Gelsenkirchen, 2006, Verlag: Baluga New Media, Preis 14,90 Euro
Eine Betrachtung des Kapitels: "Die Zeche Scholven"
1984 erschien die erste Auflage des Klassikers „Gelsenkirchener Lesebuch - Und das ist unsere Geschichte“, herausgegeben von Hartmut Hering mit Texten namhafter Autoren wie Gustav Griese, Hugo Vöge u.a. Erzählt wird die Geschichte der Stadt Gelsenkirchen von ihren Anfängen bis in die Gegenwart.
Gut 20 Jahre später versucht man an den Erfolg dieses Buches anzuknüpfen und es erscheint 2006 ein Buersches Bergbau Lesebuch: „Kicker, Kumpel, Kohlrouladen“, ein Abklatsch des Originals, nur regional auf Buer begrenzt . Abklatsch deshalb, weil die „Heimatgeschichte“, wie dieses Buch auf der Rückseite seines Umschlags betitelt wird, nichts wirklich Neues bringt und zum größten Teil nur abschreibt, was das Internet oder die in den 80er Jahren veröffentlichte Literatur über Gelsenkirchen hergibt.
Schon die geschichtliche Einführung „Die Region entsteht von unten“ enthält ganz zu Anfang einen dicken Klops, der die Heimatgeschichte Gelsenkirchens und Buers auf den Kopf stellt.
Auf der einen Seite beschränkt sich die Autorin Kira Schmidt in ihrem Buch zwar auf Buer und grenzt sich in ihrer Darstellung gegenüber Restgelsenkirchen ganz klar ab – ein Trend, der von 1928 bis in die heutige Zeit in weiten Teilen der Gelsenkirchener und Bueraner Bevölkerung gelebt wird – auf der anderen Seite lässt es sich Kira Schmidt dann doch nicht nehmen, die Gewerkengründung Hibernia durch den Iren William Thomas Mulvany, die den offizielen Startschuss für die Industriealisierung und Grosstadtwerdung Gelsenkirchens makiert, kurzerhand von der Köln-Mindener Eisenbahn nach Buer zu verlegen.
Zitat:
„Zu Beginn des 19. Jahrhunderts geht Buer als Teil Preußens in die Provinz Westfalen ein. Es kommt eine Zeit, in der der fossile Brennstoff Kohle begehrt ist und viele ausländische Geschäftsleute in die Region treibt.
Der wohl bekannteste ist der Ire William Mulvany, der in der Emschermulde die Gewerkschaften Hibernia, Schamrock und Erin gründete. Die im Jahre 1854 in Buer gegründete Gewerkschaft Hibernia ist die erste des Iren“
Hibernia ist nie in Buer gegründet worden. Das Bergwerk stand immer südlich der Emscher an der Bahnlinie Minden-Köln und auch die Gründung der Hibernia Aktiengesellschaft fand nicht in Buer statt sondern in Berlin.
Als Wahlscholvener ist für mich natürlich das Kapitel über die Zeche Scholven von großem Interesse, nicht zuletzt, weil der 100. Geburtstag der Schachtanlage in diesem Jahr von der Stadt vergessen wurde und auch im Bewusstsein weiter Teile der Bevölkerung nicht mehr vorhanden zu sein scheint.
„Krisen, Kampf und Kohle-Treibstoff“
Der Autorin scheinen diese Alliterationen mit „K“ ungemein zu gefallen, vielleicht auch weil ihr Vorname mit demselben Buchstaben beginnt. Allerdings sollte man bei einer Darstellung historischer Zusammenhänge nicht nur auf den Klang oder die Erscheinung seiner Worte achten, sondern auch auf deren Inhalt.
Ein Blick auf die Inhalte, die das Kapitel hergibt:
Das die Zeche Scholven "ein Spiegelbild der politischen Veränderungen" ist, wird leider nicht weiter erklärt, aber wieso ausgerechnet Scholven, "wie kaum eine zweite Zeche.. die Auswirkungen weltwirtschaftlicher Krisen" erlebt, bedürfte dann doch einer Erklärung, denn sowohl die Folgen des ersten und zweiten Weltkrieges, als auch Ereignisse wie Ruhrkampf, Inflation, Wirtschaftskrisen und Massenentlassungen, Zwangsarbeit, Hungersnöte und Epidemien hat es auf jedem anderen Bergwerk Buers genauso gegeben, auf Nordstern wie auf Hugo oder Bergmannsglück.
Im Folgenden erkennt man dann, dass mit dem Sterben der Zechen auch das Wissen um Ausdrücke, die einst zur Alltagssprache der Ruhrgebietsbevölkerung gehörten, in der jüngeren Generation auszusterben scheinen. So werden z.B die Begriffe Doppelschachtanlage und Verbundbergwerk "sozusagen" für den selben Zusammenhang benutzt, obwohl sie zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen haben:
„Im Jahr 1876 werden einige Grubenfelder unter dem Namen „Berlin“ zusammengefasst. Doch erst 1908 wird in Scholven unter demselben Namen eine Doppelschachtanlage errichtet. Seit seiner Entstehung ist das Bergwerk sozusagen ein Verbundbergwerk.“
Eine Doppelschachtanlage ist eine Anlage, bei der die beiden Schächte aus betrieblichen Gründen nicht weiter als 100 Meter voneinander entfernt sind.
Ein Verbundbergwerk ist ein Bergwerk, bestehend aus zwei oder mehreren Schachtanlagen, bei dem die untertägigen Grubengebäude und logistischen Gerätschaften miteinander verbunden sind. Zum Unterirdischen Verbund zwischen Zweckel und Scholven kam es allerdings erst 1928 und erst seitdem kann man von einem Verbundbergwerk reden. Doppelschachtanlagen waren beide.
Weiter im Text:
Es folgen einige in Anführungsstriche gesetzte Ausführungen, die wohl den Anschein vermitteln sollen, dass es sich um Zeitzeugenaussagen aus Scholven handeln könnte. Nach den vielen Zitaten, die auch frei erfunden sein könnten, denn es werden weder Quellen genannt, noch die Personen weiter beschrieben, denen sie in den Mund gelegt werden, wird im Zusammenhang mit dem Koloniebau in Scholven davon geredet, wie Frauen den Lohn der Männer ins Betriebseigene Kaufhaus bringen.
Einen Absatz weiter wird diese Aussage dann ad absurdum geführt: „Ein Kaufhaus und eine Gaststätte sind zwar angedacht, gebaut wird aber nur ein Kindergarten.“
Ein Kaufhaus hat es während des Koloniebaus in Scholven und in der unmittelbaren Zeit danach wirklich nicht gegeben und deshalb kann die Frau, die da das Geld des Mannes ins Kaufhaus bringt mit der Kolonie Scholven nicht viel zu tun haben.
Auch im Zusammenhang mit den Kolonien von Gartenstädten zu reden, ist ein wenig weit hergeholt, denn Gartenstädte, wie z.B. die Margarethenhöhe in Essen, gehen von der Idee her weit über den Werkswohnungsbau der Zechengesellschaften hinaus. Gartenstädte unterscheiden sich u.a. darin, dass sie auch Nichtbetriebsangehörigen offen stehen, z.B. Künstlergruppen oder städtischen Angestellten, während die Werkskolonien nur für die Arbeitnehmerschaft des Betriebes errichtet wurden…
Von der Kolonie Scholven geht es dann wieder zurück zur Schachtanlage und den Produktionszahlen von 1925:
„Im Jahr 1925 beläuft sich die Förderung auf 564.000 Tonnen Kohle. Im Vergleich zu früheren Mengen ist kein Anstieg zu verzeichnen.“
Zur Kontrolle dieser Aussagen die Fördermengen der beiden Vorjahre:
1924: 449.016 Tonnen, das enstpricht im Vergleich zu 1925 einem Anstieg von ca. 25%
1923: 137.002 Tonnen. Gegenüber 1923 hat sich die Fördermenge sogar ver4-facht! (Quelle: Unsere Hibernia 19)
Hintergrund für die schwachen Vorjahreszahlen ist die Ruhrbesetzung seit 1923 und nicht die Weltwirtschaftskrise, die man nach Aussagen der Autorin bereits an den Zahlen von 1925 ablesen kann und die als Willkommener Anlass genommen werden, das Stichwort "Goldene Zwanziger" in den raum zu werfen
Weiter geht es in dem Aufsatz dann ins Jahr 1927:
„Zwei Jahre später geht die Bergwerks AG Recklinghausen, zu der das Bergwerk bisher gehörte, in die Hibernia AG über. Scholven und Zweckel sind von nun an eigene Zechen“
In diesem Abschnitt sind gleich 3 Fehler:
Richtig ist:
Zweckel und Scholven waren von Förderbeginn bis 1928 eigene Zechen, die zur Berginspetion 5 der Bergwerksdirektion Reklinkhausen gehörten. 1926 (und nicht 1927) wurde die Bergwerksdirektion Recklinghausen mit ihren Schachtanlagen und der königlichen Zechenbahn und Hafenverwaltung in die Recklinghäuser Bergwerks AG eingebracht und nicht wie bei Kira Schmidt zu lesen, in die Hibernia AG. Erst mit dem Bau des Hydrierwerks 1935 sind Hibernia und Recklinghäuser Bergwerks AG zur Hibernia AG vereinigt worden. Bis dahin wurden beide Unternehmen in Personalunion geführt (Quelle: Bergbau Archiv Bochum, Bestand 32)
Weiter heißt es bei Kira Schmidt:
„1929 werden beide Standorte wieder vereinigt.“
Da beide Schachtanlagen vor 1929 nie vereinigt waren, können sie 1929 nicht wieder vereinigt werden. Die Schaffung eines Verbundbergwerkes Zweckel - Scholven war erst nach 1928 möglich, weil in diesem Jahr die Voraussetzung für den Verbund erfüllt wurden, nämlich der unterirdische Durchbruch zwischen beiden Grubenfeldern.
„Die Kohle wird auf der seit 1913 angegliederten Kokerei direkt weiter verarbeitet.“
Zwar gab es in Scholven seit 1913 eine Kokerei, allerdings wurde mit dem Verbund beider Anlagen 1928 eine komplett neue Zentralkokerei errichtet, in der nicht nur die Scholvener und Zweckeler Kohle verkokst wurde, sondern auch die anderer Hiberniabergwerke, welche deshalb zum Teil ihre Kokereianlagen schließen mussten (Quelle: Unsere Hibernia 19)
Anschließend geht es von der Wirtschaftskrise 1929 über die Machtergreifung ins Dritte Reich zu einem „Mann aus Österreich, der das Ziel hat ganz Deutschland zu führen“. Der Leser erfährt ein bisschen was über die DAF, dem wirtschaftlichen Aufschwung durch den Bau von Autobahnen, dem Benutzungsverbot von Maschinen und ein wenig zur Rolle der Frau im Nationalsozialismus. Kira Schmidts Anmerkungen zu Hitler stehen leider in keinerlei Bezug zu Gelsenkirchen, Buer oder Scholven, sondern gelten allgemein für Deutschland. Sie sind auf der Internetseite des historischen Museums http://www.dhm.de/lemo/ ähnlich formuliert nachzulesen.
1935 geht es nach diesen Ausführungen zum Nationalsozialismus dann wieder zurück nach Scholven und zwar zum Bau des Hydrierwerks.
„Im Zuge der Umsetzung des Plans gelang der führende deutsche Chemiekonzern I.G. Farben in eine einflussreiche Position. Bevor das Unternehmen aber sein erstes Hydrierwerk eröffnen kann. kommt ihm die Hibernia AG zuvor. In Scholven wird ein solches Werk bereits im Juni 1935 gegründet. Da man mit einer Lizenz der I.G. Farben produziert, steuert diese Fachleute für den Bau und den Betrieb bei.“
Von der Syntax des letzten Satzes einmal abgesehen ist der Inhalt dieses zitierten Abschnittes unlogisch und paradox. Die I.G. Farben besaßen seit ihrer Gründung 1926 Hydrierwerke und zwar über die Leunawerke, die durch BASF in die I.G. Farben eingebracht wurden. Die Hibernia kam der I.G Farben also nicht zuvor, denn diese produzierten bereits seit 9 Jahren synthetisches Benzin nach dem Bergiusverfahren. Die I.G. Farben besaßen das Patent auf dieses Verfahren und Scholven erhielt 1935 die Lizenz ebenfalls nach Bergius zu produzieren.
„Am 3. August 1936 findet in Gelsenkirchen eine Weltpremiere statt. Zum ersten Mal wird aus Steinkohle Treibstoff hergestellt.“
Die Behauptung in Scholven sei zum ersten Mal Benzin aus Steinkohle hergestellt worden, ist zwar in Gelsenkirchen Gang und Gebe, aber sie ist nicht korrekt und lenkt bis heute immer wieder davon ab, dass die Hydrierwerke Scholven AG ein reiner Rüstungsbetrieb waren. Fakt ist, dass bereits 1925 den beiden Chemiekern Franz Fischer und Hans Tropsch in Mühlheim an der Ruhr die Herstellung synthetischen Benzins aus Steinkohle gelungen war (Fischer-Tropsch-Verfahren) und deren Verfahren bei der Ruhrchemie AG seit 1934 großtechnisch angewandt wurde, später auch bei Gelsenberg in Horst. Neu war in Scholven ,dass dort zum ersten mal die Herstellung von Benzin aus Steinkohle nach dem Bergiusverfahren stattfand, welches vorher bereits bei Braunkohle verwendet wurde.
Über Arbeitslosenzahlen von Gesamtdeutschland und ein paar allgemein gehaltenen Anmerkungen zu Zwangsarbeitern geht es dann zu Albert Speer und zurück zu Hitler.
Was Albert Speer allerdings mit Scholven zu tun haben soll, wird nicht so recht ersichtlich und wenn man sich ein wenig mit der Geschichte des Hydrierwerkes beschäftigt hätte, wäre wahrscheinlich aufgefallen, dass nicht Speer sondern Hermann Göring der Mann der Nazis war, der das Hydrierwerk Scholven zu einem seiner Prestigeobjekte machte. Genauso schleierhaft ist die Erwähnung „einer der wenigen erhaltenen Reden“ des Direktors einer Flugzeugfabrik zum Einsatz von Zwangsarbeitern. Zum einen gab es in Scholven nie eine Flugzeugfabrik, zum anderen gibt es genügend Dokumente im Nachlass der Hibernia, in denen sich Mitarbeiter in leitenden Positionen zum Einsatz von Zwangsarbeitern äußern. Man muss nur einfach mal die Archive im Ruhrgebiet oder Münster kontakten, statt sich seine Informationen ausschließlich über Wikipedia zu holen.
Von der Zwangsarbeit geht es dann dem Kriegsende zu.
„Ein letztes Bombardement am 20. März 1945 zerstört das Werk völlig. Bis zu ihrer Vernichtung bietet die Hydrieranlage 4.500 Menschen Arbeit. Die angloamerikanischen Geschosse treffen auch das Bergwerk. Wurden hier 1943 noch über eine Millionen Tonnen Kohle abgebaut, so muss nach vielen Angriffen die Förderung auf die Zeche Zweckel rückverlagert werden. Die Schachtanlage ist einfach zu stark beschädigt.“
Die Chronik der Scholven Chemie redet von 5.900 (und nicht 4.500) Menschen auf dem Werk und genaugenommen wurden 1943 sogar über 1,2 Millionen Tonnen Kohle produziert und nicht nur 1 Mio. (Quelle: Unsere Hibernia 19).
Die Förderung kann auch trotz der Kriegsschäden auf Scholven nie nach Zweckel rückverlagert worden sein, weil Zweckel, wie oben bereits erwähnt, 1929 aus der Förderung genommen und daraufhin für die Förderung wichtige Tagesanlagen, wie die Kohlenwäsche u.a., abgerissen wurden.
Die Förderleistung der Schachtanlage Scholven 1946 -1950 belegen, dass eine Förderung stattgefunden hat:
1947 Zeche Scholven: 204.572 Tonnen, Verbund Scholven + Zweckel: 580.246 Tonnen
1948 Zeche Scholven: 169.945 Tonnen, Verbund Scholven + Zweckel: 705.958 Tonnen
1949 Zeche Scholven: 323.164 Tonnen, Verbund Scholven + Zweckel: 833.288 Tonnen
1950 Zeche Scholven: 372.188 Tonnen, Verbund Scholven + Zweckel: 820.778 Tonnen
(Quelle: Jahrbuch des Deutschen Bergbaus, 1949-1952)
Nach Wiederaufnahme der Förderung 1950 sinniert die Autorin allgemein über Gründe nach, die zur Kohlekrise und zum einsetzenden Zechensterben geführt haben. Die Ursachen, die sie erleutert sind allgemein stimmig, allerdings fehlt auch hier der Bezug zur Schachtanlage Scholven. Tektonische Zusammenhänge, die in der Faltung der Gebirge im Scholvener Zweckeler Grubenfeld liegen, oder auch die einseitige Ausrichtung auf die für die Hydrierrung notwendige Kohle, die nach 1945 nicht mehr benötigt wurde und Scholven durch das Erschließen von Flözen mit hochwertigerer Kohlensorten wichtige Zeit im Wettbewerb verlor, bleiben völlig unerwähnt, würden aber erklären, wieso ausgerechnet dieses Hibernia Bergwerk geschlossen wurde und nicht etwa Westerholt.
Ähnlich oberflächlich hangelt sich Kira Schmidt beim Hydrierwerk bis in die Gegenwart vor.
Zitat:
„Das Hydrierwerk aber besteht weiter. Nachdem die Hibernia AG 1970 auf die Veba AG umgewandelt wird, wird Scholven zur direkten Tochter der VEBA Chemie. Immer mehr verlagert sich der Schwerpunkt der Tätigkeit von der Treibstoff- und Mineralölsparte auf den Bereich der Chemie. Doch das ist nur von kurzer Dauer.“
1. Das Hydrierwerk bestand nicht weiter, sondern wurde 1964 stillgelegt.
2. Die Scholven Chemie AG wird in VEBA Chemie AG umbenannt, eine Veba-Tochter war sie immer schon, auch zu Zeiten der Hydrierwerke Scholven AG, denn die VEBA wurde 1929 gegründet um alle staatlichen Industrieunternehmen als Finanzholding unter einem Dach zu vereinigen.
3. Die Petrochemie ist Teil der Chemie und von dieser Sparte hat sich die VEBA auch in Scholven nie weg bewegt. Sowohl das 1964 geschlossene Hydrierwerk, als auch die Crack- und Raffinerieanlagen dienten immer der Verarbeitung von Mineralölstoffen und entsprechenden Nebenprodukten und zu nichts anderem.
Ähnlich, wie der Text über weite Strecken fehlerhaft ist, verhält es sich mit der Bildauswahl zur Zeche Scholven. Neben einem Bebauungsplan, finden sich 8 historische Aufnahmen zu den Industrieanlagen bzw. der Kolonie als optische Auflockerung in dem Kapitel. Eines der Bilder entstammt dem Institut für Stadtgeschichte und ist vor einigen Jahren als Postkarte von Ulrich Thyrichter herausgegeben worden , alle anderen Aufnahmen zur Zeche Scholven sind aus dem Buch: „Dokumentation von Werkssiedlungen in Gelsenkirchen“ herauskopiert. Es erschien 1980 und wurde herausgegeben von der Stadt Gelsenkirchen.
Von den 8 Abbildungen zum Kapitel Zeche Scholven stammen 4 – also die Hälfte – gar nicht aus Scholven. Es werden Industrieanlagen von Hugo und Nordstern gezeigt und Abbildungen aus anderen Bergbausiedlungen um Buer, desweiteren sind 2 von ihnen völlig falsch datiert.
Kira Schmidt: Die Zeche Scholven in: Kicker, Kumpel Kohlrouladen Abb. 112
(vgl auch: Dokumentationen von Werkssiedlungen in Gelsenkirchen, 1980, S. 100)
Dieses Foto ist untertitelt mit "Die alte Zeche Scholven". Es handelt sich aber chemische Anlagen von Hugo.
Kira Schmidt: Die Zeche Scholven in: Kicker, Kumpel Kohlrouladen Abb. 115
(vgl auch: Dokumentationen von Werkssiedlungen in Gelsenkirchen, 1980, S. 165)
Siedlungsleben im Schatten des Kraftwerks. Bei dem Foto handelt es sich in keinem Fall um das Kraftwerk Scholven. Dieser Kühlturm stand in Horst.
Kira Schmidt: Die Zeche Scholven in: Kicker, Kumpel Kohlrouladen Abb. 116
(vgl. ISG, Postkartensammlung Gelsenkirchener Bergwerke von Ulrich Thyrichter)
"Die Schächte 1 und 2 der Zeche Scholven um 1910". Diese Datierung der Autorin ist eine Art Synthese aus 1908-1911, der Zeit des Abteufens, die wahrscheinlich ein Zeitgenosse oben auf die Karte geschrieben hat. 1910 standen noch nicht einmal die Fördergerüste von Scholven und hier ist schon die Kokerei und der zweite Kraftwerksbau zu erkennen. Die beiden Kühltürme wurden 1929 bzw 1936 gebaut. Deshalb ist das Foto auf keinen Fall vor 1936 aufgenommen worden.
Kira Schmidt: Die Zeche Scholven in: Kicker, Kumpel Kohlrouladen Abb. 117
(vgl auch: Dokumentationen von Werkssiedlungen in Gelsenkirchen, 1980, S. 138)
Dieses Bild zeigt nicht die Kolonie Scholven, sondern die Schüngelbergsiedlung und es ist auch nicht aus den 50er Jahren sondern eher aus den 70ern.
Kira Schmidt: Die Zeche Scholven in: Kicker, Kumpel Kohlrouladen Abb. 118
(vgl auch: Dokumentationen von Werkssiedlungen in Gelsenkirchen, 1980, S.113)
Zu jeder Siedlung gehören auch noble Wohnheime - die Steigerhäuser
Dieses Bild zeigt die Siedlung Im Bahnwinkel und nicht die Kolonie Scholven
Als nächstes wollte ich mir dann die Aufsätze zu den anderen Schachtanlagen anschauen. Als ich das Kapitel über Bergmannsglück durchblätterte, in der drei historische Aufnahmen der Schachtanlage abgebildet sind und ich die Bildbeschreibung zu zweien dieser Aufnahmen las, wollte ich dann doch nicht weiterlesen.
Kira Schmidt: Die Zeche Bergmannsglück in: Kicker, Kumpel Kohlrouladen Abb. 19 u. 20
Laut Untertitel soll man vor dem linken Förderturm die Kohleaufbereitung sehen. Ich kann da allerdings nur das Fördermaschinenhaus des Förderturms erkennen...
Das Buersche Bergbaulesebuch ist ein Potpourri (sprich: Pott-Püree), in der die Herausgeberin alles in einen Topf schmeißt, was sie an Bildern und Erzählungen in die Hand gedrückt bekommt oder was ihr beim Surfen im Internet in die Finger fällt. Überprüft oder nachrecherchiert werden diese Berichte an keiner Stelle und was nicht auf Anhieb in die einzelnen Kapitel passt, wird passend gemacht. Diesen Eindruck bekommt man beim Lesen und wenn man den Quellen der Autorin hinterher recherchiert wird diese Vermutung bestätigt: Die Ausführungen zu den Gelsenkirchener Bergwerken kann man bei Wikipedia nachlesen, die historischen Zusammenhänge auf der Internetseite des historischen Museums. Die Fotos zu Scholven entstammen dem Buch über Gelsenkirchener Werkssiedlungen. Im Buerschen Bergbau-Lesebuch werden die einzelnen Teile dann zusammenhanglos zusammengewürfelt.
Kira Schmidt versucht mit ihrem Buch an die verklärte Ruhrgebietsromantik anzuknüpfen, die sich auf Fußball, Förderturm und feistes Essen reduziert und das Bergbaulesebuch verklärt das Bild des Ruhrgebiets in der Region um Buer so noch weiter. Aus nahezu jeder grauen Zechenkolonie wird eine Gartenstadt gemacht und mit der ersten Zechengründung in Buer - die in Wirklichkeit nie dort stattgefunden hat - durch den Ausländer Mulvany wurde gleichzeitig auch der Grundstein für das friedliche Multikulti der Bueraner bis in Gegenwart gelegt . Ein Bisschen Pommes Currywurst dabei, ein bisschen Fußball, ein bisschen Nachhilfeunterricht in deutscher Geschichte für den Buerschen Bergbauleser mit Anmerkungen zu Hitler, Albert Speer und der Rolle der Frau im Dritten Reich. Nur leider nicht zu Scholven oder dem entsprechenden Bergwerk, über das gerade berichtet wird.
Sich in Gelsenkirchen mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen macht bestimmt Sinn. Allerdings sollte man auch den Bezug zu Gelsenkirchen, Buer oder den beschriebenen Schachtanlagen herstellen und nicht einfach drauflos schreiben, was google zum Nationalsozialismus hergibt, nur weil das Thema in dieser Stadt gerade trendy ist.
mein persönliches Fazit:
Zum Lesen kann ich das Buch eigentlich nicht empfehlen. Dafür enthalten die Texte von Kira Schmidt zu viele Fehler. Wer allerdings auf spannende Untertageaufnahmen steht und wem es egal ist, welche Industrieanlagen oder Kolonien er auf einem Foto sieht - Hauptsache Buer - der sollte sich das Bergbaulesebuch zumindest einmal durchblättern…
Es ist bedauernswert, dass die Gelsenkirchener Bergwerke in der Öffentlichkeit so wenig Beachtung finden, weil bislang wenig über sie geschrieben wurde. Letzteres sollte allerdings nicht zum Anlass genommen werden, auf Teufel komm raus mal eben ein paar Berichte über Scholven, Bergmannsglück, Nordstern etc. zusammenzuzimmern um genügend Stoff für ein „Neues“ Buch zu haben, welches als Ergebnis in der Darstellung historischer Zusammenhänge und seinem Anspruch eine „Heimatgeschichte“ zu sein, weit hinter die Literatur zurückfällt, welche z.B. von den Orts- und Heimatvereinen im 20. Jahrhundert veröffentlicht wurde.
Johannes Fischer
Quellen:
Dokumentationen von Werkssiedlungen in Gelsenkirchen, 1980
Unsere Hibernia, 1958
Scholven Chemie 1960
div. Veba Chroniken
Verwaltung hat geschrieben:Edit:
Überarbeitung des Beitrags durch Johannes Fischer am 18.09.2008