Kaplan Philippek - von Rom seiner Ämter enthoben

... ein Überblick

Moderatoren: Verwaltung, Redaktion-GG

Benutzeravatar
hörmal
† 26. 03. 2014
Beiträge: 1698
Registriert: 26.06.2009, 08:33
Wohnort: GE-Altstadt
Kontaktdaten:

Beitrag von hörmal »

Wie ich aus verlässlicher Quelle erfahren habe, ist Heinrich Phillipek, ein guter und prägender Freund, für ein Stück meines Lebens, am 27. August in Frankreich verstorben.

Ich wünsche ihm, dass er in innerem Frieden, mit dem Blick auf ein erfülltes Leben, von dieser Erde ging.
Ich bremse auch für Obst!
Rauchen verkürzt ihre Zigarette!

Benutzeravatar
zuzu
Mitglied der Verwaltung
Beiträge: 17287
Registriert: 23.11.2006, 07:16
Wohnort: Gelsenkirchen

Beitrag von zuzu »

Heute ist in der WAZ eine Todesanzeige für ihn. Er ist in Südfrankreich, in Notre-Dame-de-Londres gestorben.
Zuzu

Benutzeravatar
hörmal
† 26. 03. 2014
Beiträge: 1698
Registriert: 26.06.2009, 08:33
Wohnort: GE-Altstadt
Kontaktdaten:

Beitrag von hörmal »

[center]Bild[/center]
Plakat in der "Werkstatt" in Buer im Rahmen einer Joseph Beuys-Veranstaltung.
Info und Plakatentwurf: Horst Schielmann
[center]Bild[/center]
Internetanzeige: Petra Rockel
Ich bremse auch für Obst!
Rauchen verkürzt ihre Zigarette!

Benutzeravatar
hörmal
† 26. 03. 2014
Beiträge: 1698
Registriert: 26.06.2009, 08:33
Wohnort: GE-Altstadt
Kontaktdaten:

Philippek der Aufruhr und Ich von Günter Kania

Beitrag von hörmal »

Philippek
der Aufruhr
und Ich

von Günter Kania
Auszug aus dem Buch "Gelsenkirchener Geschichten" (erschienen 2009)
[center]Bild[/center]

Hier geht es um einen jungen Kaplan, der längst nicht mehr jung ist, und um eine Zeit, die in meiner Erinnerung eine aufregend schöne Zeit war.

Heinrich Philippek war in den siebziger Jahren als junger Kaplan nach Gelsenkirchen gekommen.
Zunächst war er in der Kirchengemeinde meines damaligen Wohnortes, Erle-Middelich, in der katholischen Konradkirche tätig. Damals war ich Jugendlicher, hatte gerade die Volksschule und die Lehre hinter mich gebracht und wollte zunächst mit Kirche an sich nichts mehr zu tun haben.
Andererseits waren für uns in dieser Zeit die Jugendheime groß in Mode, vorrangig der „Tempel“, der zur Matthäus-Kirche gehörte.
Man konnte dort für wenig Geld tanzen gehen, es spielten Live-Bands wie die Keeps und die Divers und wir hatten den für uns so wichtigen Kontakt zu den Mädels.
Na ja, wenigstens so lange, wie die Musik spielte.
Für 15 Mark konnte man da damals sogar an einem Tanzkursus teilnehmen, inklusive Abschlussball.

Als Philippek in der Konrad-Kirche sein Wirken begann, wusste ich noch nicht viel von der Jugendarbeit, die dort lief, bis ein Freund mich mal dort hin lotste.
Das Jugendheim war ein alter Kasten aus Holz und davor war eine große Wiese. Ein Zaun bildete die Grenze zur Straße Hausfeld, an der auch das Pfarrhaus lag. Die Kirche selbst wendete ihr Portal dem Gartmannshof zu.

Schon mein erster Eindruck von Kaplan Philippek war überwältigend. Er war jung, hatte eine sanfte Stimme und irgendwie immer ein verschmitztes Lächeln in den Mundwinkeln.
Im alltäglichen Gespräch hatte man nie den Eindruck, mit einem Geistlichen zu sprechen.

Sein Vorgesetzter, Dechant Püntmann, war noch ein Kirchenmann vom alten Schlag. Er war gutherzig, aber er war auch durch und durch ein Gottesmensch und seine Welt waren der katholische Glaube und die Kirche.
Bei ihm hatte ich die ganzen Schuljahre Religionsunterricht gehabt und, er hatte uns Dogmen vermittelt, die heute noch sitzen, obwohl ich schon längst nicht mehr der Katholischen Kirche angehöre.
Philippek war da ganz anders. Gott war sein Freund und wir durften an dieser Freundschaft teilhaben. Philippek faszinierte nicht nur mich, sondern viele Jugendliche. Er zog sie in seinen Bann, und wir hatten den Eindruck, mit ihm könne Kirche wieder lebendig werden. Der Mann wusste, wie man Jugendarbeit gestaltet. Philip schaffte es, dass ich im Jugendheim eine Jugendgruppe übernahm.

Was wir da alles gemacht haben, kann ich heute gar nicht mehr sagen, es wurde diskutiert und Tischtennis gespielt, wir hatten eine Gemeinde-Fußballmannschaft und es ist noch so einiges an Jugendarbeit gelaufen.
Es war plötzlich Leben in der Bude, und weil das Jugendheim eine so alte Baracke war, halfen alle mit, die Krypta unter der Kirche zu renovieren, um sie dann für die Jugendarbeit nutzen zu können.
Eine Zeit lang wurde dort sogar „Jugendzeitschrift“ mit dem Namen „Krypta“ herausgegeben.
Gegenüber vom Pfarrhaus im „Hausfeld“ wohnte der Bildhauer Kirschbaum und wiederum ein Haus weiter lebte der Schriftsteller Philipp Wiebe.
Philippek hatte gute Kontakte zu den Nachbarn und ab und zu gingen wir auch mal auf ein Glas Wein rüber zum Schriftsteller.
Seit meiner Kindheit waren Schriftsteller etwas ganz besonderes für mich.
Meine Oma hatte dafür gesorgt, dass ich schon ganz früh Kontakt mit Büchern bekam, und so wurde Lesen zu einer meiner liebsten Beschäftigungen.
Sie selbst wäre gern Lehrerin geworden, aber da sie im Waisenhaus aufwuchs, ist ihr dieser Bildungsweg versperrt geblieben. So wurde sie Kinderfrau bei der buerschen Familie Böcker.
Man legte dort viel Wert auf Bildung, und so wurde einer ihrer „Zöglinge“ dann auch Schriftsteller. Es war Hans-Werner Böcker, und sein Buch „Indianer, Gauchos und Piraten“ war eine meiner frühen Lektüren.
Außerdem verkehrte im Hause Böcker damals wohl auch Heinrich-Maria Denneborg, und Oma erzählte mir immer wieder stolz von dieser Bekanntschaft.
Wen wundert es da, dass es für mich als junger Mensch ein großer Wunsch war, selbst
Schriftsteller zu werden.

Nun war ich ja wenigstens schon mal in guter Gesellschaft. Andererseits hatte Herr Wiebe wohl auch einen Anteil daran. dass ich mein Ziel nicht weiter verfolgt habe.
In dieser Zeit hatte ich eine Mappe mit Gedichten und Kurzgeschichten, die ich geschrieben hatte. Ich weiß gar nicht mehr was es genau war, einige Gedichte waren zeitkritisch, manche eher gefühlvoll und irgendwie war es meine Sicht auf die damalige Zeit.

Irgendwann nahm ich mal meinen ganzen Mut zusammen, und klingelte bei Phillip Wiebe an. Ich zeigte ihm meine Mappe, und bat ihn um seine Beurteilung. Er meinte, es wäre
ganz schön, was ich da schrieb, aber zur Zeit wären Geschichten aus dem Arbeitermilieu gefragt und darauf sollte ich mich konzentrieren.
Meine Themen waren also nicht so gefragt, dachte ich, und verlor gehörig den Mut. In der folgenden Zeit beschränkte ich mich darauf, Mädchen in meinem Umfeld, die bei mir und meinen Gefühlen einen tieferen Eindruck hinterlassen hatten, herzerweichende Liebesbriefe zu schreiben, mit ebenfalls mäßigen Erfolg.

Als ich erfuhr, dass Herr Wiebe ja auch nicht irgendwer war, sondern Kontakt zu Heinrich Böll hatte und diesen sogar von Zeit zu Zeit traf, erschien mir dieser Mann in einem ganz anderen Licht.
Einmal in dieser Zeit war Heinrich Böll bei den Wiebes zu Gast und Philippek war ebenfalls dort eingeladen. Weil ich gerade bei Phillip war, fragte er mich, ob ich mitgehen
wollte. Natürlich habe ich ja gesagt und wir haben einige Stunden bei Wiebes gesessen, Rotwein getrunken und mit Heinrich Böll geplaudert.
Geplaudert?
Ich war zur Salzsäure erstarrt und habe wohl die ganze Zeit nicht ein einziges Wort heraus gebracht.
Nicht einmal die Gesprächsthemen fallen mir wieder ein, aber ich hatte ihm gegenüber gesessen, diesem Gott der Schriftsteller, für den ich ihn zu dieser Zeit hielt. „Ansichten
eines Clowns“ hatte ich verschlungen und mit ihm gelitten, wegen Marie, die ihn nicht mehr lieben konnte.
Bei „Steh auf, steh doch auf“ aus seinen Kurzgeschichten sind mir die Schauer den Rücken herunter gelaufen.
Wie lange habe ich von dieser Begegnung gezehrt.

Aus „Rache“ für die Beurteilung meiner Geschichten habe ich dann eben kein Buch von Phillip Wiebe gelesen.

Ach ja, die Jugend...

Es war die Zeit der Rot-Punkt-Aktionen, der Proteste gegen die NPD, der Anti-Schah-Demonstrationen.
Wir waren politisch engagiert, hatten aber auch einen Riesenspaß dabei.
Aus meiner heutigen Sicht betrachtet, war ich sicherlich sowas wie ein Mitläufer. Das soll heißen, meine politischen Überzeugungen waren nie so sehr gefestigt, dass ich sie um alles in der Welt vertreten hätte, was jedoch nicht heißen soll, dass ich keine Meinung gehabt hätte. Die linke Szene, ASTA, Rudi Dutschke und das ganze Drumherum, zog mich schon in ihren Bann.

Doch es gab Freunde, die waren sowas von fest in ihren Überzeugungen, dass man schon wieder Angst bekam. Dann gab es gänzlich unpolitische und solche, ohne den tiefen Hintergrund, aber von der Sache überzeugt und für diese Sache eintretend.
Fanatiker wollte ich nie sein, aber auch nicht nur Mitläufer und so geriet ich manches Mal in einen Konflikt mit mir selbst, wobei ich mich fragte, ob ich nicht einfach nur mitmachte, weil alle in meinem Umfeld es taten und ob ich nicht manchmal zu feige war, einen eigenen Standpunkt zu haben.

Eine wichtige Rolle spielten für mich auch die Frauen in diesem Kreis. Sie waren anders, irgendwie verwegen, hatten eine eigene Meinung und wussten was sie wollten. Sie waren nicht so bieder und brav wie die Tanzschuppenmäuschen.
Kurzum, man konnte mit ihnen Pferde stehlen und so manches andere auch noch…
Wie gerne hätte ich so eine Frau ganz für mich alleine gehabt. Aber das war damals wohl schon ein Widerspruch in sich.

Bei Philippek fanden alle einen Anlaufpunkt und er hatte für jede und jeden ein offenes Ohr, für Jung und Alt. Nur nicht für Nazis, die hasste er, weil seine Eltern oder Großeltern (das weiß ich nicht mehr so genau) im KZ waren. Gelegentlich diskutierten wir die ganze Nacht durch, tranken dabei Weizenkorn und haben uns sicherlich zu später oder früher Morgenstunde die Thesen um die Ohren gelallt.

In die Zeit, in der Philippek in Erle wirkte, fiel auch der 2. Juni 1967, der Tag an dem Benno Ohnesorg erschossen wurde. Das war an einem Freitag und die Monatsausgabe der Krypta für Juni war schon fertig. Wir haben dann dazu ein Flugblatt verfasst, das wir als Zusatz in die Zeitung legten und schlossen uns natürlich auch dem bundesweiten Protest gegen diese Aktion an.
Am 3. Juni fuhren wir zu einem Zeltlagerausflug nach Havixbeck bei Xanten und hatten dort viel Spaß. Man erfuhr in diesem Kreis eine politische Erziehung, die Nähe zur Kirche und eine sinnvolle und fröhliche Freizeitgestaltung und das alles in ausgewogenem Maße.

Natürlich hatten wir zu dieser Zeit eine sehr kritische Distanz zu allen Obrigkeiten, zur offiziellen Politik und zur Ordnungsmacht. In unserem Kreis befand sich aber auch ein Freund, der in Siegburg, im dortigen Jugendstrafvollzug arbeitet.
Erst kam es mir komisch vor, als ich davon hörte.
Wie kann sich so einer bei uns wohlfühlen und wieso wird er von allen akzeptiert?
Dann erfuhr ich, dass eben in Siegburg ein, für diese Zeit, neuartiges Resozialisierungsprogramm gestartet wurde und dass gerade dieser Freund maßgeblich daran beteiligt war. Über ihn entstand dann der Kontakt zu ehemaligen Strafgefangenen, bzw. solchen, die gerade aus der Haft entlassen wurden und sich nun wieder im Leben zurechtfinden mussten. Wir beschlossen, einen großen Teil der Arbeit der Aufgabe zu widmen, diesen Jugendlichen zu helfen.

Ich weiß gar nicht mehr warum Philipp seine Arbeit in Erle beenden musste und nach Horst ging, aber es war für die Erler Jugendlichen ein richtiger Schock.
Der „harte Kern“, zu dem auch ich mich zählte, beschloss allerdings, ihm auch in der neuen Pfarreistelle treu zu bleiben, und so halfen wir ihm auch bei der Organisation des Umzugs. Mir fällt immer noch ein, dass am Abend des Umzugstages, wir waren alle schon ganz schön geschafft von der Schlepperei, im Radio „All you need is love“ lief und das war gerade ein aktueller Hit der Beatles. Philippek war ein großer Fan von Bach, und die Brandenburgischen Konzerte haben wir uns zwischendurch immer wieder mal anhören müssen, nachdem wir seine Ohren mit Musik von den Doors, Deep Purple oder Nice (später dann Emmerson Lake & Palmer, die ja auch die Brandenburgischen im Repertoire hatten) strapaziert hatten.


Es dauerte nicht lange, dann hatte Philippek in Horst genauso eine große Fangemeinde wie zuvor in Erle. Die Jugend fand seine Ideen gut und die Jugendarbeit blühte wieder auf. Wenn die Gemeinde wusste, dass Philippek die Predigt hielt, war die Hippolytus-Kirche voll. Es gab Kunstausstellungen im Gemeindehaus und Musikveranstaltungen. Kurz gesagt, die Gemeinde lebte.
[center]Bild[/center]
[center]Philippek, 3. v.l., mit Jugendlichen in Horst
im Hintergrund die Hypollytus-Kirche
Ich bin ganz rechts auf dem Bild[/center]


Wo Licht ist, da ist auch Schatten und in einer Gemeinde gibt es solche und solche Gemeindemitglieder. Solche, die das alles toll fanden und solche, die eine Verschwörung witterten, gegen Gott, das Vaterland und die Welt.
Man hörte ja so vieles, schließlich war es die Zeit der Revolte und überall hatte die Jugend Flausen im Kopf.
Da gab es Demonstrationen gegen Rechts oder den Vietnamkrieg und und und.
In Berlin hatte sich die „Kommune 1“ gegründet, und der Anführer hieß ja wohl nicht umsonst Fritz Teufel.
Und hier ließ ein Kaplan Jugendliche bei sich wohnen, von denen man nicht wußte, wo die herkamen und was die vorhatten.
Die hatten lange Haare, waren schlecht gekleidet und nahmen sicherlich auch Drogen. Außerdem lebten da Männer und Frauen zusammen in einem Pfarrhaus.
Ein Sündenpfuhl mitten in der Kirchengemeinde und ein Geistlicher als Anführer, das konnte und durfte nicht sein.
Also bildete sich eine Opposition gegen die Arbeit von Philippek und die Anlaufstelle und der zentrale Punkt dieser Gegenbewegung war Pfarrer Happe, der ein paar Meter weiter im zweite Pfarrhaus wohnte und ebenfalls in der Gemeinde arbeitete.
Auch ihm war das ganze Treiben um den revolutionären Kaplan nicht geheuer und er tat, was in seiner Macht stand, um den Gemeinderat auf seine Seite zu ziehen.
Das gelang ihm zwar nur zum Teil, aber es hatten sich schnell zwei Lager in der Gemeinde gebildet und es folgten Machtdemonstrationen und Sticheleien.
So ließ man das Jugendheim schließen und wollte so die bis dahin fruchtbare Jugendarbeit unterbinden.
Pfarrer Happe versuchte, die Messdiener auf seine Seite zu ziehen, erhielt aber von denen eine gehörige Abfuhr. Der Streit zog seine Kreise und beschäftigte bald auch die kommunale Presse.
Später konnte man Artikel im „Stern“ und im „Spiegel“ lesen. Auch der Bischof und sein Amtsapparat wurden aufmerksam. Aus Essen versuchte man immer wieder, die Parteien zum Einlenken zu bewegen, aber es kam keine Einigung zustande.
Dann ließ Philippek einmal in einem Gespräch mit zwei Amtskollegen ein paar markante Sätze fallen. Einfach nur so, nicht öffentlich sondern im kollegialen Gespräch. Es ging wohl darum, dass Gott nicht ein Du sei, kein wesenhaftes Gegenüber mit Rede und Widerrede.

Die „Kollegen“ hatten nichts besseres zu tun, als empört diese Thesen und ihren Verfasser beim Bischof anzuzeigen. Es folgten viele Gespräche mit dem Bischof und anderen kirchlichen Amtsträgern.Pfarrer Happe hatte nun einen Grund, sich vollends zu distanzieren.
[center]BildAuszug aus dem Buch "Dokumente eines Konfliktes - Philippek, zum Beisoiel"[/center]

Die offizielle Seite war das eine. Nebenbei kam es uns vor, als wären im Hintergrund noch ganz andere Mächte im Spiel. Hinter vorgehaltener Hand sprach man vom „Roten Kaplan von Horst“.
Man rückte ihn, und damit auch die Bewohner des Pfarrhauses, in die Nähe der Bader-Meinhoff-Gruppe und das wurde uns mehr als einmal deutlich vor Augen geführt. Es gab oft genug Kontakte mit der Polizei, das Haus wurde durchsucht, es sollte Drogenkonsum und politische Konspiration nachgewiesen werden.
Mag ja sein, dass in der einer Gruppe von Bewohnern mal hier und da ein Joint kreiste, aber das Pfarrhaus war tabu.
Bei all dem Ärger, den Phillip ja so schon hatte, wollte ihn keiner noch in zusätzliche Schwierigkeiten bringen.
Wir hatten die Vermutung, dass gewisse Leute, die den Kaplan lieber seiner Ämter enthoben gesehen hätten, anonyme Anzeigen gemacht haben. Und wenn es schon Kollegen gab, die ihn beim Bischof denunzierten, warum sollten die es nicht auch bei der Polizei tun.

Aber es gab auch nette Besucher in dem Haus am Wedem.
Ein häufiger Gast war Franz-Josef Degenhardt, der zu dieser Zeit häufig Auftritte in Gelsenkirchen hatte und diese dann auch immer mit einem Besuch bei Philippek verband. Allerdings mussten wir oft lange betteln, damit er mal seine Klampfe nahm und uns ein kleines Privatkonzert lieferte.
Wir hatten alle schwer die Vermutung, dass er sich ein wenig in unsere Mitbewohnerin Anette verguckt hatte. Ihre gegenseitigen Blickkontakte ließen da der Fantasie großen Spielraum und schließlich war Anette eine, die jedem den Kopf verdrehen konnte.
Es war alles so aufregend schön und ich glaube, wir haben uns auch ein wenig in all diesen Verdächtigungen gesonnt, die man uns nachsagte. Schließlich machte uns das zu wichtigen Personen, wir wurden beobachtet und beäugelt und man traute uns Dinge zu, die uns selbst eigentlich eher Angst machten.

Philippek wurde schließlich in allen, ihm vorgeworfenen Punkten rehabilitiert aber als Konsequenz aus dem ganzen Hin und Her sollte er dann in eine kleine Gemeinde nach Oberhausen versetzt werden. Nun fühlte er sich aber mit seiner Arbeit und der Gemeinde in Horst so sehr verbunden, dass er lieber aus dem Dienst ausschied als sich noch einmal abschieben zu lassen.
Einlenkungsversuche des Bischofs hatten auch keinen Erfolg mehr, weil Pfarrer Happe sich unwiderruflich weigerte mit Kaplan Philippek zusammen zu arbeiten. So wurde aus dem Kaplan ein Metallarbeiter bei der Fa. Wildfang.
Dort wurde er bald in den Betriebsrat gewählt und wurde als dessen Vorsitzender auch Mitglied des Aufsichtsrates.
Der Vorteil für uns bei der ganzen Sache war, dass Phillip nun mehr Zeit für sich selbst aber auch für uns hatte. Er hatte eine Schwester in Hamburg, und die wiederum war mit einem Schuhfabrikanten verheiratet.
Sie wohnten in einer vornehmen Gegend in Hamburg, und hatten neben ihrem Wohnhaus noch ein kleines Gästehaus, das meistens ungenutzt war. Er nahm uns ein paarmal dorthin mit, und wir durften dann in diesem Gästehaus übernachten.
An zwei Besuche erinnere ich mich besonders gerne. Da waren in der Ernst-Merck-Halle Riesenkonzerte über drei Tage mit Deep Purple, The Nice, Santana, The Man und was weiß ich nicht noch wer.
Die dreißig Mark für den Tageseintritt hatten wir natürlich nicht, aber irgendwie gelang es uns immer da rein zu kommen. Ein anderes Mal besuchten wir die Deutschlandpremiere von Easy Rider und konnten die berühmten Schauspieler aus der Nähe bewundern.

Ich selbst habe ca. ein Jahr in dem Pfarrhaus gewohnt.
Aufgrund der ewigen Querelen mit meinem Vater wegen der langen Haare, der Musik, die wir hörten und dem Umgang, den ich pflegte, hatte ich mein Elternhaus verlassen, war aber seinerzeit mit 19 Jahren noch nicht volljährig.
Wenn ich mal zu Besuch nach Hause ging, achtete ich immer darauf, dass mein Vater auf der Arbeit war. Meine Mutter äußerte zwar ihre Sorgen, aber sie ließ mich ohne Geschimpfe wieder gehen.
Damals ahnte ich nicht, wie sehr ihr die ganze Sache zusetzte.
An Heilig Abend 1970 klingelte es an der Haustür.
Irgendwer war zur Tür gegangen und holte mich dann aus dem Wohnzimmer, wo wir uns gerade die Brandenburgischen Konzerte oder Händels Messias anhörten.
Als ich zur Tür kam, sah ich dort meinen Vater.
Er kniete sich vor mich hin und sagte mir: „Das ist alles was ich noch tun kann, komm doch bitte wieder nach Hause, bitte, wir lieben dich doch.“
Er weinte und mir liefen augenblicklich auch die Tränen über die Wangen.
So hatte ich meinen Vater noch nie gesehen und diese Situation habe ich bis heute noch vor Augen.
Wir haben meine Sachen gemeinsam gepackt und ich bin mit nach Hause gefahren.
Seither hatte ich ein ganz neues Verhältnis zu meinem Papa, auch wenn da noch viel kam, was ihm zu schaffen machte, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Philippek hätte wahrscheinlich ein ruhiges und beschauliches Leben in materiellem Wohlstand führen können aber das war nicht sein Ding.
Als er das Pfarrhaus am Wedem verlassen musste, verließ er auch endgültig die damalige Bundesrepublik und zog in seine Lieblingsgegend, nach Südfrankreich. Dort lebte er bis zuletzt noch in bescheidenen aber glücklichen Verhältnissen. Ab und zu hört man, dass der eine oder die andere Weggefährtin bei ihm zu Besuch war.

Philippek war ein besonderer Mensch in einer aufregenden Zeit, in der alles im Umbruch war.
Es war die Zeit der 68ger-Generation und ich gehörte wohl dazu.

Und ich bin wohl nicht der einzige, der sich manchmal fragt: Und was hast du daraus gemacht?
Ich bremse auch für Obst!
Rauchen verkürzt ihre Zigarette!

Benutzeravatar
Anne Bude
Beiträge: 1302
Registriert: 16.10.2008, 19:09
Wohnort: hart an den Grenzen

Beitrag von Anne Bude »

:up:

Benutzeravatar
hörmal
† 26. 03. 2014
Beiträge: 1698
Registriert: 26.06.2009, 08:33
Wohnort: GE-Altstadt
Kontaktdaten:

Beitrag von hörmal »

[center]Bild[/center]

[center]Traueranzeige der Angehörigen und Freunde[/center]
Ich bremse auch für Obst!
Rauchen verkürzt ihre Zigarette!

Ronni
Beiträge: 2
Registriert: 26.01.2020, 23:48

Beitrag von Ronni »

Hat jemand das Buch noch und könnte ich es mir einmal ausleihen?

Benutzeravatar
zuzu
Mitglied der Verwaltung
Beiträge: 17287
Registriert: 23.11.2006, 07:16
Wohnort: Gelsenkirchen

Beitrag von zuzu »

Meinst du das Buch "Gelsenkirchener Geschichten"? Das kann man noch in der Buchhandlung Junius kaufen.... :wink:
Zuzu

Ronni
Beiträge: 2
Registriert: 26.01.2020, 23:48

Kaplan Phillipek

Beitrag von Ronni »

Nein, ich suche nach dem Buch "Dokumente eines Konfliktes - Philippek, zum Beispiel"

Antworten