Ich - der siebte Beitrag

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Ich - der siebte Beitrag

Beitrag von Verwaltung »

ICH – Moni53:

Ja, wer bin ich überhaupt???
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, zunächst einmal musste ich mich eingehend mit mir selbst unterhalten, ehe ich etwas aufschreiben konnte.

Eines fiel mir spontan ein: Ich bin ein Erler "Nesthäkchen".

Das Licht der (Erler-) Welt erblickte ich in der Erler Frauenklinik (Elisabeth Krankenhaus), an einem Montag, im August 1953.

Zu Hause erwartete mich ein großes altes Haus und eine Großfamilie: die Eltern, 2 Brüder, eine Schwester (11, 12 und 13 Jahre alt), die Mutter meines Vater und seine Schwester. Von allen reichlich verwöhnt (wie behauptet wird), erlebte ich eine glückliche Kindheit, unter anderem im Kindergarten St. Barbara und in der Grundschule an der Heistraße.

Der Barbara-Kindergarten befand sich damals in einer Baracke, das neue, heutige Kindergartengebäude wurde erst fertig gestellt, als ich in die Schule kam. Ich erinnere mich aber noch an den "1. Spatenstich" mit Pastor Hoffmann. Die Leiterin des Kindergartens war Schwester Fortuna, eine kleine strenge Ordensfrau, nicht viel größer, als die Kinder.
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Die Mädchen durften keine Hosen anziehen, ausnahmsweise im Winter, dann musste aber eine Schürze darüber getragen werden. Nachmittags gab es für die Mädchen Handarbeitsunterricht, wir lernten erst Häkeln, später auch Stricken und Nähen. Für gute Leistungen gab es "Fleißkärtchen", hatte man sich drei verdient, konnte man sie gegen ein Heiligenbildchen eintauschen.

Am Kindergarten vorbei führte die Trasse der Zechenbahn. Während der Pausen draußen, kam oft eine Dampflok vorbei, dann winkten alle Kinder dem Lokführer und riefen im Chor:
"Onkel Arbeiter, Onkel Arbeiter" ...
Dieser ließ dann die Lok so laut pfeifen, dass wir uns die Ohren zuhalten mussten.

In der Grundschule waren wir 55 Mädchen in einer Klasse – da musste noch "Zucht und Ordnung" herrschen, sonst wäre das gar nicht möglich gewesen. Unsere Klassenlehrerin war ein junges, nettes Fräulein, das ich sehr gut leiden mochte. Mit den vielen "uralten" Lehrern auf dem AvD in Buer konnte ich mich später nur schwer anfreunden.

Wir Erler Kinder spielten in den 50-/60ern jeden Nachmittag draußen, auf dem Marktplatz konnte man gut Rollschuh laufen, am Mühlbach im Sommer baden, Pampelacke machen und die erste heimliche Zigarette probieren. Wir trieben uns auch gerne auf den Baustellen im Berger Feld herum, das zu der Zeit neu erbaut wurde.

Im Winter liefen wir mit Schlitten, Gleit– oder Schlittschuhen zu Fuß nach Schloss Berge, tobten dort herum, bis es anfing dunkel zu werden und liefen dann wieder nach Hause. Dann hatte ich so einen Hunger, dass ich locker 5 Knifften mit Honig verputzte. Abends gab es dann manchmal Ärger, weil das Brot nicht mehr für die Familie reichte.

Sonntags, nach dem Kirchenbesuch, ging ich oft in die Pfarrbücherei, diese befand sich in der Friedenstraße, neben dem Kindergarten. Da konnte man wunderbare Bücher ausleihen – z.B. "5 Freunde" und die vielen anderen Geschichten von Enid Blyton, die Abenteuer von Karl May, Robinson Crusoe und Jim Knopf.

Meine Liebe zu Hunden, die bis heute anhält, entwickelte sich schon im Kleinkindalter.
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Eine besondere Seelenverwandtschaft verband mich mit der Tante, die in unserem Haus wohnte, sie malte und handarbeitete gerne, hatte an der Folkwangschule/Essen eine Ausbildung zur "Gewerbelehrerin" gemacht.

Gern verbrachte ich die Zeit mit ihr, oder auch alleine, mit Malen, Basteln und Nähen. "Langeweile" kannte - und kenne ich - bis heute nicht. Die Schule war mir oft sehr lästig, hatte ich doch immer Wichtigeres zu tun! Ich kämpfte mich dann durch die weiterführende Schule, meine Lieblingsfächer waren immer Kunst und Handarbeit.

Meine ganze Familie war irgendwie medizinisch-pharmazeutisch orientiert und eins wusste ich genau: Ich nicht!

Später besuchte ich die Fachoberschule für Gestaltung in Recklinghausen und arbeitete ein Jahr in der Plakatmalerei im Kaufhof in GE. Schon damals lernte ich zu differenzieren: ich bin zwar ein kreativer Mensch mit künstlerisch, handwerklichen Fähigkeiten, aber auf keinen Fall ein "Künstler". Darum entschied ich mich für den Studiengang "Visuelle Kommunikation", (früher: Gebrauchsgrafik) und bewarb mich über die ZVS für einen Studienplatz.

Was ich nie zu träumen gewagt hätte wurde Wirklichkeit: Mir wurde ein Studienplatz an der Folkwangschule angeboten. (Die FH-Essen Abt. Kunst und Gestaltung war zu der Zeit, 1974, noch dort integriert)
Die vier Jahre Studienzeit in Essen Werden waren ein Erlebnis - die schönen Räumlichkeiten in der alten Abtei, die tolle Lage an der Ruhr, die Studenten der Fächer Kunst, Musik, Tanz und Schauspiel – alles zusammen ergab eine wunderbare Atmosphäre, in der es sich gut lernen und arbeiten ließ.

Das Hauptstudium machte ich bei Prof. Willy Fleckhaus, dem damaligen „Grafikpapst“. http://www.willy-fleckhaus.de. Unvergesslich sind mir bis heute die Fotoexkursionen mit ihm und anderen Designprofessoren nach Apulien/Italien.

1975 heiratete ich meinen "ehemaligen Verlobten". Wir blieben "erst mal" in Erle wohnen, in meinem Elternhaus. Zwei Zimmerchen unterm Dach – für die paar Jährchen noch ... Und schließlich liegt Erle ja bekanntlich in der Mitte, ich musste zur FH nach Essen, er zur Uni nach Bochum. Kennen gelernt haben wir uns übrigens als Schüler, 1970 in Buer, im legendären Kaffee Halbeisen, auf der Horster Straße.

Nach Beendigung des Studiums arbeitete ich selbständig. Gemeinsam mit einem Studienkollegen, betrieben wir das, von ihm gegründete, "Designbüro27" in Buer.

1982 stellte sich der erste Nachwuchs ein.

Zwei Jahre später beendete ich meine Tätigkeit im Designbüro und wurde "Familienmanagerin" (Wenn schon Familie, dann auch richtig). Zwei weitere Söhne wurden geboren.
Nebenbei arbeitete ich noch freiberuflich für eine Zeitschrift.

Ach ja, wir wohnten immer noch in Erle - so nach und nach hatten wir uns das gesamte Dachgeschoss des Hauses ausgebaut!

1998 machte ich mit in einem Kurs für Marionettenbau, schließlich bin ich seit frühester Kindheit ein großer Fan der "Augsburger Puppenkiste" – mit den Kindern sah ich mir auch wieder entsprechende Sendungen an ...
Eine neue Idee war geboren: ich richtete mir eine kleine Werkstatt ein und fing selbst an, Marionetten zu modellieren, die Holzgestelle baut(e) mein Mann für mich. Freundinnen und Bekannte wollten das auch erlernen, so entstand mein erster Marionettenkurs, dem viele weitere folgen sollten.

Ich wollte die Marionetten gerne auf einer Homepage präsentieren - immer mehr fesselte mich die Arbeit am Computer, bis ich die Seite selbst erstellen und bearbeiten konnte.

Durch die Kinder kam natürlich der Kontakt zu Kindergarten, Kirche, Schulen – viele Ehrenämter wollten dort besetzt werden. Quasi nach dem Motto: "... und alles begann damit, dass ich für den Kindergarten einen Kuchen backte ...". Ein schöner Nebeneffekt, ich lernte noch mehr Erler(innen) kennen - viele dauerhafte Freundschaften entstanden daraus.

Oft klinken wir den "Erler Haken" aus und machen kurze und längere Campingreisen – wir kommen aber immer wieder gerne zurück!

"Wenn die Kinder aus dem Haus sind, studiere ich Kunstgeschichte oder Puppenspie", habe ich früher oft gesagt – aber, noch hocken alle im (Erler) Nest ...
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rm
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Beitrag von rm »

Ein Punkt interessiert mich besonders (als Kind einer bildenden Künstlerin, die in den fünfziger und swechziger Jahren sehr an dieser Berufung und ihren Komplikationen litt): was war das für eine Abgrenzung, wie hast Du herausgefunden, dass du auf keinen Fall ein Künstler bist?

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moni53
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Beitrag von moni53 »

rm hat geschrieben:Ein Punkt interessiert mich besonders (als Kind einer bildenden Künstlerin, die in den fünfziger und swechziger Jahren sehr an dieser Berufung und ihren Komplikationen litt): was war das für eine Abgrenzung, wie hast Du herausgefunden, dass du auf keinen Fall ein Künstler bist?
Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten.

Ich denke, Künstler zu sein ist ein besonderes Lebensgefühl.

Dafür bin ich zu wohl einfach bodenständig,
ich verstehe meist gar nicht, was Künstler mir sagen wollen (oder auch nicht),
nicht in Worten und auch nicht in ihren Werken.

Es gibt schon Künstler und Kunstwerke, die mich spontan begeistern und ansprechen,
aber das sind nur wenige.

Ich kann auch mit sogenannten "Kunstverständigen" nicht umgehen,
die sich alles schönreden und zu jeder Vernissage laufen,
eher um gesehen zu werden, als zu sehen.

Anders ausgedrückt, ich fühle mich oft in der Nähe von sogenannten Künstlern unwohl,
bin peinlich berührt, welches "Buhei" um Werke gemacht werden,
die mich nicht ansprechen.

Wahrscheinlich bin ich ein echter "Kunstbanause"

Deswegen liebe ich auch die "MonaLisa",
ich bin immer wieder überrascht, welche Geheimnisse in dieser Dame (oder ist es doch ein Herr) gesehen werden,
das eigentliche Kunstwerk ist nicht das Bild, sondern das Mysterium.


Moni
Dem Fröhlichen ist jedes Unkraut eine Blume, dem Betrübten jede Blume ein Unkraut. (Finnisches Sprichwort)

Hafenjunge
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Kreativität

Beitrag von Hafenjunge »

Die Ich-Geschichten sind immer wieder eine kleine Offenbarung. Ein Lebensweg, den es so heute nicht mehr geben könnte, wirkt mir (Jahrgang 1952) sehr vertraut.

Ich würde zwischen Kunst ("Berufung") und Kunstgewerbe ("Ausbildung") nicht einen so großen Unterschied machen. Wichtig ist ein "Ventil" für Kreativität. Da wäre mir Basteln lieber als spät berufene Aquarelle in der Apotheke auszustellen.

Was mir etwas schade erscheint, ist der Abbruch des höchst interessanten Berufsweges zugunsten der Familie. Aber das sind natürlich persönliche Entscheidungen, in denen man nicht "drinsteckt".

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moni53
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Beitrag von moni53 »

Was mir etwas schade erscheint, ist der Abbruch des höchst interessanten Berufsweges zugunsten der Familie
Ja, das ist wirklich sehr schade,
dass Familie heute anscheinend keinen Wert mehr hat.

Moni
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kleinegemeine01
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Beitrag von kleinegemeine01 »

moni53 hat geschrieben: Ja, das ist wirklich sehr schade,
dass Familie heute anscheinend keinen Wert mehr hat.
:2thumbs: :applaus:

Hafenjunge
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Re: Kreativität

Beitrag von Hafenjunge »

Hafenjunge hat geschrieben:Was mir etwas schade erscheint, ist der Abbruch des höchst interessanten Berufsweges zugunsten der Familie. Aber das sind natürlich persönliche Entscheidungen, in denen man nicht "drinsteckt".
Persönliche Entscheidungen respektiere ich selbstverständlich.
Aber ich bin selbst auch nicht dort angekommen, wo ich mit dem Studium einmal hinwollte. Jetzt am nahen Abschluss des Berufslebens habe ich die Frage, ob es richtig war oder ist, sich "aufgeopfert" zu haben.
Ich will auch die Ich-Geschichten, schon weil ich selbst eine geschrieben habe, hier nicht einfach durchrauschen lassen. Dafür sind sie zu gehaltvoll.

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moni53
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Beitrag von moni53 »

Aber ich bin selbst auch nicht dort angekommen, wo ich mit dem Studium einmal hinwollte.
Ich wollte mit meinem Studium nirgendwo hinkommen,
ich wollte es!

Und bin heute noch froh, dass ich es gemacht habe.
Obwohl sich später das Berufsbild des "Gebrauchsgrafikers" völlig geändert hat.

Alles handwerkliche, das den Beruf ausmachte,
hat der Computer übernommen.
Ein kreativer Kopf wird natürlich immer noch benötigt.

Gruß Moni
Dem Fröhlichen ist jedes Unkraut eine Blume, dem Betrübten jede Blume ein Unkraut. (Finnisches Sprichwort)

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