Erinnerungen an meine Kindheit in Hassel

Kindheit und Kinder in verschiedenen Epochen

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boomer
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Erinnerungen an meine Kindheit in Hassel

Beitrag von boomer »

Guten Tag ,

ich habe vor einigen Tagen durch Zufall dieses wunderbare Forum gefunden und schwelge seitdem in Erinnerungen. Hier eingestellte Fotos aus längst vergangenen Tagen lassen mich zurückschweifen in meine wundervolle Kindheit und ich weiß manchmal nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Lachen, weil mir so Vieles wieder einfällt und weinen, weil alles vergangen ist. Aber es ist wohl eher Melancholie.

Geboren bin ich in Polsum auf der Geschwisterstraße. Meine Eltern lebten dort in zwei kleinen Zimmern im Haus meiner Großeltern, bis sie im Juli 1955 auf dem Wallheckenweg in Hassel eine Neubauwohnung beziehen konnten. Ich war vier Wochen alt, als sie mit einem Handkarren den Umzug in die neue Wohnung bewerkstelligten. Während sie tapezierten und sich einrichteten, lag ich fröhlich quäkend in der Badewanne und meine sechs Jahre alte Schwester wurde mangels Aufsichtsmöglichkeiten mit ihrem Laufgeschirr an einem Bettpfosten festgebunden.

Es war ein Neubaugebiet und für damalige Verhältnisse modern und komfortabel. Die Wohnung hatte ein Badezimmer mit Wanne und einem riesigen Wasserboiler, der mit Kohle betrieben wurde. Wenn wir samstags badeten und der Wasserboiler rumorte, konnte man manchmal die Hand vor Augen nicht sehen, weil der Wasserdampf das kleine Bad in Nebel hüllte. Da bei meinen Großeltern das Plumpsklo im Garten stand, war das Klo in der neuen Wohnung, bei dem man per Griff die Spülung betätigen konnte, ein wahrer Luxus. Außerdem hatte sie einen schönen Balkon, der zum Garten hinaus ging und auf dem wir im Sommer unsere Mahlzeiten zu uns nahmen. Ich genoss es, wenn meine Mutter dort im Sommer das Frühstück bereitete, den einen oder anderen Plausch mit der Nachbarin hielt und ich die Eichhörnchen im Baum beobachten konnte.

Vier Familien wohnten in einem Haus und zunächst waren 20 Häuser fertig. Nach und nach kamen andere hinzu, eine neue Siedlung entstand. Fast jede Familie hatte Kinder. Wir spielten auf der Straße, auf der bis auf den Obstverkäufer, der mit Pferd und Wagen seine Ware anbot, kaum Autos fuhren. Im Sommer kam der Eismann auf seinem Fahrrad, sonst war dort kaum Verkehr, so dass wir gefahrlos die Straße zu unserem Spielplatz machen konnten. Zu jeder Wohnung gehörte ein kleines Stück Land, das die meisten mit Obst und Gemüse für den Eigenbedarf bepflanzten. In unserem Garten wuchsen im Sommer Rotkohl, Möhren, Salat und auch Kartoffeln. Wenn die Ausbeute nicht reichte, ging mein Vater, meine Schwester und ich im Herbst zu Bauer Stoffel, wo wir nach der Kartoffelernte auf dem Acker Kartoffel stoppelten.

Hinten den Gärten, zwischen Wallhecken- und Heihoffsweg, wo heute eine schöne Parkanlage ist, grasten Kühe, weshalb wir die Wiese auch Kuhwiese nannten. Manchmal schaute eine Kuh durch die Sträucher zu unseren Gärten und meine Mutter verscheuchte sie, weil sie Angst um ihren Salat hatte. Später wurde die Fläche an die Stadt verkauft und die Kühe verschwanden. Einmal wurde dort eine Kirmes aufgebaut, ein unglaubliches Ereignis für uns Kinder. Ich erinnere mich, dass mein Vater mit mir auf einen Autoscooter ging, und ich beim Aufprall auf einen anderen Scooter einen Milchzahn verlor. Es blutete sehr und meine Mutter schimpfte mit meinem Vater, während ich froh war, den wackligen Zahn losgeworden zu sein.

Wie die meisten Kinder aus unserer Siedlung ging ich auch in den Kindergarten auf der Oberfeldinger Straße. Vor dem Gebäude, linker Hand, war ein kleines Büdchen, wo meine Mutter mir hin und wieder etwas Süßes kaufte. Im Außenbereich des Kindergartens stand ein großer alter Baum, an dem ein riesiger Gummireifen angebracht war, in dem ich gerne schaukelte. Das sind die einzigen Erinnerungen, die ich an den Kindergarten habe. Später, als mich meine Mutter nicht mehr dorthin brachte, weil ich schon allein den Weg gehen konnte, bin ich öfter morgens bei „Thea“ hinein gesprungen. So nannten wir das Lebensmittelgeschäft auf der Bußmannstraße. Ich weiß bis heute nicht, wie der Laden wirklich hieß. Wir nannten es nur „bei Thea“. Dort standen an der Kasse zwei Bonbongläser, in dem kleine, in bunter Folie geschweißte Bonbons, das Stück für 5 Pfennig, lagen. Thea verkaufte auch frische Milch vom Bauern und ich wurde oft von meiner Mutter mit einer Henkelkanne losgeschickt, einen Liter davon zu kaufen. Im Winter kochte sie davon Kakao, der auf dem Eisenofen ganz links in einem Topf stand und so immer warm blieb. Ganz besonders gern mochte ich die Haut, die sich nach längerer Zeit bildete. Niemand aus unserer Familie mochte ihn und so musste ich ihn auch mit niemandem teilen.

Auf der Bußmannstraße gab es noch das Schreibwarengeschäft Klei, in dem wir unsere Schulbücher, Hefte, Schreibstifte usw. kauften. Ein kleiner, schmaler Laden, der wunderbar nach Papier roch. Davor lag die Drogerie Weyer, in die wir aber nur selten gingen. Meine Mutter sagte immer, dass es dort Apothekerpreise gab, die wir uns nicht leisten konnten. Hinter Klei gab es eine Kneipe, die, wenn ich mich recht erinnere, „bei Freddy“ hieß. Hin und wieder kehrten meine Eltern zu besonderen Anlässen dort ein, z.B. zum 1. Mai, wenn dort gefeiert wurde.

Mein Vater war Mitglied in einem Männergesangsverein, der sich sonntags in Westerholt bei Hohendahl traf. So glaube ich hieß das Gasthaus. Manchmal habe ich ihn dort abgeholt und wenn ich noch etwas warten musste, durfte ich mir eine Sinalco bestellen, die Limo mit dem roten Punkt.

Dann gab es auf der Bußmannstraße noch einen Friseur, an dessen Namen ich mich aber nicht mehr erinnere. Der Eigentümer, ein passionierter Tänzer, gab später für uns Jugendliche Tanzunterricht, was immer sehr viel Spaß gemacht hat. Diese Art von Vergnügungen wurden später durch Tanzveranstaltungen abgelöst, als das Bonni öffnete.

Eingeschult wurde ich in der St. Michael-Schule und meine erste Klassenlehrerin hieß Frl. Mehring. Eine gütige, aber auch strenge Lehrerin, die so manchen von uns in der Ecke hat stehen lassen, wenn wir beim Sonntags-Gottesdienst gefehlt haben. Der damalige Schuldirektor hieß, wenn ich mich nicht irre, Große-Kappenberg. Mein Vater hatte des Öfteren das Vergnügen, bei ihm vorstellig zu werden, denn ich war ein wildes Mädchen und legte mich gern mit älteren Jungen an, prügelte mich mit ihnen und verpasste auch schon mal dem einen oder anderen eine Backpfeife. Mein Vater hatte sich einen Sohn gewünscht und ich fühlte mich wohl verpflichtet, mich wie ein Junge zu benehmen. Wer weiß?

Gegenüber der Schule bzw. Kirche war eine Gastwirtschaft, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Dort fand lange Zeit die Nikolausfeier statt, zu der mein Vater mich als kleines Mädchen mitnahm, bis ich kapierte, dass unser Nachbar hinter der Maske steckte. Daneben war ein kleiner Lebensmittel-Laden, wo ich mir als Schulkind hin und wieder Süßes kaufte oder - Schande über mich - manchmal ein Milky Way in der Schultasche verschwinden ließ.

Die St. Michael Kirche, bzw. deren Pfarrer, ist mir in nicht so guter Erinnerung geblieben. Ich kann mich an den Namen nicht mehr erinnern, nur daran, dass er schon sehr alt und sehr groß war, als er uns in Religion unterrichtete. Er war keineswegs gütig und freundlich, sondern jähzornig und gewalttätig. So erinnere ich mich daran, dass einmal mein Klassenkamerad Hubert K., ein zarter, kleiner Junge, auf seinem Stuhl hin und her wippte, der Pfarrer hinter ihn trat, ihn vom Stuhl riss und heftig in den Klassenschrank schubste. Hubert stieß sich den Kopf auf und blutete stark, was den Pfarrer nicht im Geringsten störte. Es setzte bei ihm auch oft Ohrfeigen oder er schmiss schon mal seinen Schlüsselbund nach uns. Wir hatten alle Angst vor ihm. Zum Glück sollte ich in St. Pius zur Kommunion gehen, so dass ich in den Unterricht bei Pfarrer Peters gehen konnte. St. Pius war damals eine kleine aus Holz gebaute Kirche. Erst später, nachdem die Gelder ausreichten, konnte der Neubau aus Stein errichtet werden. Pfarrer Peters war ein liebenswerter, fröhlicher kleiner Mann, der mit Händen und Füßen redete und immer gute Laune hatte. Nicht zuletzt verdanke ich ihm, dass meine 1. Hl. Kommunion zu einem unvergessliches Erlebnis wurde. Leider blieb er nicht lange in unserer Gemeinde.

Von den Lehrern sind mir namentlich noch diese bekannt: Herr Bein (Biologie/Erdkunde), Herr Fuchs (Physik) und Frau Christa Vogel, die zuletzt unsere Klassenlehrerin war und die durch ihren außergewöhnlich spannenden Unterricht dafür sorgte , dass meine Schulzeit in wunderbarer Erinnerung bleibt. Ich bin sehr gerne zur Schule gegangen und habe mordsmäßig geweint, als ich sie abgeschlossen hatte und einen neuen Lebensweg einschlagen musste.

Meine Ausbildung machte ich dann zur Justizangestellten im Amtsgericht Buer. Ein altes, marodes Gebäude auf der Hochstraße, Ecke de la Chevallerie - Westerholter Straße. Neben dem Gerichtsgebäude befand sich damals noch das alte Gefängnis, allerdings nicht mehr in Betrieb. Wir waren in unserem Lehrjahr zu fünft und in der Mittagspause sind wir oft in das Gebäude geschlichen und haben uns gegenseitig Angst gemacht. Die Zellen waren noch vorhanden und alle geöffnet, Ess-Näpfe und altes Besteck lagen dort herum und wir spielten Gefangene und Wächter. Die Pausen waren leider immer viel zu kurz.
Im Gerichtsgebäude gab es eine große, herrschaftliche Treppe, die vom Parterre bis in den 3. Stock führte. Sie hatte einen hölzernen Handlauf und ich bin oft nach Dienstschluss, wenn das Gebäude für die Öffentlichkeit geschlossen war, auf dem Handlauf ins Parterre gerutscht. Der Gerichtsdiener, der auch Hausmeister war, an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnere, schimpfte jedes Mal mit mir, wenn er mich dabei erwischte. Aber er hat mich nie angeschwärzt! Manchmal, wenn es Lehrgeld gab, sind wir auch ins Dom-Cafe gegangen und fühlten uns sehr erwachsen, wenn wir uns einen Kaffee bestellten. Als der Neubau des Amtsgerichts auf der Goldbergstraße fertig war und wir umgezogen sind, hatten wir längst nicht mehr so viel Spaß wie in dem alten, maroden Gebäude.

Nach meiner Lehrzeit im Amtsgericht wechselte ich zur Staatsanwaltschaft, Zweigstelle Gelsenkirchen-Buer, Hochstraße 52. Eine prächtige, alte weiße Villa, in der ich mit meinen Arbeitskollegen auch sehr viel Spaß hatte. Ich lernte Buer kennen und lieben und zog mit 18 in eine wunderschöne Dachgeschoßwohnung auf der Maelostraße. Meine erste, eigene Wohnung. Die Wohnung zeigte auf die lebhaft befahrene Horster Straße und ich ärgerte mich sonntags, wenn mich die Straßenbahn wach bimmelte. Dennoch war es eine wunderschöne Zeit dort und ich habe mich in meinem kleinen Reich sehr wohl gefühlt. Die Pommesbude „Jansen“ war abends meine Essensquelle und an die legendäre Mayonnaise denke ich heute noch gerne zurück.

Meine Mittagspause verbrachte ich fast immer bei meinen Eltern in Hassel. Ich hatte damals einen kleinen Sportwagen, einen roten Speedfire MK 3, mit dem ich durch die stetig wachsende Eppmans-Siedlung brauste.“ Bei Thea“ gab es nicht mehr, statt dessen kaufte man bei SPAR oder Plus ein. Weyer war zwar immer noch eine Drogerie, aber zwischenzeitlich konnte man dort Deko- und Haushaltswaren kaufen. Das Schreibwarengeschäft Klei war auch verschwunden.

Obwohl ich dann später nach Gladbeck zog und heute in Ratingen lebe, habe ich bis zum Tod meiner Mutter 2002 die Entwicklung Hassels mit verfolgt, weil ich oft meine Eltern besuchte und mit meiner Mutter einkaufen ging. Als sie starb, zog mein Vater nach Ratingen und wir fuhren nur noch nach Hassel, wenn wir das Grab meiner Mutter besuchten. Seit 2010 ist auch mein Vater nicht mehr unter uns und der Ort meiner Kindheit entfernt sich immer mehr aus meinem Alltag. Erst durch dieses Forum wird Vieles wieder lebendig und es lässt mich lachen aber auch wehmütig werden.

Die alten Bilder von Hassel zu sehen, ist sehr schön. Leider besitze ich nicht ein einziges. Durch einen Wasserschaden bei meinen Eltern sind alle bildlichen Zeitzeugen vernichtet worden, was ich unendlich bedauere. Umso mehr freue ich mich, hier in diesem Forum so manches Foto zu sehen, das mich an meine Kindheit in Hassel erinnert. Danke dafür!
Mit lieben Grüßen
boomer

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fünfcent
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Beitrag von fünfcent »

Hallo Boomer,
habe deine Errinnerungen mit großem Interesse gelesen,
genauso wie dir erging es mir auch als ich das erste mal dieses Forum entdeckte. Eine wahrhaftige Reise in die Vergangenheit.

Hast du mal die Forenübersicht und dort den Stadtteil Hassel angeklickt?

Unter anderem gibt es da auch etwas über die Michaelsschule.

http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... aelsschule

Ich habe dort 30m entfernt gewohnt, bin aber in die Mährfeldschule gegangen. Klick dich mal durch Hassel, da wirst du etliches finden und du kannst dann weiter in Errinnerungen schwelgen.

Du meinst doch nicht Pfarrer Kerstiens? Den hab ich als netten Nachbarn und guten Menschen in Errinnerung.
Fünfcent
Zahme Vögel träumen von Freiheit… Wilde Vögel fliegen!

boomer
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Beitrag von boomer »

Ich habe jetzt tagelang im Forum herumgestöbert und muss sagen, dass viele, viele Erinnerungen wieder hochkommen. Und es sind überwiegend nur sehr gute, so dass ich mit Fug und Recht behaupten kann, dass ich dort eine sehr glückliche Kindheit verbracht habe.

Ob es sich bei dem von mir genannen Pfarrer um Pfarrer Kerstins handelte, kann ich wirklich nicht mehr sagen. Und ich möchte auch niemanden verunglimpfen, insbesondere nicht, wenn er schon tot ist.
Mit lieben Grüßen
boomer

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