Zeche Dahlbusch

Die industrielle Vergangenheit Gelsenkirchens zwischen Kohle und Stahl. Alles was stank. ;-)

Moderatoren: Verwaltung, Redaktion-GG

Benutzeravatar
Heinz H.
Beiträge: 8599
Registriert: 17.10.2007, 16:54
Wohnort: GE-Buer

Unfallverhütung

Beitrag von Heinz H. »

BildMit Schuh ist besser... :wink:
"Gelsenkirchen kann wirklich froh sein, dass es Buer hat."
Dr. Peter Paziorek

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Mutterklötzken

Beitrag von friedhelm »

...und Helm!

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Mein Mutterklötzken

Beitrag von friedhelm »

Bild

"Ob sich Muttern wohl freut ?"

Schacht 9
† 17.07.2016
Beiträge: 2418
Registriert: 04.07.2007, 21:45
Wohnort: Gelsenkirchen Bismarck

Beitrag von Schacht 9 »

Glosse Mutterklötzchen.

Klaus hat Frühschicht, er muss sich beeilen, denn er ist heute etwas spät dran.
Als er das Haus verlässt, geht oben das Fenster auf und Rita ruft zu ihm hinunter:
„Denk an das Mutterklötzchen, wir haben nur noch wenig Anmachholz.“ Klaus schaut nach oben und antwortet: „Mach ich, ich bring eines mit .“ Und ab geht es in Richtung Zeche Dahlbusch. In der Kaue angekommen, wird der Haken heruntergelassen, die Klamotten gewechselt, den Haken wieder hoch und mit den anderen Kumpels zum Schacht. Auf dem
Weg dorthin trifft er den Rohrschlosser und von dem bekommt er eine vier Zoll Dichtung für sein Mutterklötzchen. Schnell ist man auf der 10. Sohle angekommen da geht es auch schon mit dem Personenzug in das Abbaurevier. Jacke und Kaffepulle an den Nagel, rein in den Streb, heute scheint ja alles gut zu klappen. Kumpel Michael , ein Neuer aus Bayern, ist auch schon da, hat gerade zwei Stempel besorgt und macht den Luftschlauch an der Rohrleitung fest, schnell fallen die ersten Brocken in die Rutsche. Noch keine halbe Schicht und die ersten drei Baue stehen, also vier Meter sind geschafft, es wird Zeit zum Buttern, da fällt Klaus plötzlich das Mutterklötzchen ein. Er peilt den nächsten Sechsfüßer an. Das ist ein besonders schöner Holzstempel, der an einem Ende völlig astfrei ist und das ist ganz wichtig für das Spalten. Michael wird gerufen und zu zweit wird der Klotz genau auf „Küppersbuschmaß“ geschnitten. Natürlich kennt Michael von dieser Maßeinheit nichts und wartet gespannt, wie der Klaus das wohl machen wird. Der bewegt die Hände und Finger so komisch, macht mit dem Daumennagel einen kaum sichtbaren Ritzer ins Holz und sagt, dass an dieser Stelle gesägt wird. Das konnte Kumpel Michael gar nicht verstehen. Egal, danach kommt der Dichtungsring genau in der Mitte um den Holzklotz, dann nimmt jeder sein Beil, einer hält die Schneide genau auf die Schnittstelle und der Andere haut kräftig drauf. Immer schön im Viereck bis alles klein gespalten ist und der Gummiring hält alles wunderbar zusammen. Nun noch schnell drei Meter Kohle, den Ausbau eingebracht, Schlauch ab, Spitzeisen und Beil bis morgen im Stoß versteckt und nun ist Schicht für heute. Wir nehmen unsere Kaffepulle und die Jacke, klemmen den Klotz unter dem Arm und fahren zu Schacht. Oben in der Kaue das Übliche, dann beim Pförtner die Markennummer einwerfen aber das Holz verstecken, denn der hat etwas dagegen, danach sind wir wieder auf dem Heimweg. Glück Auf und Rita bekommt ihr Mutterklötzchen, unpraktisch, ne? „Jau.“

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Mutterklötzken

Beitrag von friedhelm »

Habe da auch noch was im Stoß liegen, erzähl ich aber am 27. November in der Bluebox und das Mutterklötzken bringe ich mit. Garantiert. Glück Auf

Oskar
Beiträge: 42
Registriert: 27.06.2012, 13:46
Wohnort: Rotthausen

Beitrag von Oskar »

Karlheinz Rabas hat geschrieben:Die Kumpels haben in aller Regel jeder nur ein Mutterklötzchen mitgenommen.
Mit der Kohlenlieferung wurden keine Mutterklötzchen geliefert!
Karlheinz Rabas
Danke für die Nachhilfe. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass der kleine Holzscheit das Mutterklötzchen ist und mehrere Mutterklötzchen mit Draht zusammengebunden wurden. Auch die Bilder von Heinz H. und Schacht 9 sind authentisch.
Dass generell mit der Kohlenlieferung auch Mutterklötzchen geliefert wurden, wollte und will ich nicht behaupten. Ich habe dennoch erlebt, dass bei einer Kohlenlieferung Mutterklötzchen dabei waren. Wie auch immer die zur Lieferung dazu kamen. Das weiß ich nicht mehr.
Sei's drum! Wer anders als Karlheinz Rabas sollte es so genau wissen.
Danke nochmal für die Hinweise.
Gruß von Oskar

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Erinnerungen an Dahlbusch

Beitrag von friedhelm »

Deutschland wird Weltmeister

1954 im Juli: Die Sonne meinte es gut mit uns. Es war ein herrlich schöner Tag. Wir spielten Fussball. Einige Männer hantierten in den Gärten. Frauen und Kleinkinder saßen auf Stühle vor den Häusern. Die Frauen strickten, häkelten, plauderten.
Plötzlich schrie Jemand: TOR!!!
Wir rannten alle zu dem Garten, wo der Schrei herkam. Es war eine Fussballübertragung im Kofferradio Deutschland im Endspiel gegen Ungarn. Deutschland gewann, der Jubel der Männer riss uns mit, obwohl wir wenig Ahnung von solchen Ereignissen hatten. Egal. Es bildete sich eine Gruppe von Leuten um uns.

Eine junge Frau umarmte mich, lachte und tanzte einige Schritte mit mir. Später merkte ich, sie wollte mehr von mir. Sie erzählte, dass ihr Mann jede freie Minute mit seinem Motorrad nach Schwerte zu seinen Verwandten fuhr. Er vernachlässigte sie. Sie fühle sich einsam. Sie freundete sich mit der Familie aus dem Elsass an. Diese Familie bestellte alles aus dem Katalog, bezahlte nichts, sodass alles einige Zeit später wieder abgeholt wurde. Alle amüsierten sich.

Eines Tages sprach es sich herum, ein Fernseher stand in der Wohnküche der Familie. Es war eine Sensation, der erste und einzigste Fernseher weit und breit. Alle waren neugierig und es ergab sich, dass diese Leute immer mehr Freunde bekamen. Alle Nachbarn wollten schauen. Im Laufe der Zeit war abends um 8 Uhr ihre Wohnküche voller Stühle und Schaulustige. Ihre Tochter - sie war so alt wie ich - mochte mich und hielt immer einen Platz frei. Sie und die vernachlässigte Frau buhlten um mich. Sie nahmen mich in die Mitte. Mehr als mal Händchenhalten war nichts.

Das Fernsehschauen war am Anfang interessant, doch die dauernden Unterbrechungen machten keinen Spass. Eines Tages war auch der Fernseher weg. Ich konnte mir endlich ein Fahrrad leisten, der Weg zur Arbeit wurde dadurch angenehmer.
Inzwischen fing auch mein Bruder auf der Zeche Dahlbusch an. Allerdings nur als Schlepper. Meine Schwester fand eine Einstellung als Lehrmädchen in einem Haushalt.

Eine grössere Wohnung musste her. Wir bekamen sie in der Steeler Straße nicht weit vom Marktplatz. Es war ein Hinterhaus. Das Vorderhaus hatte einen Torbogen, dahinter stand unser zweistöckiges Haus. Der Hofplatz war gross. Eine Waschküche teilte den Platz, dahinter befand sich eine Wiese mit Pfählen für Wäscheleinen. In der Wohnung sah es aus wie überall: In der Mitte der Stube war der Tisch, rundherum Stühle und Eckbank. Der obligate Küppersbuschherd fraß alles was brennbar war. Toiletten waren im Vorderhaus neben der Treppe. Auch hier galt die gute Nachbarschaft. Gerade im Sommer waren alle die Zeit hatten, im Hof. Frauen tratschen, stricken, passen auf Kinder auf.
Der „Rock and Roll-Film“ mit Bill Haley machte uns Jungen verrückt. Erhobene Hauptes und mit geschwollener Brust gingen wir aus dem Kino mit dem Gefühl: „Jetzt verbessern wir die Welt. Uns kann Keiner!“
Doch die Realität holte uns wieder ein. (wird fortgsetzt)
Aufgezeichnet von Erwin Paproth

Benutzeravatar
Mechtenbergkraxler
Beiträge: 1262
Registriert: 15.04.2011, 11:17
Wohnort: im Exil

Beitrag von Mechtenbergkraxler »

Oskar hat geschrieben:
Karlheinz Rabas hat geschrieben:Die Kumpels haben in aller Regel jeder nur ein Mutterklötzchen mitgenommen.
Mit der Kohlenlieferung wurden keine Mutterklötzchen geliefert!
Karlheinz Rabas
Danke für die Nachhilfe. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass der kleine Holzscheit das Mutterklötzchen ist und mehrere Mutterklötzchen mit Draht zusammengebunden wurden. Auch die Bilder von Heinz H. und Schacht 9 sind authentisch.
Dass generell mit der Kohlenlieferung auch Mutterklötzchen geliefert wurden, wollte und will ich nicht behaupten. Ich habe dennoch erlebt, dass bei einer Kohlenlieferung Mutterklötzchen dabei waren. Wie auch immer die zur Lieferung dazu kamen. Das weiß ich nicht mehr.
Sei's drum! Wer anders als Karlheinz Rabas sollte es so genau wissen.
Danke nochmal für die Hinweise.
Gruß von Oskar
Wissen tun das nur diejenigen, die - wie der Mechtenbergkraxler - selbst mit Vattern und Muttern die Kohlen von der Straße in den Keller eingescheppt haben. Bei jeder Ladung Deputatkohle war Anmachholz dabei, nicht unbedingt schon nach Mutterklötzchenart kleingehackt, aber so handlich, dass es im Keller wann immer nötig auf die nötige Größe gebracht werden konnte. Ob Karlheinz damals schon im Pott war und selbst mit eingescheppt hat, glaub ich nicht :wink:

MK
"Der Optimist hat nicht weniger oft unrecht als der Pessimist, aber er lebt froher." (Charlie Rivel, Clown)

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Mutterklötzken

Beitrag von friedhelm »

Es war wohl eine zeitlang üblich, dass mit der Deputatkohle, die meist direkt vom Leseband in den Landabsatz ging, auch Holz mit nach Hause geliefert wurde. Das waren Grubenholzreste - die, so erinnere ich mich - meist nass angeliefert wurden und es war Holz, "dass sehr viele Äste" aufwies und daher von den Kumpels nicht gerne im Keller gesehen wurde. Es war nämlich sehr mühsam, diese astreichen Stempelreste im Gegensatz zu den wunderbaren Mutterklötzken, zu spalten/zerkleinern. Jeder Pütt hatte da aber ein eigenes Verfahren: Mal gab es zum Deputat Holz, mal nicht. Es kam wohl auf die jeweiligen Zechengesellschaften an.

Benutzeravatar
Mechtenbergkraxler
Beiträge: 1262
Registriert: 15.04.2011, 11:17
Wohnort: im Exil

Beitrag von Mechtenbergkraxler »

Mechtenbergkraxler hat geschrieben: Ob Karlheinz damals schon im Pott war und selbst mit eingescheppt hat, glaub ich nicht :wink:

MK
Da muss ich natürlich Abbitte leisten :cry: : Karlheinz Rabas ist ein waschechter Ruhrpottler, zwar nicht immer Rotthauser, aber immer ganz in der Nähe. Ob er Kohlen gescheppt hat, weiß nur er selbst ....

Sorry,
MK
"Der Optimist hat nicht weniger oft unrecht als der Pessimist, aber er lebt froher." (Charlie Rivel, Clown)

Karlheinz Rabas
Beiträge: 1557
Registriert: 26.11.2006, 12:45
Wohnort: Gelsenkirchen

Beitrag von Karlheinz Rabas »

Ich kann euch beruhigen.
Ich bin im Schatten der Fördertürme von Zollverein, Schächte 1/2/8 und Schacht 12 aufgewachsen und auf Zollverein groß geworden.
Die Kohlen, die ich persönlich in meinem Leben verbrauche, habe ich auch selbst im Streb unter Tage auf Zollverein gewonnen und die Kohlen, die ich für uns und unsere Nachbarn in den Keller geschaufelt habe, sind sicherlich mehr als 100 Tonnen.
Also: ich weiß, wovon ich rede.

Karlheinz Rabas
Jeden Dienstag von 17.00 bis 19.00 Uhr sind
Besucher bei uns im Stadtteilarchiv Rotthausen, Mozartstraße 9, herzlich willkommen 10.000 Fotos zu Rotthausen und mehr

Karlheinz Rabas
Beiträge: 1557
Registriert: 26.11.2006, 12:45
Wohnort: Gelsenkirchen

Re: Erinnerungen

Beitrag von Karlheinz Rabas »

friedhelm hat geschrieben:Ein ehemaliger Dahlbusch-Kumpel erinnert sich:

...
Dieses Gebäude ist heute das Volkshaus Rotthausen. (wird fortgesetzt)
Aufgezeichnet von Erwin Paproth
Das Gebäude wurde 1920 als Volkshaus Rotthausen gebaut. Nachzulesen in: Karlheinz Rabas: Die Geschichte des Volkshauses Rotthausen, Gelsenkirchen-Rotthausen 1984.

Kalheinz Rabas
Jeden Dienstag von 17.00 bis 19.00 Uhr sind
Besucher bei uns im Stadtteilarchiv Rotthausen, Mozartstraße 9, herzlich willkommen 10.000 Fotos zu Rotthausen und mehr

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Erinnerungen an Dahlbusch

Beitrag von friedhelm »

Untertage
Im Oktober 1954 war es soweit: Ich musste einfahren. Revier 1 "Flöz Karl" in über 900 Meter Tiefe war nun mein Arbeitsplatz. Ich bekam Lederhelm, Handlampe, CO – FSR Filter. Dies wurde dann im Laufe der immer strengeren Sicherheitsvorschriften geändert. Ein moderner Helm, Kopflampe, Sicherheitsschuhe, Fusslappen – die über die Füsse gefaltet wurden - und besondere Kleidung waren Vorschrift.
Meine erste Tätigkeit war, an der Verladestelle die Etikettnummern an die Waggons befestigen. Über Tage wurde dann gezählt, wie viele Wagen aus welchem Revier kamen.

Später kam ich zum Holztransport für den Flözausbau. Einmal mussten wir den Blindschacht herunter steigen. An der Fördermaschine war etwas defekt. Fast 50 Meter tiefer lag die Sohle die wir erreichen mussten. Die Holzleitern waren neben den Gleitschienen. Es war eng und rutschig. Der ganze Schacht war feucht, neblig, warm. Unsere Körper waren kohlenschwarz, wir schwitzten, Hemden und Hosen klebten an uns. Sprosse für Sprosse ging es tiefer. Die schweren Elektrolampen hingen am Hosengürtel neben CO-Filter und Trinkflasche. Wir waren erleichtert und froh, als wir die Sohle erreichten.

Mit der Schule ging es gut. Ich bekam gute Noten. Nur mit dem „Steiger werden“ wurde nichts. Ich fehlte dreimal in Bochum in der Bergbauschule. Ich gab mir selbst die Schuld, denn die Cranger Kirmes und die Mädchen interessierten mich mehr. Doch der Pütt hielt mir die Stange und förderte mich. 
Lohn gab es dreimal im Monat. Man holte sich die Abschläge am 15. und 25. vom Revierschalter ab. Das Geld war in einer Lohntüte mit Quittung. Am 5. des nächsten Monats gab es die Endabrechung. Mein Gesamtlohn war zu der Zeit 450 DM monatlich. Einmal im Monat kam der Vertrauensmann der Gewerkschaft IG Bergbau vorbei um den monatlichen Beitrag zu kassieren. Eine Marke wurde in das Mitgliedsheft geklebt.
3

Es gehörte auch zur Ausbildung, dass man andere Orte und Arbeiten kennen lernte. Mit den Boxer Kohle abbauen, mit dem Stempelzähler durch Strecken und Flöz gehen, Holztransport. den Schiessmeister vor Ort helfen. Bei einem dieser Aushilfsarbeiten hatte ich einen Unfall. Mein Kumpel und ich sollten einen halbvollen Kohlewagen zum Blindschacht bringen. Die Strecke war niedrig, eng, der Ausbau alt und die Schienen uneben. Weil ein leichtes Gefälle den Wagen schneller machte, mussten wir ihn bremsen. (wird fortgesetzt)

aufgezeichnet von Erwin Paproth

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Erinnerungen an Dahlbusch

Beitrag von friedhelm »

Unfall

Mein Kumpel ging vor den Wagen und hielt den Rücken gegen ihn. Ich klemmte die Remme zwischen dem linken Hinterrad und dem Wagen. Dann geschah es: Ich hatte die rechte Hand zwischen Wagenrand und dem Flansch der Lutte. Ich merkte einen Stich, zog die Hand zurück, Der lederne Fausthandschuh fiel aufs Liegende, ich sah das Blut im Schein meiner Kopflampe, setzte mich, mein Kumpel war sofort zur Stelle und leistete erste Hilfe.

Wir waren als Ersthelfer ausgebildet und hatten immer Verbandszeug dabei. Ich hatte den Zeige - Mittel - und Ringfinger der rechten Hand zerquetscht. Bis zum Blindschacht war es nicht weit. Dort waren auch andere Kumpel. Ich sah nichts mehr, hörte nur noch Stimmen. Ich spürte meinen Körper nicht mehr und fiel in ein schwarzes Loch. In der Mitte sah ich einen weissen Punkt. Ich flog auf ihn zu, doch er war unerreichbar. Mein Flug war immer schneller.

Im Unfallkrankenhaus Ückendorf wachte ich auf. Eine Stimme sagte: "Da ist er wieder". Ich lag auf dem Rücken, die linke Hand an der Seite, daneben stand eine junge Schwester und lächelte. Ich hatte meine Arbeitskleidung an, war mit einer Decke bedeckt. Die rechte Hand lag auf einem kleinen OP Tisch. Zwei Ärzte versuchten meine Knochen mit der Pinzette zusammen zu setzen. Der Handrücken war vereist. Ich sah zu, hatte keine Schmerzen bis ich dann doch zuckte. Die Schwester streichelte meinen Arm, die Schmerzen waren weg. Ich bettelte sie an: "Bitte weitermachen."
"Noch zwei Stiche", meinte der Arzt. Später holten mich zwei Männer ab und badeten mich.
Meine Zivilkleidung brachte der Begleiter mit. Jede Woche musste ich dann zur Nachuntersuchung. Die Station war immer gut mit unfallkranken Bergleute besucht. Um 9 Uhr stand eine kleine, stämmige resolute Schwester im Flur, und rief zur Ordnung auf. Sie hatte einen Befehlston mit dem sie unsere Namen aufrief und uns antreten ließ. Zurück blieb mir das steife Ende des Mittelfingers.


1955 im Mai erfand man die berühmte Dahlbuschbombe. In 850 Meter Tiefe waren drei Kumpels im "Flöz Wilhelm" zwischen der 10. und 11. Sohle eingeschlossen. Der Schweissermeister Schulz, der mir einiges beibrachte, sowie Fahrsteiger Kipp, mit dem wir viel diskutierten, halfen mit, dieses Ding zu bauen. Es war eine spektakuläre Rettung. Dieses Gerät wurde dann auch woanders eingesetzt. (wird fortgesetzt)
aufgezeichnet von Erwin Paproth

friedhelm
Beiträge: 3819
Registriert: 10.11.2011, 11:43
Wohnort: Herne

Erinnerungen an Dahlbusch

Beitrag von friedhelm »

Unglück und mehr

Das Unglück im August 1955 war eine Schlagwetterexplosion mit Grubenbrand. 42 Bergleute kamen ums Leben.

An diesem Tag hatte ich Frühschicht und ruhte mich in der Sonne im Hof aus.
Plötzlich heulten Sirenen. Erwachsene schrien: „Da ist was passiert“.
Neugierige liefen zum Schacht. Man erfuhr nichts. Erst später trat der Direktor vors Tor und klärte auf.

Noch war die Explosion von 1950 mit 78 Tote, darunter 23 Berglehrlinge, allen in Erinnerung. Mein Bruder war unten. Wir machten uns Sorgen. Er arbeitete in der Nähe des Unglücksortes.

Er hörte den Knall, spürte den Luftzug und rannte mit Anderen zum Schacht. Er fuhr nicht mehr ein. Der Schrecken und die Angst sassen zu tief. Er versuchte sich dann als Dachdecker. Er machte unseren leiblichen Vater ausfindig und zog dann zu ihm nach Einbeck.

Und noch einen Kumpel hätte es beinahe erwischt: Günter Schäfer, der mit uns 1965 nach Kelsterbach kam, wurde mit den Verletzten und Toten auf einer Trage herausgetragen.
In der grossen Halle wurde er wach und blickte verwirrt um sich. Nach der ärztlichen Behandlung durfte er sich von den Eltern umarmen lassen. Er hatte keinen Schaden erlitten, musste aber weitere seelische Behandlungen über sich ergehen lassen.
Heute fährt mit seiner Frau im Campingwagen durch Europa. Selten ist er zu Hause anzutreffen. Er war unser Klassensprecher. Ich löste ihn ab.

Die Trauerfeier fand auf dem Markplatz in Rotthausen statt. Prominente Redner, darunter der Bundespräsident Heuss versuchten, den Trauernden Trost zu geben. Die Beerdigung war dann auf dem Friedhof in Rothausen.

Es war im April ein schöner Tag. Auf dem Rotthauser Marktplatz war Kirmes. Ein Freund und ich mussten hin. Ich schoss zwei Flaschen Wein, drehte mich zufällig um und blieb erstarrt stehen. Vor mir stand „SIE“!
Sie sah mich an, ich sie. Unsere Blicke konnten sich nicht abwenden. Der Kumpel stieß mich an. (wird fortgesetzt)


aufgezeichnet von Erwin Paproth

Antworten