Konsumfaul und zählebig

Schriftstellerei, Dichtung, Rezitation

Moderatoren: Verwaltung, Redaktion-GG

Antworten
TheoLessnich
Abgemeldet

Konsumfaul und zählebig

Beitrag von TheoLessnich »

Wenn Oma Schneider sich auszieht, schaut ihr nur ihr Mann aus dem Bilderrahmen zu. Eine Kamera hat in ihrer Intimsphäre keinen Platz. Sie war schon immer eine Persönlichkeit.

Oma Schneider hat sich gut gehalten, schon immer, schon beim Wiederaufbau. Sich im Eva-Look in Szene setzen, käme ihr ebenso wenig in den Sinn wie die neuste und groteskste Variante des Jugenwahns, so zu tun, als sei das Leben spurlos vorüber gegangen.

Das Kaufpotential der Alten ist zwar entdeckt, aber noch lange nicht abgeschöpft. Wer dieser nassforschen Anglizismenklopfer weiß schon so recht, wie man diesen verdammten Bestagern am besten das Geld aus der Tasche zieht. Wie stellt man nur so eine altersgraue Lust- und Spaßgesellschaft nachahmenswert peppig dar? Nordic walking, mit distingiertem Rollator, im chromblitzenden Rollchopper, in Shorts oder Lurex, knutschend im Cabrio, auf der chinesischen Mauer? Über die Enkelgeneration mit Kinder- und Promikult konnte man ihnen bisher schon ganz gut beikommen, doch das darf und kann doch noch nicht alles gewesen sein.

Oma Schneiders alter Wecker funktioniert noch immer stoisch. Er ist schon so verbeult und tickt so nervig. Und er hat so große Zahlen, die kann Oma noch jederzeit ohne Brille ablesen. Interviewt hat Oma Schneider noch niemand, auch nicht ihren Nachbarn in etwa dem gleichen Alter. So haben die Marketing-Fuzzis noch gar nicht erfahren, was er von seinem nigelnagelneuen PKW hält, von den vielen verwirrenden Mini-Bedienelementen, dem zweiten und dritten Kilometertageszähler, dem sybillinischen Bordcomputer, der ihm - richtig bedient - verrät, welchen Durschschnittverbrauch an Sprit er gerade hat und wie viele Kilometer er ceteris paribus noch mit dieser Tankfüllung fahren kann. Er meint, an seinem alten Wagen konnte er noch selbst die Zeituhr einstellen.

Etwas faltig sind wir Alte schon geworden, aber sonst oho! Leitbilder müssen her. Faltenfrauen und -männer vor die Kamera. Opa und Oma im Bett, anschließend hält er ein Schwätzchen mit dem Bordcomputer seines Achtzylinder-Porsches. Wenn das ankommt, kann man getrost weiter in den gewohnten Losgrößen für Alt und Jung miserabel bedienbare und mit orgiqastischem Schnickschnack designte Autos, Jubelelektronik, Haushaltsgeräte auf den Markt werfen, und es kann weiter gemosert werden, wie stur doch die Alten auf ihren Geldsäcken sitzen.

Ob es auch anders gfeht? Wer fragt schon die Alten? Vielleicht die Drücker. Doch auch nur, um uns irgendeinen Mist anzudrehen.

pedder vonne emscher
Abgemeldet

Beitrag von pedder vonne emscher »

Mag auf einiges Wenige zutreffen, ist mir aber zu klischeehaft.

Jazzam
Abgemeldet

Beitrag von Jazzam »

Nach der Eva die nächste Geschichte zum Schmunzeln..... :lol: konsumfaul und zählebig 8)

Troy
Mitglied der Verwaltung
Beiträge: 12940
Registriert: 25.06.2007, 21:41

Beitrag von Troy »

Naja..., Bestager, Silversurfer, U-100 etc. - Euphemismen allesamt.

Der schreckenbehaftete Alltag beim stufenweisen Ausscheiden aus der werberelevanten Zielgruppe 14-49 wirft deutlich seine Schatten voraus:

- Aktivierungsprogramme (der Stadt ?) 50+ ("Nix zu tun? Ich hätte da mal eine Aktivität für Sie!")
- Zahncreme für ab 40 (das ist auch der Zeitpunkt, ab dem man Bundespräsi werden darf - da ist auch gerade ggf. ne Stelle vakant)
- Shampoo 39+ (ja, das sind echte Problemjahre!)
...
Im Ernst:
Noch jünger muss aber nu wirklich nich sein - den ganzen Sch**** nochmal?
Och nö, wer will denn sowas?

Kollektive gerontoanarchistische Ausformungen von zunehmender Konsumzähigkeit geburtenstarker Jahrgänge und deren aktive Faullebigigkeit bis ins hohe Alter als Grundhaltung gefielen mir als gesellschaftliches Experiment ainklich besser.
Be prepared - the best is yet to come... :wink:

gelsenjung
Beiträge: 1968
Registriert: 19.09.2009, 21:13
Wohnort: Bulmke

Beitrag von gelsenjung »

Troy hat geschrieben:Naja..., Bestager, Silversurfer, U-100 etc. - Euphemismen allesamt.


Kollektive gerontoanarchistische Ausformungen von zunehmender Konsumzähigkeit geburtenstarker Jahrgänge und deren aktive Faullebigigkeit bis ins hohe Alter als Grundhaltung gefielen mir als gesellschaftliches Experiment ainklich besser.
Be prepared - the best is yet to come... :wink:
Hab mal gekürzt, aber der Beitrag bringt es gut auf den Punkt!
Alter schützt vor Torheit nicht, aber was soll ich mit nem Tor?
Wein, Weib und Gesang, dafür muss die Rente reichen, live fast, died young and have a nice body?
Oh no, nix vorschreiben lassen, immer cool bleiben, meine Devise.
Und Bundespräsi? Wers mag, aber nicht mit der Blödzeitung telen, aber wer will das schon?
:wink:

TheoLessnich
Abgemeldet

Beitrag von TheoLessnich »

Auch mir geht das euphemische Gequatsche um das Altern auf den Geist. (Senior, Bestager, bla, bla.) Objektiv ist Alter ein biologischer Zustand, kein Privileg, keine Schande. Durch Botox, Lifting, Kosmetik, Klamotten, jugendliches Getue ist nocoh niemand auch nur einen einzigen Tag, eine Sekunde jünger geworden.
Menschlich verständlich finde ich die hilflosen Versuche, durch Wortakrobatik und den Habitus die Restlebenszeit zu dehnen, weniger verstehe ich das Motiv, schamhaft, aus Angst vor Liebesverlust sich krampfhaft verjüngen zu wollen.

Benutzeravatar
brucki
Beiträge: 9431
Registriert: 23.02.2007, 22:50
Wohnort: Ückendorf

Beitrag von brucki »

TheoLessnich hat geschrieben:Menschlich verständlich finde ich die hilflosen Versuche, durch Wortakrobatik und den Habitus die Restlebenszeit zu dehnen, weniger verstehe ich das Motiv, schamhaft, aus Angst vor Liebesverlust sich krampfhaft verjüngen zu wollen.
Aber Liebesverlust ist doch keine schöne Sache! :?

TheoLessnich
Abgemeldet

Beitrag von TheoLessnich »

Schon! Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, allein durch das Alter Liebesverlust zu erleiden. Alte neigen leider dazu, Verluste und Dissonanzen auf ihr fortgeschrittenes Alter zu verschieben, in Wahrheit sind es aber oft Verhaltenweisen. Mit Anbiederung ist da auch nichts zu holen.

Antworten