Die neue Kolonie

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gutenberg
† 26.10.2015
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Exposé 122

Beitrag von gutenberg »

Frühling lässt sein blaues Band...

Eigentlich war es ein ganz normaler Markttag, da in Scholven, an der Grenze zwischen Alter und Neuer Kolonie.
Und doch war er ganz anders. Anders deswegen, weil die Menschen an jenem Tag anders waren. Eigentlich war
es der erste Markt im Frühling. Obwohl es noch sehr früh im Jahr war. Kein Bauer spannte irgendwielche Rösser
an, aber an den Waldrändern und am Ufern des Pawicker Baches standen die Weidenkätzchen in
voller Blüte. Sie waren jedenfalls in dem Zustand, den gemeinhin „Die Blüte“ nennt und sie waren umschwirrt von
wilden Bienen, und die müssten es ja wissen.

Die Primeln blühten schon seit dem Heiligen Abend in den Gärten, die Schneeglöckchen waren schon wieder
vergessen und abgelöst worden von den Krokussen. Aber zwei Sachen waren es, die den nahen Frühling und das
Ende des Winters, der heuer ein grau angestrichener Sommer war, ankündigten: Am Mühlenbach in Feldhausen
blühten die Buschwindröschen und an den Rändern der Bio-Äcker regte sich das Wiesenschaumkraut.

Was will man mehr?

Amsel, Drossel und Buchfinken waren sowieso zu Hause geblieben und die Stare würden sich für ihre Notdurft wieder
zielgerecht auf
Polizeihauptmeister Knallmanns Dienstfahrzeuge, sei es Fahrrad, Steifenwagen oder der nagelneue blausilberne
BMW-Roller mit Dach treffen. Und wie jedes Jahr wird er ihnen zurufen: „Warum bin immer ich der Besch.....ssene?“

Die Leute, vor allem die Kinder und die Älteren atmeten auf. Die Kinder nicht etwa, weil sie jetzt bald wieder
draußen hertumtollen konnten. Rollschuh fahren oder einfach auf der alten Wiese hinterm Haus loszupölen, wie
einst eine andere Generation Fußballschlachten Mentzel- gegen Schwedenstraße im „Beamtenbusch“ hinten a
m „Pölplatz bei den Riesenbuchen“ austrug, sondern weil es schön im Nacken kitzelte, wenn die Sonne durch das
Fenster schien, während man
seine tägliche Handy-Smartphon-i-Pod-Stunden abhielt.

Was sollten sie auch machen? Zum Fußballspielenwaren sie zu wenige, weil mehr als ein Kind pro Ehe die „Lebensplanung“
der Eltern durcheinander gebracht hätte. Und wenn das über Generationen hinweg praktiziert wird, und dazu
noch die selbsternannte „Intelligenzschicht“, die „Intellektuellen“ gar ganz auf Kinder verzichteten, dann hatte
ein Volk erreicht, dass in den Industriestädten zumindest ein Lärm gebannt wurde, der Kinderlärm, der ja eigentlich
Zukunftsmusik sein soll. Und dann, erst schleichend, dann gallopierend,ebbt auch der Produktionslärm ab. Weil
es keine Kunden mehr gibt, die Waren zu kaufen, die in den Fabrikhallen gefertigt wurden.

Die Alten waren froh, wieder einen Winter geschafft zu haben. Im Frühling steigen die Säfte wieder, nicht nur in den
Bäumen, auch der Mensch, egal welchen Alters, spürt diese leise „Sprudeln“ in sich. Diese Leichtigkeit nach der
Last der dunklen Monate. Und, man hört die Vögel wieder zwitschern, je nach Lage wecken sie den Schläfer, aber es
kommt ihm nicht in den Sinn, das Fenster aufzureißen und „Ruhe da draußen“ zu schreien. Nein, wenn er die Federschar
hört, wird ihm klar, dass er ja auch ein Teil der Natur und der Schöpfung ist.

Genau wie diese.


Bild

Wenn man sich auf dem Scholvener Markt lange genug die Sonne auf den Rücken scheinen ließ spürte man schon
ihre Wärme und das Wissen, dass es wohl nasser und windiger, aber nicht mehr kälter wird, stimmte die Menschen
heiter. Und so hörte man vielerorts ein fröhliches

„Guten Morgen, Frau Hompstädt, na, schönes Wetter wie?“

„Ach die Frau Prestowsky, ja, kann man wohl sagen!“

Nur an einem Stand, den wir alle kennen, hörte man etwas andere Laute.

Gemeint ist natürlich Jodokus Ter Uhlens Obst und Gemüsestand. Bestückt mit den zwei Damen Maria Machrowichkeit
und Erna Spichalla, sozusagen Markt-Fachverkäuferinnen aus Leidenschaft.

Man hörte Erna, die etwas lautere von beiden auf einen etwa vierzigjährigen Mantelträger einreden. Nun sollte man
wissen, dass im Ruhrgebiet (und nicht nur hier, aber hier besonders) ein Mantelträger suspekt ist.

Für einen Herrenmantel, Ausgabe Winter, zahlt man Preise, für die man fünf Aldidas-Anoraks bekommt, dazu kommt
noch, dass man zum Mantel einen Schal trägt und der sieht dann nicht nach Tschibolo oder Brenninkmeyerlein aus,
sondern nach Herrenausstatter Seldingensbach in Düsseldorf. Früher kam noch eine Bruyere-Pfeife dazu,
doch das Übel hat man politisch überwunden. Aber rotbraune italienische Hochglanzschuhe durften nicht fehlen. Und
allein schon die waren teurer als die angesagtesten Turnschuhe.

„Wollen sie mich auf den Arm nehmen, junger Mann?“ Erna begann, ihre Stimmvolumen zu erhöhen, „was soll die
Frage, ob diese Ananas aus Tönsholt, Stadt Feldhausen? Es gibt keine ,Stadt’ Feldhausen. Also gibt es auch keine
Ananas aus Tönsholt, Stadt Feldhausen. Feldhausen gehört zu Kirchhellen. Und die Stadt Bottrop versucht noch
länger als die Bundesrepublik die Vereinigung mit der DDR versucht, sich Kirchhellen unter den Nagel zu reißen.
Die Ananas ist mehr eine Süßigkeit als ein Obst. Der Jodokus Terr Uhlen ist ein fleißiger Bauer und hervorragender
Fachmann, aber Ananas gezüchtet in Tönsholt hat er noch nicht.“

Maria warte darauf, dass ihre Freundin und Kollegin in das schlimmste Scholvisch verfiel, dessen sie fähig war,
und so geschah es auch.

„Pamma auf, Junger Mann, Ananas iss dat Mittel überhaupt, um übber den Winter zu kommen, und glaup
ma jaanich, nur weil den Lorenz sich ma schüchtern zeicht, wär datt allet schon ausgestanden. Nee,
isdatt nolange nich. Grade son Breiten wie sie, muss gezz im Übergang aufe Witamine achten sonst steht
ne laufenden Nase und ein furchtbaren Husten int Haus. Ich will ja kein hier Angst machen. N’paa seh ich schon hier,
die haam manchmaa son Schüttelfrost.

Also Leute, nehmt Ananas zu euch. Abschäl’n dat gute Dink, die Mittelsäule, die iss zum Kauen zu feste, also musse
raus. Abba vorsichtich bei’n Schneiden, datt hier kein’ ankommt und will dat Flaster bezahlt haam, womitteer vergeblich
versucht, seine Blutunk zu stillen. Unt wer datt nich glaubt, wattie die Maaktolsche hier erzählt, den sei gesaacht,
datt sonne Ananas mehr Witamin Zeh hat, alz sonne Zitrone. Dazu noch die Witamine A bis J und V und W!“

„Datt gippt do kein Witamin Jott!“, rief eine ahnungslose Stimme, ahnungslos, weil sie wohl nicht wusste, mit wem
sich ihre Inhaberin da einließ, „von Vau unt Weh ma ganz zu schweigen!“

„Watt?“ schaltete sich Mia Machrowichkeit ein, die gerade Äpfel aus der Waagenschale in eine große Papiertüte schüttete.
„Die solldatt nich geben? Wissense watt, junge Frau, wenn man in ein bestimmtet Alter zu wenig Witamin J, V und W
abbekommt, wissense, watt dann passiert, dann kann datt nemmich vorkommen, dattse aufen Wochenmaakt die
Fachleute anzweifeln und datt noch öffentlich! Witamin Jott kennt man auch als Jochurtiose, weil se in Spuren auch in
Ananas-Joghurt vorkommt. Datt Wittamin verhindert zum Beispiel bei Diäten den JoJo-Effekt.

Oder Wittamin V, Viloskosin genannt, kommt neben in Ananas sonnz nur in Veilchen vor. Wollense vielleicht Veilchen
essen? Oder Wittamin Weh, datt kennse doch sicher auße Schule noch, außen Bio-Unterricht,
wissenschaftlich Wabbalin genannt. Iss’n seltnet Wittamin, zugegeben, gibtet einklich nur inne Ananas. Mangelerscheinung
ist zum Beispiel der Wabbelbauch. Woher hatteer wohl sein Naam?“

Die so zurechtgewiesene Jung Frau war humorvoll genug, sich gleich prächtige Ananas einpacken zu lassen, worauf
hin sie der Mantelträger mit Dreien zu übertrumpfen suchte.

„Müssense inne Alufolie wickeln und ganz unten im Kühlschrank legen, dann bleibte sie frisch. Nachen Abschälen
natürlich. Kann man auch ne leckere Torte raus machen.“

Und der Mantelträger beeilte sich, die Frau mit dem Vitamin J, V und W-Mangel einzuholen.
Sie merkte es und blieb
stehen und schaute dem Mantelträger in die Augen.

„Was soll denn das jetzt werden? Wollen sie herausbekommen, wo ich wohne?“

Erwartungsgemäß lief der Angesprochene in der Farbe von Rote-Bete-Saft an, was ihn der jungen Frau nicht
unsympathisch machte.

„Nein, das heißt ja, anfangs schon.“

Er war wohl etwas schüchtern aber ehrlich und das gefiel der jungen Frau immer besser.

„Dann wurde mir klar, dass wir hier ja in einer Schlafvorstadt wohnen und da...“

„Was und da? Und was heißt Schlafvorstadt? Das war Scholven vielleicht mal, aber ist es jetz bestimmt nicht mehr.“

„Und da ist mir klar geworden“, ließ er sich nicht beirren, „dass schöne Frauen hier schon verheiratet sind oder
das bald sein werden. Bestenfalls sind sie geschieden und haben mit Partnerschaft nichts mehr am Hut.“

Sie lachte hell auf, und eine blonde Locke wurde von einem Sonnenstrahl in den Flügelschlag einer Elfe verwandelt.
Den Arm auf ihrer über ihrem Rücken spürte sie kaum.

Das war das letzte, was Erna von den Zweien sah.

„Sie denkt jetzt, sie hätte ihn gefangen, dabei ist sie nur auf den ältesten Trick der Menschheit hereingefallen“,
sagte Erna zu ihrer Kollegin.

„Nee, nee,“ meinte Mia, „sie war nur in der Stimmung, auf den Trick hereinzufallen.“

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gutenberg
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35

Beitrag von gutenberg »

Als ich meine Heimat verlassen musste, weil Mutter Ruhr keine Arbeit mehr für mich hatte
(etwas „Abenteuerlust“ war auch dabei), landete ich im tiefsten Rheinland. So tief, dass man dort schon allemannisch sprach.
In meinem neuen Offizin traf ich einen Landsmann, der exakt von der Nahtstelle zwischen Scholven und Bergmannsglück
stammte. Obwohl damals eine Handsetzerei ebenso wie die Mettage „ein Hort der Stille war,“ war der Kollege ein großer
Quassler vor unserem Herrn.
Und weil er mir den Namen „Gutenberg“ verpasste, werde ich in seinem Sprachstil die Welt, die Zeiten und des Menschen
Eigenarten erklären. Natürlich in loser Reihenfolge und im SCHOLVENER HERALD und in dem Dialekt, wie man ihn weiland im
Grenzland Scholven/Bergmannsglück sprach...

Salvatorische Regel und Erklärung:
Ab 1954 erzählte in der WAZ aus Essen der Bergmann Anton, womit ihn sein Arbeitskollege Cerwinski so in der Schicht nervte.
Ausgedacht hatte sich diese sehr einseitigen Gespräche der Sportredakteur Wilhelm Herbert Koch. Alle Drei, Cerwinski, sein
Kumpel Anton und auch der Sportredakteur Koch wurden im Verteilungsgebiet der WAZ unsterblich.
Die Gespräche zwischen Arbeitskollegen „Weekly Bachulke“ wollen das Werk Kochs nicht plagiieren, um Himmels Willen!
Sie wollen auch niemandes Urheberrecht schmälern. Sie verstehen sich als Verbeugung sowohl vor dem Autor als auch vor
der WAZ-Redaktion, die sich gegenseitig über 1400 Ausgaben die Treue hielten.
Alles klar?


Weekly Bachulke


Unterwelt


„Hömma,“ sagte Bachulke zu mir, „hömma, Gutenberch, hasse einklich Mitleid?“
Ich wusste natürlich, was jetzt
kommen musste, aber trotzdem fragte ich ihn:
„Warum und womit“?

„Ja komm, is klaa, du als Bremer kannz au gakein Mitleid mitti Bayern haam. Gezz, wo die ihrn Präsi verlorn haam.“

„Das nennst du, verloren? Der Mann hat sich selbst aus dem Amt gekickt, als der ,GröSteuhinaz’.“

„Als watt?“

„Als ,GröSteuhinaz’, größter Steuerhinterzieher aller Zeiten. Warum sollte ich da Mitleid haben. Schau mal. du und ich, wir können
keine Steuern hinterziehen. bei uns sitzt der Steuereinteiber gleich mit im Lohnbüro. Und wenn du meinst, die da müssen ihre
Steuern selbst festlegen, irrst du dich. Die müssen lückenfrei ihre Einkünfte und ihr Vermögen bloßlegen und dann kommt
der Steuereintreiber. Allerdings sagt das Sprichwort, das Gelegenheit Diebe macht, nicht wahr.“

Diesen Gesichtsausdruck meines Freundes und Kollegen kannte ich. Gleich würde er lauter werden und die Kollegen in den
anderen Setzgassen würden dann sehr höflich um Ruhe hüsteln.

„Diebe meinst du?“, legte er prompt los, „Diebe? Gestern hat bei uns anne Ecke im Meier-Maakt ein jungen Kerl ne
Pulle Schabau unter sein Annorack geschoben. Dat waa’n Dieb. Odder der, der unsern Michel dat Farratt geklaut hat, datt waa
auch’n Dieb. Abber wat der Wurstfabrikant da gemacht hat, datt waa kein Diebstahl. Dat waa - datt wa Geltklauerei im
allerhöchsten Maßstaab, in Zusammenaabeit mit Volksveraaschunk und Amtsanmaaßung waa dat.
Kumma, seit den Zäsaa müssen alle Leute den Staat odder den Fürst odder den, der die Macht hat, datt zu verlang’n, ein Teil
von ihr Geld abgeben. Wennze datt nich pünklich in Baa odder in Naturalien gemacht hass, dann hat der Büttel von den Machtbesitzer
dir irreparabele Schäden beigebracht.

Unt den bieten se dreieinhalb Jahre an? Mit gute Führung wärn datt Anderthalb und wegen keine Fluchtgefaah geht der spätstenz
Weihnachten widder auf Freigang.“

„Wenn das im Rahmen des Gesetzes ist, was spricht dagegen?“

„Dann brinkt der den Bayernverein widder auf Vordermann, dattse den Sepp Gaddjola alle strenk gehorchen und auch von den
Sammer seine Weisheit viel lern’n müssen. Unt datt machen die dann auch, untann geht datt wieder so los in die Liga wie gezz.

Vielleicht hatter noch inne Nachttischschuplade so’n paa hundert Milliönken legen, dierer ganz vergess’n hat zu melden untie
Bayern rüsten nommeer auf. Odder lassen son Schweinsteiger odder Laam klonen, für magere Zeiten.

Unt watt wirt dann aus meine Blauweißen?“

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gutenberg
† 26.10.2015
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Exposé 123

Beitrag von gutenberg »

You have to work!

Wer die Geschichten um die Neue Kolonie Scholven von Anfang an mitverfolgt hat, der weiß natürlich,
dass das Herz des ganzen die neue Steinkohlenzeche St. Barbara war und wohl auch ist. Hier arbeiten
mehr Menschen, als auf den Schwesterunternehmen „Scholvenkoks“ und „Grünes Kraftwerk Scholven“
der KMC zusammen.

Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Alma in Gelsenkirchens Altstadt entstand das Werk „Zusammenfassung
Gelsenstahl“. „Zusammenfassung“ deshalb, weil das gigantische Werk jegliche Stahlsorten liefern würde
liefern können und es wurde gegründet, als der Stahlverbrauch weltweit rückgängig war. Aber es würde
konkurrenzlos den billigsten und den konkurrenzlos qualitativ hochwertigsten Stahl weltweit liefern, Und
dem KMC-Konzern neue Absatzfelder erschließen. Das um so eher, als sich die amerikanische
Industrie auf Waffen und Raumfahrt zurückzog, die Schrauben aus China, die Autos aus Korea, die
Maschinen aus Deutschland und die Computer aus Japan bezog und das Land zu einem Agrarstaat
zu machen, der aber wegen seiner Genmanipolirerei weltweit Absatz-Schwierigkeiten hatte.

Nun neigte die Hibernia und wohl auch die RAG dazu mit dem Material nich besnders sparsam
umzugehen. Walther Knoplock, als Walter Knoblauch einst in Scholven geboren, legte schon in seinem ersten
Unternehmen, einer Firma zum Sammeln und Zubereiten von Schrott auf den Schalchtfeldern
Europas, allergrößten Wert auf Reparatur oder, wie er es nannte „cannibalisation“ von alten oder defekten
Maschinen, die nicht mehr zu reparieren waren. Der Konzern sparte dadurch Milliarden von Dollars und Euros.

Auf der Zeche Barbara in Scholven richtete man zu diesem Zweck eine gut ausgerüstete Werkstatt ein.
Weil die Amerikaner viel „nostalgischer“ sind als die deutsche Belegschaft, nannten sie die Werkstatt
„GAW“ Gruben-Ausbau-Werkstatt. Und komischerweise hieß sie bei den Deutschen nur „der Shop“

Suchten die Grubenschlosser nach Ersatzteilen oder ersatzfähigen Teilen, ging man zum „Schopp“. brachte
man neue Superscharniere für den heimischen Karnickelstall: für ein paar Cent konnte man sie im „Schopp“
erwerben. Knoplock kannte seine Pappenheimer. „Die würden das sowiesp mitnehmen. An den schwarzen
Brettern steht ja auch ,Unsere KMC’.“
Für neue Leser: KMC ist das Kürzel für „Knoplock-Mining-Company“.

Hauptsächlich arbeiteteten in der GAW das „Philosophische Trio“ und ihr Vorarbeiter, Mr. Jack Freiligkeit,
der erst in Germany erfuhr, dass er einen ostpreußischen Namen trug und demnach von Deutschen
Einwanderern abstammte, Antonius van Straaten und Franz-Josef Himpelmeier und ihrem Kollegen Sebastian
Krooskowski. Trotz der schon legendären Anweisung Mr. Freiligkeits, der, immer wenn er die Werkstatt betrat,
sich die Leute unterhalten sah und hörte, eigentlich nur hörte, denn sie quasselten beim Arbeiten,
„You have to work, but you have not to philosophise”, waren die Drei als das oben erwähnte “Philosophische Trio”
bekannt.

Wir wären nicht im Ruhrgebiet, wenn die drei mit ihren korrekten Namen angeredet worden wären, aus
Antonius van Straaten, der aus einem kleinen Dorf bei Venlo gebürtig war und Franz-Josef Himpelmeier,
der wohl aus Bayern kam, wurde natürlich Antek und Frantek und aus Sebastian Krooskowski
wurde ebenso natürlich „der Kroos“, wie der berühmte Fußballer.

Antek und Frantek und der Kroos nahmen am Montagmorgen eine realtiv komplizierte Maschine auseinander,
die guten Teile kamen auf’s Lager, der Rest wanderte zum Schrott.

Bild

„Datt is ja woll ein unmöglisch Dink“, eröffnete Antek den Reigen.

Worauf Frantek prompt losließ: „Watt gezz? Datt datt Dink hier so fest sitzt wie, wie son...“

Aber ehe er aussprechen konnte kam die Zensur dazwischen, nicht die der Verwaltung der GGs, sondern
die im Kopfe des Chronisten.

„Na, datt mit den ganzen Krim-Ärger. Gezz hamsese abstimmen lassen, ab sie die doppelte Rente kriegen
wollen, vernünftig beheizte Wohnungen Kleidung die Fülle und mehr für die Zukunft der Blagen...“

„Ach, erzähl nix!“, meldete sich der Kroos, „warst’n dabei?“

„Nee, aber alle Korrespondenten wer’n ja woll nich lügen. Untatt wurde die Russen aufe Krim erzählt. Wie
unheimlich gut die datt alle gink, wenn die für Russland stimmen täten. Auch ’ne Demokratie...“

„Gut, datt datt unsern Vaader nich mehr lebt. Wenn der dat Wort Krim hört, finker am Zittern an.“

„Warum dattenn?“

„Aufe Krim sindze angekomm’, dreckt von Afrika inne Sch...e rein, mitte sechste Armee. Abber der
Alte hatte ja noch Glück. Der Kessel waa schon zu, als er son relativ haamlosen Schuss den Aam länkz
hoch, wa woll son Schaafschützenweib. Gedenfallz wurter noch ausgeflogen. Zur Ausheilunk. Von wegen
nach Hause, nache Krim. Die Nazis haam dammalz schon nich gerne die Kreiger nach Hause gelassen,
dattse nich erzählen konnten, datter Kriech schon beie Frauen unte Kinder angemommen waa.

Und aufe Krim hatte sich dann die Malaria geholt. Weiß der Deibel, dadran isser letztendlich auch gestorben
zu Hause.“

„Abber erst, nachdem er son Laumalocher wie dich gezeugt hat.“

„Kerlinne Kiste,“ rief der Kroos, „unsern Antek hatt ma recht!“

„Abber um auf die Demokratie zurückzukommen. Ich versteh datt. Erst kommdatt Fressen und dann die
Moral, sacht man. Abber Antek, würtst du als Holländer denn für Deutschland stimmen, wenn in Holland
sonne Abstimmung wär. Bedenk ma, datt ihr bis 1648 noch zu uns gehört habt.“

„Erstens haam wir nie zu Deutschland gehört, sondern die Westfalen und Friesen auf beide Seiten von die
Ems-Moore waren heilige Römer in datt Reich, und zweitenz binnich kein Holländer, sondern Niederländer
und drittens würde ich nie für watt anderet stimmen als für meine Heimat. Et sei denn, meine Frau
und meine Kinder hätten nix zu Fressen.“

„Die Frage ist aber doch, wie der Pjutin datt durchgemanagt hat. Der spielt doch mitteen Weltbrand.
Datt is doch kalten Krieg, watteer da macht. Wisster watt? datt is’n Psychopaat, son Durchgeknallten
wie der Hitler. Abber der iss auch’n Fachmann für Geheimdienst und wie man dat eigene Volk knüppelt. Und
gezz hatter genuch Macht, datt ihn kein’ mehr anne Karre schiffen kann. Dat ganze Unterfangen mit
Sottschi, datt war der Probelauf...“

Frantek schaute aus seinem Maschinensziertisch hoch und die lachenden Kollegen an.

„Watt lacht ihr Blödmänner denn gezz? Denk dommaa an den Adolf 1936 und die Berliner Olympiade. Schönet,
bravet Kind mimen, für die internationale Presse. Abber datt datt schon zu spät waa für dat Volk sich zu wehren,
datt hat meinen gemerkt. Auch dat Volk nich. Datt schon gaa nich. Ich bin ma mitteen Stefan, mein’ Sohn
in Moskau gewesen als sich die Sowjetunion selber abgewickelt hatte und der Oberschnäpser Jelzin n bisken
Ruhe inn internationalen Beziehungen gebracht hatte. Ich sach euch: soviel Hakenkreuze wie da happ ich no nie
auf ein Haufen gesehen. An Lackspray für jedermann hattatt dammals in Russland nich gefehl.“

„Willze damitt sagen,“ wollte Antek wissen, „datti letzten roten Zaren, wie nannten die sich noch? Generalsekretäre
von das Zentralkomitee von den obersten Sowjet von den Elferrat, odder so, dattie aufe Weltrevolution schaaf
waan, unter Putin nur noch die Weltherrschaft anstrebt?“

„Muss ja nich unbedingt fürn Anfank die Weltherrschaft sein, da sin die Machtbereichserweiterunk
noch ein paa Stolpersteine gesetzt. Berlin-Kreuzberch, datt Kamener Kreuz, oder in Nju-Jork die Bronx,
datt will allet erst erobert sein.“

„Ich versteh gezz,“ fügte Antek bei, „erssma kommen die da oben in der Baltiske See, Lettland und
die andern.“

„Genauso planteer datt.“

„Weiße, datt die ganze Driete erss anfink, als sich der Weltmeister, der gaa kein Unkrainisch sprechen soll,
auf eimaa als Patriot entpuppte, als datt Volk den gewählten Präsi wegen Korruption loswerden
wollte und auf den Platz da ging, den Maidan ging. Den Präsi wolltense an den Kragen auch, weil er die blonde
Maus da eingeknastet hatte, die mitteen Zopp um den Kopp. abber die waa ja von dat gleiche Volk zum
Deibel gejacht worn, auch wegen Korruption. Und kaum dattse draußen waa, schwingt schon großen
Reden, wie „Wir weichen nich“

„Jau, sagte Antek, alias Toni der Holländer, „ ,Op ewich ungedeelt’ man glaubste, ich kann diese Armleuchter
nich mehr höhren mit ihre staaken Parolen. Ander Leute seine Kinder ihr Blut kann ich ganz easy opfern,
aber wehe, datt geht mich an’n Kragen.“

„Abber wer hattse denn den Floh indatt Ohr gesetzt, von wegen Anschluss an den Westen? Eu mistenz
oder soggaa Nato. Noch beie Wiedervereinigunk ham wir den Gorbatschow inne Faust geschworn,
dattie Nato no nimma inne ehemalige TäteräTä reinkommt. Untann geh da sonn geföhnten Außenminister
mitte Betonung auf ,mini’ hin bei die Ukrainer und erzählt denen ein vom Westen. Hatt der nich gewusst,
datt datt Sorgenkind vonne Mutti, nämmich Griechenland, ein Hort der Stabilität und Solidität iss
gemesen anne Ukraine?“

„Da wirtatt sein Ursprunk haben, stellt euch datt ma vor, die Nato geht bis anne Grenze von Kasachstan, da
fänkt Asien an. Da liegen den Pjutin seine Ölreserven unt ta kommt datt Gas von den Schöder untie
Schalker her. Ma ganz ehrlich, da wär’ ich auch angesäuert. Dagegen waan den Krutschoffs Raketen auf
Kuba praktisch nix. Da bräuchten die Amis bloß rüberzumaaschiern unt dann ...“

„Watt is, Kroos, hasse wat verschluckt.“

„Mir wird gerade klar, wie dünn doch son Begriff ist wie Sicherheit und Zukunft ist. Und dass mir die
Weltherrschaft vonne Amis genauso ein Greuel wär, wie datt von den Pjutin. Und, dattet eine Weltherrschaft
der Vernuft wohl nie geben wird.“

Auf einmal war die gute, immer leicht heitere Stimmung im Schopp verschwunden.

„Und ich freu mich noch, dattie die Wehrpflicht abgeschafft haben. Waa vielleicht doch nich sone schlechte
Idee. Wie der Igel, der auch kein’ von sich aus angreift, abber auch nich angegriffen wird wegen die Stacheln.“

„Nee, Kollegen, soweit wirtett nie mehr kommen, gedenfalls hier nich. un wisster auch warum?“

Frantek schaute kurz von der Arbeit auf und in die Runde.

„Weil wir für die, so wie wir sind, mehr wert sind als ein Trümmerhaufen mehr inne Welt. Als Martkt, als
Partner, als Entwickler. Auch hinter den Pjutin steckt datt große Geld. Auch wenner ein’ von die fürn paa
Jahre eingebuchtet
hat. Man kann nich auf ehrliche Aat in son paa Jahre zum Multimilliardär werden, also hält sich mein Mitleid
da sehr in Grenzen. Datt schafft nichmaa der Höness."

Der Kroos schüttelte den Kopf. „Die Wehrpflicht wieder einführn für die Krim. Wenn datt Vaadern wüsste.
Ich denk, wir sind nicht mehr alleine inne EU unt inne Nato. Also, lassen wir die Kirche im Dorf.“

Nach der Mittagspause wurde im Schopp wieder geblödelt wie gehabt.

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Exposé 124

Beitrag von gutenberg »

Scholvener Romantik

Fritze Müller hielt es in den ersten Frühlingstagen, oder, genauer , an jenem Tag, der den Namen „Frühlingstag“
wirklich verdiente, nicht mehr in seinen vier Wänden aus.
Es zog ihn zu den
Menschen, zu den Blumen, kurzum, zum Leben in seiner Heimat. Bedächtigen Schrittes, die Zeiten des Eilig-Gehen-Könnens
lagen nicht nur wegen seiner kaputten Hüfte hinter ihm, es war auch das Alter, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte.

Der Bus brachte ihn zum Marktplatz mit seiner geliebten Bank am geliebten Hedwigsbrunnen.

„Unser Jungbrunnen“, nannte sein Feund J.J. Jäger das Blumenmeer, dass von der Barbarazeche unterhalten wurde.

„Pütt ist alles, wie damals, mit der ,Hibernia’“, ging es ihm durch den Kopf. „Alles fing hier mit der Zeche an. Von der
schönen Landschaft mit dem fruchtbaren Boden ist nicht mehr viel übrig. Aber keiner kann sagen, dass es in der
Scholvener Kolonie ungemütlich ist. Dass Sie beide, die alte und die neue Kolonie, kein Ort zum Leben wären.

Der Hedwigsbrunnen lag in der Frühjahrssonne, seine kleine Fontaine sprudelte und murmelte wie ein Bach.


„Es wird wohl keinen Nachtfrost mehr geben, der die Rohre des Brunnen zum Platzen bringen könnte.“

Er ging hinüber zum Schreibwarenladen, erstand dort eine Dose Schnupftabak „Gawith Apricot Snuff“ und eine Dose
„Pöschl’s Gletscherprise mit Menthol und Columbia-Öl“ und sein spiegelblankes Nachrichtenmagazin, „nur um
zu wissen, was ich zu denken habe“ und ging zur Bank, setzte sich langsam und vorsichtig hin und streckte die Beine weit von sich.
„Welch ein Wunder ist
doch der Frühling“. Er dachte an seine Jugend, und wie schön Buer damals war im Frühling. Eigentlich war Buer immer
schön, aber im Frühling besonders.

Wie der Hort der Kindheit, Scholven, war auch Buer für ihn eher ein Teil des Münsterlandes, als des Ruhrgebietes. „Achottnee,
ween hess doamols net all Platt praot?”

Solche und ähnlich nostalgische Gedanken gingen ihn durch den Kopf. Er nahm ein Prise Schnupftabak und schloss die
Augen. Das spiegelblanke Magazin würde er zu Hause noch lesen. Und er würde sich wieder über alles ärgern und aufregen,
bis seine liebe und geliebte Frau Vera ihm das Magazin aus der Hand nahm und es als Untersetzer für eine Kanne
Kaffee nahm.

„Coffeinfrei“, würde sie sagen, „du bist schon hibbelig genug!“
Und weg wär dann sie wieder. Es würde ihm ewig ein Geheimnis bleiben, wie man vom Start weg sein Leben lang so
hektisch sein konnte.

Vom Markt hörte er das Rufen und Lachen der Marktleute und ihrer Kunden. Obwohl auch seine Hörkraft deutlich
nachgelassen hatte in den letzten paar Jahren, meinte er doch, Erna Spichalla und Maria Machrowigkeit herauszuhören.

„Entschuldigen sie,“ weckte ihn eine Stimme und bewahrte ihn so vor dem Einnicken, „mein Name ist Annelore,
Annelore Krüger.“

Bild

„Das freut mich aber für sie“, sagte Fritz unfreundlicher als er wollte, denn die Stimme war sehr angenehm. Er öffnete
die Augen. Dass das Mädchen, das vor ihm stand, von seltener Schönheit war, konnten auch seine alten Augen
noch wahrnehmen. Und er macht das, was allen, die es sehen zum Brüllen komisch vorkommt, und dem,der es
macht, sofort peinlich ist.
Er nahm im Sitzen „Haltung“ an. Bauch rein, Brust raus und den Kopf vorgestreckt, damit man das Doppelkinn nicht
sofort sieht.

„Sie haben doch eben, als ich hier vorbeiging, weil ich sie nicht stören wollte, eine Prise Tabak geschnupft, nicht wahr? Und
aus verschiedenen Gründen wollte ich sie bitten, mir auch mal eine Prise zu geben.“

Er wollte etwas sagen, aber er wusste nicht was, und hielt ihr den bayerischen „Schmai“ hin. Dann zog er die Hand wieder
zurück und gab ihr „Gawith Apricot Snuff“.
„Der bayerische ist nichts für hübsche Mädchen und süße Näschen, nehmen sie den Engländer, der ist leichter
und fruchtiger.“

Gottlob, der alte Charmeur lebte wieder.

„Aber sagen sie mal, warum setzen sie sich nicht und erzählen mir ihr Gründe für die Prise?“

„Ach“, sagte sie, „ich studiere im Erstsemester in Münster. Dort sind die Wohnungen unbezahlbar und mein
Vater hat eine Tankstelle in Zeckel und ich einen kleine Fiat.. Das ist Grund eins, nämlich warum ich wochentags hier
herumlaufe. Wir wohnen in der Neuen Kolonie. Der Grund zwei ist, dass mein Großvater bei meinen Eltern wohnt und
ich dachte zuerst, er säße hier auf der Bank. Und nun der Hauptgrund: Opa ist ein weiser Mann, er hat 30 Jahre untertage
gearbeitet und nie Last mit Silikose gehabt. Er meint, das wäre die heilige Barbara gewesen. die wäre auch eine Schlesierin
wie er, und die passt auf ihre Kinder auf. Wie dem auch sei, er sagt, wenn man ein Problem hat, soll man ein Prise schnupfen,
das befreit die Atemwege und den Geist. Nach einer Prise sieht alles anders aus.“

„Nun ja, der Schnupftabak hilft bei vielen Sachen. Schnupfen zum Beispiel, oder, wenn man sich das Rauchen abgewöhnen
muss oder will oder wie auch immer. Seit der Kurt Holinski in seiner Kneipe Schupftabak verkauft, sieht man immer
weniger Leute bei Frost und Regen auf dem Parkplatz stehen und ihre Ernte 23 rauchen.“

„Ihre WAS rauchen?“

„Ernte 23, eine Zigarette, gib’s die denn nicht mehr?“

„Nein, die gibt’s nicht mehr. Es gibt auch keine Peter Stuyvesant oder Collie 62 mehr. Nicht einmal mehr Roth-Händle.“

„Die habe ich geraucht. Gottlob war ich nie ein starker Raucher. Als ich dann einen Herzinfarkt bekam, habe
ich sofort mit dem Rauchen aufgehört, Es fiel mir nicht einmal schwer. Lugenschmacht bekam ich seltsamer Weise
nur dann, wenn ich in Buer an Tschibo oder Eduscho verbeiging und den Kaffeeduft in der Nase hatte. Dann nahm ich
eine Prise Schnupftabak. Das ist eine so kleine Menge, dass es weder dem Herzen noch dem Magen noch dem Kreislauf
schadet, aber die homöopathische Menge an Nikotin, die dabei in den Kreislauf gelangt, reicht um den Suchtanfall
zu stoppen.“

„Sehen sie, ich wusste zum Beispiel nicht, dass Tschibo und Eduscho eigene Läden hatten.“
„Nicht eigentlich Läden. Es
waren kleinere Ladenlokale, hübsch mit Leuchtbildern aufgemacht und Stehpulten ausgestattet. Da bekam man
für zwanzig Pfennig, das sind nach heutigem Geld, Moment junge Frau, genau elfkomma acht Euro. Demark über den Dollar gerechnet.

Aber sagen sie“, Fritz Müller war immer versucht, „Frolleinchen“ oder „Mädchen“ zu sagen, „was hat denn ihr hübschen
Gehirn so beschäftigt, dass es ihm nach einer Prise Schnupftabak verlangte?“

Sie hatte sich längst neben Müller auf die Bank gesetzt und holte jetz ein graues Leder- köfferchen heraus, das bislang
neben ihr gestanden hatte. Er guckte sich interessiert das Stück an, weil es nicht sehr billig aussah.

„Das ist mein Business-Suite, mein Büro am Handgelenk.“

Jetzt sah er erst die feine, aber stählerne Kette, die vom Koffer ans Handgelenk führte.

„Nur zur Sicherheit,“ lächelte sie ein wenig verlegen. „In Gelsenkirchen hat jemand versucht, es mir aus der Hand zu reißen.
Es war schon ein veritabler Ringkampf. Und der Bursche sah nicht aus wie ein Ghettokid. Allerdings war er der Polizei kein
Unbekannter mehr. Ich habe ihn auf einem Foto in Buer im Präsidium erkannt. Weil er ein Wiederholungstäter war, gab
es das große Brimborium mit Gegenüberstellung und dem ganzen Programm. Der Kriminalkommisar sagte mir noch,
dass es sich um einen typischen Drogenkriminellen handelt. Dann habe ich ihn gefragt, warum der Mann dann
draußen herumläuft.“

„Und was war die Antwort?“

„Die Antwort war, dass die Polizeibeamten mehr als ihr Möglichstes und mehr als ihr Zumutbarstes tun, aber die
Justiz ist anderer Meinung und der Knast ist immer zu klein.
Da habe ich gefragt: Die Justiz?
Und dann hat er gesagt: Dann kennse unsre Hilde nich, wenn die nich will, dann will die nich und hat resignierend die Schultern gezuckt.“

Fritz Müller ertappte ich dabei, dass er ihr gerne zuhörte. Sie war so jung, und unbefangen und voller Leben, Sie war ein
wenig „der Frühling.“

„Kann ich verstehen, den Mann. Aber was ist denn nun so wertvoll an ihrem Geschäftskoffer?“

„Also, da ist erst einmal mein Notebook drinnen, also mein Computer. Hier ist das Fach für mein Smartphon, hier liegt
der Collegeblock und hier der Tintenkuli. In diese Fach passen die Visitenkarten und wozu das hier dient, weiß ich nicht.
Mein Handy habe ich in meiner Manteltasche. Würde mir ja in dem Koffer nicht viel nützen, nicht wahr?“

Fritze Müller lächelte sie großväterlich an.

„Ja, das sehe ich auch so. Nur, jetzt sagen mir noch, was sie auf die Idee mit mit dem Schnupftabak brachte. Ich
weiß, ihr Großvater, aber ich meine den akuten Anlass.“

„Ach so das. Ich studiere auf einen Master in Literatur um dann mit einem Nachstudium in Pädagogik an eine Gesamtschule
zu kommen. Mein Endziel wäre eigentlich, mal eine Studienrätin zu werden, wie ich mir immer eine gewünscht habe. Und jetzt
habe ich eine Ausarbeitung am Halse, die ich irgendwie nicht zu fassen kriege. Ich muss etliche DIN-A-Vier-Seiten
über das Thema ,Die Romantik’ schreiben.“

„Die Romantik in der Musik oder der Dichtung oder in der Pubertät oder wie oder was?“

„Über die Romantik im Leben. Was sie eigentlich ist und was sie dem Menschen bedeutet.“

„Zu Definieren ist sie ganz einfach, schönes Fräulein.“

Bei dem Wort schaute sie auf.

„Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.“

„Weil in unserem Lande die Dumm- und Dämlichkeit in der Gesellschaft und der Kultur einen höheren Stellenwert hat, als
die Romantik. Ich habe mich nicht versprochen, sondern zitiert. Aus Faust nämlich, als er Margarete traf:
,Mein schönes Fräulein, darf ichs wagen,
Mein Arm und Geleit ihr anzutragen?’
„Und die Antwort? ich meine, was sagte Margarete zu dem alten Mann, oh, Entschuldigung, ich wollte nicht...“
„Schon gut, sie haben ja recht. Das Gretchen antwortete:
,Bin weder Fräulein weder schön,
Kann ohne Geleit nach Hause gehn.’
Und Faust sprach zu sich selbst:
,Das ist ein herrlich schönes Kind! Die hat was in mir angezündt.
Sie ist so sitt- und tugendreich und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippen Rot, der Wange Licht, die Tage der Welt vergess ichs nicht!
Wie sie die Augen niederschlägt, hat tief sich in mein Herz geprägt,
Wie sie kurz angebunden war, das ist nun zum Entzücken gar.’

Ihr stand der Mund offen:
„Sowas höre ich von einem Mann im besten Alter mitten im Ruhrgebiet auf einer Parkbank?
Waren sie mal Schauspieler?“

„Vielleicht wäre ich mal einer geworden, wenn sich jemand gekümmert hätte. Aber nein, ich musste Geld verdienen und
zwar regelmäßig und in einer gewissen Menge. So ist das nun einmal in dieser Welt. Der Künstler, der hat’s einfacher
und doch schwerer. Er schafft sich seine eigene Welt. Er lebt sozusagen in einer Kunstwelt. Wenn er darin sein Auskommen
hat, hat er’s gut getroffen. Aber wer hat das schon. Und dabei schulden wir ihnen so viel.“

„Nun ja, es gab zu seiner Zeit ärmere Leute als Goethen. Das ist mal sicher.“

„Natürlich scheint es viele wohlhabende Künstler im Laufe der Zeit gegeben haben. Aber das kommt uns nur so vor, weil
wir nicht einmal die Namen der anderen kennen. Aber, um auf ihre Frage zurückzukommen. Ich war schon immer sehr
empfänglich für die echte Poesie. Für das Spiel mit den Worten, für diese Welt der Gefühle und Schicksale, ausgedrückt
durch 26 Zeichen.

Schon in der Schulzeit war das so. Und, obwohl ich mal ein hobbymäßiger Blues-, Beat- und Rock’n’Roll-Musiker war, kann
ich, wenn Schumanns ,Rheinische’ oder Smetanas ,Moldau’ oder Klavierkonzerte von Grieg, oder Musik vom ollen Brahms
höre, die Augen schließen und die Welt kommt mir dann so belämmert und kleinkariert vor in diesem Meer von Tönen,
dass ich sie gar nicht mehr öffnen will, wenn die letzte Note verklungen ist.
Und ein Gedicht von Eichendorff
lässt mich erschauern, wie ein Bild von C. D. Friedrich oder dem Lichtmaler Turner.

„Sagen sie mal eines. Bitte.“

„Wenn’s sein soll, soll’s sein, aber ein kleines weil das die Schönsten sind:

Dein Bildnis wunderselig
Hab ich im Herzensgrund,
Das sieht so frisch und fröhlich
Mich an zu jeder Stund.

Mein Herz still in sich singet
Ein altes schönes Lied,
Das in die Luft sich schwinget
Und zu dir eilig zieht.“

Und so saßen sie auf der Bank und plauderten, der alte Mann und das junge Mädchen und fühlten sich wohl in ihrem
Scholven und genossen die Frühlingssonne, bis sich diese anschickte, langsam unterzugehen.

Der Verkehrslärm machte Pause, er holte Luft für den Abend, denn heute war Samstag, da muss man „raus!“. Man
vernahm nur die üblichen Zechengeräusche, das Kippen der Loren auf der Bergehalde und das Wummern und Pochern
der vielen Räder, ein Geräusch, das mein Vater selig einmal „den Pulsschlag Deutschlands nannte“. Die Restaurants auf der

Hasseler Allee heizten die Küchen an uns lockten schon mit ihren Düften.

Und die Glocken der Kirchen läuteten den Sonntag ein und es wurde friedlich.

Eben scholven-romantisch.

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gutenberg
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Bild

Als ich meine Heimat verlassen musste, weil Mutter Ruhr keine Arbeit mehr für mich hatte (etwas „Abenteuerlust“
war auch dabei), landete ich im tiefsten Rheinland. So tief, dass man dort schon allemannisch sprach. In meinem neuen Offizin
traf ich einen Landsmann, der exakt von der Nahtstelle zwischen Scholven und Bergmannsglück stammte. Obwohl damals eine
Handsetzerei ebenso wie die Mettage „ein Hort der Stille war,“ war der Kollege ein großer Quassler vor unserem Herrn.
Und weil er mir den Namen „Gutenberg“ verpasste, werde ich in seinem Sprachstil die Welt, die Zeiten und des Menschen Eigenarten
erklären. Natürlich in loser Reihenfolge und im SCHOLVENER HERALD und in dem Dialekt, wie man ihn weiland im Grenzland
Scholven/Bergmannsglück sprach...

Salvatorische Regel und Erklärung:
Ab 1954 erzählte in der WAZ aus Essen der Bergmann Anton, womit ihn sein Arbeitskollege Cerwinski so in der Schicht nervte.
Ausgedacht hatte sich diese sehr einseitigen Gespräche der Sportredakteur Wilhelm Herbert Koch. Alle drei, Cerwinski, sein Kumpel
Anton und auch der Sportredakteur Koch wurden im Verteilungsgebiet der WAZ unsterblich.
Die Gespräche zwischen Arbeitskollegen
„Weekly Bachulke“ wollen das Werk Kochs nicht plagiieren, um Himmels Willen! Sie wollen auch niemandes Urheberrecht schmälern.
Sie verstehen sich als Verbeugung sowohl vor dem Autor als auch vor der WAZ-Redaktion, die sich gegenseitig über 1400
Ausgaben die Treue hielten.

Alles klar?


Weekly Bachulke

Männersorgen

„Hömma“, sagte Bachulke zu mir, „weiße einklich, dattich ein geschlagenen Mann bin?“
„Ach Horst,“ antwortete ich, „ so schlimm
wird’s ja wohl nicht sein, oder?“

„Ich sach dich datt. Datt fink schon naache Schule an. Inne Lehre, bei die Hassler Druckanstalten. Ich waa nemmich kein
Schalke-Fän, weiße? Eima hatt unsern Fax (Setzermeister, Anm. d. Übersetzers) mich gefracht, op ich dat nich bin, wallich
die Gesellen ärgern wollte.“

„Horst, jetzt rennst Du offene Türen ein. Ich war klein Schalke-Fan, weil mein Onkel damals bei DJK Borussia Zweckel spielte.
Und dieser Onkel war nur ein weniges älter als ich. Irgendwie so ein noch älterer Bruder als mein älterer – naja, ist schon lange
her. Wegen seiner war ich also DJK Zweckel-Fan. Aber bald darauf, weil im NWDR auch die Oberliga Nord übertragen wurde,
und noch aus einigen privaten Gründen, war ich fortan ein Werder-Bremen- Mann.“

„Kumma, und mich ging dat ähnlich. Ich will mein Verein gaanich anne große Glocke hängen. Aber manchmaa beneitich die, wo die
Vereine inne Kreisklasse C spielen, weil, die steigen die nichmehr ab.“

Ich nickte wissend.

„Und wohße hinkomms, hömma, musse, sowieße dat Maul aufmachs, erklärn, warumme kein Schalker biss. Gehtich doch au so, odder?

„Nein, eigentlich nicht, ich versuche, meist hochdeutsch zu sprechen.“

„Jaja, ich weiß, ich hör mich dat ja geden Tach an. Abber wen willße dammit watt beweisen?
Ich hapdatt dammals ja au ma
versucht, als ich die Inge kenn’lernte.“

„Nun, sagte ich, „ich hatte es da einfacher, denn meine Eltern sprachen schon immer hochdeutsch. Hielten das wohl für
vornehmer. ist ja auch die Sprache Goethes, wie?“

„Mitteen Goethe hasse datt, wat Gutenberg? Abber da musse auch ehrlich sein, Kollege. Du meinst, der Goethe hat so geschrieben.
Abber wie einen, der in Frankfurt am Main geborn wurde unteer dann in Sachsen Karriere machte,“ Bachulke grinste, „den
möchte ich gaa nich sprechen hörn.“

Das war immerhin ein Argument.

„Kumma, die Bayern sprechen bayerisch, op inne Politik oder beije Aamee oder wooße willß. Genau wie die Schwaben und gezz
müssen wir uns immer öfter inne Glotze die Sachsen anhörn. Mit ihr’n Ulbrichtdeutsch. Der Kanzler Schmidt sprach hamburgisch.
Einklich tun nur die Hannoveraner Hochdeutsch sprechen. Odder hasse ma ein Fernsehdschornalist Platt küren
hörn?“

„Das würde ja auch keiner verstehen, das ist ein Sprache für sich. Die Plattdeutsche Sprache ist in den Niderlanden zur Hochsprache
geworden. Du willst ja nicht etwa behaupten, dass die Niederländer Deutsch sprechen, wie?“

„Weiße watt, du Hochdeutschen? Ich sprech wie inne Kintheit, wie mich dat gefällt. Maul auf, Unterlippe na unten unt laufen lassen.
Musse ma probiern, fühlz dich dreckt wohler und geborgener. Son bisken wie zu Hause, verstehße?“

Und gerade nach diesem Statement rief Jens aus der Redaktion herunter: „Sach ma dein Kumpel, datt Werder ma widder drei zu
eins kassiert hatt...“

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gutenberg
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Beitrag von gutenberg »

Als ich meine Heimat verlassen musste, weil Mutter Ruhr keine Arbeit mehr für mich hatte (etwas „Abenteuerlust“
war auch dabei), landete ich im tiefsten Rheinland.
So tief, dass man dort schon allemannisch sprach. In meinem neuen Offizin traf ich einen Landsmann, der exakt von der Nahtstelle zwischen
Scholven und Bergmannsglück stammte. Obwohl
damals eine Handsetzerei ebenso wie die Mettage „ein Hort der Stille war,“ war der Kollege ein großer Quassler vor unserem Herrn.
Und weil er mir den Namen „Gutenberg“ verpasste,
werde ich in seinem Sprachstil die Welt, die Zeiten und des Menschen Eigenarten erklären. Natürlich in loser Reihenfolge und im
SCHOLVENER HERALD und in dem Dialekt, wie man ihn weiland im Grenzland Scholven/Bergmannsglück sprach...

Salvatorische Regel und Erklärung:
Ab 1954 erzählte in der WAZ aus Essen
der Bergmann Anton, womit ihn sein Arbeitskollege Cerwinski so in der Schicht nervte. Ausgedacht hatte sich diese sehr
einseitigen Gespräche der Sportredakteur Wilhelm Herbert Koch. Alle Drei, Cerwinski, sein Kumpel Anton und auch der Sportredakteur Koch
wurden im Verteilungsgebiet der WAZ unsterblich.

Die Gespräche zwischen zwei Arbeitskollegen „Weekly Bachulke“ wollen das Werk Kochs nicht plagiieren, um Himmels Willen! Sie wollen
auch niemandes Urheberrecht schmälern. Sie verstehen sich als Verbeugung sowohl vor dem Autor als auch vor der WAZ-Redaktion, die sich
gegenseitig über 1400 Ausgaben die Treue hielten.
Alles klar?


Bild

Weekly Bachulke

Gezz reicht datt oder watt?


„Hömma“, sagte Bachulke zu mir, „hömma Gutenberch,
kann datt sein, datt ganze Völker am kindisch werden fangen?“

„Kindisch weiß ich nicht, Horst, aber unvorstellbar aus der Spur springen, das können sie wohl, das haben wir der Welt gezeigt, wie Du Dich sicher
erinnerst.“

Ich hatte noch nicht ausgesprochen, da wurde mir klar, dass ich dem Kollegen eine ungeschützte Breitseite hin gehalten hatte.

Prompt sah er mich über seinem Reglettenregal zwinkernd an.

„Nee, ich erinner’ mich nich, weiße, ich waa ja nich dabei, Gutenberch, als ich kam, waa unser Vaader schon auße Gefangenschaft zurück. Klar, du weiß datt, du biss ja uch älter.

Ich mein ja auch gaa nich, datten Volk sowatt fertich kricht wie den Holocaust. Datt iss so Komplex, wennze in datt Elend eintauchs,
krisse ’n Trauma für’t Leben. Abber datt mein ich nich. Ich mein, datt sich son Volk wie die Blagen benimmt. So wie dammals unser
Karin, kennze donnoch, die den Werner Köster aus Scholven geheiratet hat und mitteen nach Australien gegangen iss, wo unser
Vaader eine Woche heulend in Bremerhaven in dat Meer gekuckt hat.

„Ach ja, die ,Karin wunderbaa mittat rote Haa’. Was hat sie denn gemacht?“

„Als datt soweit waa, hatt die Mooder se genommen, so aufen Aam, und dann hattse ihr den Schnuller außen Mund getan und ihr den
in das Patschhändchen gegeben. Dann hattse die Herdplatte mitti Ringe abgnommen, weiß ja, noch an son alten Kohleherd, und die
kleine Karin durfte ihren eignen Schnuller in das Feuer werfen. Bohh, hatte die ein Spass!“

„Horst, wie willze gezz auf Völker kommen?“, ich, ungeduldig und in das alte Scholfski verfallend.

„Ja, wallse keine halbe Stunde, nachdem datt Blach den eigenen Schnuller inne Flammen aufgehen sah, nach genau den Schnuller
heulte. Die Modder tat mich noch nach Straatmanns Bude anne Ecke Bahnwinkel schicken unta happich noch’n Babyschnuller
gekricht. Im 5er-Pack. unser ganze Bank inne Schule am nächsten Tag nuckelte auf die Dinger. Aber meinze, die Karin wollt den
neuen haam? Nix zu machen. Immer am schrein: ,Nulli, Nulli!’ Waa furchbar, glaupze?

„Horst.“, mahnte ich an, „die Völker!“

„Na, kuck dich domma inne Welt um. Kaum, datt son Volk aufen grünen Zweich am kommen iss, giptet Aufstand und Bürgerkriech,
auf ihre Fahnen schreimse so große Wörter wie ,Freiheit!’, oder ,Gerechtigkeit’ odder „Nieder mitte Korrupten“ und dann kloppen se dat
bisken, wattse haam, aunoch kaputt. Und dann hasse bei uns die Schlechtgewissenmacher, die dann die zerlumpten Kinder inne Ruinen
zeigen. Aber sie sagen nicht, wer die Ruinen verursacht hat. Die verdammten Hurkatoren die den Bundesdeutschen oder zumindest Europäischen
Lebensstandard haben wolln. und zwaa sofort. Welche Schuld sie ihren Kindern gegenüber auf sich geladen haben, intressiert se nich.
,Die Welt hat uns vergessen’ heißtet dann, wenn wir uns nich schnell genuch dran machen, die armen kleinen Würmer in den Trümmern vor dem Verhungern zu bewahren.

Und am nächsten Tach schreien se widder: unser Leben und Blut für Hadschi Halef Omar ben Hadschi Abul Abbass Ibn Hadschi
Dawud al Gossarah und schießen inne Luft, Nix mehr zu Essen für die Kinder oder n’ Schluck saubret Wasser, aber Munition für de Knarren haamse noch,
und Sprengstoff für die Autobomben. Oder gezz da inne Ukraine, wo erst die Lenininsten und Stalinisten, dann die Wehrmacht und
dann die Sowjetunjon gehaust haben, dat man meine sollte, die hätten ma entgültich die Schnauze voll.

Nein. da reitense die alte Masche vonne unterdrückten Minderheiten.

Unt immer mit ein Blick auf das gelobte Land tief im Westen. Nur dattet dat gelobte Land nichmehr gipt. Und dattse mit ihre Kalaschnikoffs
bestimmt kein bei sich zuhause aufbauen können. Unt unsere Freunde, die Helden von Vietnam, gießen noch Öl in Form von Hass in dat
Feuer, watt sich die Völker unterm eigenen Hintern anzündet haam. Bei den Obama happich schon lange den Eindruck, der wollte der erste
schwatte Präsident der USA und sonst nix werden und nicht Amerikas Präsident. Watt hatter geschafft, höchstens datt die, die sich nich
über die Amis ärgern, mit ihre Köppe über die Amis ihre Politik wackeln. Dattse sich anderthalb Stunden Zeit lassen, ein hinzurichten, passt nur darein.

Kannze mich glauben, Gutenberch, dattich genuch über unsre Geschichte weiß, datt ich den Hut vor geden Dschi-Ai abnimm, der am Utahbietsch
zerschossen wurde, waller auch für mich gestorm iss, aber spätesten nach My Lai waa Schluss mit meine Amerikafreundschaft.

Keer Gutenberch, ich mach schon keine Tageschau mehr kuckn. Watt iss datt einklich fürne Welt nach uns? Wo ganze Völker am kindisch werden anfang’n?“

Ich schaute ihn tief und lange an, ohne etwas zu sagen und er schaute zurück und wir gedachten der Träume einer ganzen Generation,
die zum Sterben verurteilt waren, weil sie zuviel von Frieden und Freiheit und Glücklichsein und Feundschaft handelten. Zuviel für eine Welt des Hasses, des Neides und der Verachtung.
Zuletzt geändert von gutenberg am 06.05.2014, 13:02, insgesamt 2-mal geändert.

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Lorbass43
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Beitrag von Lorbass43 »

Tach auch Bachulke und Gutenberg !
Da habta ja ma wieda den Nagel auffen Kopp getroffen.
Wollt ich euch nur ma so für gratulieren.
Ich bin jedenfalls der Ansicht, dass diese Ausführungen die Bürgermeinung in unserem Land treffend widerspiegeln.
Überall, wo amerikanische Regierungen gezündelt haben, blieb nur verbrannte Erde zurück und unzählige tote Zivilisten.
Was zusammengehört, wächst zusammen!
Wie war das nochmal mit der DDR?
Als Polen in die EU kam, gab es die Vereinbarung mit Russland, die EU nicht weiter nach Osten zu erweitern.
Gegen diese Absprache kamen noch Litauen, Lettland und Esdtland dazu.
Nachdem die USA versuchen, in der Ukraine Einfluss zu gewinnen, macht Russland von seinem Recht auf den Marinestützpunkt (Vertrag bis 2042) Gebrauch.
Es kommt zu Überwerfungen. Das Recht auf Selbstbestimmung wird auf der Krim wahrgenommen. Die Bewohner der Krim entschieden sich für Russland.
Dass es den Bewohnern der Krim besser geht als denen der übrigen Ukraine, ist außer Zweifel.
Die EU-Außenminister haben der maroden Ukraine eine Milliarde Euro zugesagt. Warum, weshalb, wozu?
Bestimmt nicht aus Nächstenliebe.
Es gibt viele Länder auf unserem Globus, die es nötiger hätten.

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gutenberg
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Exposé 125

Beitrag von gutenberg »

Zecheneinweihung auf altem Boden

Das Fest der Feste

1. Der Anlass

„Nanu“, dachten die Scholvener beider Kolonien, als sie die Plakate sahen, „Zechen- Einweihung
zwischen Dorsten und Wulfen? Was geht das uns an?“

Doch, es ging sie schon etwas an. Die Schachtanlage KMC St.-Barbara-Fortsetzung ging sie eine Menge an.
Man feierte nicht die Einwihung eines kompletten Bergwerkes, nein, es ging vornehmlich um „den ersten Spatenstich“.

Mr. Knoplock zog für die Feierlichkeiten und Abwicklung jener Arbeiten, die Gottvater persönlich machen
musste, allerdings unter Hilfenahme der Dienste von Thomas „Tom“ Knoplock, in seine Villa, dem „Castle“,
Egon Klopries’ ehemaligem Jägerhof. Tom war, wie wir alle wissen, der missratene Prinz, der sich selber am
eigenen Zopf aus dem Sumpf zog. Jefferson Tecumseh Hopeglobe III war natürlich auch zugegen. Nur Mme.
Knoplock kränkelte ein wenig auf den Channel Islands.

Die Bürgermeister der beiden Städte Gelsenkirchern und Dorsten, Oberbürgermeister Dr. Müller-Pott und
Dr. Hans Ten Vlüchte sollten gemeinsam den ersten Spatenstich machen, Deer Dorstener, weil der Pütt auf
Dorstener Boden zu stehen kommen würde, der Gelsenkirchener, weil er erstens pressegeil war und seine Stadt
als Mutter der Re-Industrialisierung galt. Vielleicht auch, weil die Emscherstadt nach Buer auch ein Auge auf
Dorsten geworfen hatte. Das in Düsseldorf zu recherchieren, sei der etwas kritischeren Presse anheim
gegeben. Dann endlich ginge GE bis ins Münterland nach Rhade. also vor die Tore Ramsdorfs, Reken
und Heiden. Und an den Kreis Borken.

Dann könnten die 50-km/h-Landstraßen-Rentner mit ihren dicken Kias ins Münsterland fahren, ohne die
Stadt zu verlassen. Andererseits würde die Stadt die Gebiete nördlich Altendorfs und Ulfkottes zur
Bebauung freigeben, damit der Kämmerer etwas Klimpergeld in der Kasse hätte, um nach Buer, auch die
Innenstadt um den Hauptbahnhof herum endgültig zu einem ElDorado der Betongießer zu machen.

Wie auch immer. Sowohl die Stadt GE als auch die Dorstener und natürlich auch Mr. Knoplock und
seine Konzern, die KMC, planten, dieses Jahrhundertereignis zu einem großen Volksfest zu machen.

Hier sei ein kleiner Einschub für die zahlreichen Neuleser gestattet: Die KMC, „Knoplock Mining Corporation“
war ein weltweit agierendes, wie ein Königreich verwaltetes Unternehmen der Montanindustrie.
An der Spitze stand immer noch der Gründer und Multi-Milliardär Knoplock und an seiner Seite, quasi als sein Beitz,
stand Jefferson Tecumseh Hopeglobe III, der erste und einzige richtige Freund, den Walter Koblauch aus Scholven
in Amerika fand, als er als traumatisiertes Kind der Bombennächte per Glück und Zufall dort eintraf.
Siehe Anfangstories der „Neuen Kolonie“.


Bild

Mit Fahrgeschäften der gehobeneren Rummelplatz-Art, zu einem Teil mit „Großrädern mit vier Gondeln, die
die Grubenausbauwerkstätten in Scholven zusammen mit ihren Schlossereien in der Freizeit gebaut hatten,
und die nach dem Fest diversen Kindertagesstätten überlassen werden sollten. Entgegen dem neuen
Grundsatz einer neuorientierten Pädagogenschar, dass schon die KiTas mit ihren 2-jährigen Insassen dem
Lernen dienten und nicht dem Vergnügen. Die Kumpels reagierten darauf, indem sie sämtlche Beschreibungen
zur Handhabung und sämtlichen EU-Sicherheitszertifikate in englisch und französich ausfertigen ließen.
Und den Begriff „Mini-Riesenräder“ erfanden, ein Tummelfeld für alle philosophischen Schulen.

Der Standort der Verbundschachtanlage lag im ländlich geprägtem Raum. Via WAZ, Westfälische Nachrichten,
Westfälische Rundschau und Borkener Zeitung rief man die Bevölkerung auf, „aktiv am Feste teilzunehmen.
Man ahnte nicht, wie feste und aktiv daran teilgenommen werden würde.

Die KLJBs in der weiteren Umgebung – und die ist auf dem Lande sehr weit – rüsteten auf. Ebenso die
Junggesellenschützenvereine und die DPSGs. Da man auf ein MultiKulti-Fest hoffte, klärte man die Großmuftis
von Scholven, Hassel und Dorsten darüber auf, das „Abteufen“ nichts mit dem Teufel der deutschen Sprache
zu tun habe.
Den Rabbinen brauchte diese Aufklärung nicht zuteil werden, weil sie alle deutsch sprachen.

Die Planung

Für den kulturellen Teil lud man die niedeländische Folklore-Gruppe „Jan en alle Mann“ ein, die Shanties und
Volkslieder auf historischen Musikinstrumenten spielten. Höhepunkt: Das Spiel des Violin-Virtuosen Kes van der Straaten
vom Koninklijk Concertgebouworkest auf einer Geige aus Delfter Porzellan.

Das vor zwei Jahren in der Neuen Kolonie in Scholven entstandene Hillbilly-Orchester sollte die Squaredance-
Formation „Mountain People“ bei ihren Tanzdarbietungen musikalisch unterstützen.
Die neugegründetet
Bergmannskapelle „Barbara-Glückauf“, die wirklich, durch ihre amerikanischen Mitglieder mehr drauf hatte, als
„Glückauf, der Steiger kommt, sollte vormittags ein Platzkonzert geben. Während dessen Mr Knoplock akzentfrei
ins Mikrofon sprechen konnte „Der erste Spatenstich ist getan. Mögen alle, die hier einfahren, auch wieder
gesund an das Tageslicht zurückkehren. Dafür, himmlischer Vater, bitten wir dich!“. Die Kapelle intonierte
logischerweise „Großer Gott, wir loben Dich“, während Tom Knoplock den Spaten führen sollte.

Dann kam der Neugierde-Teil, der den Leuten Land und Leute näher bringen sollte.
Die DPSG aus
Zweckel sollte mit der Bueraner DPSG aus Abschwarten-Brettern und Rundhölzern ein „richtiges“ Pfadfinderlager
errichten. Aber bitte mit hochstehender Feuerstelle und Gratis Kaffee-Ausschank.

Die KLJB aus Dorf Hervest war für ein „Rennen“ mit alten Lanz-Bulldog und Hanomag-Schleppern vorgesehen.

Nahtlos ging es vom Gelände zum Super-Trödelmarkt „Je-ka-mi“ in Wulfen über und alle Geschäfte in Wulfen
und Dorsten hatten natürlich verkaufsoffen.

Speisen und Getränke sollten die ansässigen Lebensmittelläden, vornehmlich Bäcker und Metzger, Döner- und
Pommesbuden sowie die Kneipen und Restaurants zu Sonderpreisen anbieten,
man versprach sich Mehreinnahmen durch höheren Umsatz.

Die heimische KLJB wollte mit der Kreisbauernschaft das diesjährige Kuhroulette vorziehen und eine Rekener
Bezug- und Absatzgenossenschaft wollte als Veranstalter und Preisstifter in einem Holzschuh-Golfturnier
auftreten, eine Form des Golfens, in den Niederlanden auch „Boere-Golf“ genannt, bei der statt der üblichen
Golfschläger an Stöcken befestigte Kinderholzschuhe dienen.

Der Abend sollte im Zeichen des Tanzens mit der Musik und dem Swing der „Barbara-Glückauf-Big-Bamd“
stehen. Bei Regen im riesigen Schützenzelt.

Es konnte losgehen und es ging los!

Man hatte ein Karree abgesteckt, das abwechselnd schwarz-rot-goldene, grün-weiß-rote und rot-weiß-blaue
Kokarden zeigte. Deutschland, Nordrhein-Westfalen und die Farben der USA. In diesem Karre speilte nicht
nur die Musik, sondern hier fand der Festakt ab. Mr. Knoplock sah aus wie der alte Fritz im schwarzen Anzug,
Jeff Hopeglobe sah aus wie Neville Chamberlaine, und Thomas Knoplock wie Elvis Presleys großer Bruder. Der
Alte sprach wirklich akzentfrei, sogar mit leichtem Scholfski-Anklang. Er sprach frei und hielt sich nicht an seine
Textvorgaben. Wozu auch? Er war der Big Boss Man.

Allerdings hörte man im Publikum einige Stimme fragen, ob es nötig war, nur weil da so’n holländischer Geiger
kommt, gleich die Kokarde aus den Niederlanden zur Schau zu stellen. Jeder Schützenzeltbetreiber
hätte jetzt heiße Ohren bekommen und prophylaktisch die Polzei alarmiert. Aber niemand hatte Stimmen gehört.
Niemand, der Verantwortung trug.

Die Square Dance Gruppe der Amerikaner aus Scholven II war ein voller Erfolg. zumal der Maitre de Plaisir,
die Amerikaner nannte ihn „Caller“, aussah wie ein 14-jähriger Konfirmant mit Hornbrille und einem Riesentexashut.
Es war aber der Reviersteiger Frank Logan aus Philadelphia. In Ermangelung eines originalen Tonkruges blies der
Bassist vor dem Mikrofon den Rhythmus auf einer Steinhägerkruke.

Eine Wiese weiter lief das Kuhroulette. Man hatte mit Sportplatzkalk die Wiese in kleinere Karrees eingeteilt,
die wie ein Schachbrett seitlich mit Ziffern und Buchstaben versehen waren. Das heißt, auf der Wiese waren
nur die Karrees. Ziffern und Buchstaben hingen am Wettschalter aus. Nun wurde Jättken, die Milchkuh des
Bauern Röttgers aus Hervest herangeführt und zur Mitte des Spielfeldes geleitet. natürlich von einige Hünen
der KLJB. Nachdem diese sich verzogen hatten, wurde mit „Rien ne va plus“ das Spiel eröffnet. Man hatte
auf das Karo gesetzt, in das die Kuh nach Meinung des Wetters hineindretten würde, also, auf deutsch,
wo die erste Rasenpizza landen würde.

Während die Veranstaltung lief, wurde eifrig gezecht und gegessen. Geschäftsinhaber und Wirte erlebten einen
goldenen Tag. Und es wäre so schön gewesen, wären nicht am Spätnachmittag einige der amerikanischen Besucher,
vornehmlich die männlichen zwischen 18 und 25 auf die Idee gekommen, mit den Kühen, die in einer einfachen
Strick- und Lattenkoppel auf ihren Rouletteinsatz warteten, den deutschen Bauernjungens den Unterschied zwischen
Farmers- und Ranchers-Söhnen zu zeigen. Sie versuchten ein Rodeo zu veranstalten.

Vom allzu lauten Muhen ihrer Kühe aufgeschreckt, machten sich die Jungens eilends auf, um nach dem Rechten zu sehen.
Zufällig führte ihr Weg am DPSG-Lager vorbei und zufällig hatten die Pfadfinder schon Holzscheite auf
Lagerfeuerlänge gespalten und gekürzt. Was lag da näher, als sich einen Stecken mitzunehmen?
Wer weiß, ob man ihn nicht würde vermissen, hätte man keinen?

Die Kühe standen da herum und wussten nicht, wie ihnen geschah. Vielleicht hatten sie mal darüber gesprochen,
wie das früher war, vor der Einführung der Einführung. Also der künstlichen Befruchtung. Jedenfalls spürten
sie plötzlich ein Gewicht auf ihrem Rücken und da sie ja nicht wissen konnten, wie schwer so eine Bulle, auf den
Hinterbeinen stehend, war, hielten sie ganz erwartungsvoll und Vorfreude auf kommende Gefühle, ganz still.
Außer ihrem Muhen, dass in den Ohren eines brünftigen Bullens wie lustvolles Stöhnen klingen musste, wer weiß es denn?

Diese Harmonie endete abrupt, als Marie Nr. 15, ehemalige Deutsche Meisterin in der Klasse Milchmenge/Qualität,
hörte, wie sich die vereinigten Dienstleister der KLJB näherten. Mit einem Warngemuhe, dass eigentlich, laut
Professor Lorenz bedeutete: „Vorsicht, da kommt der Melker mit den kalten Händen!“ warnte sie ihre
Kolleginnen. Und diesen, egal ob schwarz- oder rotbunt, wurde ihr Irrtum klar. Selbst beim Rodeo in Nashville/Tennessee
hat man Bullen mit einigen Tonnen Gewicht je so hochbocken sehen. Die Blüte der amerikanischen Kolonie
in Scholven lag in der Kuhscheiße. Das ist ein hartes Wort, aber es trifft genau den Kern. Und das Volk hielt sich
die Bäuche vor Lachen, zumal die Grubenelektriker für formidables Flutlicht gesorgt hatten.

Das kann man nicht auf sich sitzen lassen, wenn man Bill oder Jimmy oder Joey mit Vornamen heißt.
Als sie, wutentbrannt, in die Phalanx der Holzlatten einzubrechen versuchten, gab es die ersten geplatzten
Schwarten und geknickten Nasenbeine. Und einige Dorstener und Scholvener Altersgenossen riefen:
„Immer die KLJB, immer wennse inne Mehrzahl sind!“ und ähnlich starke Sprüche. Dann stürzten sie sich in
das Getümmel . So bekam der Begriff der „Deutsch-Amerikanischen Freundschaft“ ein völlig neues Gewicht.
Aber die Stadtwulfener Jungens wollten nicht abseits stehen beim Untergang ihrer Kollegen vom Lande und mit
dem – mittlerweile zur Folklore gewordenen Schlachtruf: „Nieder mitte Kohlenpötter!“ bildeten sie die jetzt
aktiv und operativ gewordene Einsatzreserve der KLJB.

Wie sollte das enden?

Es endete durch die Weisheit eines alten Mannes. Über eine eilend installierte Lautsprecheranlage
hörte man die Stimme Walther Knoplocks: „Ab morgen, 10 Uhr vormittags, sind die Personalbüros in
der Zeche Barbara geöffnet. Wer einen gutdotierten Job sucht, den er bis ans Rentenalter ausüben wird und
der sicher ist in jeder Hinsicht, kann sich einen Termin zur werksärztlichen Untersuchung holen. Leute mit
Schürfwunden, Hämatomen an Armen und Beinen, herausgehauene Zahne und anderen Spuren eines Kampfes,
werden nicht genommen!“ Dann wiederholte er das auf Englisch. Dann gab er das Mikrophon seinem Sicherheits-Chef Frank Faber.

Ob man es glaubt oder nicht, nachdem man die Verletzten – allesamt nur leichtverletzt – in die umliegenden
Krankenhäuser, außer dem Dorstener, über die Gründe schweigt des Sängers Höflichkeit, verbracht hatte und
die Big Band zu Tanze aufspielte und Herr Knoplock für jeden Tisch eine Flasche Sekt spendierte und sich
der Bandleader Wolfgang Klimaschefski als ein wahrer Entertainer und großartiger Conferencier entpuppte,
wurde es noch ein wunderschöner Abend.

Und Frantek Bonoschlich, gerichtetes Nasenbein und genähte Stirn (7 Stiche) saß neben seinem Kumpel Ludwig
Hermanowski, zwei blaue Augen, davon eines zu, Nähte am Handrücken und Unteram rechts (insgesamt 12 Stiche)
und sagte: „Da sagen die immer, wir aus Scholven könn’ nich feiern. Watt’n Quatsch!“
Aber der sagte nur:
„Wo soll ich denn gezz hin zum Fädenziehn, hömma? Datt waa doch’n Notarzt.“

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gutenberg
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Weekly Bachulke

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38

Als ich meine Heimat verlassen musste, weil Mutter Ruhr keine Arbeit mehr für mich hatte (etwas „Abenteuerlust“ war auch dabei), landete ich im tiefsten Rheinland. So tief, dass man dort schon allemannisch sprach. In meinem neuen Offizin traf ich einen Landsmann, der exakt von der Nahtstelle zwischen Scholven und Bergmannsglück stammte. Obwohl damals eine Handsetzerei ebenso wie die Mettage „ein Hort der Stille war,“ war der Kollege ein großer Quassler vor unserem Herrn.
Und weil er mir den Namen „Gutenberg“ verpasste, werde ich in seinem Sprachstil die Welt, die Zeiten und des Menschen Eigenarten erklären. Natürlich in loser Reihenfolge und im SCHOLVENER HERALD und in dem Dialekt, wie man ihn weiland im Grenzland Scholven/Bergmannsglück sprach...

Salvatorische Regel und Erklärung:
Ab 1954 erzählte in der WAZ aus Essen der Bergmann Anton, womit ihn sein Arbeitskollege Cerwinski so in der Schicht nervte. Ausgedacht hatte sich diese sehr einseitigen Gespräche der Sportredakteur Wilhelm Herbert Koch. Alle Drei, Cerwinski, sein Kumpel Anton und auch der Sportredakteur Koch wurden im Verteilungsgebiet der WAZ unsterblich.
Die Gespräche zwischen Arbeitskollegen „Weekly Bachulke“ wollen das Werk Kochs nicht plagiieren, um Himmels Willen! Sie wollen auch niemandes Urheberrecht schmälern. Sie verstehen sich als Verbeugung sowohl vor dem Autor als auch vor der WAZ-Redaktion, die sich gegenseitig über 1400 Ausgaben die Treue hielten.
Alles klar?


Weekly Bachulke

Denk ma an den Göte sein Faust


„Hömma“, sagte Bachulke zu mir, „hömma Gutenberch, bisse dat auch so lanksam leit?“

„Ach, moin Bachulke,“ sagte ich, „was soll ich denn leid sein?“

„Ja, so allet, so, so wie soll ich datt sagen, so ein freien Bürger zu sein.“

„Horst, mein Bruder in Johannes, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen,
du bist besoffen. Also, was ist denn diesmal passiert?“

„Ach weiße, über die Europawahl’n brauch’n wer uns gaanich zu unterhalten. Da sind wer mit durch. Abber
dat waan ja auch Kommunalwahl’n, wieße weiß.“

„Ja und? Auf die paar Kreuze kommt’s doch nun wirklich an, Horst.“

Bachulke machte plötzlich so einen abgeklärten und weisen Eindruck, maß mit seinem Typomaß die
Satzbreite aus und stellte seelenruhig seinen Winkelhaken ein.

„Dat kannze so sehn odder so, Gutenberch, auf die paa Kreuze kommtatt nich an, abber watte dich damit
einhandels, datt kann dich sdann schon inne Enge treiben.
Kumma, seit meine erste Wahl happich nur die Genossen gewählt. Dammals wa dar auch dat Vanünftichste, watte dammals machen konntes, den Willy wählen. Mitteen Scheel, sowatt von frische Luft dammalz in Bonn. Untie Bewegung inne Ostpolitik. Nee, - neenee, datt waa schon notwendich dammals.
Abber datt is dann hängen geblieben. Ich kann gakein, wattsarich, überhauptsgakein andret Kreuzken mehr machen
als datt Rote.
Also, aufen Waalschein, meinich.“

„Horsti, Horsti“, sagte ich. Dabei schaute ihn leicht belustigt an.
„Du kennst doch das elfte Gebot: Du sollst fortan zur Wahl schreiten und ein Kreuz nach
deinem Verstand, Wissen und Lebenstandard machen, auf dass es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden.“

„Ebens, Gutenberch, ebens, beie Kommunalwahl is datt nemmich watt andrett.
Pamma auf: Inne alte Heimat haam die Piepels den Frank Baranowski seine Genossen mit eine Dreiviertel Mehrheit gewählt. Die regiern gezz seit 1945 die Stadt und mitti Stadt Gelsenkirchen auch unser Buer. Die Stadt hat mhr Arbeitslose, Hartzer und
Minderbeschäftichte. Und hat gezz mehr Euros Schulden als alle Hundeheime insgesamt Flöhe haben. Untie Einwohneer hauen ab, wie wir dammals. Untett iss nix von Aufschwunk odder Lichtstreifen am Dingens, Horizont, meinich zu sehn.“

„Tja, Horst, wenn es anders wäre, wären wir nicht gegangen...“

„Abber wir wären dann noch zu Hause. Ich will damit ja auch kein anprangern...
Wenn da nicht der Günni wär, mein Schwager, der Mann von unsre Jüngste, vonne Christa. Weiße doch, die kleine Blonde mitti strammen Waden.“

„Was ist denn mit dem los?“

„Na, der istoch nach datt Kaff gezogen, der hatt doch dammals den Job gekricht int Labor in sonne ländliche Fleischwarenfabrik. Da oben kurz vor datt Emsland, wie heißt bloß noch datt Städtken? Isja auch egal. Kurz vor de Wahl haam wir noch telfoniert, weil meine Nichte widder gesund aussen Krankenhaus zu Hause iss. Unta sachter, datter gezz gaanich mehr weiß, watter wählen soll. Vonne Gewöhnung her wollter ja widder Rot wählen. Abber die Stadt is so schwarz wiene Kohlengrube am ersten Mai, wenn datt Licht aus iss. Seit 1945
iss der Bürgermeister ein CDU-Mann.“

„Ja und? Bissken Toleranz, Horst.“

„Jau, untie Stadt hat keine Schulden und Vollbeschäftigung, zwei Hallenbäder, gede Menge Kitas odder wie die Dinger heißen, für die Kurzen, drei Hauptschulen und zwei Gymnasien und eine Realschule und Berufschulen für den ganzen Landkreis und baut sich gezz ein Autobahnzubringer.
Unter Günni sachte, datter sich gaanich wie son Verräter anne Aabeiterklasse fühlen würde, wenn gezz eima Schwatt wählen tät.“

„Und deshalb bist du an allem so verzweifelt?“

„Denk ma an den Göte sein Faust, datt son politischet Gequassel eine garstige Sache is.“

„Was hat denn Goethes Faust mit Mephistos ,Das ist ein politisch Lied, ein garstig Lied’ zu tun mit deiner miesen Stimmung?“

„Weilich den Hans Baumgarten wiedergewählt habe, aber nicht, weil wir im selben Kegelverein sind, sondern weil er dabei ist, als Bürgermeister gute Aabeit zu machen unter ein staaken Stadtradt braucht. Und weilich ihn beie Bürgermeisterwahl näxtet Jaah auch wählen wert.“

„Also, ist doch alles bestens, Horst, freue dich!“

„Von wegen, der iss inne CDU...“

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gutenberg
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Weekly Bachulke

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Als ich meine Heimat verlassen musste, weil Mutter Ruhr keine Arbeit mehr für mich hatte (etwas „Abenteuerlust“ war auch dabei), landete ich im tiefsten Rheinland. So tief, dass man dort schon allemannisch sprach. In meinem neuen Offizin traf ich einen Landsmann, der exakt von der Nahtstelle zwischen Scholven und Bergmannsglück stammte. Obwohl damals eine Handsetzerei ebenso wie die Mettage „ein Hort der Stille war,“ war der Kollege ein großer Quassler vor unserem Herrn.
Und weil er mir den Namen „Gutenberg“ verpasste, werde ich in seinem Sprachstil die Welt, die Zeiten und des Menschen Eigenarten erklären. Natürlich in loser Reihenfolge und in dem Dialekt, wie man ihn weiland im Grenzland Scholven/Bergmannsglück sprach...

Salvatorische Regel und Erklärung:
Ab 1954 erzählte in der WAZ aus Essen der Bergmann Anton, womit ihn sein Arbeitskollege Cerwinski so in der Schicht nervte. Ausgedacht hatte sich diese sehr einseitigen Gespräche der Sportredakteur Wilhelm Herbert Koch. Alle Drei, Cerwinski, sein Kumpel Anton und auch der Sportredakteur Koch wurden im Verteilungsgebiet der WAZ unsterblich.
Die Gespräche zwischen Arbeitskollegen „Weekly Bachulke“ wollen das Werk Kochs nicht plagiieren, um Himmels Willen! Sie wollen auch niemandes Urheberrecht schmälern. Sie verstehen sich als Verbeugung sowohl vor dem Autor als auch vor der WAZ-Redaktion, die sich gegenseitig über 1400 Ausgaben die Treue hielten.
Alles klar?


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Einklich schade...

„Hömma“, sagte Bachulke zu mir, „dattiss doch einklich ein bißken schade.“

„Wie“, sagte ich, „was ist eigentlich schade?“

„Samma“, gab Bachulke zurück. „Samma, kukkse einklich kein Fern?“

„Regelmäßig“, antwortete ich.

Und mir gingen alle Wichtigkeiten der letzten Tage durch den Kopf, vor allem die, über die Horst Bachulke
sich sonst so schön aufregte. Ein befreiter Höhlenforscher, der durch sein Tun vieler Helfer Leben aufs Spiel
gesetzt hatte. Ein Obama, der, schon grau geworden im Amt, wieder einmal sagte, dass die USA nicht im
entferntesten daran dachten, in einen neuen Krieg zu schlittern. Oder Mitleid mit Herrn Westerwelle,
der mal Vorsitzender irgendeiner Partei war, deren Namen, ihm, Horst Bachulke, entfallen war. und der jetzt
schreklicherweise an Leukämie erkrankt war und dem jetzt ein harter, steiniger Weg bevorstand. Oder gab
es in Kiew was Neues? Kaum vorstellbar. Also was konnte Bachulke meinen?

„Komm Horst, schieß los, was meinst du, dass es schade wäre?“

„Mann Gutenberg, hasse nonnich gemerkt, datt datt Weltmeisterschaft is, hömma?

Das war’s. Natürlich! Aber am vergangenen Tag waren einige eilige Sachen auf meinen Mettagetisch gekommen,
so dass ich erst spät in der Nacht heimkam.

Ich erklärte Horst das und bat um Aufklärung.

„Einklich bin ich ja so gar keine besonderen Fenn von unsre Nazjonalelf, oder von irgendeiner anderen, hass du
nich ma gesacht, du fänst den holländischen Fußball so gut? Und kannz alle 200 Srophen von den Wilhlmus
auswendig? Egal! Ich kukk die We-Emse immer wegen die Insel.“

„Welche Insel?“

„Na, unsern Alten sachte immer Ratteninsel, aber datt hat der gaanich böse gemeint. Der waa da inne Gefangenschaft
beie Engländer und sachte zu uns nachher, datt datt einklich auszuhalten waa. Nur datt Essen, datt hatt so
geschmeckt, datt ein rohet Rattenfleisch wiene Delikatesse vorgekommen wär, wenn man welches zu fressen
gehappt hätte. Und datt störte den ollen Bachulke, weil er ja inne Gefangenschaft nonnich wusste, watter für
ein Verbrecher waa, als Soldat vonne Wehrmacht.

Jedenfalls waa datt immer schön, wenn wir die alle vier Jahre rausgechmissen haben, aus die Endrunde. Ma in
Elfmeterschießen, ma inne reguläre Spielzeit, egal, Hauptsache mitt’n gewissen Genuss.

Wie die schon immer so sauer am kukken fingen bei dat Lied von die geschääfte Königin. Die ahnten datt. Gutenberch,
ich dir datt, bei alle Arroganz die die immer zu Schau stellen, die wussten, dattse widder ein aufen Balch kriegen.
Wie die Römer inne Asterixhefte, von als die Blagen noch klein waan.

Und gezz? Gezz fliegen sie gegen die Urus raus. Die haam ma grat so viele Einwohner wie Hamburg. Und wenn
die dann in Hießroo landen, könn’ se ja ,Futtboll is cammink beck’ singen.“

„Horst,“ holte ich aus, „Findest du nicht, dass du die Sache ein wenig zu unsportlich siehst und für die Menschen
in England ein wenig bestürzend? Und überhaupt, seit wann bist du schadenfroh?“

„Klar, Gutenberch, klar is att schadenfroh, abber dat macht son’n Spass!“
Zuletzt geändert von gutenberg am 21.06.2014, 14:24, insgesamt 2-mal geändert.

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Exposé 126

Beitrag von gutenberg »

Tages Arbeit, Abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.

So lässt Goethe seinen „Schatzgräber“ enden. Kein Wunder, dass auch der katholische Kaplan, Dr. theo. Michel Laach, am „Sonntag der Abrechnung“ diese Worte in seiner Predigt um 9 Uhr morgens nach der „groude Manslächte“, der „großen Männerschlächterei“ bei der Feier zum ersten Schüppenstich zur Abteufung der Steinkohlenzeche „Barbara Fortsetzung“ der KMC auf dem Lande zwischen Wulfen und Dorsten, brachte.

Irgendwann einmal wird man an den Theken des wieder erstandenen Kohlenpottes von der „Schlacht bei den Wenger Höfen“ sprechen. die Vorgänge idealisieren, und, je nachdem wie abgefinkelt die Historiker an die Sache gehen, von einem kulturellen Aspekt „Land gegen Stadt“ oder sogar einen Klassenkampf „Über- gegen Untertage“ herausarbeiten. Wer weiß?
Aktuell war es ein Ärgernis. Allerdings eines, das niemad so recht bedauerte. Die Scholvener nicht, weil sie den letzten, den wichtigsten Schrit unternommen haben, mit den Amis im gleichen Schritt zu marschieren. Es ging in den Herzen der Menschen nicht mehr um „Neue Kolonie“ oder „Alte Kolonie“, sondern um „Du sollst meinem Nachbarn keinen auf die Nase geben.“

Die Krankenhäuser im Umland, bis zum Bergmannsheil in Buer und zum Evangelischen Krankenhaus Wesel hatten an dem Abend alle Hände voll zu tun. Über die Presse wurden vom Notarzt oder den Sanitätern des MHD, des Roten Kreuzes oder der Björn-Steiger-Stiftung versorgte Träger mit blauen Veilchen, angefetzten Lippen, Doppelgesichtigkeit, leichten bis schweren Commotio Cerebriscea aufgefortdert, ihren Hausarzt zu besuchen, auf dass sie mit den brühmten gelben Scheinen verorgt seinen und sie lange leben würden auf Erden.

Die Philosophen lehnten sich zurück. Sie hatten es geahnt, wenn der Kohlenpott zurückkommt, kommt er mit Macht. Man bedenke, wer in der Blüte der Halbstarkenzeit Halbstarker war, stand heute hoch in den Siebzigern. Aber diese Oldies hatten ihre Großtaten noch nicht vergessen: „Waren wenigstens Hasseler unter euren Opfern? Oder Bohnekämper?“
waren oft gehörte Fragen bei Begegnungen in den Wartezimmern der Ärzte. Die übrigens dieses Mal mit „Kleinvieh“ auch mal „Mist“ machen konnten. Hier ein Pflästerchen, dort ein Sälbchen, das läpperte sich.

Einer der amerikanischen „Bullenreiter“ hatte einen Mittelhandbruch, weil „Jättken“, Bauer Overbecks beste Milchkuh (Fettgehalt manchmal bis zu 4,5 %), ihm auf die Hand getreten hatte, als sie ihn abwarf, weil sie merkte, dass es kein Bulle war, der sich an ihrem Rücken festhielt.

Was keiner der Beteiligten ahnte: als fünf Jahr vergangen waren, startete in der neuen Freizeitanlage „Scholvener Busch“ in der alten Kolonie, da wo einstens ein Spielplatz sich an den runden Bunker anschmiegte, ein Riesenfest zum Gedenken an die „Battle of the north“.

Ansonsten blieb das Fest nicht ohne die üblichen Folgen: 29 Kinder wurden 9 Monate nach dem Fest geboren, 15 Jungen, 16 Mädchen, die Frauenquote war voll erfüllt und lag sogar über dem Plan.

Bild© picture alliance / ZB

Es gab insgesamt 200 Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft aus drei Schutzbereichen, Gelsenkirchen, Recklinghausen, Wesel. Davon wurde in 100 Fällen ein Ermittlungsverfahren eröffnet und spätetestens im Jahre 2090 sind die ersten Urteile zu erwarten. in 10 Fällen mussten die verdächtigten Manner in Vaterschaftsangelegenheiten „die Quaste schlucken“, also wurden zur DNS-Untersuchung herangezogen. 8 Test liefen positiv aus, die Vätr standen somit fest. 3 Mütter versuchen noch heute, sich zu erinnern, sind aber als „alleinerziehende Mütter“ in attraktivere Berlin gezogen.

In der großen Gesamtmeinung war es ein „toftes Fest“. Noch schöner wäre es gewesen, wenn sich Herr Konoplock herabgelassen hätte, und hätte ich in den ersten Wagen eines Kutschenkorsos gesetzt und zentnerweise Kamelle geworfen, um zu zeigen, dass er eigentlich ein ganz „normaler Mensch“ sei.

„Vater hatt doch seinen Scholvenern nicht eine Zeche gebaut, um sich zu deren Affen zu machen.“ So äußerte sich Jahre später Thomas „Tom“ Knoplock, als man ihm mitteilte, dass sein Vater zu den beliebtesten Persönlichkeiten des nordwestlichen Ruhrgebietes erkoren worden war.

Aber da waren die Geschichten um die „Neue Kolonie“ schon längst Geschichte...

Das Alte E-ON-Kraftwerk wurde abgerissen und des ehemalige Naturschutzgebiet „Up’n Scholven“ von fähigen naturfachleuten neu angelegt. Bevor das kraftwerk gebaut wurde, war es das letzte Original belassene Schoolvner Sumpf- und Waldstück des Ruhrgebietes. Wir Kinder, die wussten, wo die Löcher im Zaun waren, sahen ein Stuck Wald wie auf den Bildern, die die Wälder Zeigten, aus den die Kohle wurde. So dachte und denkt man wenigstens, gesehen hat es ja keiner.

Wie auch immer, welche Jungens aus dem Revier haben schon Ringelnattern, Kreuzottern, Blindschleichen, Molche, Feuersalamander, Weg-Eidechsen, ein Hirschskelett mit Geweih live und in nature gesehen? Außer den eingeweihetn Scholvenern? Es war eine wunderbare Kindheit. Es war ein Schatz, den man in seinem ganzen Leben nicht verlieren konnte.

Und es war UNSERE Heimat, verdammt noch mal. Urwald, Wiesen und Äcker zwischen Crackanlagen, Destillations- und Fördertürmen. Zwischen dem Gerumpel der Kegel-Kippanlage und dem „Meinem Heiland, meinem Lehrer“ der Fronleichnamsprozession. Zwischen den Dampfpfeifen der Zechenbahn und Frau Wischnewskis Rufen: „Ruhe im Garten, Papa hat Nachtschicht!“

Es ist gut für euch Nachgeborenen, dass ihr nicht wisst, was ihr verloren habt.

Und wenn man die facebookenden Kinder sieht mit ihrer Freude an neuen Apps. füllt sich das Herz voller Mitleid. Man möchte ihnen zurufen: Schmeißt die Kisten an die Wand, geht hinaus, holt euch an der frischen Luft Husten und Schnupfen und blutige Knie, aber lernt wieder, diese eure Welt wahrzunehmen. Sie euch zu erobern. Denn ein Schnupfen, den man sich „draußen“ beim herumrösen holt, ist viel besser als ein Sonnenbrand von Mallorca oder den Seychellen.
Und solltet ihr mal Langeweile haben so ohne Smartphon, löchert eure Opas, bis sie euch das Geheimnis der glücklichen Jugend verraten.

Tief Luft holen und von einer kalten Quelle trinken.

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gutenberg
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Neue Kolonie Expose 127

Beitrag von gutenberg »

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Liebe 66.055 Leser oder Anklicker der Neuen Kolonie!


127 Exposés oder Folgen hat der Chronist, der olle Gutenberg, über die Neue Kolonie geschrieben.
Wie ein Amerikanischer Milliardär in Scholven eine neue Zeche abteufte, eine umweltverträgliche
Kokerei und ein ebensolches Steinkohlekraftwer bauen ließ, wie sich die Scholvener Originale (wenn es sie gab,
dann zur Unkennlichkeit verändert) gegenseitig fetzten oder liebten, alten Zeiten nachtrauerten
und neue Mitbewohner von weither freundlich aufnahmen.

Der Erzähler, wahrlich nicht mehr der Jüngsten einer, war immer bemüht, nicht zu sehr zu spinnen in
seiner Geschichte und den bergbautechnischen Teil mit Fachleuten abzusprechen. Denn der olle Gutenberg
ist kein Bergmann, aber ist auf Kohle geboren.

Und zu erklären, was das bedeutet, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten.

Schluss mit der dritten Person, lasst uns Tacheles reden!
Eigentlich sind die Geschichten, wenn ich sie heute selber noch einmal lese, doch eine fast sentimentale
Liebeserklärung an mein Kindheit in Scholven und Jugend in Buer. Dieses alte Scholven gibt es nicht mehr.
Es starb mit der Zechenstilllegung ab 1963. Und wer von denen, die heute in der „Alten“ Kolonie leben,
kennt diese Zeiten noch? Die zwar auf ihre Art härter waren als die heute, aber auf eine andere Art auch
sorgenfreier und heiterer.

Und ein wenig vom alten Scholven wollte ich erhalten, indem ich ein neues erfand. Mit Kurt Holinski und
seiner Familie, dem Polizisten Knallmann, den Marktfrauen Machowrichkeit uns Spichalla und wer mir alles
unter die Feder kam. Erfundene Personen und erfundene Namen, die längst für mich eine Stimme und
ein Aussehen haben und ich sogar weiß, welches Auto sie fahren, obwohl ich es nie erwähnt habe.

Es hat mir unheimlichen Spaß gemacht, in diese Welt einzutauchen und die Leute zu belauschen,
und, diesen Haken kann ich mir nicht verkneifen, es hätte jedem, der auf meinen Vorschlag vom Anfang der
Geschichte eingegangen wäre und mitgeschrieben hätte, ebensolche Freude gemacht.

Und nun scheint diese Geschichte zu Ende zu sein und ich danke jedem, der sie gelesen und das eine oder
andere Mal sogar geschmunzelt hat. Vielleicht ist ja einer oder eine darunter, die eine Idee hat, wie es
denn weitergehen könne. Dafür hat die Verwaltung in ihrer Weisheit dem Gutenberg eine
PN-Adresse gegeben.

Vielleicht wird es ja auch eine Wiedergeburt des Ruhrgebietes als das Rheinisch-Westfälische-Industriegebiet
geben. Ich werde es nicht mehr erleben.

Aber Ihr vielleicht...

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