Der WAZ Stadtteil-Check

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Emscherbruch
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Der WAZ Stadtteil-Check

Beitrag von Emscherbruch »

Eine nicht repräsentative Umfrage unter 5775 Teilnehmern aus Gelsenkirchen nennt die WAZ ihren "Stadteil-Check". Das Ganze hat etwas von Fußball Bundesliga, da es genau 18 Konkurrenten gibt.

Etappenweise geht die WAZ den gestellten Fragen zur Lebensqualität nach und versucht zu ergründen, wieso, weshalb, warum die Ergebnisse so ausgefallen sind, wie sie ausgefallen sind. Zu diesem Zweck werden sogenannte Experten befragt, die für kompetent gehalten werden, eine Antwort zu geben. Wie beim Interview eines Bundesligaprofis am Spielfeldrand: "Wie haben Sie die Situation vor dem leeren Tor erlebt?" - "Der Ball kommt. Ich krieg ihn und mach ihn nicht rein." Die Ergebnisse dieser Expertenbefragungen sind von einer gewissen perspektivischen Einseitigkeit gekennzeichnet, also sehr subjektiv an den eigenen Handlungen ausgerichtet. "Wie können Sie sich die Niederlage erklären? " - "Ich sagte doch schon: Der Ball kommt. Ich krieg ihn und mach ihn nicht rein. Ich habe alles richtig gemacht."


Wer einen Obolus beim Pressemonopolisten entrichtet hat, kann sich das Ganze auch im Netz ansehen: http://waz.de/ge-check

In der heutigen gedruckten WAZ war das Thema "Wie kinderfreundlich ist die Stadt?" an der Reihe.

Wie allgemein zu erwarten war, aber, wie wir später sehen werden, nicht erwartet wurde, liegt auch in dieser Kategorie der Stadtteil Resser Mark (Note 2,38) an der Spitze der Tabelle.

Es folgen auf den Plätzen:
Heßler (2,45)
Resse (2,58)
Feldmark (2,75)
Buer (2,79)
Erle (2,83)
...
und am Ende
Bismarck (3,51)
Schalke (3,57)
Schalke-Nord (3,95)

Für Gelsenkirchen wurde im Durchschnitt eine 3,06 errechnet, was immer das bedeuten soll.

Wie konnte das geschehen?
Hatte die Stadt in den letzten Jahren nicht jede Menge Preise in diesem Bereich abgeräumt und mit Kinderfreundlichkeit sogar neue Einwohner anlocken wollen? Note 3 von den eigenen Leuten? Was werden da die Andren sagen?

Ein Blick in die Welt des Spitzenreiters. Vor 40/50 Jahren sah die Kindheit in der Resser Mark so aus: Große Freiheit zur Selbstgestaltung der Freizeit, sobald die Schule endlich aus war. Die gesamte Nahversorgung (Bude, Imbiss, Supermarkt, Sportplatz, Spielplatz) war zu Fuß zu erreichen. Verlaufen konnte man sich kaum. Für die, die keine eigenen Ideen hatten, gab es die Falken im Erich-Ollenhauer-Haus. Alle anderen wussten sich selbst zu beschäftigen und eroberten Straßenzug für Straßenzug, Wiesen, Bäche, Tümpel und natürlich das größte zusammenhängende Waldgebiet der Stadt mit seinen angrenzenden Bereichen. Resse, Erle, der ganze Stadtbezirk Ost zählte zur Heimat. Mit dem Fahrrad ging es bis nach Herten in den Schlosspark und natürlich den Rhein-Herne-Kanal rauf und runter. Städtische Einmischung in das Leben der Heranwachsenden durch angestelltes Betreuungspersonal der Stadt Gelsenkirchen gab es nicht. Die Welt war weitgehend in Ordnung.

Heute sieht eine Kindheit in der Resser Mark so aus: Nicht mehr ganz so große, aber dennoch weitgehende Freiheit zur Selbstgestaltung der Freizeit, sobald die Schule endlich aus ist. Die gesamte Nahversorgung (Bude, Imbiss, Supermarkt, Sportplatz, Spielplatz) ist zu Fuß zu erreichen. Verlaufen kann man sich kaum. Für die, die keine eigenen Ideen haben, gibt es die Falken im Ladenlokal Spökes. Alle anderen wissen sich selbst zu beschäftigen und erobern Straßenzug für Straßenzug, Wiesen, Bäche, Tümpel und natürlich das größte zusammenhängende Waldgebiet der Stadt mit seinen angrenzenden Bereichen. Resse, Erle, der ganze Stadtbezirk Ost zählt zur Heimat. Mit dem Fahrrad geht es bis nach Herten in den Schlosspark und natürlich den Rhein-Herne-Kanal rauf und runter. Einmischung in das Leben der Heranwachsenden durch angestelltes Betreuungspersonal der Stadt Gelsenkirchen gibt es nicht. Die Welt ist weitgehend in Ordnung.

Folge: Resser Mark auf Platz 1 bei Kinderfreundlichkeit.

Das überrascht die von der WAZ befragte Expertin. Sie vermutet, dass die Leute Kinderfreundlichkeit mit einem subjektiven Sicherheitsgefühl verwechseln, "[...] da wo es ländlicher und weniger städtisch zugeht. Hier können die Kinder beispielsweise freier spielen, ohne Angst vor Autos oder Straßenbahn haben zu müssen." Die Leiterin der Abteilung Jugend- und Familienförderung der Stadt Gelsenkirchen weiter: "Dort [Resser Mark] gibt es eigentlich keine Jugendeinrichtungen. [...]" - Uhhh! Keine Jugendeinrichtungen? Das werden die Falken nicht gerne gelesen haben.

Wahrscheinlich meint die Frau, es gäbe in der Resser Mark keine städtischen Planstellen für Absolventen des Studiengangs Soziale Arbeit, womit sie wohl recht hat. Außerhalb der Resser Mark hat die Stadt allerhand aufgebaut und eingerichtet und man sei stolz darauf, sagt sie. Es müsste aber noch viel mehr in Kinder- und Jugendarbeit investiert werden und „wir müssen ganz nah an den Familien dran sein“, meint die Abteilungsleiterin.

Wie sah eine Investition in den vergangenen Jahren üblicherweise aus? Was ist gemeint, wenn von Jugend- und Kinderarbeit gesprochen wird? Gemeinsames Merkmal aller im Artikel genannten Beispiele ist, dass die städtischen Einrichtungen nur geöffnet sind, wenn bezahlte oder ehrenamtliche Mitarbeiter dort anwesend sind. Bei den geforderten Investitionen in Kinder- und Jugendarbeit geht es also wohl um Planstellen und Arbeitsplätze für Erwachsene bei der Stadt. - Müssen aber alle Kinder und Jugendlichen tatsächlich immer „betreut“ werden? - Ja, das scheint die Überzeugung der städtischen Verantwortlichen zu sein, denn: „Die außerschulische Bildung entscheidet über so viele Dinge.“ – Welche Dinge das sind, wird nicht ausgeführt.

Ich fasse zusammen, was ich verstanden habe: Eine kinderfreundliche Stadt bedeutet aus Sicht der zuständigen leitenden städtischen Angestellten, viele Stellen für Sozialarbeiter zu haben, die in städtischen Einrichtungen, welche nur geöffnet sind, wenn Sozialarbeiter oder Ehrenamtler anwesend sein können, außerschulische Bildung betreiben. Der Leiter des städtischen Erich-Kästner-Hauses in Erle bemerkt außerdem: „Und das bedeutet der Begriff Kinderfreundlichkeit ja auch: Dass Eltern ihre Kinder nicht allein gut betreut, sondern sie auch gut aufgehoben wissen.“ – Ist das wirklich die Definition von Kinderfreundlichkeit?

Das Umfrageergebnis der WAZ spiegelt diesen Begriff von Kinderfreundlichkeit nicht wider. Die Bewohner Gelsenkirchens definieren Kinderfreundlichkeit offenbar anders als von städtischer Seite vorgegeben. Wie umfassend ihre Kinder durch städtische Bedienstete von früh bis spät umsorgt werden, könnte für viele nicht ausschlaggebend sein. Sie wünschen sich möglicherweise etwas anderes.

Ich meine nicht (!), bedürftige Kinder von der Straße weg zu holen, in der Freizeit zu betreuen und sie schulisch zu unterstützen, sei unnötig. Nein, dieses Programm der Stadt Gelsenkirchen ist absolut notwendig. Es ist eine der Lasten, die die Stadt kaum tragen kann, weil dumme Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen wurden. Es ist aber nur ein kleiner Baustein, um als kinderfreundliche Stadt wahrgenommen zu werden. Denn neben den vielen (viel zu vielen) Kindern in Gelsenkirchen, denen zu Hause ein erwachsenes, selbstverantwortliches Gegenüber fehlt, oder die überhaupt niemanden haben, der sich um sie kümmert, gibt es tatsächlich immer noch viel mehr Kinder in Gelsenkirchen, die solche Programme und Betreuungsangebote der Stadt gar nicht benötigen. Was also brauchen alle (!) Kinder und Jugendlichen in der Stadt?

Wie wäre es mit mehr Freiräumen und mehr Orten, an denen sie sich selbständig treffen können, ohne Anwesenheit einer Nanny vom Amt. Ich weiß nicht, ob es repräsentativ für die ganze Stadt ist, aber in der Resser Mark, also beim Spitzenreiter in Sachen wahrgenommene Kinderfreundlichkeit, sind alle städtischen Spielplätze bis auf einen einzigen demontiert worden, nachdem sie jahrelang ohne Wartung verrottet waren. Kein Geld und kein Bedarf, hieß es.

Jetzt mal fünf Minuten nachdenken bei den Experten der Stadt, was man tun könnte beim Thema kinderfreundliches Gelsenkirchen. Tipp: Es geht ausnahmsweise nicht um neue Planstellen für betreutes Kindsein.
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.

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Pedder vonne Emscher
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Re: Der WAZ Stadtteil-Check

Beitrag von Pedder vonne Emscher »

Ich hasse Umfragen. Und erst recht nicht repräsentative. :evil:

Bei mir zuhause klingelt in gewissen Abständen das Telefon und es ist ein Meinungsforschungsinstitut in der Leitung. Die würge ich alle ab. Wenn sie zu aufdringlich sind, stelle ich die Frage, für wen sie meine Meinung einholen wollen. Das dürfen sie nicht sagen, kommt als stupide Antwort. Wenn ich nicht weiß, wen meine Meinung interessiert, der bekommt auch keine Antworten. Und schon hat sich der Anruf erledigt.

Meinungsumfragen sind was für kaputte Statistiken :lachtot:
Viele verlieren ihren Verstand deshalb nicht, weil sie keinen haben.
Arthur Schopenhauer

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Emscherbruch
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Re: Der WAZ Stadtteil-Check

Beitrag von Emscherbruch »

Dazu eine absolut repräsentative Meinungsumfrage mit genau einem Teilnehmer.

Pedder, auf einer Skala von 1 bis 6 (wobei 1 sehr gut und 6 ungenügend repräsentiert): Wie kinderfreundlich ist dein Stadtteil? Bitte antworte jetzt, dann lege ich sofort wieder auf.
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.

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Minchen
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Re: Der WAZ Stadtteil-Check

Beitrag von Minchen »

Preise abgeräumt im Bereich Kinderfreundlichkeit? Bist du sicher? War letztens nicht Gelsenkirchen im Kinder- und Familienranking nicht auf Platz 403 von 402 möglichen Plätzen gelandet?
Kassandra war doch eine furchtbare Populistin.

Das ist die Seuche unserer Zeit: Verrückte führen Blinde.
(Shakespeare, König Lear)

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Emscherbruch
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Re: Der WAZ Stadtteil-Check

Beitrag von Emscherbruch »

Minchen hat geschrieben:
05.09.2020, 08:14
Preise abgeräumt im Bereich Kinderfreundlichkeit? Bist du sicher? War letztens nicht Gelsenkirchen im Kinder- und Familienranking nicht auf Platz 403 von 402 möglichen Plätzen gelandet?
Nein. Gelsenkirchen ist Spitze. Seit Jahren.
Was Gelsenkirchen für Bildung, Frühförderung von Kindern und Unterstützung junger Familien auf die Beine stellt, gehört europaweit zum Besten, was Städte zu bieten haben.
https://www.gelsenkirchen.de/de/stadtpr ... dlich.aspx
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.

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