Fordern & Fördern? Wie lebt man mit Hartz IV?

[Verwaltung]

Am Rande des gestrigen Treffens der GGler tauchte die Frage auf, ob Hartz 4 Abhängige sich ein solches Treffen überhaupt leisten können - auch das billigste Getränk reisst ein schließlich ein Loch in den Haushalt.
Da es mehr als fraglich ist, ob Wirtschaft & Politik jemals wieder Rahmenbedingungen für stabile Beschäftigungsverhältnisse schaffen können, werden wohl auf Dauer viele Menschen von der Solidarität aller abhängig bleiben.

Lasst uns hier über die konkreten Lebensbedingungen der betroffenen Menschen reden.

[andrax51]

Da ich selbst davon betroffen bin, kann ich nur sagen, man fühlt sich wie Laterne ganz unten.
Von den Bewerbungen kommen dann Antworten wie (wenn überhaupt ) .........eigenlich haben wir mit einem jüngeren gerechnet, wir melden uns, leider schon besetzt.Solltest du es bis zum Vorstellungsgespräch geschafft haben, scheitert es an der Lohnverhandlung.
Es soll ja Firmen geben, die zahlen tatsächlich ÜBERDURSCHNITTLICH unter Tarif.
Aber von der grosszügigen Apanage die mir das Arbeitsamt zugesteht, kann ich meinen luxuriösen Lebensstandard nicht halten.
Habe auch mittlerweile mehrere Lehrgänge absolviert, dann 4 Wochen in einen Betrieb gesteckt und gleichzeitig gesagt bekommen das hier niemand übernommen wird.Das baut ungemein auf. Man kommt sich vor wie ein weisser Neger und dann wundern Die sich das die Schwarzarbeit blüht. Es gibt hier noch so vieles, was ich aufführen könnte, aber das würde zu weit führen.
Die jenigen die auch davon betroffen sind können ein Lied darüber singen, obwohl einem das auch schon vergangen ist. Kann nur sagen nicht aufgeben, es gibt immer noch was schlimmeres.

Mfg Artur

[hooligan]

Der eigentliche Skandal sind doch die Löhne, die für "ehrliche" Arbeit bezahlt werden.
Mitte 2006 mussten wir Hartz IV beantragen, nachdem wir aufgrund einer schweren Erkrankung unsere Selbständigkeit aufgeben mußten. Gleichzeitig bemühte ich mich um einen € 1 Job, aus dem ich mich dann zum Ende des Jahres für einen befristeten Arbeitsvertrag bei der Stadt Gelsenkirchen empfehlen konnte. Nach der ersten Lohnabrechnung bemerkte ich, daß ich nun mit einem sozialpflichten Arbeitsverhältnis knapp € 50 weniger hatte als mit Hartz IV plus Arbeitsgelegenheit, hätten wir aufgrund des Steuerfreibetrages für Schwerbehinderte nicht die Steuerersparnis gehabt wäre die Differenz noch höher gewesen.

[Heinz]

Gibt es spürbare Entsolidarisierung im Alltag? Ziehen sich Freunde zurück?
Oder sind die Zeiten vorbei, wo man sagte "selbst Schuld" und "die wollen nur nicht arbeiten"?

[hooligan]

[Ironie][/Ironie]Zeit genug um Freundschaften zu pflegen hat man ja.
Bei immer noch rund 17% Arbeitslosigkeit in Gelsenkirchen hat man mit Sicherheit immer jemanden, der auch betroffen ist im Verwandten- und Bekanntenkreis.
Das Wichtigste ist, daß man sich nicht aus Scham oder Lethargie versteckt und weiterhin, auch wenn es finanziell schwerfallen kann, am öffentlichen Leben teilnimmt.
Ich schränke mich lieber in gewissen Bereichen ein und belege einen VHS Kurs oder engagiere mich für die Gelsenkirchen Geschichten. Denn wie gesagt, Zeit genug hat man.
Übrigens könnte man sich zu Weihnachten auch mal eine Theaterkarte oder Zeitungsabo schenken lassen.

[blaumann]

Ein Zeitungsabo kann man zumindest für zwei Wochen meist umsonst bekommen, FR oder SZ zum Beispiel. Entweder über deren Website oder google. Zu Weihnachten wünsch ich mir eher Schuhe

[Heinz]

Vor ungefähr 15 Jahren, als ich in der Luitpoldstraße wohnte, bekam ich verdeckte Ausgrenzung mit.
Im Haus wohnten einge weniger verdienende und auch Sozialhilfeempfänger in der dritten Generation, drum herum viele türkische Leute.
Ich hatte einen Kühlschrank bei Quelle bestellt. Der Liefertermin war angekündigt, der Kühlschrank kam aber nicht.
Telefonische Nachfragen führten dazu, dass ich plötzlich aus der Leitung flog und danach den Kundendienst nicht mehr erreichen konnte.
Nach längerem Hin und Her, mit Fax, Briefpost etc. bekam ich irgendwann mit mehrwöchiger Verspätung dann doch den Kühlschrank geliefert.
Viel später hörte ich über die Listen, auf die Häuser oder Straßenzüge gesetzt werden, wo es zu Betrügereien oder Zahlungproblemen gekommen ist.
Ich hatte offensichtlich das Pech, am falschen Ort zu wohnen.

[AnnA]

Im Fernsehen habe ich mal einen Bericht darüber gesehen. Offensichtlich bedienen sich Banken auch dieser Listen. Geradezu abscheulich!

[Gast]

Job-Angebote auf Schalke

Der FC Schalke 04 gehört mittlerweile mit seinen Tochtergesellschaften zu den bedeutendsten Arbeitgebern Gelsenkirchens. Für verschiedene Bereiche werden permanent engagierte Mitarbeiter zur festen und befristeten Anstellung oder freien Mitarbeit gesucht.

Die momentan verfügbaren Stellen finden Sie ab sofort in dieser Rubrik.

http://www.schalke04.de/abteilungen0.html

[Pedro Cigar]

Das Bild hat mir mal ein Kumpel geschickt - aber solche Angebote sind nicht immer ok!!!

[Heinz O.]

[Ironie]finde da aber keine Stellenausschreibung für den Cheftrainerposten[/Ironie]

[WhiteMamba]

Wo sind denn bitte da Jobs ausgeschrieben?? Praktikanten, sind billige Arbeitskräfte!!!
Das hilft mir auch nicht weiter!!!

Genauso wie in einer bekannten Hausgeräte Fabrik in Feldmark. Praktikanten gerne, aber ansonsten einstellungsstop. Eher noch Entlassungen, weil es ja nur in Deutschland nicht gut läuft!
Hab da als Praktikant gearbeitet, sechs Wochen lang, aber Anstellung??? Im Leben nicht. Sie wissen ja noch nicht mal, wie lange sie die Übernommenen aus der Lehre halten können!

Das zieht sich in allen Branchen wie ein roter Faden durch:
Praktikanten= gerne
Ehrenamt = Gerne
1 € Job für ein Jahr = Gerne

Danach übernommen werden in ein festes Verhältnis = Nein danke zu teuer

[WhiteMamba]

Heute beim MSN- Nachrichtenticker gefunden:

Berlin (dpa) - Jeder vierte Bundesbürger ist von Armut betroffen oder muss durch staatliche Leistungen vor ihr bewahrt werden. Dies geht aus dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor, den Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) an diesem Montag in Berlin vorgelegen will.

Insgesamt hat sich die soziale Kluft in Deutschland vertieft. «Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet», sagte Scholz der «Bild am Sonntag». Scharfe Kritik an der Regierung kam von der FDP, der Linken und vom DGB.

Aus den Angaben von Scholz geht hervor, dass 13 Prozent der Bundesbürger als arm gelten, weitere 13 Prozent der Gesamtbevölkerung würden durch Sozialtransfers wie Kindergeld oder Arbeitslosengeld II vor dem Abrutschen in Armut bewahrt. Daran zeigt sich nach Einschätzung des Ministers auch die positive Wirkung des Sozialstaats.

«Die Einkünfte der Reichen sind gewachsen, dagegen sinken die Einkommen im unteren Bereich leicht, im mittleren stagnieren sie», sagte er. Zu den Reichen zählt, wer als Alleinlebender im Monat netto mehr als 3418 Euro zur Verfügung hat oder als Familie mit zwei Kindern mehr als 7178 Euro. «Arm ist, so definiert es die EU, wer als Alleinlebender weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, also 781 Euro netto.»

«Besonders bedrückend» nannte Scholz, dass die Zahl derjenigen gewachsen sei, die arbeiten und sich trotzdem im Armutsrisikobereich befinden. «Das zeigt: Wir haben zu niedrige Löhne in Deutschland und wir brauchen Mindestlöhne.» Die Lage für Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende sowie deren Kinder sei besonders schlimm. Das Armutsrisiko sinke aber auf nur noch vier Prozent der Haushalte mit Kindern, falls die Eltern Arbeit hätten.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel warf Scholz vor, er beklage die Auswirkungen einer Politik, «die er und seine SPD zu verantworten haben». Seit Regierungsantritt der SPD 1998 sei die Mittelschicht um über fünf Millionen Menschen geschrumpft. «Seriöse Armutsbekämpfung beginnt mit einer deutlichen Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen in Deutschland», sagte Niebel.

Auch für den Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, sind die Zahlen «Ergebnis der Regierungspolitik von Rot-Grün bis Schwarz-Rot». Dem Druck auf Hartz-IV-Empfänger, Löhne und Renten stünden «Steuererleichterungen für Vermögende und Konzerne, maßlose Managergehälter (...) und Privatisierungswahn» gegenüber. Diese Entwicklung habe die Politik nicht nur zugelassen, sondern befördert. In zehn Jahren SPD-Regierungszeit habe sich die Zahl der Vermögensmillionäre auf 800 000 verdoppelt.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte, die Zunahme der Armut in einem reichen Land wie Deutschland sei «erschütternd». Der DGB erwarte nun praktische Konsequenzen. «Es darf nicht passieren, dass man diese bitteren Fakten einfach nur zur Kenntnis nimmt und dann wieder zur Tagesordnung übergeht.» Die Ursachen für die traurige Entwicklung sieht Buntenbach vor allem in der Hartz-IV-Reform sowie in der unzureichenden Entwicklung der Löhne.

[Chronistin66]

Das zieht sich in allen Branchen wie ein roter Faden durch:
Praktikanten= gerne
Ehrenamt = Gerne
1 € Job für ein Jahr = Gerne

Ich habe mal freiberuflich in einer Institution gearbeitet und 1-Euro-Jobber vermittelt und betreut und mit ihnen Bewerbungstrainings gemacht.
Was ich da erlebt habe...da könnte ich ein Buch drüber schreiben.
"Hartz four and more", würde es heißen.

Ich muss ganz ehrlich sagen. Von dem ca. 100 Personen, die über meinen Schreibtisch gewandert sind, waren vielleicht....15....wenn nicht noch weniger "arbeitswillig". Der Rest war...mmmmh....wie soll ich mich ausdrücken, ohne diskriminierend zu klingen...der Rest war eben "nicht arbeitswillig" oder "nicht arbeitsfähig".

Es gibt keine Jobs mehr, wo Menschen mit einem Besen in eine Halle gestellt werden, die gefegt werden muss. Es gibt aber Menschen, die sind aufgrund ihrer Intelligenz zu nichts weiter fähig. Das ist nun mal so.
Früher konnten die wenigstens noch eine Halle fegen oder Schrauben sortieren. Heute gibt es solche Jobs leider nicht mehr.

Ein Teilnehmer war dabei, der im Garten eines Altenheimes dem Hausmeister zur Hand gehen sollte. Dem konnte man sagen: "Grab ein Loch!", dann fing der an zu graben und wenn man nicht sagte: "Kannst aufhören zu graben!", dann hätte er sich bis Australien durch gearbeitet.

Dann gab es Leute, die waren nicht dumm, sondern einfach zu faul und machten auch kein Geheimnis daraus.
Glaubt mir, ich bin wirklich sehr sozial eingestellt, aber manchmal ging mir die Hutschnur hoch. Einem Lehrer haben sie KO-Tropfen in das Mineralwasser gemischt und eine Sozialarbeiterin wurde mit dem Messer bedroht, wenn sie nicht zusähe, dass besagter Mensch aus der Maßnahme rauskommt.

Und manche waren dabei, die hatten keine Chance, auch wenn sie gewollt hätten. Eine Lücke im Lebenslauf von 10 Jahren macht sich nun mal nicht so gut in einer Bewerbung.
„Was haben sie denn in der Zeit gemacht?“, fragte die naive Doro.
„Nix!“
„Wie nix?“
„Ja. Nix. Nur gesessen!“

„Ach so! Okay. Wir schreiben um die Lücke zu füllen 'Langzeitmaßnahme in Kiel'! Okay?“

Wie gesagt. Ich könnte Bücher schreiben und die Zeit hat mich echt fertig gemacht, aber ich habe auch eine Menge über Menschen in unserer Gesellschaft gelernt, mit denen ich nicht so ohne Weiteres in Kontakt getreten wäre.

Doro

[WhiteMamba]

Ja leider gibt es das auch mehr als genug!