Ein Kumpel Erzählung aus dem Bergmannsleben von Georg Werner
Verlag die Knappschaft, Berlin 1929
Der Autor Georg Werner, selbst Kohle Kumpel unter Tage und Sohn eines Bergmanns, schildert in diesem Buch die Arbeits und Lebensbedingungen der Bergleute, die harte Arbeit unter Tage, das wirtschaftliche und soziale Umfeld der Ruhrkohle Bergarbeiter und ihrer Familien aus seiner Sicht. Georg Werner wanderte 1899 von Schlesien aus in das Ruhrgebiet, nach Gelsenkirchen. Hier arbeitete er als Hauer und Steiger auf der Zeche Hibernia und später Zeche Neumühl bei Hamborn. Der Autor über sich selbst:
" (...) Unter den allerärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, ging ich mit 14 Jahre zur Grube, wurde mit 22 Jahren Steiger, erwarb mit 29 Jahren das Betriebsführerzeugnis für große Schlagwettergruben, gründete als Dreißigjähriger den Deutschen Steigerverband, kam als Vierzigjähriger mit einer aktiven Pionierkompanie 1 ½ Jahre an die Westfront, wurde am Kriegsende Vorsitzender des Soldatenrates im Ingenieur-Komittee in Berlin und dann als Geschäftsführer im Bund der technischen Angestellten und Beamten (Butab) Mitglied einer Anzahl öffentlicher Körperschaften, darunter u.a. der Sozialisierungskommission, des Reichswirtschaftsrates, des Reichskohlenrates und der Knappschaft. Seit dem Herbst 1925 bin ich ohne alle Ämter und Würden. Ich gebe seit dieser Zeit die Zeitschrift „Die Knappschaft“ heraus. Das ist ein neutrales Blatt, welches von allen politischen und gewerkschaftlichen Richtungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelesen wird.
In diesem ersten Buche behandele ich die Zeitspanne bis zu meinem Eintritt in die Öffentlichkeit. Der zweite Band soll meine späteren Erlebnisse schildern, die ebenfalls nur durch meine Einstellung zur Frage der Menschenbehandlung verständlich gemacht werden können. Aber ehe ich diesen zweiten Band schreibe, wird noch eine geraume Zeit vergehen. Zu vielen der Dinge habe ich nämlich noch nicht den zur einheitlichen Beurteilung nötigen Abstand gewonnen."
Zuletzt geändert von Verwaltung am 28.06.2008, 17:57, insgesamt 4-mal geändert.
Schon in Schlesien war mir geraten worden, im Ruhrbezirk ins Kerngebiet zu gehen und zwar in das Dreieck, begrenzt durch die Städte Gelsenkirchen, Bochum und Essen. Man sagte mir, dort sei ich der Bergschule am nächsten, außerdem aber sei es jenes Gebiet, in dem man als Bergmann die Gelegenheit habe, nicht nur die schwierigsten Verhältnisse, sondern auch die modernsten Einrichtungen kennen zu lernen. Einer meiner Kameraden empfahl mich an seinen Bruder, der in Gelsenkirchen wohnte und auf der Zeche „Dahlbusch“ arbeitete. Dieser schrieb mir, ich solle kommen, er würde mir gern behilflich sein.
Mit dem Sohn der Leute, bei denen ich in Kost gehen sollte, holte er mich vom Bahnhof ab. Franz Nowack, der Sohn meiner Kostbauern, war etwas älter als ich, hatte schon gedient und überragte mich um reichlich 20 Zentimeter. Dazu war er bärenstark. Seine Eltern stammten aus der Provinz Posen. Sie sprachen nur gebrochen Deutsch, während Franz, der in Westfalen groß geworden war, platt kürte. Seinem Aussehen nach war er der Typ eines Polen, seinem Wesen nach jedoch ein Westfälinger, verständig, treu und hilfsbereit wie selten ein Mensch. Noch nach Jahrzehnten konnte ich, wenn ich zufälligerweise nach Gelsenkirchen kam, nicht an seinem Hause vorbeigehen, ohne ihm zum Mindesten „Guten Tag“ zu sagen.
Wahrscheinlich hätten die allermeisten Bergleute rein gefühlsmäßig mein Kosthaus abgelehnt, weil meine Logiswirte Polen waren. Der Begriff „Polnische Wirtschaft“ war in meiner Heimat ja das Schlagwort für ganz minderwertige Quartierverhältnisse. Das Quartier war aber alles andere als schlecht.
Meine Kostbauern nannten mich mit Stolz National-Polen, zum Unterschiede von den Masuren und Oberschlesiern. Der Mann war ein Berginvalide, der, um sich und seine Familie zu erhalten, drei Kostgänger bei sich aufgenommen hatte. Zu der Familie gehörten außer Mann und Frau der erwachsene Sohn und zwei zur Schule gehende Jungen, sowie eine steinalte Mutter.
Die Wohnung war für westfälische Verhältnisse sehr klein, im Vergleich zu Waldenburger Verhältnissen jedoch umfangreich Sie bestand aus der Küche, einer Stube und einer großen Kammer. Das Haus lag in Gelsenkirchen-Neustadt, einem ausgesprochenen Arbeiterviertel. Es war eines jener kleinen typischen, eineinhalbstöckigen Häuser; ein ungeputzter Backsteinbau, wie sie in den 70er und 80er Jahren in den westfälischen Industriestädten reihenweise entstanden sind. Ein Proletarierheim in einem richtigen Proletarierviertel. Wenn feuchter Westwind wehte, der vom Rhein den den vielen Hütten und Gruben in Ruhrort, Oberhausen und Essen entströmenden Qualm nicht steigen ließ und nach Gelsenkirchen brachte, dann konnte man den Ruß in der Luft mit den Händen greifen und die Gegend wurde schwer und schmutzig. Aber trotzdem war das Wohnen immer noch um vieles, vieles besser als im niederschlesischen Hungerland.
Mein Schlafraum war die große Kammer. Hier schliefen wir drei Kostgänger und der lange Franz in drei Betten. Diese zweischläfigen Betten sind beinahe zwei Meter breit, so dass das Schlafen von zwei Personen etwas Selbstverständliches ist. Mir behagte es jedoch so wenig, dass ich, als zufälligerweise eine kleine Kammer im Hause frei wurde, diese sofort mietete und mir von Schlesien mein komplettes Bett schicken ließ.
Gut fand ich mich mit der Veränderung in der Ernährung ab. Das Essen war zwar sehr einfach, aber sehr kräftig. Ein großes Stück Fleisch oder Speck war stets dabei. Ebenso hatte ich Butter und Belag in solcher Menge zur Verfügung, dass ich die gewohnten Rücksichten beim Zulangen fallen lassen konnte. Dieses kräftigere Essen half mir die in Westfalen erheblich schwerere Grubenarbeit zu leisten, die ich sonst wohl kaum ausgehalten hätte.
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Ich war, wie man sagt, auf halbe Kost. Man unterscheidet im Bergbau des Ruhrreviers drei Kostformen: „halbe Kost“, „volle Kost“ und „volle Kost voll“. Bei halber Kost war im Logispreis außer der Wohnung nur Mittagessen und Morgenkaffee enthalten. Dafür zahlte ich 28 Mark. Dagegen musste man sich Brot und Zubehör selbst kaufen, was ungefähr ebensoviel erforderte. Bei „voller Kost“ deckte der Logispreis von etwa 50 – 60 Mark alles. Bei „voller Kost voll“ war der Preis der gleiche, aber die Kostmutter einbegriffen.
Als Steiger habe ich später viel Gelegenheit gehabt, in die allerverschiedensten Kostverhältnisse Einblick zu nehmen. Hierbei habe ich aber gefunden, dass ein Kosthaus mit „voller Kost voll“ eine seltene Ausnahme ist, die aber infolge der Nebenumstände zum Regelfall wird.
Die Zugewanderten, vor allem die aus dem Osten stammenden Bergleute, heiraten nämlich erst, nachdem sie sich genügend viel Geld gespart haben, um sich eine Matka aus der Heimat kommen zu lassen. Im Ruhrrevier mit der damals ständig wachsenden Zahl der männlichen Arbeiter waren junge, heiratsfähige Mädchen selten. Der Mann war dann bei der Heirat meistens 10 Jahre älter als die Frau. Nach weiteren 10 Jahren war der Mann infolge der schweren Grubenarbeit verbraucht, die Frau aber stand noch in den besten Jahren, hatte gutes und kräftiges Essen und außer der Hausarbeit nichts zu tun. Der junge Kostgänger, der noch dazu andere Schicht hatte als der Mann, musste dann eben das gleiche tun, was sein Kostbauer vor seiner Verheiratung auch nicht verachtet hatte.
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In meinem Logis gefiel mir vor allem die Herzlichkeit, mit der mir alle diese doch so ganz anderen Menschen entgegenkamen. Der lange Franz stand dabei an erster Stelle. Er war auf Zeche „Rheinelbe“ tätig, hatte dieselbe Schicht wie ich, so dass wir zur gleichen Zeit zuhause waren. Er hat mir mit Rat und Tat bei all den vielen Anliegen geholfen, die ich hatte, um auch hier schnell heimisch zu werden.
Entbehrt habe ich eigentlich nur die Natur. Es fehlte mir die schöne Heimat, denn am Wandern und Streifen durch Schlesiens Berge hing mein Herz mit allen Fasern. Und der Gegensatz, der in dieser Beziehung bestand, war zu groß, als das ich mich mit ihm gleich hätte anfinden können. Ein tristeres und schmutzigeres Häusermeer als Gelsenkirchen zu jener Zeit lässt sich kaum vorstellen.
Da in der Familie nur polnisch gesprochen wurde, versuchte ich polnisch zu lernen, doch es fehlte mir leider vollständig die Fähigkeit, fremde Worte nachzusprechen. Ich konnte nicht einmal plattdeutsche Worte verwenden, wie viel weniger erst als polnische. Als diese Unfähigkeit einmal später zur Sprache kam, hat man es versucht, mir beizubringen, wie man das Wort „Sprockhövel“ ausspricht. Obwohl in ein Jahr in Sprockhövel in Stellung war und mir die redlichste Mühe gegeben habe, den Tonfall zu treffen, habe ich es nicht fertig gebracht.
In diesem Kosthause habe ich das erste Mal schuldlos die Zuneigung mir sympathischer Menschen verloren. In dem Hause wohnte noch ein Nationalpole, ein Mann, der in der nationalpolnischen Bewegung eine Rolle spielte, und der den Spitznamen „Der Polenkönig“ führte. Er hatte einen Stammhalter bekommen, mit dem die Mutter des öfteren zu uns in die Stube kam. Ich machte mit dem kleinen meinen Spaß, denn ich habe Kinder sehr gern. Die Folge war, dass das Kind nach mir verlangte, wenn es mich sah.
Plötzlich blieb die Frau weg und auch der Mann zeigte mir gegenüber ein ganz verändertes Wesen. Der lange Franz erzählte mir darüber, die Eltern fühlten sich dadurch schwer gekränkt, dass sich das Kind weigere, wenn ich es auf dem Arm habe, den Lockungen von Vater und Mutter zu folgen und mich Deutschen lieber habe als seine polnischen Eltern. Der Mann hat mir das jahrelang nachgetragen. Als Steiger habe ich später verschiedentlich mit ihm in der Grube gesprochen, aber ich fühlte, es stand stets etwas zwischen uns.
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Von den anderen beiden Kostgängern ist mir nur einer in Erinnerung geblieben. Es war ein Masur, 5 – 6 Jahre älter als ich, schwerfällig und stark, der auf der Zeche „Dahlbusch“ immer gut verdiente. Anton hieß er. Sein Wortschatz war mit den Worten „ja“ und „nein“ zu Ende. Des Sonntags kaufte er sich einen Liter Schnaps, trank sich strippendicke voll und blieb, wenn er am anderen Tage Morgenschicht hatte, zu Hause. Er bummelte jeden Monat regelmäßig zwei Schichten, verfuhr aber vier Überschichten. Im übrigen lebte er ganz solide und sparsam, so dass er jeden Monat bald 100 Mark auf die Sparkasse bringen konnte.
Da jede Unterhaltung mit ihm unmöglich war, wusste ich eine ganze Zeit lang nicht, ob er mich leiden könne, bis folgendes passierte: Als ich zur Bergschule kam, musste ich verschiedenes kaufen und hatte nicht genug Geld. Anton hatte aus der Unterhaltung entnommen, um was es sich handelte. Plötzlich kam er ganz heimlich zu mir, drückte mir ganz verstohlen sein Sparkassenbuch in die Hand und sagte: „Da hol.“ Das Buch lautete auf etwa 3000 Mark. Es waren nur wenige Mark, die ich brauchte, und er hatte die ganze Sache falsch verstanden. Mehrere Jahre später hat er auf Zeche Neumühl in meinem Revier gearbeitet. Abgesehen von seiner Montagsbummelei war dieser alte Junggeselle ein fleißiger und zuverlässiger Arbeiter, vor allem aber ein treuer Mensch.
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Schon in den ersten 24 Stunden ging ich auf Arbeitssuche. Auf der Zeche Dahlbusch 2/5 wollte mich der Betriebsführer Brukschen beschäftigen. Als er aber aus meinen Papieren sah, dass ich Hauer sei, schüttelte er den Kopf und sagte auf Westfälisch-Platt: „Als Pferdejunge wohl, aber nicht als Hauer.“
Dann versuchte ich auf Zeche Hibernia mein Glück. Hier wurde ich angenommen und am Nachmittag des 10. Mai 1899 verfuhr ich meine erste Schicht. Der 10. im Monat war auf Hibernia der Abschlagstag, jener Tag, an dem die Bergleute einen Vorschuß von 40 bis 50 Prozent auf den Vormonatslohn erhalten. Der Umstand, dass Zahltag war, hat für mein Schicksal eine große Rolle gespielt.
Hibernia liegt unmittelbar am Bahnhof Gelsenkirchen. In jeder großen Stadt des Ruhrreviers gab es zu jener Zeit Schachtanlagen, auf denen Taschendiebe, Zuhälter, Falschspieler und ähnliche dunkle Existenzen arbeiteten. Sie gingen zur Grube, um der Polizei gegenüber eine Arbeitsstelle vorweisen zu können, und eine Grube mit ihrer großen Arbeiterzahl verschluckt sie auch spurlos. Einige dieser Leute beschäftigte jeder Grubensteiger, da sie die dreckigste und unangenehmste Arbeit ohne Murren verrichteten. Das war der Gegendienst, zu dem sie sich gegenüber der Steiger freiwillig bereit fanden, weil er sie überhaupt beschäftigte. Aber ab Abschlags- und Lohntagen kam auch nicht einer zur Arbeit. An den Tagen blühte ihr dunkles Handwerk.
Das Jahr 1899 war ein flottes Geschäftsjahr, in dem viele Überschichten verfahren wurden. Die Kehrseite von Überschichten ist, dass an Geldtagen des guten Verdienstes wegen viel getrunken wird, worauf die Luft zum Anfahren weg ist. Ein Schaden entsteht in der flotten Zeit dem Arbeiter kaum, da er die Schicht an einem anderen Tage als Überschicht nachholen kann.
Als ich nun des Mittags anfuhr, fehlten sehr viele Arbeiter. Ich war starr vor Staunen. Ich hatte in meinem Leben noch keine Schicht verbummelt, denn das gab es in Schlesien nicht. Mir schien Arbeitsversäumnis zu jener Zeit fast ebenso schlimm wie Diebstahl oder Betrug. Es war mir direkt unfassbar, eine Schicht zu bummeln. An diesem Tage war ich wirklich der Meinung, wir Schlesier seien bessere Menschen als diese bummelnde Belegschaft. Und diese Einbildung, besser zu sein, trug nicht wenig dazu bei, mein Selbstvertrauen für die erste und schwerste Zeit in Westfalen zu heben.
Der Fahrhauer schickte mich in einen Pfeiler in Flöz 16, in dem sonst 5 Mann arbeiteten, von denen aber nur ein einziger da war. Aus einem anderen Betriebe, in dem auch nur ein Arbeiter anwesend war, kam der Dritte. Wir drei Mann konnten Kohlen fördern.
In den folgenden Tagen stellte sich ein Bummelant nach den anderen ein. Zuletzt waren wir mit 6 Mann im Betriebe, so dass einer zuviel war. Mich als Neuling sah man als überflüssig an und machte bissige Bemerkungen über meine Anwesenheit. Zum Teil verstand ich die Worte nicht, soweit ich sie aber verstand, empfand ich sie als unberechtigt. Ich wurde, wie der Schlesier sagt, „tücksch“ und sann auf Abhilfe. Auch die Art, wie gearbeitet wurde, passte mir nicht.
Wenige Tage später ging ich deshalb vor der Einfahrt in die Steigerstube, um den Steiger um andere Arbeit zu bitten.
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Während in Schlesien jeder Steiger seine eigene Stube hat, saßen hier 5 Reviersteiger, der Schichtmeister, die Hilfssteiger und Fahrhauer in einem großen Zimmer, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrschte.
Wie ich es von Schlesien aus gewöhnt war, riss ich beim Eintritt in die Stube die Mütze herunter und grüßte laut und deutlich „Glück Auf“. Alle sahen mich verwundert an, denn das laute Grüßen kannte man nicht. An meinen Steiger herantretend, sagte ich: „Herr Steiger, ich bitte Sie, mir andere Arbeit zu geben.“
Mein Steiger war ein sehr stattlicher, schneidiger Herr, der mich jungen Menschen mit seiner Brille auf der Nase, der so gar nicht leistungsfähig aussah, der obendrein noch „Herr“ und „bitte“ sagte, von unten bis oben musterte. Das gleiche machten alle Anwesenden. Es war plötzlich still in der Steigerstube geworden.
Steiger Hullmann hatte das Organ eines Feldwebels, wie er überhaupt einem solchen, trotzdem er nicht gedient hatte, sehr ähnlich war. Er fragte kurz und scharf: „Warum?“
„Herr Steiger, ich bin hierher gekommen, um Geld zu verdienen, aber mit der Kameradschaft, der ich zugeteilt bin, kann ich nichts verdienen“, war meine höfliche aber vernehmlich ausgesprochene Antwort.
Alle Anwesenden glaubten, dass ich sagen würde, mir sei die Arbeit zu schwer. Meine Antwort kam daher völlig unerwartet. Bei meinem Steiger dauerte es auch einen Augenblick, ehe er begriff, was ich wollte. „Fahren Sie an, ich will die Sache untersuchen“, war die plötzlich in sehr höflichem Ton gegebene Antwort.
Das Nachmittags kam der alte Fahrhauer Falkenhain in die Arbeit und fragte mich nach der Ursache meiner Bitte. Gewohnt, mich offen und sachlich auszudrücken, sagte ich im Beisein meiner Kameraden, was mir in der Arbeit nicht gefalle.
Nun waren in diesem Betriebe vom Steiger alle jene Leute zusammengetan, die er los sein wollte, weil sie sich als Bummelanten das Missfallen des Steiges und das ihrer Kameraden zugezogen hatten. Die Kameradschaft war eine so genannte Bummelanten-Kolonne, die nichts verdienen sollte. Der Steiger wollte eben, dass am 15. des Monats die Mehrzahl kündigte. Ich sprach nun unbewusst Dinge aus, die der Fahrhauer sehr genau kannte. Ihm imponierte aber sehr, dass ich junger Mensch im Beisein der anderen den Mut aufbrachte, die Dinge mit dem richtigen Namen zu nennen. Denn sonst werden solche Dinge dem Steiger nur hinter dem Rücken der Kameraden hinterbracht.
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Wenige Tage später wurde ich einer Kameradschaft zugeteilt, die als so genannte Wühler bekannt waren. Ich kam zu zwei Brüdern, von denen der eine der erste Mann oder Ortsälteste, der andere der dritte Mann, oder Lehrhauer war. Ich wurde zweiter Hauer. Die beiden Brüder waren fromme Leute, so genannte Gebetsvereinler, Angehörige einer der vielen im Ruhrrevier zu findenden religiösen Sekten. Sie fluchten nicht und tranken auch keinen Schnaps. Es waren Masuren, die ihrem ganzen Wesen nach das Gegenteil von den Arbeitskameraden waren, die ich in all den Jahren kennen gelernt hatte. Heimlich und zurückhaltend, glaubten sie Gesegnete des Herrn zu sein und dünkten sich besser als die noch nicht Bekehrten.
Ihnen gegenüber fand ich im Anfang nicht den richtigen Ton. Als ich nun am ersten Tage gar noch einige Male kräftig fluchte, hatte ich es mit ihnen verdorben. Ich passte ihnen sowieso nicht, denn der Lehrhauer hatte zweiter Hauer werden wollen. Als Lehrhauer wollten sie einen von ihnen vorgeschlagenen Landsmann, auch einen so genannten Baptisten haben. Mein Fluchen war daher für sie ein gefundener Vorwand, unkameradschaftlich zu mir zu sein.
Sie begannen mich aufzudrehen. Bald sagte der Ortsälteste „dalli, dalli“ zu mir, bald sagte es der Lehrhauer. Durch diese Treiberei bei der Arbeit wollten sie mich aus der Arbeit ekeln. Ich aber nahm das Wort „dalli, dalli“ gar nicht übel auf. Das Antreiben kannte ich zur genüge aus Schlesiens Gruben. Dazu sprachen die Gebetsvereinler das „dalli, dalli“ so fromm und so entschuldigend aus, wie ich es in Schlesien von den Treibern der Kameradschaften niemals gehört hatte. Ich hielt es daher nur für eine freundliche Ermahnung zur Arbeit, die sich am Lohntage bezahlt machte. Ich sagte nun auch „dalli, dalli“, so dass es die ganze Schicht nur noch „dalli, dalli“ ging. Wurde dem Lehrhauer Gottlieb das Schleppen in der schlechten Strecke gar zu schwer, sprang ich als Hauer sogar hilfsbereit ein und schleppte einen oder zwei Wagen, damit er sich einmal verpusten konnte. Außerdem sollte er sich auch nicht einbilden, dass mir seine Arbeit zu schwer sei. „Dalli, dalli“ wurde auch mein zweites Wort.
Die Arbeit fiel mir nicht schwer. Gegenüber Schlesien war einmal die Schicht zwei Stunden kürzer, zum anderen hatte ich gutes und kräftiges Essen, zum dritten schlief ich jeden Tag 3 und 4 Stunden mehr wie ehedem, zum vierten war ich ganz und gar solide. Vor allem aber kannte ich alle Vorteile des Bergmannsberufes.
Dem Ortsältesten Johann machte mein „dalli, dalli“ bald Freude, denn das gab Geld. Er sah schon nach kurzer Zeit ein, dass ich eine Arbeitserfahrung besaß, die mich zu einem sehr wertvollen Kameraden stempelte. Dem Lehrhauer Gottfried dagegen gefiel mein „dalli, dalli“ immer weniger. Als er nun gar noch von seinem Bruder Johann hörte, ich müsse in der Arbeit bleiben, weil wir Leistung schafften und gut verdienten, kündigte er.
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Einige Wochen später verlegte uns der Steiger in die Berrichtung. Wir sollten in dem durch einen neuen Aufbruch aufgeschlossenen Flöz 15 einen Durchschlag nach der oberen Sohle herstellen. Ich wurde Drittelführer. Das hätte ich mir in Schlesien nicht träumen lassen, dass ich Bursch von 21 Jahren schon nach wenigen Wochen in Westfalen auf der berüchtigten Schlagwetter-Zeche Hibernia, in einem gefährlichen Schlagwetterflöz, in einem Aufhau von einer Sohle zur anderen, Ortsältester sein würde. Diese Arbeit war die gefährlichste, die im ganzen deutschen Bergbau vorkam.
Die meisten Menschen würden diese meine Arbeitsstelle für eine Ausgeburt der Hölle halten, wenn sie sich von ihr ein Bild machen könnten. Das Flöz war so dünn, dass es allgemein nicht abgebaut wurde. Es war nur 60 – 70 cm dick. Das Flöz stieg mit etwa 7 bis 12 Grad an. Das Aufhauen, welches wir herstellten, wurde über 100 Meter lang. Rebengestein wurde nicht mitgenommen. Zu der durch die Enge bedingten unbequemen Körperhaltung kam die gasige, warme Luft, schlechtes Licht, Staub und alle jene Schwierigkeiten, die darauf beruhen, dass man sich infolge der Enge gar nicht helfen kann. Die Kanalisationsröhren von 1 Meter Durchmesser in den Städten sind Tanzsäle gegenüber einem solchen Aufhau.
Eine solche Arbeit ist die Hölle auf Erden, und sie ist für den Bergmann nur erträglich, wenn er gut verdient und nicht unnötig vom Steiger geschuhriegelt wird. Dazu war die Arbeit ein ausgesprochener Schlagwetterbetrieb und außergewöhnlich gefährlich. Das wusste der Steiger und er ließ uns völlig ungeschoren. Diese Freiheit in der Arbeit aber war für mich mehr wert als alle Schwierigkeiten.
Nachdem ich einige Monate in diesem Betriebe tätig war, fuhren wir eine Gebirgsstörung, eine so genannte Unterschiebung an. Diese Störungen bergen des Öfteren große Gasmengen in sich. Da die Gase, sobald Grubenhaue an sie herankommen, unter großem Geräusch austreten, nennt man diese Gasausbrüche Bläser. Und einen solchen Bläser hieben wir an. Die Grubengase traten unter einem dumpfen Knall in großen Mengen aus und ihr Druck war so stark, dass sie den frischen Wetterstrom bis an den Aufbruch, das waren etwa 30 m, zurückdrängten. Der abziehende Wetterstrom ging durch den abgekleideten Fahrschacht im Aufbruch nach unten. Der Fahrschacht stand daher voll Schlagwetter und durfte nicht betreten werden. Im Fördertrum <sup>1</sup> konnten wir daher auch nicht nach unten, denn es wurde mit Gegengewicht gefördert und der Korb war oben. Sonst wären wir am Strick hinabgerutscht. Auch fehlte ein voller Wagen zum Hinablassen des Korbes. Es war ein Zusammentreffen verschiedenen Umstände, die uns die Flucht unmöglich machten. Wir legten uns daher am Aufbruch hin und hielten den Kopf in den Schacht, in dem die frische Luft nach oben drängte.
Im Augenblick des Gasausbruches habe ich sofort die Situation übersehen. Nachdem ich an den Luft- und Wasserröhren Brand geklopft, schrie ich dem um Aufklärung im Aufbruch heraufrufenden Schießmeister zu, warum und wie er alle Wetterabzugswege in den anderen Teilen des Reviers sichern müsste, damit niemand in das Gasgemisch gelange und Unheil stifte.
Auch der Schießmeister übersah sofort die furchtbare Gefahr und hat meinen Rat ausgeführt. Wären die Gase angesteckt worden, hätte die Explosion den Menschen in zwei Revieren das Leben gekostet. Diese meine Geistesgegenwart hat meinem Steiger eine solch hohe Meinung von mir eingebracht, dass er beim Direktor beantragte, mich als Beamten anzustellen. Als wenige Monate später im November 1900 eine Stelle frei wurde, machte er mich zum Fahrhauer und sagte mir, warum ich etwa einem halben Dutzend älterer Bergschüler vorgezogen worden sei.
<sup>1</sup> Die einzelnen Teile des Schachtes heißen: „Trume“ (Fahrtrum, Fördertrum)
Georg Werner war ein sehr Umsichtiger, Intelligenter,Sozialer Mensch und seiner Zeit weit voraus.Troz aller Wiederstände stieg er auf, bis hin zum Betriebsführer.
Unter seiner Führung (damals Steiger) wurde am 5.März 1907 in Neumühl ein Bezirksverein des deutschen Bergbeamtenbundes gegründet, der sich Steigerverband im Ruhrrevier nannte.
Dieser Verband wurde von den Zechenbesitzern den Behörden und der Politischen Polizei vehement bekämft auch mit unlauteren Mitteln. Werner kämpfte im Verband gegen die Willkür der die Bergbeamten Angestellten und auch Arbeiter ausgesetzt waren. Er war dadurch ständigen Repressalien ausgesetzt. seine Zahlreichen Schriften zeichnen ein Umfagreiches Kulturbild der damaligen Zeit im Ruhr - Revier und Gelsenkirchen.
Quelle: 100 Jahre Bismarck
Stefan Goch, Lutz Heidemann (Hrsg)
Schriften des ISG, Beiträge, Band 9
Klartext, 2001
Wir folgen den Ideen der Open-Source / Access- und Common Lizenz Bewegung. Solltest du dein Bildmaterial aus beruflichen oder persönlichen Gründen nicht freigeben können, kennzeichne das bitte durch einen Copyright-Zusatz
Hallo zusammen. Ich bin neu hier und gleich über den Beiträg gestolpert. Wird das Buch noch irgendwo verlegt? Ist es irgendwo noch erhältlich? Muß jetzt nicht original sein mir gehts mehr um den Inhalt. Danke im Vorraus!!
Das Buch wird im Antiquariat für 10 - 20 € angeboten. Siehe www.zvab.com.
Karlheinz Rabas
Jeden Dienstag von 17.00 bis 19.00 Uhr sind
Besucher bei uns im Stadtteilarchiv Rotthausen, Mozartstraße 9, herzlich willkommen 10.000 Fotos zu Rotthausen und mehr