Irmgard Brix: Begegnung mit Jüdinnen im Marienhospital Buer

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pito
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Irmgard Brix: Begegnung mit Jüdinnen im Marienhospital Buer

Beitrag von pito »

  • Bericht von Irmgard Brix über eine Begegnung mit ungarischen Jüdinnen

    Ich weiß nicht mehr, wann es war, als man Horst unter Beschuß genommen hatte. Ich lag im Marienhospital in Buer, und wir mußten bei Fliegeralarm alle in den Keller eilen. Neben mir stand ein junges Mädchen, das nur noch zitterte und sehr unglücklich war. Ich hielt es fest und tröstete es und sagte zu ihm, sie brauchte keine Angst zu haben, wir wären doch ziemlich sicher hier. Und es sagte zu mir: "Wir wissen nicht, wo Vater, wo Mutter." Und daß es sich fürchte. Während ich das junge Mädchen noch weiter trösten wollte, riß mich jemand von hinten zurück. "Wissen Sie nicht, daß Sie eine Jüdin da im Arm halten?" Woher sollte ich das wissen? Sie hatte einen grauen Kittel an. Man hatte ihr die Haare abgeschnitten, die aber mindestens 1 cm lang waren. Und daß sie nicht fließend deutsch sprechen konnte, das hatte ich auch schon bemerkt. Aber waren das Zeichen dafür, daß sie eine Jüdin war? Mir hatte es einfach leid getan, daß jemand solchen Kummer hatte und wünschte mir, daß ich sie beruhigen konnte. Und weil man mich zurückgewiesen hatte, nahm ich ganz stickum ihre Hand und drückte sie. Später habe ich erfahren, daß man die Jüdinnen in Horst nicht in den Luftschutzbunker gehen ließ. Das war verboten. Aber die Pferde, die draußen waren, die nahm man in den Bunker. Einige Zeit später erzählte ich auf einer Fahrt nach Bielefeld von diesem Vorfall, und da sagte man mir (es war ein Ingenieur von der VEBA): "Das war absolut richtig. Was sind denn diese Juden gegenüber den Pferden an Wert?"

    Im Marienhospital arbeitete eine Mitschülerin von mir, die noch gerne weiter studiert hätte, weil sie Kinderärztin werden wollte, jetzt aber durch Dienstverpflichtung als Ärztin am Krankenhaus verpflichtet war. Diese Dr. Hein, die aus Herten kam, habe ich später gefragt: "Kannst Du mir nicht sagen, wieso hier dieser bestialische Gestank aus dem Nebenzimmer kommt?" Die Antwort: "Wenn Du solche Verletzungen hättest, wie diese Patienten, dann würdest Du genauso stinken." Die schwer verletzten Jüdinnen hatte man auf Karren geladen und von Krankenhaus zu Krankenhaus gefahren. Das Marienhospital nahm einige schlimm Verwundete auf und verarztete sie. Es waren einige, die man nach notwendiger Versorgung nicht zurückschicken mußte. Die Schwerverletzten sind noch behalten worden. Es waren an der Brust Verletzte dabei. Von einer hörte ich, daß ihr ein Bein abgerissen war. Auf meine Frage, warum diese Frau noch lebte, weil sie ja außerdem noch lange unterwegs war, bekam ich zu hören, die Natur hilft dem Menschen vor dem Verbluten. Sie bildet am Ausgang "Pfröpfken", daß das Bluten aufhört. Die Frau bat um eine Blutübertragung, sie wußte, was man tun könne, ihr Bruder absolvierte ein Arztstudium. Aber man durfte kein arisches Blut auf Juden übertragen.


    Bild
    Irmgard Brix, 1944

Bericht vom 25.11.1990
aus: Keine GEschichte ohne Frauen,
Eine Auswahl von Materialien zur Geschichte von Frauen in Gelsenkirchen,
zusammengestellt von der Frauenwerkstatt an der VHS Gelsenkirchen, 1989/90
Nachdrucke mit Quellenangabe sind erwünscht.

cia9
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Wohnort: Buer in Westfalen

Beitrag von cia9 »

Ich habe diesen "Bericht" jetzt zum 2ten mal gelesen....

So etwas darf nie wieder passieren, ich würde es als gut finden nochmehr von diesen Erlebnissen zu lesen.... vielleicht sogar zusammenfassen und für den Schulunterricht bereitstellen.
Lachen ist gesund....

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