Ich - der erste Beitrag

Wir sind viele Ichs

Moderatoren: Verwaltung, Redaktion-GG

Benutzeravatar
Verwaltung
Mitglied der Verwaltung
Beiträge: 10617
Registriert: 02.12.2006, 05:43
Wohnort: Gelsenkirchen

Ich - der erste Beitrag

Beitrag von Verwaltung »

Ich bin Gelsenkirchener in der vierten Generation, glaube ich.

Uropa Bergmann, Opa Eisenbahner, Stellwerk Wattenscheid, Vater geborener Ückendorfer (Stefanstrasse), Mutter aus Mühlheim.
Geboren 1950 im Schnapsschaftskrankenhaus, wo ich als spielendes Kind öfter mit Blessuren zum Chirurgen mußte, jedesmal fleißig geröntgt wurde... (geröntgt übringens per Durchleuchten wurden bei Salamander bei jedem Schuhkauf meine Füße, durfte auch selbst meine Knochen bestaunen).
Zeitgeist damals: Mutter evangelisch, Vater katholisch, sollte zumindest für katholische Erziehung der Kinder sorgen, hat diese Entscheidung aber der Mutter übertragen und wurde von der katholischen Kirche exkommuniziert (Ausschluß von den Sakramenten bei Zulassung zur Kirchensteuer). Vater, WKIIVeteran wurde von Opa - WKIVeteran und streng katholisch - hinausgeworfen wegen der Mischehe. Die Großtante, DRK-Schwester und ich glaube sehr modern eingestellt, half mit Geduld, den Zwist zu besänftigen.
Im Knappschaftskrankenhaus war mein Vater öfter stationär, auf dem Gelände stand ein umgebauter Hochbunker, der mehrere Etagen Krankenstationen und Röntgenabteilungen etc enthielt, sehr schön, dort zu liegen, im Park zwischen alten Bäumen, mit Balkonen zwischen den meterdicken Mauern.
Medizin damals: Spritzen aus Glas, sterilisiert, Nadeln wer weiß wie oft verwendet und sterilisiert, nie geschärft, eine Fülle von ausgeruhten Schwestern, Schwester Beatrix zB wohnte in einem Schwesternwohnhaus auf dem weitläufigen Gelände, ich habe sie besucht und sie machte den Eindruck, als wenn sie nur Krankenschwester wäre, sonst nichts. Liegezeiten von 3-5 Wochen für eine Lungenentzündung, 2 oder 3 für meine Mandel OP.

Aufgewachsen im südlichen Ückendorf, Bilder der Kindheit zB ein Milchbauer mit Pferdewagen, moderner Milchzapfanlage – ein Hub ein halber Liter oder so – vor dem Wagen ein Grauschimmel, der immer in der Verkaufspause einen Riesensee strullte, warme im Herbst dampfende Pferdeäpfel gehörten zum Straßenbild. Mit „Drüben-Opa“, im Nachbarhaus um die Ecke wohnend, bei frühen Spaziergängen zu Freunden im Schrebergarten, weiß nicht mehr wo. Entspannte und laut lachende, auch ernst diskutierende alte Herren. Einmal kurz nach seiner Pensionierung zu den Bahnerkollegen, Besuch auf einer Rangierlok, Blick in die Feuerung, etwas Angst vor Krach und Hitze und den schwarzen Kerlen, durfte an der Dampfpfeife ziehen aber kriegte den Hebel nicht bewegt. Der Opa: Er hatte im Keller Werkbank und viel viel Werkzeug, Nägel und Schrauben in hunderten Dosen, dort roch es nach trockenem Staub und Kartoffelkiste, baute mir zu Weihnachten einen stattlichen Kasten mit Metallbauspielzeug, was aber den Ingenieur in mir nicht zu wecken vermochte. grub und pflanzte im Garten, hatte Hasen, baute später um auf Hühner, dann eine Laube mit Ligusterhecke, wo er oft mit seinen alten Kollegen und Stammtischfreunden saß. Stühle und Tisch mit schweren Betonfuß und Laubengerüst und Vogeltränke aus Beton, alles selbst gebaut. Beerensträucher, Apfel- und Birnenbaum, Reihenweise Erdbeeren, Stangenbohnen, erst allmählich drang Rasen ein und der schnarrende Rasenmäher.

Meins: Ein wunderbares dreirädriges Gefährt aus Stahlrohr, wenn etwas abbrach zum Schweißen zur Schlosserei Fuchtmann in der Virchowstrasse.
Im Zweifamilien-Haus meiner einen Oma, ihr Mann war im Krieg gestorben, wohnte in meinen ersten Jahren noch eine Familie mit mehreren Kindern in zwei Räumen im Parterre, einquartiert bei Zwangsbewirtschaftung und Wohnungsnot. Eine ebenfalls einquartierte alte Frau in einem Zimmer des Parterre blieb bis zur Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung, stritt laut mit meiner Oma, ließ unglaubliche Wolken von Kohl-, Zwiebel-, Schmierseifen- und anderen Gerüchen ins Haus, klopfte mit dem Besen an die Decke, wenn sie meinte, wir wären zu laut. Die Miete für ihre 18 qm am Ende der Zwangsbewirtschaftung 20 DM? Meine Oma litt sehr unter diesem Zwang zu Nachkriegssolidaritätrität.
Im Kinderzimmer unter dem Dach im Winter bei Eisblumen am Fenster aufgewacht, dann wurde angefeuert. Kaltes Badezimmer, auch mal eingefrorene Wasserleitung.
Kohlenlieferungen für die Öfen: schwitzende Sackträger die eine schwarze Spur vom alten Laster bis in den Kohlenkeller trampelten und Sack für Sack dort auskippten, so ein Staub, bei Nachbarn mit einem Förderband über den Vorgarten hinweg direkt vors Kellerloch, auch nicht weniger staubig. Ab 1961 Zentralheizung mit Koksfeuerung, mein Job, Koks brech3 einzuschaufeln, temperatur regulieren, ausräumen und anfeuern bei Unachtsamkeiten in der Versorgung.

Meine Spielkameraden hiessen Werner, Gerd, Jochen, Peter, Irene, Rosi ... in der Nähe wohnte Rudolf, der war nach Meinung meiner Oma „ ein Halbstarker“, für sie ein sehr sehr bedenklicher Mensch, mit einer Aura von Frechheit und Unberechenbarkeit.
Gespielt im Wedelstädt-Park, damals von einer hohen Mauer umgeben und von einem uniformierten Parkwächter mit Schäferhund bewacht, auf dem Spielplatz und am Teich, im Winter Rodeln vom hohen Bahndamm direkt hinter dem Park, gefährlichen Zahn bekam man drauf, es gab ausgestoßene Zähne und Platzwunden bei den schnellsten. Im Sommer verbotenes Stromern im Haldengelände (von Zeche Holland, oder Rheinelbe?), wo heute die Himmelsleiter steht. Meine Oma warnte, die Glut der Halde habe jemandem der durch dünne Kruste eingebrochen sei, den Fuß verbrannt. Ein Riesensturm – ähnlich wie Kyrill – warf einige der Baumriesen in diesem Park um, etwas später wurde das dichte Gebüsch gelichtet, die Mauern verschwanden mitsamt dem Parkwächter und seinem Hund.
Mit der Oma zu ihrem wortgewaltigen Lieblingspastor in der Kirche in Wattenscheid Leithe zu Fuß durch eben dieses Haldengelände, oder bei Regen mit dem Bus, einmal stieg ein Trupp junger Männer in Uniformen ein mit Instrumenten, und statt zu bezahlen pfiffen und trommelten sie den Hit des Jahres: den River Kwai Marsch.
In der Nachbarschaft eine kleine Spedition, wo wir wohl öfter den Lastwagen die Luft aus den Reifen ließen.
Kindergarten bei trachttragenden Nonnen an der Ückendorfer Straße, dunkel und bedrückend in Erinnerung, nach kurzer Zeit gewechselt in einen neuen und hellen am Festweg (Awo).
Undeutliche Erinnerung an Ruinen, an Bein- oder Armamputierte Männer, oft in Selbstfahrrollstühlen mit Hebelantrieb. Angst der Eltern, wenn wieder irgendein Kind beim Spielen durch gefundene Blindgänger verletzt oder getötet wurde, scharfe Warnungen. Omas Held jener Tage war der Feuerwerker Koch, der unzählige Blindgänger in Gelsenkirchen und Umgebung entschärfte.
Kindergottesdienst bei Pastor Friese in der Ev. Kirche an der Ückendorfer Straße.
Alte Schule; auf dem konfessionell geteilten Schulhof abenteuerliche Streifzüge als Bande durch das Gebiet der Anderen, wobei man feste mit Prügeln rechnen mußte, aber wie ein erfolgreicher Indianer bei der Rückkehr zu den (konfessionellen) Freunden gefeiert wurde.
Auf weißer Fensterbank am offenen Fenster sammelte sich in Minuten knisternder kristallin sich anfühlender Ruß und Staub. In aller Munde so oder so der Fallout der aktuellen Atombombenversuche, im täglichen Wetteberbericht die Angabe in mcu(?) Milli-curi. Fesselnde Lektüre damals ein Faltblatt über die Schutzmassnahmen des kleinen Mannes gegen Atombomben, die rettende Aktentasche, hinter der man sich vor Strahlung schützt und grausig-sachliche Beschreibungen von Hitzeblick und Druckwelle, erst recht nah gekommen in der Kubakrise.
Schalker Gymnasium - altsprachlich - mit Aufnahmeprüfung 1960, damals noch an der Hammerschmidtstrasse, heutiges CFGG. Schulweg mit dem Tretroller, oder mit Bus Linie 83, entweder vom Wildenbruchplatz laufen oder Ahstraße umsteigen in Strassenbahn Linie 4, alte Tram mit Anhänger, Schaffner mit umgehängtem Wechsler, später auf festem Kassiersitz an der hinteren Tür. Wenn man von Ückendorf mit Umsteigen bis zur Bulmker Kirche fuhr, war ein teurerer Fahrschein nötig, oder man fuhr eine Haltestelle weit schwarz.
Auf dem Schulhof an der hinteren Hecke leider das Rauchen gelernt (1964 bis 1984, seitdem abstinent, es geht ohne!), Lehrer kamen nur selten vorbei. Chor und Aufführung der Mattäuspassion bei Eugen Klein im HSS-Saal, wo sonst auch die großen Tanzstundenbälle zu Karneval u.ä. stattfanden. E.Kleins Sohn bot bei einem Sommerfest auf dem Schulhof mit einer Band Rock'nRoll Musik. Bei Schulunfall mit Beinbruch in die orthopädische Privatklinik an der Hohenstauffenallee, heute „Die Falken“. Erste Kneipenbesuche im Ringeck, ulkige Konflikte zwischen ruppigen und streitlustigen Schluckspechten und uns Gymnasiasten bei denen wir hastig das Feld räumten, bevor echte Handgreiflichkeit ausbrach. Tanzkurs bei Ampütte, schwitzende Begegnungen in Bügelfalte und Schlips mit Parfümwolken und knisterndem Blusentüll aus Nylon oder so, quälende Fehltritte und ein immer jovial-charmanter Tanzlehrer mit einer subtilen Überheblichkeit.
Einige Ferienjobs bei Geldbach, Wärmearbeit am Ofen: Flanschen und Rohrbögen ausglühen. ich meine: 5 DM Stundenlohn.
Sitzenbleiben, Wechsel in ein neues Gebäude: heutiges Schalker an der Liboriusstrase, (ein Hausmeister, der für die langen Wege im Haus einen Kinderroller mit Ballonreifen hatte), einige Gemeinheiten von wortbrüchigen Lehrern, die meiner Opposition damals nicht anders Herr wurden (Du darfst wegbleiben, wenn die Klasse bei der Berlinfahrt die obligatorische Mauerbesichtigung hat. Vor Ort dann Leugnung der Verabredung ohne die ich gar nicht mitgefahren wäre, Zwang und Drohungen). Roter Punkt als tiefes Erlebnis von kollektiver Erregung und Bewegung, Freiheitsbewußtsein, dann Einsitzen im Keller der neuen Polizeiwache nach Sitzsstreik auf den Schienen. Notstandsgesetze und Diskussionen um die Freiheitsrechte, eine wilde Demo, ohne Freigabe durch die Lehrer, führte zu keiner Bestrafung. Flucht und Schulwechsel nach Bochum 1,5 J vor dem Abitur, ein Schock: In Biologie von Mendels Blümchen zum gerade aktuellen DNS-Modell.
Freizeit in der Segelflugvereinigung GE in den Borkenbergen ab 16, Werkstatt mit eigener Flugzeugreparatur und einzelnen Flugzeugeigenbauten in Hessler auf dem Zechengelände Wilhelmine-Viktoria(?), wo heute schicke Häuser auf folienverpackter Altlast stehen. Einzelne Flüge mit dem Motorsegler über Gelsenkirchen, Landmarke bei der Navigation der Monte Scholvrino und die großen Kühltürme. Der Verein hatte so etwas Museales, betrieb noch drei stattliche Uraltvorkriegsmodelle (Grunau Baby und Kranich III, im Baby konnte man mit offenem Cocpit fliegen, Kranich wurde später von einer Gewitterboe aus dem Stand in die Luft gerissenund zerbrach beim Aufprall). dafür konnte man sich auch vom Taschengeld mit kleinen Zuschüssen das Fliegen leisten! Vereinskollegen wirklich repräsentativ für GE, zB der extrem sächselnde „Kaffeesachse“ („Blimchenkoffiee“) mit der Fußprothese durch Panzerabschuß, oder Gerd aus dem Pütt - die Woche über vor Kohle, oder Volker der in Bochum Bergingenieur studierte und das Motorflugzeug beim Flugzeugschlepp flog, Rudi (Tunnelbaumaschinen),Wolfgang auch vonne Zeche, der morgens im Schlafsaal unserer Baracke erstmal eine Viertelstunde am Husten starb bis er sich die erste Reval reinzog, der Arzt glaubts ja nicht, aber es war völlig klar, das half für den Moment.

Mutter, 1919, als Heranwachsende Erzieherin in Bulmke, Kunststudentin in den Kriegsjahren in Berlin, auf einem Lastwagen durch brennende Straßenzüge gefahren, später Marburg. Malerin, Künstlerbund, mehrfach mit Linolschnitten im Kalender, manche Ausstellung in einem Cafe Funke an der Bochumer Straße, nahe Bahnhof, später von einem Kritiker so eingestampft, dass sie 10 Jahre keinen Pinsel mehr anfasste. Der vorher gewohnte Geruch des Terpentins und der Ölfarben verschwand für lange Zeit aus meinem Leben. Sie hatte sich die Ablehnung zugezogen durch ihr Beharren auf gegenständliche Malerei und ihre Beschäftigung mit dem Licht, später den Wolken als Seele von Landschaften, immer gegen den Mainstream unterwegs, während man in Gelsenkirchen damals mindestens so aktiv wie im Rest der Republik den Klees, Polloks und Kandinskiys nacheifern musste, um dem allgegenwärtigen Kitschvorwurf (siehe auch Gelsenkirchener Barock) zu entgehen. Gestorben 1988.
Vater Richter am Amtsgericht, engagierter Mann gegen formale Arroganz und für realistische Rechtsauffassung, ließ zb durch eine 3000 DM teure Umfrage durch ein Demoskopieinstitut ermitteln, dass die große Mehrheit der Bevölkerung einen Backofen mit Glasscheibe für sicher hielt, so dass ein Kind, welches sich beim Anfassen großflächige Brandblasen zugezogen hatte, Anspruch auf ein Schmerzensgeld erhielt. Und das, obwohl der Hersteller vortrug, es sei jedem denkenden Menschen klar, dass ein Ofen aussen heiß sei, erst recht bei einer Glasscheibe vor dem Backofen und die Verletzung infolgedessen nicht sein Problem sondern das der gefälligst aufpassenden Mutter. Viel Einsatz gegen die Fiktion der Gleichheit zwischen Mächtigen und Schwachen bei benachteiligenden Vertragsbedingungen. Später Sozialdemokrat und aktiver Streiter in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Mitherausgeber von Luchterhand Alternativkommentar Zivilprozessordnung, Schwarzbuch Wirtschaftskriminalität. Gestorben auch 1988.

Dann ich: aus der Schule und weg 1971.
Job beim Gebrauchtwagenhändler Kumpernas, Zulassungen bei den Strassenverkehrsämtern von Moers bis Recklinghausen und Dortmund, alle Schattierungen von sehr bürgerfreundlich bis Gelsenkirchen kennengelernt (nicht die Menschen im Chaos, die die Arbeit tun, sondern eher die gewollte Struktur meine ich) Der edelste Job: ab und zu mit dem Frühflieger von Düsseldorf nach Stuttgart und Jahreswagen (200er /8 er , selten größer, am besten zu verkaufen Diesel, unendlich lahm auf den Steigungen der Sauerlandlinie, oft noch Einfahrvorschrift) abholen, Spesen frei.
Wanderschaft mit abgebrochenem Studium erst Regensburg, dann Münster, dann in Bochum, revolutionärer und auch wirklicher schwerer Arbeit bei Thyssen Niederrhein in Oberhausen, erst Gleisbaurotte, dann Walzwerk, zwei Jahre lang. Ganz deutlich habe ich gespürt, dass die Kollegen mich ganz in Ordnung fanden, aber für meine politischen Thesen nur ein Lächeln hatten. Trotzdem: Meine vorher noch schmalen und leicht herabhängenden Schultern wurden breit und kräftig, ebenso mein Selbstbewußtsein. Ich rate zur Nachahmung und habe dafür gesorgt, dass meine Kinder in ihrer Schulzeit die Hände gebrauchen lernen und die Arbeit schmecken (ging allerdings nicht in GE sondern in Wanne-Eickel).

Dann in meinen heutigen Beruf in der Heilkunde in Münster, Semesterjobs in der Pathologie Zeppelinallee (Professor Mohr, bei dem es auch für den Praktikanten ein anständiges Gehalt gab, fast tägliche Arbeit in kühlen verborgenen Kellerräumen der Krankenhäuser und auf den Friedhöfen der Stadt), Essen (U.a. in der „Fähre“ nach Fred Kollorz), Bochum, Geldern, Chomane im kurdischen Teil des Irak, englisch-amerikanisch garantierter Sektor (6 Wochen mit Cap Anamur nach dem ersten Golfkrieg), dann „Heimkehr“ nach Gelsenkirchen mit Heimkehrergefühlen, Familiengründung, Wohnungssuche für eine wachsende Familie war 1991 ein Riesenproblem, es herrschte ausgesprochener Mangel an freien Wohnungen, mieten unmöglich und kaufen ein Abenteuer. (Damals mußten Leute, die eine Wohnung betrieblich nutzten, mit einer Geldstrafe rechnen)

Engagiert? Mußte mich zu Abstinenz durchringen, weil ich eine Zeitlang Ideen höher gestellt hatte als das lebendige Leben, hatte übergroße Mühe, die Realität der Revolution und des realen Sozialismus bei aller östlichen und westlichen Propaganda als das zu erkennen, was sie wohl wirklich geworden war, bis hin zu killing fields in Kambodscha. Tätige Selbstkritik war bis heute die Abstinenz von Fragen, zu denen ich nicht wirklich aus eigener Erkenntnis etwas zu sagen habe, finde die Orientierung in politischen Sachfragen noch immer extrem schwierig in einer Welt der Halbwahrheiten und interessengeleiteten Wahrnehmungen, weiß auch, dass die Veränderung der Welt nicht aus dem politischen Raum initiiert wird, sondern dort höchstens ihre Verwaltung findet. Aber den Raum ausdehnen, wo ich wirklich etwas erkenne und zu sagen habe, Zusammenhänge dieser Welt und einiger der zahllosen Erscheinungen in ihr, das treibt mich um: ein mit offenen Augen meditatives Leben führen, die Entwicklung des Geistes in freier willentlicher Arbeit am gemeinsamen Wohl...

Warum in diesem Forum? Schön hier, in GE und in diesem Kreis von Menschen, die mit Herz betrachten und denken, viele die sehr sorgfältig und wunderbar konkret beobachten, bewahren, nicht so schnell beurteilen. Kompetente, unprätentiöse Beiträge, offensichtlich nicht für eigenen Vorteil oder Tantieme oder Buchprojekt oder Nachruhm. Diese Zeitgenossen scheinen mir für lebendiges Miteinander in Respekt unterwegs zu sein. Ein Beitrag zu Lebenskunst heute oder zum zukünftigen Begriff von Arbeit? (Stüttgen geht mir da immer noch nicht aus dem Sinn).

„Toll“ an Gelsenkirchen? Nichts, sonst wäre ich vielleicht schon weg. Aber als Musik ist es eine schöne rauhe Komposition mit der Fähigkeit, schräge Töne zu Hoffnung auf Wohlklang zu vereinen. (Ein bisschen Tom Waits vielleicht)
Schlecht? Musikalisch gesehen der Kampf der Mitspieler gegen den Rhythmus der eigenen Formation, die Angst vor der eigenen Charakteristik als alternde und womöglich bald vergehende Stadt, das sich Verstecken im Mainstream, die Leugnung der Kohle und des Proletariers als unsere Leitfossillien. Eine Verwaltung, an der ich ab und zu die Selbstkritik vermisse.

rm

Heinz
Abgemeldet

Beitrag von Heinz »

@rm
In einigen Beschreibungen erkenne ich Teile meines Lebens, meiner Kindheit, meiner Gefühls- und Gedankenwelt wieder. Ich finde, dass dies eine der schönsten Schilderung und Reflexion von Kindheit und Erwachsen-Werden im Ruhrgebiet / Gelsenkirchen der 50er Jahre ist, die ich bisher gelesen habe.
Ich wünschte, dass ich den Ton auch so genau treffen könnte, wenn ich über die Eisblumen an meinem Fenster schreiben würde, über die Nachkriegsmenschen mit ihren äußeren und inneren Wunden in meiner Umgebung, oder über die Zeit meines politischen erwachens und die Zweifel danach.

Aus mündlichen und schriftlichen Rückmeldungen zu dem Text weiß ich, dass es einigen gleichaltrigen ähnlich geht und jüngere sagen, dass der Text wie Kino wäre.

Als Rückblick warm, offen, mit Blick für verborgen-verschüttetes. Für Ruhrgebiets-Fremde, Vorurteilsbeladene, ganz sicher eine Hilfestellung, um sich den Ruhrgebiets-Menschen zu nähern.
Verstörend sicherlich all die, die nach Außen scheinbar ohne Zweifel oder Brüche gut eingerichtet leben. Irritierend auch die, die als immer noch oder schon wieder Ideologen-Antworten auf alle Fragen haben.
Danke für dieses auftauen..... :2thumbs:

Männlein
Beiträge: 1230
Registriert: 27.02.2007, 13:08

Beitrag von Männlein »

Die Anfänge dieses Kinos durfte ich miterleben, es war häufig im Wortsinne atemberaubend.
Ich hatte das Vergnügen mit rm einige Jahre die Schulbank drücken zu dürfen/müssen.
Nach 4 Jahren trennten sich unsere Wege, auch wie im Kino: "Einer kam durch", ich leider nicht.
Beim Zaunrauchen kam man aber immer wieder zusammen!
@rm: ich war mir beim Datum genauso sicher wie du, habe dann alte Unterlagen gefunden und mußte erkennen, es war nicht 1960 sondern 61.
Unterrichtsbeginn 13. April 1961, 8.00, kath.7.15 Hl.Familie, ev. Paulus-Kirche
"Für den Unterricht sind an diesem ersten Tage nur Papier und Bleistift mitzubringen." Dr. Neef
Gruß Männlein, Original folgt demnächst

Männlein
Beiträge: 1230
Registriert: 27.02.2007, 13:08

Beitrag von Männlein »

Da isses.
Bild
Gruß Männlein

Benutzeravatar
rm
Beiträge: 405
Registriert: 20.01.2007, 00:50

Beitrag von rm »

Danke für freundliche Worte und Rückmeldung.
@männlein,
das waren die Kurzschuljahre, ich habe immer von Einschulung aus gerechnet und gemerkt, kann doch gar nicht sein mit 1960, denn vom Ende aus gezählt mit Sitzenbleiben, immer 1960. Jetzt habe ich ein Dokument gesehen und weiß, dass ich etwas nicht wußte (aber jetzt weiß).

Benutzeravatar
Penelope
Beiträge: 2
Registriert: 10.12.2007, 15:04

Beitrag von Penelope »

Zeitgeist damals:
Oh ja, kann mich noch gut erinnern, dass es große Probleme mit der Kirche gab, wenn eine Katholikin einen Protestanten heiratete oder umgekehrt.
Es gab auch auf den Schulhöfen regelrechte Haßtiraden mit äußerst respektlosen und unflätigen Ausdrücken gegenüber der anderen Glaubensrichtung. Den Wortlaut darf man hier sicherlich nicht zum besten geben. Also, es war schon recht krass damals.
„Toll“ an Gelsenkirchen? Nichts, sonst wäre ich vielleicht schon weg.
Richtig - und das ist genau der Punkt, warum es mich aus dem Exil immer und immer wieder hierherzieht.
Man kann sich den ganzen Tag ärgern, aber man ist dazu nicht verpflichtet.
(aus Griechenland)

Jazzam
Abgemeldet

Keine Langeweile

Beitrag von Jazzam »

überlegte den ganzen Abend, womit ich denselben wohl verbringen könnte, habe Zeit übrig und fand - erst heute - die vita rm, hab mir nen Kaffee gemacht, bin gespannt...

Jazzam
Abgemeldet

Bunt

Beitrag von Jazzam »

die Langeweile, die mir immer aus den "Gelsenkirchener Geschichten" meiner Eltern (Mutter Jahrgang 1937, Vater Jahrgang 1949) entgegengegähnt kam, fand ich hier nicht,-

ein Zitat aus einem Text, den ich vor dem Eintauchen in die GGs verfasste:

Mehr wusste sie zwar nicht über ihn, aber sie war stolz, mit diesem Mann bekannt zu sein, der ihr durch seine expressive Fremdheit erstmals ein Heimatgefühl vermittelte. Sie lebte erst einige Jahre in dieser Stadt, die ihren Eltern und Großeltern lange Zeit eine Heimat gewesen war. Sie war hier nicht groß geworden und es gelang ihr nicht, sich an diese Stadt zu binden.

.......
es geht um einen (gescheiterten) Beziehungsversuch zu einem Beamten....ach ja, wahrscheinlich nicht meine Schuhgröße.......

:roll:

Jazzam
Abgemeldet

Wo sind die anderen Viten?

Beitrag von Jazzam »

und wo ist die zweite und dritte und vierte und fünfte............ Vita?

Es gibt doch bestimmt noch ein paar mehr Gelsenkirchener mit einer erzählenswerten Vita ? :D
Zuletzt geändert von Jazzam am 03.02.2009, 23:41, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
globalrider
Beiträge: 1122
Registriert: 16.08.2007, 23:59
Wohnort: gelsenkirchen

sehr...liebe vta

Beitrag von globalrider »

einige geschichten von den fahrten peking - ge möchte ich erzählen nur wenn du möchtest

397956

gruß horst

Benutzeravatar
globalrider
Beiträge: 1122
Registriert: 16.08.2007, 23:59
Wohnort: gelsenkirchen

horst

Beitrag von globalrider »

68 bin immer zum einkleiden nach amsterdam blöd, da hat mich so manch roter punkt

in der windschutzscheibe mitgenommen

gruß horst, denke ich fahre wieder, warum so alleine sein

Jazzam
Abgemeldet

Alleine sein

Beitrag von Jazzam »

alleine sein

Fluch und Segen

Jazzam
Abgemeldet

Eisenbahner in Wattenscheid

Beitrag von Jazzam »

Ich habe folgendes Dokument in meinem Flur hängen:

Auf Befehl seiner Majestät des Kaisers und Königs ist dem Weichensteller Peter Becker 2 in Wattenscheid das durch allerhöchsten Erlass vom 27. Januar 1905 gestiftete Erinnerungszeichen für 25 - jährige Dienstzeit verliehen worden, worüber ihm dieses Zeugnis erteilt wird.
Berlin, den 14. Juli 1905

Der Minister der öffentlichen Arbeiten

von Budde


Das war mein Ururopa väterlicherseits, geb. um 1860/65

Mein Opa väterlicherseits war Rangierer zwischen Wanne und Essen bis zu seiner Pensionierung ~ 1975.

Jazzam
Abgemeldet

Wo sind die anderen Viten?

Beitrag von Jazzam »

Jazzam hat geschrieben:und wo ist die zweite und dritte und vierte und fünfte............ Vita?

Es gibt doch bestimmt noch ein paar mehr Gelsenkirchener mit einer erzählenswerten Vita ? :D
:!:

Jazzam
Abgemeldet

Beitrag von Jazzam »

Heinz hat geschrieben:Für Ruhrgebiets-Fremde, Vorurteilsbeladene, ganz sicher eine Hilfestellung, um sich den Ruhrgebiets-Menschen zu nähern.
Verstörend sicherlich all die, die nach Außen scheinbar ohne Zweifel oder Brüche gut eingerichtet leben. Irritierend auch die, die als immer noch oder schon wieder Ideologen-Antworten auf alle Fragen haben.
Danke für dieses auftauen..... :2thumbs:
mmm,

es herrscht nicht gerade Gedränge hier.

Hat doch mit Eitelkeit nix zu tun......... s.o.


vielleicht kommt ja noch ein GE - Vita........


:roll:

Antworten