem Beipackzettel. Für Medikamenten-Dosierungen würde sich Leiter Matthias Kollmann ein Programm wünschen, das in der heimlichen Zweitsprache Gelsenkirchens Missverständnisse ausschließt. "Die Firma, die das vorantrieb, hat die Bemühungen leider eingestellt. In ganz Deutschland ist die Nachfrage zu gering, wir im Ruhrgebiet könnten das aber gut gebrauchen", sagt Kollmann. Ein Großteil der Dialoge sei zwar problemlos in Deutsch zu führen, "aber wenn es in die Tiefe geht, wird es manchmal schwierig."

Immerhin: Im geschützten Bereich eines Online-Medizin-Portals lasse sich jeder Beipackzettel von Medikamenten auch in anderen Sprachen abrufen und ausdrucken.

cd

08.08.2007

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Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:Stadt kommt Migranten entgegen

In sensiblen Bereichen ist GE mehrsprachig Das Gesetz ist eindeutig: Deutsch ist Amtssprache. Beharren will die Stadt darauf schon lange nicht mehr. Gerade in sensiblen Bereichen, wo ein allgemeines Interesse besteht jeden trotz Sprachhürden zu erreichen, gibt es auch fremdsprachige Angebote, um die Scheu vor dem Kontakt mit Behörden zu nehmen.

"Unsere Elternschul-Angebote in Türkisch und Russisch erfreuen sich einer hohen Nachfrage", sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. In solchen Dingen müsse man alle erreichen, Sprachbarrieren würden flach gehalten.

Die städtischen Referate Kinder, Jugend und Gesundheit sowie die Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) bieten deshalb Broschüren unter anderem in Russisch und Türkisch an.

Der Integrationsbeauftragte Mehmet Ayas sieht Vor- und Nachteile. "Einerseits ist Mehrsprachigkeit ein großer Vorteil und wir tun gut daran, diese Sprach-Realität in den Familien zu fördern. Andererseits muss klar sein, dass Deutsch gelernt werden muss, um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen."

Dass Unternehmen in letzter Zeit auf schwach/nicht-deutschsprachige Kundschaft zugingen, sei ein Zeichen dafür, dass die sprachliche Realität allgemein anerkannt werde. "Schwierig wird es nur dann, wenn Unternehmen oder Vereine ausschließlich in einer Fremdsprache beschildern. Es darf kein Ausschluss der Bevölkerungsmehrheit stattfinden", sagt Ayas.

Gleichzeitig erhoffe er sich aber mehr Offenheit bei der deutschen Bevölkerung: In den verpflichtenden Sprachkursen gebe es häufig die Hausaufgabe, auf Deutsch mit den Nachbarn in Kontakt zu treten. "Viele Deutsche reagieren da leider immer noch ablehnend."

cd

08.08.2007

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Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:Ethno-Marketing für eine kleine Gruppe

Nur wenige türkische Migranten, die dauerhaft in Gelsenkirchen leben, sprechen kein Deutsch, sagt das Zentrum für Türkeistudien

Was die Behörden durch ihre vorsichtige Öffnung gegenüber nicht-deutschsprachigen Gruppen in den 1990er-Jahren begonnen haben, hat die Privatwirtschaft nachgeholt - Für das Zentrum für Türkeistudien (ZfT) in Essen ist das Phänomen einer mehrsprachigen Innenstadt in Gelsenkirchen nicht überraschend, sagt Dirk Halm, wissenschaftlicher Mitarbeiter des ZfT.

Die zweisprachige Ausschilderung der Geschäfte sei als Ethno-Marketing zu interpretieren. Ein Versuch, durch gezielte Ansprache auch die Bevölkerungsgruppe zu erschließen, die wenig oder kein Deutsch spricht. Ein kleiner Anteil, wie Halm betont. "Die Gruppe der türkischsprachigen Menschen, die hier kein Deutsch spricht, ist überschaubar." Häufig handele es sich um Menschen, die erst vor kurzem durch Familiennachzug oder Heirat gekommen seien.

In der Sozialpädagogik werde das Ethno-Marketing kritisch gesehen, weil kulturelle Unterschiede verfestigt würden, sagt Halm. Menschen mit Migrationsgeschichte, die Deutsch und Türkisch perfekt beherrschten, könnten sich keine große Hoffnung auf verbesserte Jobchancen machen: "Es herrscht kein Mangel an deutsch-türkischer Zweisprachigkeit. Auch in der Türkei nicht, wo 2,5 Millionen Rückkehrer aus der BRD leben." cd

08.08.2007

Heinz
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Beitrag von Heinz »

WAZ hat geschrieben:In der Sozialpädagogik werde das Ethno-Marketing kritisch gesehen, weil kulturelle Unterschiede verfestigt würden, sagt Halm.
Ja was nun... einerseits gibt es nur sehr wenige Migranten, die kein Deutsch sprechen, andererseits werden überall Sprachkurse und Sprachtests gefordert und in den Geschäften und Behörden Zweisprachigkeit angeboten. :roll:

Andererseits würden trotz der angeblichen Zweisprachigkeit kulturelle Unterschiede durch "Ethno-Marketing" gefestigt.

Ich erinnere mich an einen türkischen Oberarzt im Krankenhaus, in dem ich in den frühen 80er Jahren Zivi war.
Der ließ immer eine türkische Krankenschwester dolmetschen, weil er sich mit den türkischen Patienten weigerte türkisch zu reden, auch wenn sie kein deutsch sprachen.
Fand ich damals skurril bis arrogant. Heute nicht mehr. :shock:

Gast
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Beitrag von Gast »

Für alle Fälle: http://www.sozluk.web.tr/

Integration: tümleştirme, bütünlesme, entegrasyon, tamamlama, bütünleme, integralleme, tümlevleme

Bernd Matzkowski
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doppelte halbsprachigkeit

Beitrag von Bernd Matzkowski »

hier vermischen sich zwei themen, die zwar inhaltlich in gewisser weise zusammenhängen, aber doch vielleicht getrennt zu betrachten sind.
warum der integrationsrat gescheitert ist, geht teilweise aus dem waz-artikel hervor. der intergrationsrat wäre dann erfolgreich, wenn er sich selbst überflüssig machen würde, nämlich dadurch, dass migranten im rat der stadt und seinen ausschüssen säßen und unmittelbar einfluss auf die entscheidungen in der stadt nehmen könnten. den parteien scheint es aber nicht zu gelingen, menschen mit anderem kulturellem hintergrund in diese arbeit einzubinden (oder es nicht gewollt?). mag aber auch sein, dass diese bevölkerungsgruppe dieser art von politik(ihren regularien etc.) noch skeptischer gegenübersteht als die bevölkerung es sowieso tut.
die zweite ebene ist die sprache. der von heinz genannte arzt war meiner meinung nach ein kluger mann- er hat vielleicht früh ein problem gesehen, mit dem wir heute zunehmend konfrontiert sind: die doppelte halbsprachigkeit. weder das deutsche noch die sprache der eltern(etwa türkisch) werden beherrscht, es kommt zu mischformen auf der einen seite, zu einer art sprachlichen heimatlosigkeit auf der anderen seite.
das ist nicht mit bilingualität zu verwechseln, also der in zwei sprachen erfolgenden erziehung eines kindes (ein elternteil spricht konsequent die sprache a, der andere elternteil die sprache b). hierzu gibt es in der sprachwissenschaft auch unterschiedliche meinungen und konzepte, es überwiegen aber die positiven meinungen dazu.
vor drei jahren hat eine türkische schülerin (sehr gute deutsch- und türkischkenntnisse in schrift und wort) bei mir eine facharbeit zu der thematik der doppelten halbsprachigkeit geschrieben und ist zu dem ergebnis gekommen, dass der umstand, dass in arztpraxen, geschäften, im gesellschaftlichen leben überhaupt immer mehr sprecher der anderen muttersprache (etwa türkisch) vorhanden sind, die neigung, sich das deutsche anzueignen sinkt- man muss es eben nicht praktizieren, und folglich tut man es nicht, weil man sich konsequent an die türkische arzthelferin(als beispiel) wendet. die vorhandene parallelwelt(geschäfte, wohnbezirke etc.) wird ins sprachliche verlängert und dadurch aufrechterhalten. integration (wie immer man zu diesem begriff/ansatz überhaupt steht) wird erschwert. die schülerin hat das also als sehr negativ eingeschätzt.
ein gegenbeispiel: bekannte (muttersprache kroatisch), die vor einigen jahren nach australien ausgewandert sind, mussten als voraussetzung für die spätere einbürgerung einen hammer-crash-kurs englisch belegen(mit sehr hoher stundenzahl und prüfungen). das war die voraussetzung für arbeitsplatz, dauernden aufenthalt, studium etc. sprache also als voraussetzung für die integration in die neue heimat. ergebnis: beruf, uni-abschluss, pudelwohlfühlen!
wir schleppen, glaube ich, an diesem punkt auch immer noch unsere geschichte mit uns herum. das trübt an dieser stelle manchmal den blick auf die gegenwart bzw. das, was im interesse aller für das zusammenleben sinnvoll wäre, nämlich ein bewusstes leben von kulturen(und sprachen). b.

Heinz
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Re: doppelte halbsprachigkeit

Beitrag von Heinz »

Bernd Matzkowski hat geschrieben:..... den parteien scheint es aber nicht zu gelingen, menschen mit anderem kulturellem hintergrund in diese arbeit einzubinden (oder es nicht gewollt?). mag aber auch sein, dass diese bevölkerungsgruppe dieser art von politik(ihren regularien etc.) noch skeptischer gegenübersteht als die bevölkerung es sowieso tut. .....
Ist zwar off topic - aber: das wäre ein interessantes Extra Thema. Die Neigung in den Parteien bzw. politischen Gremien der Stadt zu arbeiten ist bei den "Nicht-Migranten" doch auch nicht viel größer.
Extremer Mitgliederschwund in allen Parteien usw. :roll:

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Kalle Mottek
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Eine Vernichtende Bilanz

Beitrag von Kalle Mottek »

Die Ausführungen von Bernd zur Zweisprachigkeit finde ich sehr spannend.In der Familie werden Kinder in der Regel dann zweisprachig erzogen,wenn die Eltern aus unterschiedlichen Sprachtraditionen kommen.Deutsch- Türkische Mischehen sind jedoch relativ selten.Spannend wäre es zu erforschen ,woran das liegt.
Sind es kulturelle Gründe oder religiöse oder wirtschaftliche oder rassistische?

Die Integration der polnischsprachigen Bevölkerung in unsere Stadt ist zu einem großen Teil über Mischehen gelaufen.

Schönen Gruß!
Kalle Mottek
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Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:28 % der Vierjährigen werden gefördert

Ergebnis des Sprachtests liegt vor Für 721 Mädchen und Jungen beginnt nach den Herbstferien die Sprachförderung. Das ist das (vorläufige) Ergebnis des ersten landesweiten Sprachtests für Vierjährige vor Ort. Getestet wurden im Frühjahr bei "Delfin" jene insgesamt 2551 Kinder, die im Sommer 2009 eingeschult werden. Mit einem Sprachförderbedarf von 28 Prozent liegt Gelsenkirchen dabei deutlich über dem Landesschnitt von 19 Prozent. Für Marlene Krause von der Schulaufsicht ist das keine Überraschung. Grund für das Ergebnis sei die vergleichsweise hohe Zahl an sozial schwachen Familien in dieser Stadt.

Für die Sprachförderung stehen pro Kind und Jahr nun 340 Euro zur Verfügung, so Krause. Geplant ist, dass die betroffenen Mädchen und Jungen in Zehnergruppen insgesamt 400 Sprachförderstunden bis zur Einschulung erhalten. Kinder, die eine Kita besuchen, sollen dort gefördert werden, für alle anderen werde ein Platz organisiert. Inhaltlich, so die Schulaufsichtsbeamtin, liegt die Sprachförderung in den Händen der Stadt.

Durch die Kurse sollen die Teilnehmer sprachlich fit gemacht werden für ihre Schullaufbahn. "Alle Kinder sollen vom ersten Schultag an die Unterrichtssprache Deutsch altersgemäß beherrschen", so Minister Armin Laschet.

M.M.

10.08.2007

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Zenmiester
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Beitrag von Zenmiester »

Ein Kollege von mir meinte, dass seine Eltern wohl etwas dagegen hätten, wenn er eine Deutsche heiraten würde. Warum wollte ich dann auch nicht fragen. Ihm selbst würde das aber nicht interessieren, er würde es trotzdem machen.

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Beitrag von Verwaltung »

WAZ hat geschrieben:"Wir sind auf einem guten Weg"

Zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund können sich "gut bis sehr gut" auf Deutsch verständigen. Bildungsdezernent Manfred Beck glaubt, dass sich der Sprachstand weiter verbessert. "Super Wert" beim Kita-Besuch

Zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund können sich "gut bis sehr gut" auf Deutsch verständigen, 24 Prozent sprechen zwar flüssig, aber "mit erheblichen Fehlern". Und: Zwölf Prozent sprechen "schlecht oder gar kein Deutsch". Das sind im Kern die Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen in Gelsenkirchen aus dem Jahr 2005, die zurzeit der Politik vorgestellt werden. "Wir sind auf einem guten Weg", kommentiert Bildungsdezernent Manfred Beck.

Er bezieht sich freilich nicht allein auf die neuen Zahlen, denn die, so der Beigeordnete, seien nicht hinreichend aussagekräftig. Er verspricht sich mehr von jenen Daten, die nun im Zuge der jüngsten Delfin-Sprachtests veröffentlicht werden und wurden (die WAZ berichtete). Trotz aller Kritik am Prozedere: Durch Delfin, so Beck, gebe es "einen Quantensprung in der Diagnostik".

Es seien vielmehr die Anstrengungen der Stadt in den vergangenen Jahren, die nach und nach den Sprachstand der i-Dötze heben würden, zeigt sich der Bildungsdezernent sicher und verweist auf die Besuche des Jugendamts bei Erstgeborenen, die Integrationsfachkräfte in Kitas oder die Sprachcamps. Kurz: "Es hat sich eine Menge getan", und das würde bald auch an den Zahlen abzulesen sein.

Einige Eckpunkte der Datenanalyse: Von den 2569 Schulanfängern waren vor zwei Jahren 1122 nicht-deutscher Herkunft; das entspricht 44 Prozent. Auffällig: Unter jenen, die "fehlerhaft", "schlecht" oder "kein Deutsch" sprechen", liegt der Anteil der türkischstämmigen Kinder bei über 50 Prozent.

Positiv: Über 90 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund besuchen eine Kindertagesstätte. Ein "super Wert" sei das, sagt Beck, "damit liegen wir in Deutschland ganz oben". Das sei gut so, habe der Kindergartenbesuch doch einen positiven Einfluss auf die Deutschkenntnisse. Ziel der Stadt sei hier eine "Quote nahe 100 Prozent". Allein: Nur zwei Drittel der Migrantenkinder verfügen über drei Jahre (und mehr) Kita-Erfahrung, diese Zahl, meint Beck, sei ausbaufähig. M.M.

13.08.2007

Heinz
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Beitrag von Heinz »

Ja, irgendwie und irgendwo sind wir immer Spitze... :schlafen:

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Beitrag von Verwaltung »

http://www.zeit.de/jobletter/2007/09/jobbrief

Die Zeit hat geschrieben:
Türken an die Tafel

Endlich entdeckt die Politik gut ausgebildete Migranten als Pädagogen. Sie sollen die Integration ausländischer Schüler erleichtern.


Von Martin Spiewak

Es war ein weiter Weg vom türkischen Malatya ins Lehrerzimmer der Gesamtschule Gelsenkirchen-Horst. Er führte Abbas Mordeniz von seinem Geburtsdorf in Ostanatolien über einen Istanbuler Slum nach Deutschland, erst in eine Duisburger Turnhalle, später in ein Asylantenheim. Viele Jahre lebte er dort zusammen mit seinen Eltern und drei Geschwistern in einem Zimmer.

Als er mit fünfzehn an die Ruhr kam, hatte er noch kein Wort Deutsch gesprochen. Sein mühsamer Aufstieg auf der Bildungsleiter begann: von der Ausländerklasse in den Regelunterricht, von der Haupt- in die Gesamtschule, von der Universität ins Lehrerseminar von Gelsenkirchen. Seit Februar dieses Jahres unterrichtet Mordeniz an seiner Schule Mathematik, Türkisch und Sport. Und wenn er vor seiner Klasse steht, kann er es mitunter selbst noch kaum glauben, dass sein Traum tatsächlich in Erfüllung gegangen ist: »Ich wollte schon immer Lehrer werden.«

Vom kurdischen Flüchtlingskind zum deutschen Beamten: Geht es nach Schulministerin Barbara Sommer, dann soll es bald viele solcher Erfolgsgeschichten in Nordrhein-Westfalen geben. Im neuen Schuljahr plant die schwarz-gelbe Landesregierung eine groß angelegte Werbekampagne unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien zu starten: für den Lehrerberuf. Wie einst die Bundeswehr in Schulen für den Job in der Armee warb, will man nun Migrantenschülern den Beruf des Pädagogen schmackhaft machen.

»Wir brauchen diese Lehrkräfte dringend«, sagt Bildungsministerin Sommer. Sie sollen »Brücken bauen« zwischen der deutschen Schule und den Migrantenfamilien. Gleichzeitig werden die Lehrer ihren Schülern türkischer, russischer oder arabischer Herkunft ein Vorbild sein, hofft die CDU-Politikerin. Würden sie doch beweisen, »dass lernen sich lohnt« und man es auch als Zuwanderer zu etwas bringen könne.

Nicht nur Nordrhein-Westfalen setzt auf Multikulti im Lehrerzimmer. Aufgeschreckt durch schlechte Pisa-Ergebnisse und Ereignisse wie an der Berliner Rütli-Schule, entdeckt die Bildungspolitik neuerdings dort Ressourcen, wo sie bislang nur Probleme vermutete: bei den Zuwanderern selbst. Alle Kultusminister haben sich zu einer »erhöhten Einstellung von Lehrkräften mit Migrationshintergrund« verpflichtet. So steht es im Nationalen Integrationsplan, den Bund und Länder Mitte Juli im Kanzleramt unterzeichneten. In Nordrhein-Westfalen plant man zudem, die Erfahrungen der bisherigen Migrantenlehrer in einem Netzwerk zu verknüpfen. »Mancher von denen fühlt sich etwas allein gelassen«, sagt Sommer.

Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Laut Schätzungen hat gerade einmal ein Prozent der Lehrer hierzulande ausländische Wurzeln. Nur für den sogenannten »muttersprachlichen Unterricht« haben die Bildungsbehörden in der Vergangenheit türkische, griechische oder italienische Lehrer engagiert. Da sie jedoch oft an mehreren Schulen unterrichten, sind die Sprachlehrer selten ins Kollegium integriert.

Migranten wollen Arzt oder Anwalt werden – aber sicher nicht Lehrer


Ansonsten ist das Personal in hiesigen Schulen (Reinigungskräfte ausgenommen) deutsch geblieben – ganz im Gegensatz zum Völkergemisch im Klassenzimmer. Denn mittlerweile stammt rund ein Viertel aller Schüler aus Zuwandererfamilien, Tendenz steigend. Bei den unter Fünfjährigen beträgt ihr Anteil bereits 32 Prozent, in Großstädten gar das Doppelte: Zwei Drittel der Vorschulkinder in Nürnberg, Frankfurt oder Stuttgart haben mindestens einen Elternteil, der nicht in Deutschland geboren ist.

Doch weder die Einstellungspolitik noch die Lehrerausbildung haben diese radikal gewandelte Schülerschaft bis vor Kurzem zur Kenntnis genommen. Selbst an Schulen, an denen Migrantenschüler bereits heute die Mehrheit stellen, findet man nicht selten keinen einzigen Pädagogen, der die Muttersprache dieser Schüler spricht oder ihre Kultur kennt. Das bekannteste Beispiel dafür lieferte im vergangenen Jahr eben die Berliner Rütli-Schule, deren Verfassung den Anlass für den Integrationsgipfel bot.

Nun plant die Politik sogar den radikalen Wechsel. Nicht nur die neuen Migrantenlehrer, sondern »alle Lehrkräfte in allen Fächern« sollen laut Integrationsplan in Zukunft stärker als Sprachhelfer und Kulturvermittler arbeiten. »Endlich stellt sich die Schule damit den demografischen Realitäten«, freut sich Armin Laschet, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen.

Noch freilich steht der pädagogische Wandel nur auf dem Papier – und es wird weit schwieriger sein, ihn in Gang zu setzen, als viele Bildungsverantwortliche sich das vorstellen. Um mehr Migrantenlehrer in den Schuldienst aufzunehmen, braucht es nämlich erst einmal mehr Migrantenschüler mit Abitur. Bislang erlangt nur ein Bruchteil von ihnen die Hochschulreife. Sieben Prozent der Studenten haben laut der neusten Erhebung des Studentenwerks einen Zuwanderungshintergrund.

Gerade unter diesen Bildungsaufsteigern hat der Pädagogenberuf ein schlechtes Image. Zwar genießen Lehrer in der Türkei oder in Russland Respekt, ihr Verdienst jedoch ist schlecht. »Die Traumjobs der Deutschtürken sind Anwalt oder Arzt«, sagt Abbas Mordeniz. Wirtschaftswissenschaften sind das dritte gefragte Fach, das zudem wie Jura oder Medizin auch im Heimatland der Eltern eine Jobchance eröffnet. Auf Lehramt dagegen studieren nur sechs Prozent der Migranten an hiesigen Hochschulen, bei deutschen Studenten sind es doppelt so viele.

Selbst gute Studenten scheitern an der deutschen Schriftsprache

»Was, Sie sprechen Türkisch? Kann man dann überhaupt Lehrerin werden?« Mutlu Sagir hat diese Frage von ihren Schülern oft gehört. Dass die 30-jährige Deutschtürkin seit zwei Jahren in Duisburg Englisch und Deutsch unterrichtet, verdankt sie der Universität Essen, genauer dem Förderunterricht, den die Hochschule seit nunmehr 33 Jahren organisiert. Das Prinzip ist einfach und hat – unterstützt von der Mercator-Stiftung – mittlerweile in drei Dutzend Städten Nachahmer gefunden: Kinder aus Einwandererfamilien erhalten kostenlose Nachhilfe durch Studenten mit möglichst ebenso ausländischen Wurzeln. Den zukünftigen Lehrern vermittelt das Projekt erste Praxiserfahrung, vielen Schülern ermöglicht es einen höheren Abschluss.

Mutlu Sagirs Schwäche war die Mathematik, stets drohte eine Fünf. Mit dem wöchentlichen Förderkurs an der Universität jedoch verbesserten sich die Noten. Vor dem Abitur wurde in den Prüfungsfächern täglich gepaukt. »Wenn es nötig war, kamen die Studenten sogar am Wochenende zu mir nach Hause«, erinnert sich Sagir. Der Eifer ihrer jungen Lehrer beeindruckte die Deutschtürkin so stark, dass sie beschloss, selbst Lehrerin zu werden. Sie studierte in Essen, gab ebenso jahrelang Förderunterricht. Noch vor dem Examen bekam Sagir, vermittelt über die Universität, ihre erste Stelle an einer Brennpunktschule in Duisburg-Marxloh.

80 Prozent ihrer Schüler stammen aus ausländischen Familien. Da gibt es für die Lehrer weit mehr zu tun, als nur zu unterrichten, insbesondere für jene, die sich im Migrantenmilieu auskennen. Sagir übersetzt bei Elternsprechtagen, redet mit Müttern, die ihre Töchter nicht zur Klassenreise lassen wollen, weist türkische Mini-Machos in ihre Schranken. »Wenn die einen Spruch machen, bekommen sie einen Spruch zurück«, sagt die Lehrerin selbstbewusst.

Mit Deutsch hatte sie nie Probleme, auch deshalb hat sie das Fach studiert. Vielen ihrer Kommilitonen jedoch geht es anders. »Selbst brillante Studierende scheitern immer wieder an den Finessen der deutschen Schriftsprache«, sagt Jörg Ramseger, Bildungsforscher an der Freien Universität Berlin. Auch in Essen, Hamburg und Frankfurt berichten Professoren von Grammatikfehlern oder Ausdrucksschwächen der Pädagogen in spe – obwohl alle hierzulande Abitur gemacht haben (ZEIT Nr. 28/07).

Schulministerin Sommer plädiert dafür, die Sprachhürden nicht unerreichbar hoch anzusetzen: »Auch ein Lehrer sollte sich einmal einen Schnitzer erlauben dürfen.« Doch die Frage ist heikel: Darf man angehenden Migrantenlehrern ein nicht perfektes Deutsch bei der Einstellung nachsehen? Sollen die Schulbehörden gar ein Kontingent für Referendare mit türkischen oder russischen Wurzeln freihalten? Bislang zählt für die Übernahme in den Schuldienst nur ein Richtmaß: die Note im Examen beziehungsweise eine lange Wartezeit.

Hamburg plant, langfristig 20 Prozent der Lehramtskandidatenstellen mit Bewerbern ausländischer Herkunft zu besetzen. In einem ersten Schritt reserviert die Hansestadt in diesem Oktober 32 Referendariatsplätze für Migranten. Auch sie müssen ein gutes Examen vorweisen. Doch dank ihrer Herkunft räumt ihnen die Schulbehörde einen Vorteil ein. Eine solche Multikulti-Quote ist juristisch nicht unumstritten. Zudem ist fraglich, ob es genug Interessenten gibt, um sie zu erfüllen. In Berlin existiert ein ähnliches Kontingent seit 2003, drei Prozent der Referendariatsplätze sind dort für Bewerber ohne deutschen Pass vorgesehen. Der Effekt blieb mangels Nachfrage bislang gering.

Im multikulturellen Schulalltag ist Thomas Manns Zauberberg keine Hilfe

Der Essener Sprachwissenschaftler Rupprecht Baur warnt davor, die Herkunft eines Lehrers als wichtigstes Qualitätsmerkmal zu werten. Als Mittler zwischen Schule und Elternhaus würden sich die Migrantenlehrer durchaus eignen. Zur gezielten Sprachförderung jedoch gehöre mehr, als selbst einmal Deutsch erlernt zu haben. »Da müsste jeder, der im Leben Probleme hatte, als Sozialarbeiter taugen«, sagt Baur.

Vielmehr müssen die Lehrer den Umgang mit Schülern anderer Muttersprachen und Kulturen im Studium erst erlernen – und zwar Pädagogen mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen. Genau daran mangelt es jedoch. Zwar gibt es die eine oder andere Professur für »Interkulturelle Pädagogik« oder »Deutsch als Zweitsprache«. In der Ausbildung heutiger Lehrer spielten die Fächer jedoch – wenn überhaupt – nur eine minimale Rolle. So merkten viele Pädagogen in Hamburg-Wilhelmsburg oder Berlin-Kreuzberg erst in dem Moment, als sie das erste Mal vor einer Klasse standen, dass sie mit ihrem Uni-Wissen nicht weit kommen würden. Mutlu Sagir sagt, sie habe zwar an der Uni die Grammatiktheorien von Chomsky gelernt, aber wie man die deutsche Grammatik türkischen Schülern beibringe, habe ihr niemand gezeigt.

Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Zwar fordern die reformierten Ausbildungspläne für Lehrer in vielen Bundesländern mittlerweile die Vermittlung »interkultureller Kompetenzen« in Fächern wie Geschichte, Gemeinschaftskunde oder Deutsch. Wie die Fachdidaktiker an den Universitäten dieser Anforderung nachkommen, bleibt jedoch ihnen überlassen. In fast allen Bundesländern genießen die Hochschulen mittlerweile weitgehende Autonomie. Kein Minister kann ihnen vorschreiben, Professuren umzuwidmen und statt Seminaren zur mittelalterlichen Lyrik verstärkt Deutsch als Zweitsprache (DAZ) anzubieten.

Eigentlich müsse heute jeder angehende Lehrer, der die Universität verlasse, Sprachprobleme diagnostizieren und einen entsprechenden Förderplan aufstellen können, fordert Rupprecht Baur. Bildungsforscher wissen seit Langem, dass Schüler nicht nur im Deutschunterricht an Sprachhürden scheitern, sondern ebenso in Mathematik, Physik oder Englisch. »Wer die Aufgabe nicht versteht, kann keine richtige Antwort geben«, sagt Lehrerin Sagir.

Doch bislang verlangt nur Berlin von seinen Lehramtsstudenten, dass sie mindestens einen DAZ-Kurs absolvieren. In den übrigen Bundesländern kommt man ohne das Fach zum Examen. Wie weit das Pädagogencurriculum noch von der Realität im Klassenzimmer entfernt ist, zeigt die Ausbildung für die Berufsschule. Obwohl deren Klientel neben jenem der Hauptschule die größten Sprachprobleme hat, werden ihre Deutschlehrer immer noch ausgebildet, als müssten sie im Unterricht primär über die Figurenkonstellation im Zauberberg von Thomas Mann diskutieren können.

Immerhin haben die Bundesländer im Nationalen Integrationsplan zugesagt, in den kommenden fünf Jahren so viele Fortbildungen anzubieten, dass »alle Lehrkräfte ihren Sprachbildungsauftrag im Unterricht erfüllen können«. Wie ernst die Schulbehörden die Selbstverpflichtung nehmen, wird sich zeigen. In Berlin wurde das Kursangebot im vergangenen Jahr aus Spargründen gerade erst halbiert.

© DIE ZEIT, 06.09.07, Nr. 37

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