Zwangsarbeiter im 2. Weltkrieg

Alles über die Verstrickungen der Stadt/Bürger mit der NSDAP/Faschismus

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Animken
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"Lager Wiebringhaushof" in Hassel

Beitrag von Animken »

"Lager Wiebringhaushof" in Hassel:

Einen ausführlichen Bericht zum Zwangsarbeiter-Lager an der Femestraße in Hassel findet Ihr auf der Homepage von Gelsenzentrum:

http://www.gelsenzentrum.de/zwangsarbei ... irchen.htm

Schüler der Hauptschule am Eppmannsweg haben sich 1993 ausführlich mit einer Ausarbeitung/ Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in der Geschichte des Nationalsozialismus in Gelsenkirchen beschäftigt.

Die Schülerarbeit, die sie zusammen mit ihrem damaligen Geschichtslehrer Herrn Niemeyer erarbeitet hatten, hat damals in verschiedenen Kreisen für nachhaltiges Wohlwollen und Aufmerksamkeit gesorgt.

Weiteres hierzu unter der Verlinkung!!!

Sehr ausführlich und bemerkenswert, was die Schüler dort zusammengetragen haben, finde ich.

Zuzu hat ja bereits auf die unterschiedlichen Lager, die über ganz GE verteilt waren, hingewiesen.

Ansonsten findet, wer sich noch ausführlicher informieren möchte, im folgenden Bändchen weitere Informationen zur Ausbeutung der damaligen Zwangsarbeiter in Ge.:

"Zwangsarbeiterlager in Gelsenkirchen-Hassel" aus: Roland Schlenker, "Ihre Arbeitskraft ist auf das schärfste anzuspannen" - Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterlager in Gelsenkirchen 1940-1945. Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte Gelsenkirchen - Materialien, Bd. 6.
Klartext Verlag Essen, 2003. ISBN 3-89861-155-8

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Animken
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Re: "Lager Wiebringhaushof" in Hassel

Beitrag von Animken »

Animken hat geschrieben:"Lager Wiebringhaushof" in Hassel:

Einen ausführlichen Bericht zum Zwangsarbeiter-Lager an der Femestraße in Hassel findet Ihr auf der Homepage von Gelsenzentrum:

http://www.gelsenzentrum.de/zwangsarbei ... irchen.htm

Schüler der Hauptschule am Eppmannsweg haben sich 1993 ausführlich mit einer Ausarbeitung/ Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in der Geschichte des Nationalsozialismus in Gelsenkirchen beschäftigt.

Die Schülerarbeit, die sie zusammen mit ihrem damaligen Geschichtslehrer Herrn Niemeyer erarbeitet hatten, hat damals in verschiedenen Kreisen für nachhaltiges Wohlwollen und Aufmerksamkeit gesorgt.

Weiteres hierzu unter der Verlinkung!!!

Sehr ausführlich und bemerkenswert, was die Schüler dort zusammengetragen haben, finde ich.

Zuzu hat ja bereits auf die unterschiedlichen Lager, die über ganz GE verteilt waren, hingewiesen.

Ansonsten findet, wer sich noch ausführlicher informieren möchte, im folgenden Bändchen weitere Informationen zur Ausbeutung der damaligen Zwangsarbeiter in Ge.:

"Zwangsarbeiterlager in Gelsenkirchen-Hassel" aus: Roland Schlenker, "Ihre Arbeitskraft ist auf das schärfste anzuspannen" - Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterlager in Gelsenkirchen 1940-1945. Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte Gelsenkirchen - Materialien, Bd. 6.
Klartext Verlag Essen, 2003. ISBN 3-89861-155-8

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Hierzu siehe auch: Beiträge zur Stadtgeschichte, Band XVIII (1994), S. 270 - 316

Quiqueg
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Beitrag von Quiqueg »

Gruß an Emscherbruch: Du weißt es vermutlich längst, aber vielleicht hilft das Folgende doch:

Institut für Stadtgeschichte (ISG) Historische Spuren vor Ort (1998) S. 41 ff:

„Aufgrund der eklatanten Wohnungsnot in GE und Umgebung… wurde 1937 ein Wohnungsbauprogramm für GE ausgearbeitet. Als Siedlungsgelände wurde darin die Resser Mark vorgeschlagen. In einer Bauzeit von 20 Jahren sollten dort 1 400 Wohnungen für 6 000 Menschen entstehen…Unter großem propagandistischem Getöse nahm der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, am 25-6-1938 den ersten Spatenstich vor. 1939 wurde dann mit dem Bauprogramm begonnen. Die ersten Bewohner waren überwiegend Bergleute von Bismarck und Hugo – allesamt Mitglieder der NSDAP – die von ihren Arbeitgebern ein Darlehen erhalten hatten. Eine Ausnahme bildete der Gemenhof, in dem bis 1943 sogenannte Fremdarbeiter untergebracht waren.“

Bei Roland Schlenker finde ich dazu nichts. Irgendwo meine ich gelesen zu haben, es seien bei den Bauarbeiten eingesetzte Franzosen gewesen. Falls noch Interesse besteht, bitte beim ISG nachfragen, die wissen Bescheid.


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Emscherbruch
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Gemenhof

Beitrag von Emscherbruch »

Quiqueg hat geschrieben:Du weißt es vermutlich längst ...
Ja, die Frage ist schon ein paar Jahre alt und die zitierten Bücher habe ich gelesen.

Bei Roland Schlenker sind die Lager in der Resser Mark nicht vollständig gelistet, wenn die Erinnerung von Zeitzeugen nicht fehlerhaft ist.
Ein Lager ist auf der beiligenden Karte nicht korrekt eingezeichnet worden, obwohl die Lage richtig beschrieben ist, also wohl ein Flüchtigkeitsfehler des Kartographen.
Die ersten Bewohner waren überwiegend Bergleute von Bismarck und Hugo – allesamt Mitglieder der NSDAP – die von ihren Arbeitgebern ein Darlehen erhalten hatten.
Diese Information bezieht sich auf die Siedler, die im ersten Bauabschnitt ab 1939 die Häuser im Wulfenhof und in der Halterner Straße bezogen hatten. In den Folgejahren war es wohl ein Problem, überhaupt Leute zu finden, die sich mitten im Krieg verschuldeten um ein Haus einer Wohnungsbaugesellschaft zu finanzieren. Bergleute waren bei der Vergabe der Häuser im zweiten Bauabschnitts jedenfalls nicht mehr in der Mehrheit. Wer Geld aufbringen konnte, der bekam den Zuschlag. Ob eine Parteimitgliedschaft im zweiten Bauabschnitt bei der Vergabe eine Rolle spielte, dafür habe ich bislang keine Hinweise gefunden.

Dass der Gemenhof während der Bauzeit der Siedlung Resser Mark bis in das Jahr 1942 hinein als Unterkunft für die Kriegsgefangenen diente, ist heute noch an einer architektonischen Besonderheit zu erkennen. Die Häuser der Siedlung wurden nach 3 ähnlichen Bautypen errichtet, wobei ein Bautyp eine Tordurchfahrt vorsah. Nach Aussage eines Zeitzeugen war im Gemenhof von Anfang an das Haus Nr. 6 exklusiv mit einem Giebel oberhalb der "Tordurchfahrt" versehen worden. Dort war die Wachstube, aus deren Fenster heraus eine bewaffnete Person das Lager beobachtete.
BildGemenhof "Wachstube" - Foto von 2008

Dieses Detail fällt heute kaum mehr auf, aufgrund der unzähligen Umbauten an fast allen Siedlungshäusern und teilweisen Neubauten im Laufe der letzten 70 Jahre.
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.

Quiqueg
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Etwas Allgemeines zur Aushebung der "Ostarbeiter"

Beitrag von Quiqueg »

Ist nicht auch von Interesse, dass dies zunächst etwa so aussehen konnte?

„ Die erste Partie führt nach Dortmund (Westfalen). Dortmund in eine historische Stadt …Bis zur heutigen Zeit haben sich in der Altstadt Denkmäler aus dem 12.Jahrhundert erhalten. In der heutigen Zeit ist Dortmund eine große Industriestadt mit mehr als 500 000 Einwohnern. … Die Bibliothek der Stadt Dortmund ist eine der größten des Ruhrgebiets. Der Sportplatz der Stadt umfasst 12 000 Personen und ist einer der größten Deutschlands. Erwähnt sei ferner der Stadtpark.“ (U.Hermann Seite 184).

Später steigerte sich auch die „Aushebung“ der Zivilarbeiter bis zur äußersten Brutalität. Was die zunächst „auf die weiche Tour“ angeworbenen Menschen betrifft: Auch sie haben spätestens bei ihrer Ankunft, vermutlich schon auf dem Transport, die grausame Realität auf der Stelle kennen gelernt .

Bemerkenswert, dass mit der Bibliothek geworben wurde. Wo doch Göring in Deutschland von einer Verpflegung dieser Menschen mit „Katzen, Pferden usw.“ gesprochen hatte und davon, dass die Sowjets in Höhlen hausten. Wenigstens dies wusste man vor Ort besser. Hier richtete man sich offenbar bewusst an Menschen, die in ihren „Höhlen“ Wälzer wie „Krieg und Frieden“, Karenina und dergleichen zu lesen pflegten. „Zu lang, wer soll das alles lesen, haben wir nichts Besseres zu tun?“ würde heute vielleicht mancher sagen.

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Emscherbruch
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Die öffentliche Demütigung des Liebespaares Elisabeth Makowi

Beitrag von Emscherbruch »

Gestern endete auf Zeche Zollern in Dortmund die Sonderausstellung "Zwangsarbeit".
http://www.lwl.org/LWL/Kultur/wim/porta ... angsarbeit

Zunächst in Berlin und Moskau gezeigt, gibt es wohl keine andere so umfassende und eindrückliche Darstellung.
http://www.ausstellung-zwangsarbeit.org

Die öffentliche Demütigung des Liebespaares Elisabeth Makowiak und Juda Rosenberg
Ein Fall aus der Ausstellung stammt aus Gelsenkirchen im Jahr 1935.

Die Nazis begannen in den ersten Jahren ihrer Herrschaft damit, Menschen nachzustellen und öffentlich zu demütigen, die ihrer Ideologie entgegen handelten. Darunter waren viele SPD und KPD-Mitglieder, aber auch vollkommen unpolitische Menschen, die ausspioniert und denunziert wurden. Juda Rosenberg wurde von den Nazis als "Ostjude" bezeichnet (ein Elternteil war jüdisch), der seit 1928 eine Beziehung zur unverheirateten Elisabeth Makowiak hatte.
BildDenunziation

Juda Rosenberg wurde vorgeworfen, durch die Beziehung zu Elisabeth Makowiak "die innere und äußere Sicherheit des Reiches zu gefährden" und des Landes verwiesen.
BildVerurteilung

Vorher aber trieb man beide öffentlich durch die Straßen Gelsenkirchens mit umgehängten Schildern, auf denen nicht nur entwürdigende Aussagen standen sondern auch ihre Namen und Adressen. Herrn Rosenberg setzte die Meute einen Hut mit dem Schriftzug "Rassenschänder" auf. In der Zeitung des nächsten Tages wurden beide in einem großen Artikel menschenverachtend niedergemacht. Ein Foto von ihnen, das sie während der vortäglichen öffentlichen Demütigung zeigt, fehlte nicht.

Bild
Bild

All das geschah noch vor dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze im Herbst des Jahres 1935. Menschen wurde die Menschenwürde abgesprochen und genommen, die Bevölkerung eingeschüchtert, der Boden für die noch kommenden Verbrechen an den Zwangsarbeitern vorbereitet. Schon wenig später gehörte Zwangsarbeit durch Menschen anderer Völker und Länder zum Alltag in Gelsenkirchen.
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.

Gert B.
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Zu: "Die öffentliche Demütigung ..."

Beitrag von Gert B. »

Ein paar Gedanken zum letzten Beitrag von Emscherbruch


Zunächst hatte ich nicht verstanden, was der hier von Emscherbruch vorgestellte Fall (und die allgemein erwähnten ähnlichen Fälle von öffentlicher Demütigung) mit dem Thema dieses Freds „Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg“ zu tun haben soll; Zwangsarbeiter waren die beiden hier mit den Dokumenten vorgestellten Personen ja nicht und im 2. Weltkrieg spielte sich der hier vorgestellte Fall aus dem Jahr 1935 auch nicht ab. Einzige Verbindung zum Fred-Thema schien der Titel der Ausstellung in Dortmund zu sein („Zwangsarbeit“).

Die Durchsicht der durch die eingestellten Links aufgerufenen Seiten brachte dann Klarheit. Es geht den Ausstellungsmachern darum, aufzuzeigen, wie in der NS-Zeit in Deutschland schon lange vor dem Beginn des 2. Weltkriegs eine Ausgrenzung von bestimmten Menschengruppen durch die Nazis vorgenommen wurde, durch die eine „Gewöhnung“ (Titel des 1. Teils der Ausstellung) daran erfolgte, dass es minderwertige Menschen gebe, denen gegenüber man sich durchaus unmenschlich verhalten konnte und sollte, unter anderem eben dadurch, dass man sie öffentlich vorführte und demütigte. Dies betraf nicht nur Juden. In diesem Zusammenhang ist auch die Unterscheidung von „Jude“ und „Ostjude“ von Bedeutung: die Vorsilbe „Ost-“ bedeutete so viel wie: noch eine Stufe unter „Untermensch“. Dadurch wurde – so wohl der Bezug zur Thematik „Zwangsarbeiter“ - die deutsche Bevölkerung darauf eingestimmt und vorbereitet, wie dann später andere „Untermenschen“, z. B. osteuropäische Zwangsarbeiter, zu behandeln seien – ohne dass diese Art der Behandlung noch besonderen Anstoß erregen könnte. Emscherbruch bringt das in seinen letzten Sätzen auch zum Ausdruck, es hat bei mir nur etwas gedauert, bis ich diesen Zusammenhang deutlich genug erfasst hatte.

--------------

Die Bilder, die Emscherbruch hier eingestellt hat, hatte ich schon vorher gesehen und sie hatten schon früher einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Neu für mich – vielleicht auch erst jetzt bewusster wahrgenommen – waren für mich die beiden Schriftdokumente.

Es hat mich schon lange die Frage interessiert, was denn wohl so in den Köpfen der Menschen vor sich gegangen sein mag, die als Mitmacher (da dürfte es noch einfach zu erraten sein), vor allem aber als Zuschauer solchen Ereignissen der öffentlichen Zurschaustellung und aggressiven Demütigung anderer Menschen beigewohnt haben. Es gibt da ja noch viele andere solche Fotos und Berichte (auch in dieser Ausstellung). Besonders eklatant wird diese Frage auch im Zusammenhang mit den Pogromen am 9. November 1938.

Auffällig ist bei beiden Bildern , dass nicht eine einzige SA- oder SS-Uniform zu sehen ist. Die „Täter“ werden von Emscherbruch einmal allgemein als „Die Nazis“ bezeichnet, einmal konkreter „die Meute“ genannt, ansonsten erscheinen sie als unbestimmtes „man“ oder gehen im „täterlosen Passiv“ auf. An einer Stelle heißt es: „die Bevölkerung (wurde) eingeschüchtert“.

Wer auf den beiden Fotos nun Täter oder Mitmacher ist und wer „nur“ Zuschauer, ist nicht klar auszumachen; aber „eingeschüchtert“ sieht für mein Empfinden jedenfalls niemand aus. (Womit ich natürlich nicht bestreiten möchte, dass es diese Einschüchterung in großem und üblem Umfang gab; das hier stattfindende Geschehen diente ja auch diesem Zweck.) Die das Geschehen Miterlebenden – egal, ob als Täter oder als (sonntäglich?) zivil gekleidete Zuschauer – scheinen durchaus ihren Spaß an diesem menschenverachtenden Treiben zu haben.

„In der Zeitung des nächsten Tages wurden beide in einem großen Artikel menschenverachtend niedergemacht. Ein Foto von ihnen, das sie während der vortäglichen öffentlichen Demütigung zeigt, fehlte nicht.“ (Emscherbruch, oben)

Ich gehe mal davon aus, dass auch die Leser dieser Zeitung zu einem Teil erschrocken und angewidert waren, zu einem großen Teil aber auch den Zeitungstext nebst Bild genossen haben. Denn für die Letzteren galt ja: Da hat sich so ein Unter-Untermensch („Ostjude“) an ein „Christmädel“ (siehe Dokument 1) herangemacht und mit diesem „Rassenschande“ getrieben, die bekanntlich Volkskraftzersetzung ist. Und für ein anständiges „christliches Mädel“ (Dokument 1) gehörte sich so was ja nun auch wirklich ganz und gar nicht!

Den Satz des Anzeige erstattenden SS-Scharführers finde ich höchst aufschlussreich beim Versuch einer Beantwortung der Frage, was in den Köpfen der Beteiligten / Miterlebenden so vor sich gegangen sein mag:

„Die Gemeinschaft eines Juden, besonders eines Ostjuden, mit einem christlichen Mädel verstösst aufs Schärfste gegen die Auffassung des Nationalsozialismus.“ (Dokument 1)

Erst in der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidenten Münster wird im damals rechtlich korrekten Behördendeutsch dann aus dem „christlichen Mädel“ und „Christmädel“ die „arische Reichsangehörige“.

-------------------

Was werden wohl die Pfarrer der auf dem Bild sichtbaren Kirche oder – z. B. anlässlich des Zeitungsartikels am nächsten Tag – die Lehrer, insbesondere die Religionslehrer, zu dem Ereignis so gesagt haben? Also die Angehörigen einer gesellschaftlichen „Elite“, die auch heute noch nach Ansicht vieler Menschen in besonderem Maße für die Frage zuständig ist, was „gut“ und was „böse“ ist? Einen Hinweis, in welche Richtung Vermutungen dazu historisch begründet gehen könnten, gebe ich noch:

„Die protestantische Mehrheit in Kirche und Gesellschaft sprach aus eigener innerer Überzeugung ein Ja zum autoritären Staat, der sich zum totalitären Staat entwickelte. Auch hatte man nichts einzuwenden gegen die Zerschlagung der politischen Weimarer Parteien, gegen die Aufhebung der Gewerkschaften und nichts gegen die Einlieferung der politischen Gegner in Konzentrationslager. In diese schickte man sogar Pfarrer und Diakone, um die Umerziehungsarbeit an den Insassen mit christlichen Intentionen zu durchziehen.

Und schon gar nichts hatte man mehrheitlich gegen den Judenboykott am 1. April 1933 und gegen die ersten Gesetze und Verordnungen zur Ausschaltung von Juden aus dem Berufsleben und aus der Rechtsgemeinschaft. Zu all diesen Vorgängen der Erosion des Rechtsstaates hat die Amtskirche geschwiegen. Nicht, weil sie nicht reden konnte, sondern weil sie in tiefster Übereinstimmung mit den Intentionen des Neuen Reiches stand.“

(Aus: Günter Brakelmann, „Hitler und Luther 1933“, Evangelische Perspektiven – Schriftenreihe des Kirchenkreises Bochum, Band 1, 1. Auflage 2008, S. 20; ISBN: 9783837071245
Prof. em. Brakelmann war Professor an der Abteilung für Evangelische Theologie der Ruhr-Uni Bochum; 2010 war er neben OB Frank Baranowski Redner bei der Gedenkfeier zur Pogromnacht 9. November in Gelsenkirchen.)

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Emscherbruch
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Re: Zu: "Die öffentliche Demütigung ..."

Beitrag von Emscherbruch »

Gert B. hat geschrieben:Auffällig ist bei beiden Bildern , dass nicht eine einzige SA- oder SS-Uniform zu sehen ist. Die „Täter“ werden von Emscherbruch einmal allgemein als „Die Nazis“ bezeichnet, einmal konkreter „die Meute“ genannt, ansonsten erscheinen sie als unbestimmtes „man“ oder gehen im „täterlosen Passiv“ auf. An einer Stelle heißt es: „die Bevölkerung (wurde) eingeschüchtert“.
Ich habe leider keine Fotos anfertigen können von den übrigen Texten, die in der Ausstellung zu diesem Beispiel verfasst und zu lesen waren. Um nicht falsche Details aus der Erinnerung zu verbreiten, wählte ich diese Art der Wiedergabe, also weitgehend im Passiv mit unbestimmten Formulierungen.

Gerd B. hat vollkommen recht, dass dies ein Beispiel dafür ist, wie in der Anfangszeit der Naziherrschaft die Bevölkerung an die Rassenideologie und die damit verbundenen folgenden Verbrechen langsam "gewöhnt" werden sollten. - Mit dieser Periode befasste sich die Ausstellung ausführlich.
Gerd B. hat geschrieben:„Die protestantische Mehrheit in Kirche und Gesellschaft sprach aus eigener innerer Überzeugung ein Ja zum autoritären Staat, der sich zum totalitären Staat entwickelte. Auch hatte man nichts einzuwenden gegen die Zerschlagung der politischen Weimarer Parteien, gegen die Aufhebung der Gewerkschaften und nichts gegen die Einlieferung der politischen Gegner in Konzentrationslager. In diese schickte man sogar Pfarrer und Diakone, um die Umerziehungsarbeit an den Insassen mit christlichen Intentionen zu durchziehen.

Und schon gar nichts hatte man mehrheitlich gegen den Judenboykott am 1. April 1933 und gegen die ersten Gesetze und Verordnungen zur Ausschaltung von Juden aus dem Berufsleben und aus der Rechtsgemeinschaft. Zu all diesen Vorgängen der Erosion des Rechtsstaates hat die Amtskirche geschwiegen. Nicht, weil sie nicht reden konnte, sondern weil sie in tiefster Übereinstimmung mit den Intentionen des Neuen Reiches stand.“
Die Verantwortlichen in den Kirchenleitungen haben Anfang der 1930er komplett versagt. Es gibt viele Biographien, in denen zu lesen ist, dass leitende Personen sich von den christlichen und pseudochristlichen Vokabeln, mit denen Hitler gerne um sich warf, total in die Irre führen ließen. Es vergingen Jahre, bis einige ihren Irrtum erkannten. Bei anderen wurde in dieser Zeit deutlich, dass sie eigentlich keine Christen, sondern Nationalisten waren, die - wo sie schon mal in die Kirche "hineingeboren" waren - dort die Macht der Nazis ausüben wollten.

In den evangelischen Kirchen bildeten letztere ab 1932 die Deutschen Christen. Ihr Ziel war eine nationale Einheitskirche, in der die oberste Autorität der Kirche nicht mehr Christus, sondern der Staat mit seinem Führer sei.
Als Opposition zu dieser Gruppe wurde 1934 die Bekennende Kirche gegründet.

Anders als Parteien oder die Katholische Kirche sind die Evangelischen Kirchen nicht einheitlich organisiert. Es gab und gibt in Deutschland dutzende von selbständigen Evangelischen Kirchen, die voneinander unabhängig organisiert waren und es bis heute sind. Die Deutschen Christen sorgten dafür, dass es zu vielen aufreibenden innerkirchlichen Streitigkeiten und Kämpfen in den verschiedenen Landeskirchen kam. Die "Amtskirche" als eine zentrale Institution (wie sie heute gewöhnlich dargestellt wird) existierte also nicht. Die "Amstkirche" hat also - rein logisch betrachtet - deshalb "geschwiegen", weil sie aus vielen unabhängigen Organisationen (Landeskirchen) bestand, die alle wiederum von innen her in Grundsatzkämpfen verwickelt waren. Wer hätte da eine klare Stellungsnahme im Namen Aller abgeben sollen?
Damit sei nicht entschuldigt, dass man sich fast nur um die innerkirchlichen Auseinandersetzungen kümmerte. Es mag aber zum Verständnis der damaligen Situation beitragen. Günter Brakelmann beachtet diese Zusammenhänge in seinem Zitat nicht. Mir ist seine Erklärung zu monokausal.

In den GG finden sich Personen, die in der Bekennenden Kirche waren. Sie nutzten ihre Stellung in der Öffentlichkeit zum Protest.

Karl Rauch (er starb 1936 bei einem Verkehrsunfall).
http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... php?t=2817
http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... 5439#25439

Ernst Käsemann
http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... php?t=2665
Er verließ übrigens später die Bekennende Kirche, weil ihm diese nicht radikal genug und zu unpolitisch war. Es gab aber nur wenige wie Dietrich Bonhöffer http://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer , der aufgrund seines späteren politischen Widerstandes ermordet wurde.

In dem Buch von Roland Schlenker zur Zwangsarbeit in Gelsenkirchen finden sich Listen, aus denen hervorgeht, dass z. B. der Evangelischen Kirchengemeinde Resse, namentlich dem Haushalt des Pfarrers, Zwangsarbeiterinnen zugeteilt waren. Als ich das las war ich zunächst entsetzt. Nun haben meine Eltern diesen Mann und seine Familie persönlich gekannt. Er hat die Frauen weder unterdrückt noch ausgebeutet sondern definitiv vor viel Schlimmerem bewahrt, nämlich vor der Vogelfreiheit.

Die Menschen sind unterschiedlich. Der eine sucht primär den Protest gegen den Unterdrücker, der andere hilft primär den Unterdrückten in seinem Umfeld. Solche Aspekte werden aus heutiger Sicht schnell übersehen, meine ich jedenfalls, wenn über unseren Vorfahren zu Gericht gesessen wird. Wer von den Nazis umgebracht wurde, der bekommt schnell eine Gedenktafel zugesprochen. Wer damals in der Öffentlichkeit stand auch. Was aber Viele im Kleinen und Verborgenen taten (aus Liebe zu und Mitleid mit den Menschen, die unter der Zwangsarbeit und dem Rassenwahn litten), findet sich kaum auf einer Gedenktafel wieder. Der Kumpel, der mit einem Zwangsarbeiter heimlich unter Tage seine Kniften teilte, die Hausfrau, die unter den Kartoffelschalen ganze Kartoffeln versteckte, als sie bemerkte, dass alles noch irgendwie essbare regelmäßig nachts vom Komposthaufen verschwand. Der ansonsten vollkommen unpolitische Prediger, der es in Gegenwart der Gestapo wagte, eine Predigt zu halten über einen Satz aus der Bibel: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen" und damit die Zuhörer indirekt zum Nachdenken über ihr Mitläufertum aufrief.

Vorgestern lief ein Dok 5-Feature in WDR5. Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, wie ein totalitärer Staat mit einer totalitären Ideologie seine Bürger verändert und entmenschlicht, der möge die erschütternden autobiographischen Berichte einiger Nord-Koreaner anhören. Das Thema "Zwangsarbeit" kommt in vielerlei Hinsicht ebenfalls darin vor.
http://gffstream-9.vo.llnwd.net/c1/m/13 ... 5_1200.mp3
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.

Schwidi
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Beitrag von Schwidi »

leider bloß der umschalag,aber trotzdem interessant..Verschickt aus dem Arbeitslager Uechtingstrasse..Weiß jemand was der Stempel A.C bedeuten kann??
lg

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Benzin-Depot
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Beitrag von Benzin-Depot »

@Schwidi: dankeschön für das Einstellen des interessanten Dokumentes. Ist das Foto mit dem Umschlag von Dir? Dort ist ein Copyright-Vermerk einer anderen Webseite zu sehen.
„Die Menschen", sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig.“
(Antoine de Saint-Exupéry / aus "Der kleine Prinz")

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Beitrag von Schwidi »

ja,das foto,bzw der umschlag ist von mir,ebenfalls das kleine wasserzeichen.
lg

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Benzin-Depot
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Beitrag von Benzin-Depot »

Dankeschön, alles klar.
Könnte der Stempel Ac vielleicht im Empfängerland Frankreich aufgebracht worden sein?
„Die Menschen", sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig.“
(Antoine de Saint-Exupéry / aus "Der kleine Prinz")

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Beitrag von Schwidi »

frankreich?denke eher belgien...
ich weißn es leider nicht was es mit dem stempel auf sich hat...zu doof dass der umschlag ohne inhalt ist....gibt es irgendwo bilder zu dem lager??

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Benzin-Depot
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Beitrag von Benzin-Depot »

jepp, Belgien. War bei mir in der Vergrößerung abgeschnitten und auf den ersten Blick nicht zu sehen.
Bilder zu dem Lager gibt es hier keine.
„Die Menschen", sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig.“
(Antoine de Saint-Exupéry / aus "Der kleine Prinz")

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Beitrag von Schwidi »

hab auch bei google nix gefunden...na,vbielleicht kommt die nächsten wochen noch mehr zu gelsenkirchens dunkler vergangenheit..sammel ja alles aus der zeit bis 45

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