1. April 1903 - Ein schicksalhaftes Datum für das junge Amt

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Josel
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Beitrag von Josel »

Heute jährt es sich wieder.

Genau heute ist es 107 Jahre her, dass das so schöne und stolze Amt Ückendorf der Großstadt Gelsenkirchen einverleibt wurde und damit schmachvoll unterging. Steht näher beschreiben alles im Eingangsbeitrag dieses Threads.

Wie schrieb jüngst einer unserer tapferen buerschen Brüder im GG-Thread über die Hochstraße?
Ein solches Dorf zu sein, bedarf es in erster Linie einer langen Geschichte als selbstständige Kommune, wie die Buersche Freiheit eine war.
Das versteht ein Gelsenkirchener nie. Die Buerschopp Gelsenkirchen, also die mückenverseuchte Bauernschaft ("Gelsen", gesprochen "Chelskes" sind im Plattdeutschen die Stechmücken) hatte noch Mitte des 19. Jahrhunderts mehr Schafe als Einwohner.
Diese wahren Worte, sie könnten auch von einem unserer Ückendorfer stammen. Auch uns wird ein GelseXkirchener nie verstehen.

Vielleicht verstehen uns noch unsere rheinländischen Freunde, die Rotthauser, die man auch gegen ihren Willen nach Gelsenkirchen verschlagen hat. Und möglicherweise auch noch die Feldmarker, von denen die meisten ja nur verkappte rheinische Rotthauser sind. Aber sonst keiner.

Außer vielleicht noch die Schalker, denen man ja nicht nur ihr Amt, sondern ihren Fußballclub genommen hat und die unser Schicksal so tapfer teilen. Und die Bulmker und Hüller noch, die ja eigentlich auch nix mit Gelsenkirchen am Hut haben. Naja und die Braubauernschafter, also Bismarcker, darf man wohl auch nicht vergessen.

Aber sonst wirklich echt keiner.

So, ich werde jetzt – wie die allermeisten Ückendorfer an diesem Tage – meine schwarze Krawatte binden und allen erzählen, wie schön datt damals war, als wir Ückendorfer noch halbe Wattenscheider waren.

J.

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Ego-Uecke
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Beitrag von Ego-Uecke »

Es ist schon ein guter Brauch, dass du alljährlich den Finger in die immer noch offene Wunde der feindlichen Übernahme legst. Nach einer Rücksprache mit dem Bezirksbürgermeister wird angestrebt, den 1. April als Staatstrauertag im Dorf der Ücken anzulegen. Gemeindezentrum und Kirche St. Josef haben auf jeden Fall schonmal im Gedenken an diesen Tag die Fahnen auf Halbmast gesetzt.

Josel
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Beitrag von Josel »

Danke. Das ist ein ermutigendes Zeichen in diesen schweren Stunden und lindert den Schmerz, den jeder Ückendorfer heute unausweichlich spürt.

J.

axel O
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Beitrag von axel O »

Nach einer Rücksprache mit dem Bezirksbürgermeister wird angestrebt, den 1. April als Staatstrauertag im Dorf der Ücken anzulegen
Ihr Armen.... Ihr habt mein vollstes Mitgefühl :D

udalerich
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Beitrag von udalerich »

Die Farge ist dann immer: was wäre eigentlich besser oder anders, wenn man 'selbständig' wäre?

Mir fällt dann immer nur ein: man hätte nichts, an dem man sich ausweinen oder gegen wen man lästern könnte.

Josel
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Beitrag von Josel »

udalerich hat geschrieben:Die Farge ist dann immer: was wäre eigentlich besser oder anders, wenn man 'selbständig' wäre?
Na, auf jeden Fall die Nummernschilder. "Ü" statt "GE". Hätte was.

Außerdem wäre die Bochumer Str. noch ein pulsierende Geschäftsstraße, im Volksmund würde man sie vielleicht "Bo" oder so nennen.

Die übrigen Vorteile liegen ja auf der Hand.

J.
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udalerich
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Beitrag von udalerich »

Na, bei der Größe, die Ückendorf dann hätte, würde das Nummernschild dann aber ÜCK- beginnen, oder ÜDF-
Um die Bochumer Straße tuts mir wirklich leid. Sah noch in den Sechzigern gaaanz anders aus.

Udo

Josel
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Beitrag von Josel »

Aus traurigem Anlass kamen auch an diesem 1. April wieder viele Ückendorfer zusammen: Zum 108. Mal jährt sich nun die Annektion unseres pulsierenden Amtes Ückendorf durch die Großstadt Gelsenkirchen, also des Ereignisses, das alle Ückendorfer bis heute fassungslos macht.

Um dem Schmerz zu lindern und uns unseres so bedeutenden Fleckchens Erde in gebührender Weise zu erinnern, fanden auch in diesem Jahr wieder viele Veranstaltungen statt. Ich selbst war auf der Sitzung des Kommittee “Freiheit für Ückendorf“. Auf dieser Veranstaltung trat in diesem Jahr ein interessanter Gastredner auf: Priv. Doz. (habil.) Dr. Jürgen Gudentahl, Experte vom römisch-germanischen Institut in Xanten.

Herr Dr. Gudentahl hielt ein fesselndes Referat zum Thema

[center]„Die Spuren spätrömischer Siedlungstätigkeit rund um den Ückendorfer Platz“,[/center]

das etwa dreienhalb Stunden dauerte.

Bereits in seiner Dissertation von 1996 hat Herr Dr. Gudenthal bekanntlich die Auffassung vertreten, Haus Witte sei auf den Fundamenten der Villa eines römischen Kaufmanns errichtet worden. Leider konnte Herr Dr. Gudenthal diese These noch nicht abschließend verifizieren, weil er bislang trotz vielfacher Anfragen noch keinen Einblick in den heutigen Bier-Kühlkeller des Hauses erhalten hat, in dem er mit ziemlicher Sicherheit einen guterhaltenen, original römischen Mosaikfußboden vermutet. Diesen Boden, der u.a. Wildpferde – vermutlich sog. Emscherbrücher – zeigt, ließ der römische Kaufmann damals vermutlich in Nord-Apulien anfertigen und wahrscheinlich auf Eselskarren über die Alpen tragen.

Ansonsten waren sich alle Teilnehmer der Veranstaltung darin einig, dass der Kampf um die Wiedererlangung der Selbständigkeit Ückendorfs im letzten Jahr ein deutliches Stück vorangekommen ist. Wir Ückendorfer müssen jedoch - so die allgemeine Meinung - das barbarische Schicksal unseres Amtes im öffentlichen Leben viel häufiger thematisieren, und zwar nicht zuletzt nach dem Beispiel unser tapferen Brüder und Schwestern in Buer, die uns dies so grandios bei jeder Gelegenheit vorleben.

Um auch die jüngeren Ückendorfer von Anfang in diese gute Sache einzubinden, sind für sie in Kürze spezielle Aktionen geplant, bei denen es vor allem um die Visualisierung und das Erleben der Grenze zwischen Ückendorf und Gelsenkirchen geht. Vorgeschlagen wurde u.a. ein Flashmob, bei dem sich Ückendorfer Jugendliche spontan für 1903 Sekunden auf diese Grenze legen. Eine sehr wichtige und richtige Aktion, wie ich finde.

Sehr bestürzt zeigten sich übrigens alle Teilnehmer über die jüngste Kolumne des GE-OB, die das Thema Tripolarität vermeidet:

http://stadt.gelsenkirchen.de/de/Rathau ... asp?id=127

Es wird Zeit, dass die Stadt bis zur Loslösung Ückendorfs endlich zu einer Sprachregelung findet, die nicht nur die Bi-, sondern die Tripolarität des widernatürlichen derzeitigen kommunalen Gebildes „Gelsenkirchen“ anerkennt.

(;-))

J.
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brucki
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Beitrag von brucki »

Lieber Josel, vielen Dank für Deinen interessanten Erfahrungsbericht.

Gerne möchte auch ich kurz berichten wie ich diesen Tag begangen habe. Wie Du schon angedeutet hast, war die Anzahl der Veranstaltungen nahezu unüberschaubar groß. Wie ich aus gut unterrichteten Kreisen hörte soll bereits kommenden Montag die erste Ausgabe der Ückendorfer Allgemeinen Zeitung erscheinen, in der dann ausführlich über die Veranstaltungen berichtet wird.

Ich durfte mich zu dem erlauchten Kreis derer zählen die an einem dringend geheimzuhaltenen Ort diesen denkwürdigen Tag auf eine besondere Art und Weise begangen haben. Im Mittelpunkt dieser Festivität stand das Aufleben einer jahrhundertealten Ückendorfer Tradition. Alle Teilnehmer waren in den für das bäuerliche Ückendorf typischen Gewändern erschienen und ein alter Bauerntanz der in dieser Art nachgewiesener Weise nur im alten Ückendorf bei den Festen auf der Festwiese am Ende des Festweges getanzt wurde, wurde mit großer Freude über viele Stunden getanzt nachdem er in den Wochen zuvor vielerorts unter größter Geheimhaltung einstudiert wurde.

Am Flashmop werde ich natürlich auf jeden Fall teilnehmen. Wie ich gesehen habe, wurde bereits ein Fred hierfür eingerichtet für den alle Ückendorfer schon freigeschaltet wurden.

(;))

AlterMann
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Beitrag von AlterMann »

Oh Josel!

Was sind Deine und Deiner Schwestern und Brüder Schmerzen gegen meine!?
Bin ich doch am 13. Mai des Jahres 1930 in Gelsenkirchen-Buer geboren und wurde ich doch schon am achten Tag meines jungen Lebens meiner Heimat, meiner Geburtsstadt Gelsenkirchen-Buer beraubt, denn durch einen rücksichtslosen Gewaltakt der Obrigkeit wurde meine geliebte Vaterstadt von der Landkarte getilgt, nicht aus meinem Herzen! Wo war mein geliebtes Gelsenkirchen-Buer nach diesem 21.Mai 1930? Es gab nur noch Gelsenkirchen! Ich habe viel geweint in diesen Tagen!
Ein zweites Mal geschah Schmach und Unrecht, als man nach dem Krieg der Altstadt ihre nördlichen Gebiete nahm, eine blühende Landschaft, die von den Großen der Stadt geprägt war (unter anderem von mir!). Wie manche zerdepperte Fensterscheibe hätte es nie gegeben, wären wir nicht ständig bemüht gewesen, das Bild der Stadt zu verändern, zu erneuern!
Und diese schnöde Mißachtung von des Volkes Wille nur, um die blamable Fehlentscheidung bei der Namensgebung des Schalker Gymnasiums zu kaschieren!
Erst nachdem der gesamte Neubau fertiggestellt war, sorgte der Lehrling einer Glasreinigungsfirma für hinreichenden Durchblick um zu erkennen, daß die Schule in der Altstadt lag.
Dieser Vorfall zeigt, daß auch in Gelsenkirchen aus der Geschichte nicht gelernt wurde! Gab es doch schon im Jahre 1872 den Fall, daß in blamabler Unkenntnis der geographischen Verhältnisse, der neu gegründete "Bulmker Verein" trotz gründlicher Beratung "Schalker Verein" getauft wurde!

Liebe Ückendorfer!
Ihr, die Ihr immerhin noch in Eurer Heimat lebt, wenngleich in Ketten!
Laßt die Hoffnung nicht sinken und laßt nicht nach in Eurem Bemühen um ein Leben in Freiheit für Eure Kinder und Kindeskinder!
Ich, der ich meiner Geburtsstadt und meines Stadtteils Altstadt beraubt bin, begleite Euch heimatlos mit aus vollem Herzen kommenden Wünschen für Freiheit und Selbstbestimmung!

"Treu deutsch Ückendorf!"

AlterMann

____________________________________________________________
Seit Einstein gibt es den Begriff der relativistischen Zeitdilation (= Zeitdehnung).
Auch der 1.April dauert nun schon 4 Tage.

Josel
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Beitrag von Josel »

Poach, selbst die GGs vergessen uns Ückendorfer in diesem Jahr :-(

(wg. der Einzelheiten unseres Kampfes für die Gerechtigkeit s.o.)

J.
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Benzin-Depot
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Beitrag von Benzin-Depot »

ich hatte schon die ganzen Tage das Gefühl, ich hätte was vergessen. :P
„Die Menschen", sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig.“
(Antoine de Saint-Exupéry / aus "Der kleine Prinz")

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Ego-Uecke
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Beitrag von Ego-Uecke »

110 Jahre ist es her ...
... und auch heute noch schreien die Ückendorfer diese Ungerechtigkeit (ergebnislos) in die Welt hinaus: Vor 110 Jahren verlor das vormals selbständige Amt Ückendorf eben diese Selbständigkeit und wurde der Stadt Gelsenkirchen zugefügt. Ohne jede Volksabstimmung und mit Sicherheit gegen den Willen der damaligen Bevölkerung dieses jungen, aufstrebenden Amtes.

Da war es nur ein schwacher Trost, dass der letzte Amtmann Ückendorfs, Carl von Wedelstaedt, in die Verwaltung der Stadt Gelsenkirchen aufgenommen wurde. Aber schon 1909 übernahm er als Oberbürgermeister die Amtsgeschäfte, was einen deutlichen Aufschwung zur Folge hatte.

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brucki
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Beitrag von brucki »

AlterMann hat geschrieben:Liebe Ückendorfer!
Ihr, die Ihr immerhin noch in Eurer Heimat lebt, wenngleich in Ketten!
Laßt die Hoffnung nicht sinken und laßt nicht nach in Eurem Bemühen um ein Leben in Freiheit für Eure Kinder und Kindeskinder!
Ich, der ich meiner Geburtsstadt und meines Stadtteils Altstadt beraubt bin, begleite Euch heimatlos mit aus vollem Herzen kommenden Wünschen für Freiheit und Selbstbestimmung!
Die Tränen trocknen in diesem Moment ganz langsam wieder, denn es war wieder ein schmerzlicher Tag für alle Ückendorfer, aber die vorstehenden bereits vor zwei Jahren niedergeschriebenen tröstenden Worte des geschätzten Users AlterMann spendeten mir auch in diesem Jahr wieder großen Trost denn sie zeigten mir: wir Ückendorfer sind nicht allein!

Josel
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Beitrag von Josel »

Die Bezirksverwaltung sollte endlich den langjährigen und einhelligen Wunsch der Ückendorfer Bürger erfüllen und dem Ückendorfer Platz einen angemessen Namen geben.

"Platz des 1. April" (mit einer Zusatztafel, die auf die Unterjochung Ückendorfs im Jahre 1903 verweist) ist die einzig angemessene Lösung.

Oder sieht das jemand anders?

J.
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