Elisabeth Bischoff „Arisierung“ jüdischen Großgrundbesitzes

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fontane02
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Elisabeth Bischoff „Arisierung“ jüdischen Großgrundbesitzes

Beitrag von fontane02 »

Elisabeth Bischoff - die Tochter des Bürgermeisters und die „Arisierung“

Es geschah weit weg von Gelsenkirchen, rund 70 km südöstlich von Berlin, in einem kleinen Dorf der Mark Brandenburg. Oegeln heißt das Nest, das seit 1993 ein Ortsteil der Kreisstadt Beeskow ist. Dort in Beeskow steht eine alte Burg, die heute ein Museum beherbergt. Dessen aktuelle Ausstellung widmet sich der Geschichte des jüdischen Lebens in Beeskow und Umgebung.

Dort im ländlichen Raum waren vor der Vertreibung und Vernichtung durch das NS-Regime nur wenige jüdische Familien ansässig. Ihr Auskommen fanden sie fast ausschließlich im Handel und in den freien Berufen. Ein jüdischer Landwirt gehörte zu den seltenen Ausnahmen. Zwar befand sich das eine oder andere brandenburgische Rittergut in der Hand eines jüdischen Besitzers. Es diente dann aber meist als repräsentatives Freizeitobjekt. Die damit verbundene Landwirtschaft wurde in der Regel einem Pächter überlassen.

Anders in Oegeln. Schon im Jahr 1860 hatte die aus Sandersleben bei Dessau stammende jüdische Familie Hirsch das Rittergut erworben, um es selbst zu bewirtschaften. 1866 wurde dort der spätere Gutserbe Jobst Hirsch geboren. Eine Nichte des bekannten Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse, Antonie Cohn, wurde seine Frau.

Wenige Jahre nach dem Beginn der NS-Herrschaft war das jüdische Gutsbesitzerehepaar zum Verkauf des Anwesens gezwungen. Neue Eigentümerin wurde, wie es auf einer der Ausstellungstafeln heißt, „die vermögende Elisabeth Bischoff aus Gelsenkirchen“.

Dieser Vorgang ist in der Tat bemerkenswert. Die Historikerin Angela Verse-Herrmann hat in einer 1997 erschienenen Arbeit anhand einer Reihe von Beispielen nachgewiesen, dass bei der „Arisierung“ jüdischen Großgrundbesitzes in der Regel starker Druck ausgeübt wurde, diese Güter als „Siedlungsland für deutsche Bauern“ bereitzustellen. Man musste schon über sehr gute Beziehungen zur Naziprominenz verfügen, wenn man als Privatperson in den Besitz solcher großen Ländereien kommen wollte, insbesondere dann, wenn man, wie Frau Bischoff, bereits mit einem Rittergut versorgt war.

Und Elisabeth Bischoff war zu jener Zeit bereits Besitzerin eines landwirtschaftlichen Betriebes mit einer Größe von fast 1900 ha in Barsdorf (heute Ortsteil von Fürstenberg/Havel, damals zu Mecklenburg gehörend, etwa 60 km nördlich von Berlin). Ihr im August 1933 verstorbener Ehemann, der Fabrikant Ernst Bischoff, hatte dieses Rittergut zwei Jahre vor seinem Tod erworben. .

Wie war ein Unternehmer mitten im Ruhrpott auf die Idee gekommen, sich im tiefsten Mecklenburg ein Landgut zuzulegen? 1899 hatte der damals erst 25-jährige Ernst Bischoff das Geschäft seines Vaters übernommen, das in der Vermietung von Grubenpferden an die Zecdhen des Ruhrgebiets bestand. Dabei immer wieder für geeigneten Nachschub zu sorgen, war nicht leicht. Die niedrig gebauten, aber kräftigen Pferde ließen sich nicht so einfach beschaffen. Eine intensive Zusammenarbeit mit den Züchtern, die für diese Aufgabe erst einmal gewonnen werden mussten, war notwendig. Ernst Bischoff kam also viel herum, hatte engen Kontakt zu landwirtschaftlichen Kreisen und war auch selbst ein Pferdeliebhaber. Denn nicht nur die kleinen Grubenpferde interessierten ihn, sondern auch die edlen Renner.

Waren es zunächst die Grubenpferde, die das Geld brachten, so sah sich der Unternehmer bald vor die Notwendigkeit gestellt, dieses Geschäftsfeld nach und nach durch eine andere Einnahmequelle zu ersetzen. Elektrische Grubenlokomotiven hatten die Pferde mehr und mehr aus den Stollen verdrängt. Spätestens im Jahr 1926 stieg Ernst Bischoff in die Firma Pfingstmann-Werke ein, die im benachbarten Recklinghausen Transportwagen für den Bergbau herstellte.

Nach dem Tod Ernst Bischoffs wurde das Barsdorfer Gut nicht verkauft, sondern blieb im Besitz der Witwe. Die Ortschronik vermeldet, dass Elisabeth Bischoff im Frühjahr 1945 vor der anrückenden Front nach Westen floh. Das Eigentum an ihren beiden Rittergütern, die nunmehr in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands lagen, wurde ihr im September 1945 durch die Bodenreform entzogen. Elisabeth Bischoff starb im November 1963 und wurde, wie vorher schon ihr Ehemann, auf dem Altstädter Friedhof in Gelsenkirchen begraben.

Als die junge Elisabeth den angesehenen Unternehmer Ernst Bischoff heiratete, konnte sie als „Tochter aus gutem Hause“ gelten. Ihr Vater, Wilhelm Vattmann, war von 1877 bis 1900 der erste Bürgermeister von Gelsenkirchen. Beim Ausscheiden aus seinem Amt wurde er zum Ehrenbürger ernannt. Der Vater von Ernst Bischoff war einer der reichsten Leute in Gelsenkirchen, und sein Sohn festigte das Ansehen der Familie unter anderem noch durch seine Tätigkeit als Abgeordneter der Zentrumspartei im westfälischen Provinziallandtag. Diese Partei, ein Sammelbecken des politischen Katholizismus, galt in der Weimarer Zeit als zuverlässige Stütze der Republik.

Das sind heute die Mosaiksteine, aus denen sich das Bild einer Familie zusammensetzen lässt, die im soliden, katholischen Stadtbürgertum fest verankert gewesen zu sein scheint, mit Elisabeth Bischoff als vermutlich treu sorgender Gattin und Mutter. Dieses Bild will nicht so recht passen zu einer kaltblütig handelnden „Arisiererin“, die sich die Notlage eines jüdischen Ehepaars zunutze macht. Vielleicht war es ja auch ganz anders. In einigen wenigen Fällen kam es vor, dass es jüdischen Eigentümern gelang, sich den (oder die) Käufer selbst auszusuchen. Und vielleicht waren ja die Familien Hirsch und Bischoff bereits vorher miteinander bekannt, eventuell sogar befreundet – Pferdezüchter und Abnehmer der Pferde?

Anhaltspunkte dafür hat der Autor dieser Zeilen allerdings bisher nicht finden können. Und selbst wenn es so gewesen sein sollte, am Schicksal von Jobst und Antonie Hirsch hat die Transaktion letztlich nichts zu ändern vermocht. Beide starben im Januar 1944 im Ghetto Theresienstadt.

fontane02
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Noch einmal Elisabeth Bischoff und die "Arisierung"

Beitrag von fontane02 »

Schon einmal, am 29.Dezember 2008, war die Rolle der Elisabeth Bischoff bei der „Arisierung“ jüdischen Eigentums Gegenstand eines Beitrags in den „GG“. Manches von dem, was damals nur vermutet werden konnte, hat sich inzwischen bestätigt. Im Kreisarchiv Beeskow (Land Brandenburg) wurden Akten ausfindig gemacht, deren Inhalt neues Licht auf die damaligen Vorgänge wirft.

Der Gelsenkirchener Unternehmer Ernst Bischoff hatte bei seinem Tod im August 1933 seiner Frau das mecklenburgische Rittergut Barsdorf hinterlassen. Die junge Witwe war jedoch nicht bereit, nunmehr in dem abgelegenen Nest ein zurückgezogenes und beschauliches Leben zu führen. Bald nach dem Tod ihres Mannes mietete sie sich in Berlin-Charlottenburg eine Wohnung unweit des dortigen Rathauses. Diese Wohnung behielt sie bis 1937. Ihre Aufenthalte in der Reichshauptstadt gaben ihr Gelegenheit, nützliche Beziehungen anzuknüpfen bzw. zu pflegen. So konnten die Fäden gezogen werden, die schließlich zum Erwerb eines weiteren Großgrundbesitzes führten.

Es handelte sich, wie bereits berichtet, um das Rittergut Oegeln bei Beeskow (Mark Brandenburg), das bis dahin in jüdischem Besitz war. Wichtigste Figur bei dieser Transaktion war Ludwig Grauert, der offiziell als Bevollmächtigter von Elisabeth Bischoff auftrat. Wer war dieser Mann? Etwa gleichaltrig mit Elisabeth Bischoff und ebenfalls von westfälischer Herkunft, hatte er als Gerichtsreferendar in Münster und Bochum gearbeitet, danach in einflussreicher Position von Arbeitgeberverbänden der Eisen- und Stahlindustrie. Dadurch kam er in Kontakt mit führenden Nationalsozialisten und machte für deren Partei erhebliche finanzielle Mittel locker.

Nur drei Wochen nach der „Machtergreifung“, am 22. Februar 1933, holte Hermann Göring den Fliegerkameraden des Ersten Weltkriegs nach Berlin und machte ihn als Ministerialdirektor zum Chef der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium. Über seine Rolle in der Nacht des Reichstagsbrandes kann man sich bei Wikipedias informieren. Am 11. April des gleichen Jahres stieg er zum Staatssekretär auf und behielt diesen Posten, bis im Juni 1936 die preußischen Ministerien in der Reichsverwaltung aufgingen.

Mit diesem Mann an ihrer Seite gelang es Elisabeth Bischoff, alle Mitbewerber beiseite zu schieben. Ursprünglich war geplant, das Rittergut als Siedlungsland für „deutsche Bauern“ aufzuteilen. Das dafür zuständige „Kulturamt“ in Frankfurt (Oder) hatte im September 1935 ein entsprechendes Verfahren eröffnet und die Antragsteller im Februar 1936 schon mal zusammengerufen. Und noch am 30. April 1936 ließ die Kreisbauernschaft Beeskow-Storkow den Oegelner Ortsbauernführer wissen, dass „in allen Fällen die Anliegersiedlung“ vorgehe.

Sicherlich war die Enttäuschung groß, als dem gleichen Ortsbauernführer am 7. Juli 1936 mitgeteilt wurde, „dass Oegeln inzwischen privat verkauft ist und dass eine Zuführung von Oegeln für die Schaffung neuen deutschen Bauerntums nicht erfolgt.“ Alle Versuche, nunmehr die neue Eigentümerin wenigstens zu einer Landabgabe zu bewegen, verliefen buchstäblich im Sande, denn Frau Bischoff war nur bereit, sich von einigen Stücken wertlosen Sandbodens zu trennen. So erwies sich auch in diesem Fall, dass die privaten Interessen der Naziprominenz und der mit ihr liierten Personen vor dem „deutschen Bauerntum“ die Nase vorn hatten.

In einer der Beeskower Akten ist von einer familiären Verbindung zwischen Ludwig Grauert und Familie Bischoff die Rede. Ludwig Grauert soll der Schwiegersohn von Elisabeth Bischoff gewesen sein, was aber schon aus Altersgründen eher unwahrscheinlich ist. Wer weiß etwas Näheres?

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