Strandbad im Stadthafen

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Bretterbude
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Strandbad im Stadthafen

Beitrag von Bretterbude »

Am 08. Juli 1928 wurde das von vielen alten Gelsenkirchenern mittlerweile als legenbär angesehene Freibad Grimberg eröffnet. Aber was war vorher, wo konnte man in den Sommermonaten unter freiem Himmel baden gehen? Im Kanal? Sicherlich, aber das war nicht offiziell und vielleicht auch nicht ganz ungefährlich. Dafür aber kostenlos und nicht zeitlich begrenzt.

Aber es gab da noch eine andere Möglichkeit, das (vermutlich) erste Freibad in (Alt) Gelsenkirchen, das Strandbad im Stadthafen. Es befand sich am Kopfende des Handelshafens, mitten in einem bis heute gewerblich genutzten Areal an der damailgen Hafenstraße (heute Am Stadthafen). Die Errichtung der Anlage erfolgte 1919, die eigentliche Inbetriebnahme konnte jedoch erst im Sommer 1920 erfolgen. Das Statistische Handbuch der Stadt Gelsenkirchen 1903-1927 gibt in der abgedruckten Grafik Auskunft über die Besucherzahlen der Jahre 1920 bis 1927.
Bild(Quelle: Übersichtsplan der Stadt Gelsenkirchen 1926, Anlage zu Monographien deutscher Städte Band XX Gelsenkirchen)
Bild(Quelle: Statistisches Handbuch der Stadt Gelsenkirchen 1903-1927)

Wie bitte? Ein Freibad im gewerblichen Hafenbecken? Aus heutiger Sicht und dem heute gewohnten Standard natürlich undenkbar. Aber in gewisser Weise passte der damalige "Charme" der Anlage wohl zum Standort. Und zur wirtschaftlich sehr schwierigen Zeit der ersten Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs. Einfache, aus unverputztem Backstein gemauerte niedrige barackenartige Gebäude ohne jeglichen Zierrat lassen sich erkennen. Zur Hafenstraße eine hohe Mauer aus Backsteinen in der damals üblichen Bauweise, immerhin mit pyramidenförmigen Bekrönungen an den aussteifenden Mauerpfeilern. Und seitlich eingefasst mit einer rustikalen, rein zweckmäßigen Industriemauer aus großen Bimssteinblöcken zwischen dünnen Betonstützen. Dann noch etwas Sand mit Gefälle aufgeschüttet, ein paar behauende Baumstämme im Wasser befestigt und fertig war das Freibad. So stellt es sich jedenfalls auf einer alten Ansichtskarte dar, die von Akkiller eingestellt wurde:
Bild(Quelle: Bild von Akkiller hiereingestellt)

In Heft 14 der Gelsenkirchener Blätter von 1953 wird das alte Strandbad im Zuge eines Artikels zum 25-jährigen Jubiläums des eingangs schon erwähnten Freibad Grimberg als völlig unzureichend beschrieben, infolge vielfach aufgetretener Unglücksfälle und durch Bergschädenauswirkungen (Absinken des Badestrandes) musste es aufgegeben werden. Nach einer hieraufgeführten Quelle des Geschichtskreis Magazin Wilhemine Viktoria war das dann 1929 der Fall. Der Betrieb des Freibad Grimberg war aufgenommen, das alte Strandbad hatte seine Schuldigkeit getan und konnte gehen. Dem Bad maß man seinerzeit wohl keine sonderlich anziehende Wirkung zu, im wichtigsten Standardwerk über die Stadt Gelsenkirchen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre (Monographien deutscher Städt Band XX Gelsenkirchen, 1927) wird es mit keiner Silbe erwähnt. Lediglich das Freibad Grimberg findet schon seine Andeutung "Ob der Schwimmsport an dem Gelsenkirchener Gebiet durchlaufenden Rhein-Herne-Kanal oder in seiner Nähe eine bleibende Stätte finden kann, ist eine Frage der nächsten Zukunft."

Auf Plänen nach 1945 und den Luftbildkarten von 1952 sind die Gebäude des alten Strandbades nicht mehr zu finden, das Meßtischblatt von 1940 erscheint unklar. 95 Jahre nach der Eröffnung und 86 Jahre nach der Schließung lässt den ahnungslosen Besucher dort nichts mehr erahnen, wie es sich dort in den 1920er Jahren verhielt. Aber vielleicht stellt die heute auf diesem Gelände (Am Stadthafen 12) ansässige Gelsenkirchener DLRG ja einen Bezug zum historischen Strandbad dar.
Bild

Oliver Raitmayr
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Beitrag von Oliver Raitmayr »

Sehr spannende Geschichte! Danke!

Wie erklärt sich in der angefügten Statistik wohl die ungeheuerliche Diskrepanz bei der Anzahl der männlichen zu weiblichen Badegästen?
Da wurde Gleichberechtigung aber noch ganz klein geschrieben.

Oliver

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Akkiller
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Strandbad im Stadthafen

Beitrag von Akkiller »

Tolle Leistung und sehr interessanter Beitrag Bretterbude! :respekt: :2thumbs:

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brucki
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Beitrag von brucki »

Was zeigt eigentlich das letzte - aktuelle - Foto?

Doch nicht das DLRG-Gelände, oder? :o

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buebchen59
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Beitrag von buebchen59 »

@brucki

Es ist das DLRG-Gelände!
Schön war die Zeit...

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brucki
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Beitrag von brucki »

buebchen59 hat geschrieben:@brucki

Es ist das DLRG-Gelände!
:kopfklatsch: Die ungewohnte Perspektive verwirrte mich...

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Fähnlein
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Beitrag von Fähnlein »

Klasse Bretterbude, wie immer perfekt recherchiert :2thumbs:
Habe das Strandbad und die umstehenden Gebäude auch noch auf einer Luftbildaufnahme von 1926 wiederentdeckt.
BildBildQuelle: Regionalverband Ruhr, CC BY-NC-SA 4.0

- blauer Pfeil: Hier kann man noch schön das markante Walmdach auf dem 2-stöckigen Gebäude erkennen
- gelber Pfeil: auf dem dahinter befindlichen Firmengebäude kann man auch auf der Luftaufnahme noch die vielen kleinen Lüftungsfenster auf dem Flachdach erkennen.
- roter und grüner Pfeil: zeigen auch aus der Luft das Strandbadgebäude mit der auffälligen Trennmauer, die bis ins Wasser reicht
- lila Pfeil: dadurch auch dieses einstöckige kleine Haus mit Satteldach erkennbar.

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Fähnlein
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Beitrag von Fähnlein »

Auch das hierschon von Akkiller eingestellte Schrägluftbild (vermutlich um 1929, also gegen Ende der Strandbadzeit) zeigt die Übereinstimmungen noch deutlicher:BildQuelle: Sammlung Karlheinz Weichelt

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brucki
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Beitrag von brucki »

Nun wird auch klar welche Gebäude jenseits und diesseits der Straße standen. Ich habe mich schon gewundet wieviele Gebäude zu dem Strandbad gehörten nud nun ist mir klar, dass die meisten auf der anderen Straßenseite standen und gar nicht dazugehörten.

Toll herausgebarbeitet! :D

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Akkiller
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Strandbad im Stadthafen

Beitrag von Akkiller »

Toll Fähnlein, was Du hier noch an Informationen recherchiert hast , nebst Einarbeitung ins Foto, dafür danke ich Dir vielmals! Allen einen guten Start ins Wochenende! :lol:

Oliver Raitmayr
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Beitrag von Oliver Raitmayr »

Oliver Raitmayr hat geschrieben:Sehr spannende Geschichte! Danke!

Wie erklärt sich in der angefügten Statistik wohl die ungeheuerliche Diskrepanz bei der Anzahl der männlichen zu weiblichen Badegästen?
Da wurde Gleichberechtigung aber noch ganz klein geschrieben.

Oliver
Ich habe vergleichsweise Fotografien einer Badeanstalt in Mayrhofen im Zillertal, Tirol, zur Hand. Die Bilder wurden anfangs der 30er Jahre aufgenommen. Damals war das Dorf noch keine Tourismushochburg, sondern ein ländlicher Fleck. Es könnte der Vorwurf kommen, dass kein Vergleich zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen gezogen werden könne. Dennoch war auffällig, dass das Freibad in größtem Ausmaß von Kindern und sekundär von Erwachsenen beiderlei Geschlechts in quantitativ etwa gleichem Ausmaß besucht wurde.

Woher rührt denn nun die völlig andere Situation in Gelsenkirchen?

Oliver

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Bretterbude
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Re: Strandbad im Stadthafen

Beitrag von Bretterbude »

Anno 1924. Das Badeleben am Gelsenkirchener Stadthafen steht in voller Blüte. Vor dem Winzig kleinen Schalter des Umkleide- und Garderobehäuschens des städtischen Strandbades an der Hafenstraße drängen sich die Massen – jung und alt – Männlein und Weiblein, die in der brüllenden Sommerhitze den kühlenden „Fluten“ des Rhein-Herne-Kanals entgegenlechzen. Ein paar Waggon Lippesand haben einen weißglänzenden Strand hinter die alte Backsteinmauer gezaubert. Darüber ein buntes Miniaturbild wannseelicher Hochkonjunktur. Aber eines Tages hatte die Herrlichkeit ein Ende. Die Stadt hatte eingesehen, daß die Anlage auf die Dauer dem Betrieb nicht gewachsen sein würde. Die gastlichen Gestade des ersten Gelsenkirchener Freibades verödeten und zwei große Tafeln mit der Aufschrift „Baden verboten“ schlossen jeden Zweifel darüber aus, daß in absehbarer Zeit mit der Wiederinbetriebnahme gerechnet werden könnte.

Jahre kommen und Jahre vergehen. Das unerbittliche Verbot auf den Tafeln wurde von Wind und Wetter ausradiert. In Gelsenkirchen erstanden neue große Freibäder, die den Erfordernissen eines großstädtischen Badebetriebes besser gewachsen waren als das nur wenige Quadratmeter große Strandbad am Stadthafen, in dessen Umkleide- und Garderobehaus sich inzwischen die „Westfälischen Faltbootfahrer“ eingenistet hatten. Aber ganz ausgestorben war das alte Starndbad nicht. Die Schalker Jungens scherten sich wenig um seine Nachteile. Der große Vorteil war seine Billigkeit. Wenn man mit heiler Hose durch den Stacheldraht gekommen war, hatte man Wasser, Licht und Luft für „lau“. Das war ausschlaggebend. So begann das Leben in dem schon stark verschlammten Lippesand aufs neue. Es wurde geschwommen, geplanscht, Stichlitze gefangen und sonstiger Unfug getrieben. Wenn der „Blaue“ kam, wurde Reißaus genommen, war die Luft wieder ein, gings von neuem wieder los. – Das war der Anfang des zweiten Aktes.

Anno 1931. Die ersten Sommertage hat das Pfingstfest ja nun endlich mitgebracht. In den Gelsenkirchener Freibädern herrscht ein Bombenbetrieb, hat man doch lange, viel zu lange darauf warten müssen, sich wieder im Freien in der Sonne und im Wasser tummeln zu können. Unerwartete Besucherzahlen werden gemeldet.

(Quelle: Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung vom 28.05.1931)

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