Gertrud Bäumer

Menschen, deren Namen in Gelsenkirchen auftaucht, auch wenn sie nicht in Gelsenkirchen lebten

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WildeHilde
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Seltsamer Zeitpunkt

Beitrag von WildeHilde »

„Für Deutschland verabschiedete der Alliierte Kontrollrat in Berlin ab Januar 1946 eine Vielzahl an Entnazifizierungsdirektiven, mittels derer man bestimmte Personengruppen definierte und anschließend einer gerichtlichen Untersuchung zuführte.
In den drei Westzonen wurde über die 2,5 Millionen Deutsche, deren Verfahren bis 31. Dezember 1949 durch die Entnazifizierungsspruchkammern entschieden war, wie folgt geurteilt:

54 % Mitläufer,

bei 34,6 % wurde das Verfahren eingestellt,

0,6 % wurden als NS-Gegner anerkannt,

1,4 % Hauptschuldige und Belastete.

Viele der tief in die NS-Vergangenheit verstrickten „Mitläufer“ konnten unbehelligt nach 1949 Karriere machen. Mit Persilscheinen, die ihnen von den Alliierten ausgestellt wurden, gingen sie in die Politik, Verwaltung, Polizei und an die Universitäten zurück. Oft auch unter falschem Namen und häufig unter Mithilfe der Netzwerke (Rattenlinien) alter Kameraden.

Das Entnazifizierungsschlussgesetz, am 11. Mai 1951 verkündet und am 1. Juli in Kraft getreten, markierte einen Schlusspunkt. Am 10. April 1951 hatte der Deutsche Bundestag bei nur zwei Enthaltungen das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ (das so genannte 131er-Gesetz) verabschiedet. Dieses Gesetz sicherte nun mit Ausnahme der Gruppen 1 (Hauptschuldige) und 2 (Belastete) die Rückkehr in den öffentlichen Dienst ab.“ Wikipedia

Dass z.B. Leute wie Filbinger dabei „übersehen“ wurden ist symptomatisch.

Bei Inbetrachtnahme dieses Hintergrundes verstehe ich den o.g. Text der Gertrud Bäumer im Jahre 1946 als Aufruf an die Frauen den vorhandenen „braunen“ Ideologien entgegenzuwirken. Der Krieg war wohl beendet, das nationalsozialistische Gedankengut existierte in vielen Köpfen aber weiter. Also ist der Zeitpunkt meiner Ansicht nach gar nicht so seltsam.

Gruss WildeHilde
Bankraub: eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank.
-Berthold Brecht-

Gert B.
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Antwort an "Wilde Hilde"

Beitrag von Gert B. »

Wie kommst du denn darauf, dass G. Bäumer das so gemeint hat oder gemeint haben könnte?

Hast du ihre Schrift, aus dem das von mir in Bezug auf das Jahr 1946 als "seltsam" bewertete Zitat stammt, gelesen? Gibt es darin Stellen, die deine "Interpretation" - ich würde eher von bloßer Spekulation sprechen - stützen? Würdest du so freundlich sein, hier diese Stellen präzise mit Seitenangaben zu nennen?
Kennst du evtl. andere Quellen aus oder um 1946, die deine Deutung belegen und stützen könnten? Ich bin für solche Hinweise immer dankbar.

Ich bleibe dabei, dass mir das zitierte Bäumer-Wort, das du hier mit einer aus meiner Sicht recht eigenwilligen Bedeutung versiehst, an der Stelle, an der es steht und in Hinsicht auf das Jahr seiner Veröffentlichung - 1946 - seltsam erscheint.

Ich werde auf ein paar Stellen aus "Der neue Weg der deutschen Frau" noch eingehen.

Hier aber schon mal ein weiteres Zitat:

"Es lohnt sich nicht, den geistigen Kampf mit dem Nationalsozialismus noch einmal wieder aufzunehmen. Man soll ihm nicht ausweichen, selbstverständlich, wo er noch einen Verteidiger findet, ... . Aber im übrigen: Guarda e passa! (Ein Blick auf sie und weiter!)"
(Gertrud Bäumer, a.a.O., S. 43)

Sieht so "glühende Gegenwehr" "in Taten des Mutes" aus?


M. Schurich

Gert B.
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Forts.: Blick über den GE-Tellerrand; G-B-RS Essen

Beitrag von Gert B. »

Ich gehe mit - für mich - an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Verfasser des Beitrags über Bäumer in der Homepage der Gertrud-Bäumer-Realschule Essen die von mir hier beigetragenen Bäumer-Zitate aus dem Jahr 1946 (oder evtl. das von 1951) in die "Wirren der dreißiger Jahre" "verlegen".

Das ist, wenn es so zutrifft, eine ganz üble Sache. Lehrer dürfen so etwas nicht machen.

Hier würde dann nicht durch selektive Wahrnehmung und/oder in den Kram passende Zitatauswahl, sondern durch dreiste Geschichtsfälschung eine "Heiligenlegende" frei erfunden.

Die Kontroverse, die ich hier initiiere - ich könnte den gesamten Beitrag darüber ja auch unterlassen - geht von sehr unfair verteilten Voraussetzungen aus.
Die Homepageverfasser geben keine Quelle an; nicht einmal eine konkrete Jahreszahl wird genannt.

Jemandem, der den Verdacht hat, hier könnte etwas "faul" sein, wird die Beweislast aufgebürdet. Er muss "belegen" (!) bzw. sich sicher sein, dass es eine solche, öffentlich wirksame Bäumer-Äußerung aus "jener Zeit" der "dreißiger Jahre" gar nicht gibt.

Da ich dies, weil mich der von mir hier vermutete Sachverhalt richtig zornig macht, dennoch wage, kehre ich die Beweislast aber auch zusätzlich um:
Ich fordere den/die für die "Öffentlichkeitsarbeit" zuständigen und berechtigten Vertreter der Schule auf, Ross und Reiter zu nennen, also für die hier von mir als (sehr wahrscheinliche) Geschichtsfälschung bezeichnete Zitatzuordnung genaue, nachprüfbare Quellenangaben zu machen.
Ich werde die Schule über die Einstellung meines Beitrags informieren.

Damit auch jeder andere, ohne erst Mitglied der GG zu werden, mir gegebenenfalls Hinweise in dieser Angelegenheit geben kann, teile ich dafür eine E-Mail-Adresse mit:

m.schurich@web.de

Ich versichere, dass ich mich erreichende Informationen, die meinen hier geäußerten Verdacht nachprüfbar widerlegen, hier unverzüglich mitteilen werde.

Selbst wenn da etwas kommen sollte, wenn also die Homepageverfasser in diesem Punkt sich in den Schriften von und über Bäumer besser auskennen sollten als ich, bliebe die Frage, warum sie die Sachverhalte, die ich hier zum Verhältnis Bäumer / Nationalsozialismus mitteile, verschweigen.

Manfred Schurich

Gert B.
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G. Bäumer: Die "letzten Ursachen" des Nationalsoz.

Beitrag von Gert B. »

In ihrer hier zuletzt zitierten Schrift "Der neue Weg der deutschen Frau" von 1946 schreibt Gertrud Bäumer Folgendes:

"Es ist dadurch, daß nun das Schicksal des Nationalsozialismus - und damit das Deutschlands - besiegelt ist, nicht leichter geworden, den Weg zurückzugehen zu den letzten Ursachen der rätselvollsten Dämonie, die seit Jahrhunderten ein Volk ergriffen und in die Vernichtung hineingerissen hat. Ich bitte den Leser um dieser Erkenntnis willen nicht über einen Umweg zu erschrecken:

Bei einer Arbeit über den Kaiser Otto III. machte ich vor vielleicht drei Jahren eine seltsame Entdeckung. In dem umfassenden mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Schrifttum über den Antichristen der apokalyptischen Verheißung fiel mir ein Buch aus dem Jahre 1604 in die Hände. Darin wird die bekannte Überlieferung wiedergegeben, daß der Antichrist, wenn er den Sieg über die Menschheit gewonnen und sein Reich begründet hat, alle Untertanen zwingen wird, sein Zeichen zu tragen. ... Der Verfasser spinnt diese Überlieferung weiter und sagt - ungefähr -: Nun möchtet ihr wohl gern wissen, wie das Zeichen aussieht. Noch ist es verborgen, bis das Reich des Antichristen anbricht. Aber ich kann es euch verraten; ich habe es in alten Büchern gefunden: Es ist ein heiliges Zeichen, dem vier Galgenbalken angehängt sind.

Also: (hier folgt ein fettgedrucktes Hakenkreuz, M.S.): das Hakenkreuz. Das ist sehr merkwürdig, nicht wahr, und muß einen eigentümlich anrühren. Ob die Swastika (= Hakenkreuz, "Zeit-Lexikon", M.S.) mit solchen Gedankengängen wirklich irgendwie zu tun gehabt hat, weiß ich nicht. Aber das ist auch nicht wichtig für das, was dieser geniale Einfall im letzten Grunde bedeutet: der Antichrist ist der große Fälscher - das Mittealter sagt ja auch: der Affe Gottes - der Erzbetrüger, der unter heiligem Namen, Zeichen, Gesten und Worten das Andere, das Widergöttliche betreibt. Die Verkoppelung von Göttlichem und Widergöttlichem könnte kein treffenderes Symbol finden als das Kreuz mit den Galgenbalken." (S. 6, 7)

"Der Einzelne ist für den Nationalsozialismus nichts als ein Organ des Volkes; darin ist seine Bestimmung beschlossen. Er empfängt seine Bestimmung aus dem Gesamtdasein. Sein Leben ist nicht unmittelbar zu Gott hin ausgerichtet, und nicht unmittelbar von seinem göttlichen Ursprung her, aus der Kraft seines Glaubens, offenbart sich ihm der Sinn des Daseins. Er wird ihm durch die Volksgemeinschaft, d. h. von außen her, gesetzt. Das ist die verhängnisvolle Umkehrung der göttlichen Stufung. Jede echte Gemeinschaft, jede fruchtbare, Leben zeugende Verbundenheit unter Menschen, lebt aus dem göttlichen Ursprung der einzelnen Seele. Nur im Erlebnis und Bewußtsein dieses Ursprungs besitzt der Mensch die ganze Fülle seines Menschseins, die seine Gaben, Kenntnisse und Fähigkeiten erst mit dem schöpferischen Hauch des Lebens durchströmt.

Indem dieser Strom abgestaut wurde, verfiel unser Volk einer seelischen Entartung, die Zug um Zug seine höhere Menschlichkeit zersetzte. Es ergab sich immer willenloser einer Dämonie, die nicht nur seinen Willen betäubte, sondern seine sittliche Urteilskraft mehr und mehr umdunkelte." (S. 9) (Kursiv: im Original Sperrdruck)

"Nur die Ahnung von der Macht der entbundenen Dämonieen, nur das Verständnis von dem Geisterkampf, der unsichtbar in den Lüften tobt, nur eine geniale Gottesschau, nur der fromme und heldische Entschluß zur Umkehr und Erneuerung kann die Rettung bringen." (S. 46)


Dazu zwei Sätze aus der Habilitationsschrift von Angelika Schaser:

"Was Bäumer für sich als ´geistigen Widerstand` definieren mochte, wurde immer mehr zu einer metaphysisch-religiösen Umdeutung des Nationalsozialismus." (S. 329)

Und:

"Die Dämonisierung Hitlers und der Zeit des Nationalsozialismus kam vielen Deutschen entgegen." (S. 348)

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Die "Dämonisierung" Hitlers ist bis heute noch ein Phänomen/Problem, das die sich mit der NS-Zeit beschäftigendenden Historiker umtreibt.

Es geht dabei immer auch um die Kehrseite dieser Dämonisierung: die immer noch feststellbare Tabuierung der historischen Tatsache/Frage, in welchem Ausmaß "das deutsche Volk" oder etwas differenzierter: viele, viele Millionen Deutsche den Aufstieg und die Etablierung des NS-Herrschaftssystems unterstützt und ermöglicht haben und wie sehr sehr viele Deutsche von Hitler, den NS-Ideen und dem erstarkenden NS-Machtsystem (zunächst, aber nicht immer nur zunächst) fasziniert und begeistert waren.

Die Tabuierung dieses Themas schlägt sich zum Beispiel nieder in den verschiedenen Auflagen eines heute weit verbreiteten Schulbuchs für die Fächer Politik/Sozialwissenschaften; dafür könnte ich Belege liefern, die aber den Rahmen dieses "Threads" hier überschreiten würden.

Wie Gertrud Bäumer an der Unterstützung des NS-Regimes beteiligt war, habe ich versucht hier darzustellen. Ich werde dazu noch ein bisschen mehr schreiben. Die Dämonisierung Hitlers diente auch ihr dazu, sich selbst zu entlasten. ("Von ihr ist keine Zeile überliefert, in der sie sich selbstkritisch zu ihrer Haltung während der Zeit des Nationalsozialismus geäußert hätte." (Schaser, Habil., S. 347)

Hier ein Link zu einem Artikel in "welt-online" zur kürzlich in Berlin eröffneten Hitler-Ausstellung, in dem die Dämonisierungsproblematik, wie ich finde, recht gut dargestellt wird:

http://www.welt.de/kultur/article102758 ... nfall.html

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Sehr lesenswert in unserem Zusammenhang hier finde ich auch den folgenden Artikel in "welt-online" von heute, der sich - in der Rubrik: Meinung/Debatte - mit der jetzt vorgelegten Studie zur NS-Verganheit des Auswärtigen Amtes befasst. (Die Studie wurde noch von Joschka Fischer initiiert.)

http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... Kommentare

Das führt nicht vom Thema "Bäumer" weg: es geht da zentral z.B. um, ich zitiere aus den Schlussabsätzen, "die eigentümliche Elitenmelange von Adel, Bürgertum, Pfarrhaus", in die G. Bäumer und ihr "Bund deutscher Frauenvereine" genau hineinpassen.

Hinweisen möchte ich bei der Gelegenheit auch auf das Titelthema der aktuellen Ausgabe der "Zeit": "Was geht mich das noch an? Was junge Leute über die Nazizeit denken. Womit Lehrer dabei zu kämpfen haben. ..."

Dass es auch Lehrer gibt, die dabei vielleicht gar nicht so sehr mit Schülern "zu kämpfen haben", sondern zunächst mal mit selbst, möchte ich nur mal so am Rande anmerken. Die Frage steht im Raum: Geht eigentlich Lehrer an einer nach Gertrud Bäumer benannten Schule, die, wenn nicht von den "Gelsenkirchener Geschichten", so doch von der GEW-Ortsverbandszeitung erreicht worden sind, diese Namensgebung gar nichts an?

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere aus dem in meinem letzten Beitrag erwähnten Artikel in der neuesten Ausgabe der "Zeit":

"65 Jahre danach, so lautet das erfreuliche Ergebnis der Infratest-Umfrage, sind die Jugendlichen ... offener für ehrliche Korrekturen privat tradierter Geschichtsbilder als jede Generation zuvor. ...

´Es waren nur ein paar Verbrecher, die den Krieg angezettelt und die Juden umgebracht haben` - auch hier sinkt die Zustimmung. Mit zeitlichem Abstand schwindet demnach nicht nur die unmittelbare Betroffenheit, sondern auch das historische Zerrbild vom unterdrückten deutschen Volk.
...
Wer den Schülern einen erklärenden Zugang zur Geschichte eröffnen will, darf den Holocaust ... nicht als das schlechthin Unbegreifliche darstellen, als das große Verhängnis, das quasi aus dem Nichts entstanden ist, oder als bloße Orgie des ´Bösen`." (Zeit-Magazin Nr. 45, 4.11.2010, S. 14, 15)

Gertrud Bäumer tut genau das, wenn sie die Verbrechen der NS-Zeit als Sieg des "Antichristen" beschreibt und als Ergebnis eines "Geisterkampfs", der "unsichtbar in den Lüften tobt". Das macht es ihr - und nicht nur ihr - dann leicht, zu behaupten (und damit zu fordern):
"Es lohnt sich wirklich nicht, den geistigen Kampf mit dem Nationalsozialismus noch einmal wieder aufzunehmen." (Bäumer, Der neue Weg der deutschen Frau, 1946, S. 46, 43)

Dies erleichtert es vor allem auch, sich nicht mit der eigenen Rolle in dieser Zeit zu beschäftigen.

Noch in dem von mir schon mehrfach zitierten Aufsatz von 1951 über die Geschichte der deutschen Frauenbewegung ist "Judenverfolgung" der "härteste" Begriff, der von ihr zu diesem Bereich der deutschen Geschichte verwendet wird.

Ich zitiere noch einmal Renate Wiggershaus (bezogen auf Bäumers Schrift von 1946):

" ... kein Wort des Bedauerns für die Gequälten und Ermordeten. Mit dieser Erbarmungs- und Mitleidslosigkeit, mit der Weigerung, derer wenigstens zu gedenken, die in einer Weise vernichtet werden sollten, daß kein Zeichen, keine Spur von ihnen Zeugnis ablegte, wurden die Ermordeten noch einmal umgebracht, wurden sie noch einmal der Namenlosigkeit und dem Vergessenwerden Überliefert." (Wiggershaus, Frauen unterm Nationalsozialismus, 1984, S. 72)

Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das immer noch als "Klassiker" geltende Buch "Der SS Staat" von Eugen Kogon in der ersten Fassung 1946 erschien.

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Hier ein Link zu dem oben zitierten Artikel aus dem "Zeit-Magazin" bei "Zeit-online":

http://www.zeit.de/2010/45/Erinnern-NS- ... che?page=1

M. S.

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere noch einmal aus dem Artikel über Bäumer in der Homepage der Gertrud-Bäumer-Realschule Essen:

"Aus ihren Briefen von 1903 bis 1950, die wie ein Selbstbildnis Wesenszüge dieser einzigartigen Persönlichkeit aufzeigen, erfahren wir auch, mit welcher tiefen Erschütterung sie das Schicksal ihres Volkes miterlebt und erlitten hat."

Ein Beispiel für diese "tiefe Erschütterung", die aus diesen "Briefen" sprechen soll, möchte ich hier, die NS-Zeit und den 2. Weltkrieg betreffend, vorstellen.

Es geht dabei um den Flug des "Stellvertreters des Führers", Rudolf Heß, nach Schottland im Mai 1941. Heß wollte sich wohl in Großbritannien um Friedensverhandlungen bemühen, wurde dort festgenommen; Heß wurde von Hitler für geisteskrank erklärt.
Nähere Informationen bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_He%C3%9F

Bäumer schreibt dazu in einem Brief vom 15. Mai 1941:

"... Ja, dies erzählt man so, und dabei ist eigentlich der ganze Tag erfüllt von dieser ungeheuerlichen Affäre Heß. Etwas ähnlich Widerliches hat man doch wirklich noch nicht erlebt. Dies Gemisch von Untreue, Verworrenheit, Halbbildung, schwülstigen Gefühlen und allerhand Üblerem, was vielleicht noch dahinter steht - und dies Communiqué, das das Schlimmste noch unterstreicht, indem es die Vermutung ausspricht, daß England die Hand im Spiel gehabt hat bei diesem nächsten Freund des Führers und vorgesehenen Herrscher des Deutschen Reiches, falls ihm und Göring etwas zustößt. ...
Was für Folgen wird das noch haben, innen- und außenpolitisch. Eine schauerliche moralische Niederlage! Man sieht schon die headlines der Zeitungen: ´Deutschland von Wahnsinnigen regiert!` usw. Und was mag noch dahinterstecken? ..."

Und in einem anderen Brief vom 15. Mai 1941 schreibt sie:

"... Eigentlich brennt einem das alles jetzt überhaupt nicht auf den Nägeln im Vergleich mit der ungeheuerlichen Sache von Heß. Eine größere moralische Niederlage läßt sich wirklich nicht vorstellen, und sie trifft schließlich doch das deutsche Volk als Ganzes. Ich jedenfalls muß sagen, daß ich mich einfach schäme. ..."

Am 29. Mai 1941 schreibt Bäumer in einem Brief:

"... Ja, die Sache Heß! Ein ´Beauftragter` ist er nicht, aber auch kein ´Verräter`. Er scheint der Exponent eines Kreises zu sein, der eine Verständigung mit England für möglich hält. ... Bei alledem ist es natürlich eine ganz unmögliche Disziplinlosigkeit - so als wäre Bismarck nach der Schlacht von Gravelotte auf eigene Faust zu Napoleon gegangen - und wird, soweit ich höre, als eine furchtbare Niederlage der Partei empfunden. Jedenfalls ist es für einen Staat, der auf dem Führerprinzip gegründet ist, eigentlich der ideelle Todesstoß, wenn so etwas passieren kann. ..."

(Zitate aus: Gertrud Bäumer, Des Lebens wie der Liebe Band, Briefe, hrsg. von Emmy Beckmann; Rainer Wunderlich Verlag Tübingen, 1956; S. 145 - 150)

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Werner Huber weist in seiner von mir mehrfach zitierten Dissertation über G. Bäumer darauf hin, dass die Herausgeberin der Briefe Bäumers, Emmy Beckmann, die Auswahl dieser Briefe einer tendenziösen Vorauswahl unterzogen hat:

"Gertrud Bäumer hat den Nationalsozialismus in der Zeit des Dritten Reiches ... keineswegs nur verurteilt, sie hat ihn zum Teil in durchaus positiver Weise gewürdigt. Dieser Sachverhalt wurde von manchen ihrer alten Freunde nach dem 2. Weltkrieg verschleiert. So hat beispielsweise Emmy Beckmann in ihrer Ausgabe der Briefe Bäumers all die Briefstellen unterschlagen, in denen Bäumer das Regime und manche seiner Tendenzen gelobt hatte. Da ein solches Verfahren jedoch der vollen historischen Wahrheit widerspricht, muß das Bild, das die tendenziöse Beckmannsche Auswahl der Briefe Bäumers zeichnet, durch Einbeziehung bisher noch unveröffentlicher Quellen korrigiert werden, ferner durch Verwertung von Aufsätzen Bäumers in den Zeitschriften "Die Hilfe" und "Die Frau". Vor allem der Briefwechsel zwischen Bäumer und Dorothee von Velsen bietet aufschlußreiches und interessantes Material.

Bereits 1933 bekundete Bäumer ihren Glauben an ´schöpferische Kräfte` des Nationalsozialismus. ...

Dieser ganze Wandel und Umschwung in den Äußerungen Bäumers ist sehr erstaunlich. Noch im Jnuar 1933 hieb sie auf die NSDAP ein, im März 1933 machte sie bereits eine Verbeugung vor ihr. War das wirklich Wandel der Überzeugung, war es Opportunismus oder was war es sonst? Diese Frage stellten sich damals manche ihrer Freunde und Bekannten. ...

Bäumer warnte davor, den Nationalsozialismus simplifizierend nur als bösartig zu charakterisieren. Sie war der Meinung, ´daß durch Formen der Gemeinschaft, die unter diesem Regime erst möglich geworden sind, Erlebnisse entstehen, aus denen sehr Gutes entspringt - rein entspringt, weil eben doch, wo alle erfaßt werden, auch sehr viele Menschen reinen Wollens und reiner Gläubigkeit erfaßt werden. ...`" ("G.B. an Velsen, 8.11.1936")

(Huber gibt genaue Angaben zu den von ihm hier im ersten Absatz erwähnten Quellen; Huber 1970, S. 375 - 377)

M. Schurich

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Kalle Mottek
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Beitrag von Kalle Mottek »

Vor einigen Tagen las ich in E.u.W (Erziehung und Wissenschat, Monatszeitschrift des Bundesverbandes der GEW) einen Artikel in dem von neueren Forschungen über den Reformpädagogen ,Peter Petersen, berichtet wurde. Erkenntnis der Forschung war die ideologische Affinität und Nähe Petersens zum Nationalsozialismus.

Autor des Zeitungsartikels, der bekannte Bildungsjournalist, Karl-Heinz Heinemann.

Ich habe ihn gestern angerufen und auf unser Forum und unser Thema aufmerksam gemacht. Bis zu diesem Gespräch war der Name Bäumer für ihn kein Begriff.
Ich hoffe,dass er sich nun auch dieses Themas annehmen wird und wir im WDR oder in überregionalen Zeitungsberichten was dazu vernehmen.

Schönen Gruß!

Kalle Mottek
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Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich möchte mich im Folgenden zu der in mehreren im Internet zugänglichen Quellen aufgestellten Behauptung etwas näher äußern, Gertrud Bäumer sei 1936 von den nationalsozialistischen Machthabern als Herausgeberin der Zeitschrift "Die Frau" abgesetzt worden.

Dass diese Behauptung falsch ist und dass Bäumer diese Zeitschrift bis 1944 herausgegeben hat, habe ich schon wiederholt erwähnt und dokumentiert.

Nun ist es aber so, dass dieser Fehler nicht von "irgendwem" im Internet verbreitet wird, sondern in einer Web-Seite, die von vielen Internet-Nutzern offenbar als nicht anzweifelbare "Autorität" angesehen wird: "Lebendiges virtuelles Museum Online" ("LeMO"), einer Gemeinschaftsseite des "Deutschen Historischen Museums" und des "Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", zeitweise finanziell gefördert durch das "Bundesministeriums für Bildung und Forschung" und den renommierten Ernst-Klett-Schulbuchverlag.

http://www.dhm.de/lemo/einfuehrung.html

Mag so mancher User im Umgang mit Wikipedia-Artikeln vorsichtig sein: Eine Seite mit solchen Sachautorität ausstrahlenden Herausgebern und Förderern gilt wohl vielen als ungeprüft zitierfähig.

Das scheint auch, z. B., für die Verfasser des Artikels über Bäumer in der Homepage des "Gertrud-Bäumer-Gymnasiums" Remscheid zu gelten, die die "LeMO"-Angaben über die Vita Gertrud Bäumers (ohne Quellenangabe) fast wörtlich übernehmen.

"LeMO": http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/ ... index.html

Gymnasium Remscheid: http://www.gertrud-baeumer-gymnasium.de/index.php?id=60

Die vermeintliche "Tatsache", dass die "Gute", Gertrud Bäumer, von den "Bösen", den Nazis, als Herausgeberin der "Frau" 1936 "abgesetzt" wurde, passt ja auch so wunderbar in die gängige Bäumer-Heiligenlegendenbildung.

Angelika Schaser schreibt zum Sachverhalt in ihrer Habilitationsschrift:

"1935 bekam Bäumer erste Schwierigkeiten mit dem Regime. ´Ein abgehender Ministerialdirektor (im Propagandaministerium, Schaser), der sich keine Unbequemlichkeiten mehr machen wollte`(Schaser zitiert hier aus Bäumers "Briefen", M.S.), entzog Bäumer die Schriftleitung für ´Die Frau` (nicht jedoch die Herausgeber- und Mitarbeiterschaft). Das weitere Erscheinen der Zeitschrift konnte durch Ilse Reicke gesichert werden, gegen deren Übernahme der Schriftleitung man nichts einzuwenden hatte. Bäumer erhob gegen den Entzug der Schriftleitung Einspruch und im März 1937 wurde sie schließlich wieder zugelassen, ihre Tätigkeit allerdings auf die Schriftleitung von ´Die Frau` beschränkt. Die Streichung von der Schriftleiterliste war während des Urlaubs von Werner Stephan, des damaligen Pressereferenten im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, erfolgt. Werner Stephan (1895 - 1984) war mehrjähriger politischer Weggefährte und enger Mitarbeiter Bäumers gewesen. ... Trotz seiner DDP-Vergangenheit übernahm ihn Joseph Goebbels 1933 in dieser Stellung." (Schaser, Habil., S. 299, 300)

In einer Anmerkung dazu schreibt Schaser:

"Am 30. August 1937 zeichnete Werner Stephan für ein Schreiben an die Reichsschriftumskammer verantwortlich, in dem er im Auftrag Goebbels dem Präsidenten der Reichsschriftumskammer bestätigte: ´Ich habe nach eingehender Prüfung seinerzeit meinen Einspruch an den Reichsverband der deutschen Presse gegen die Eintragung der Gertrud Bäumer in die Berufsliste der Schriftleiter zurückgezogen und mich mit ihrer Eintragung unter Beschränkung auf ihre Tätigkeit bei der Zeitschrift ´Die Frau` einverstanden erklärt." (Schaser, Habil., S. 299) (Unterstreichung: M.S.)

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich ergänze die obigen Informationen um einen Abschnitt aus den 1956 von Emmy Beckmann herausgegeben "Briefen" G. Bäumers, aus dem auch das in meinem letzten Beitrag vorkommende Zitat A. Schasers stammt:


"An Emmy Beckmann / Schloß Obergießmannsdorf, Mai 1935

... Ich war gerade ein paar Tage in Berlin; ich bin bei der jetzt erst vorgenommenen endgültigen Feststellung der Schriftleiterliste vom Propagandaministerium beanstandet und infolgedessen gestrichen worden und mußte das nun durchpauken. Es ergab sich, daß keinerlei Einwände irgendwelcher Art gegen die ´Frau`vorliegen, daß diese Entscheidung ganz schematisch ohne Kenntnis des Ministers auf Grund der §4-Entlassung noch getroffen ist, nicht auf Grund der eigentlichen redaktionellen Tätigkeit, durch einen abgehenden Ministerialdirektor, der sich keine Unbequemlichkeiten mehr machen wollte, und es ist möglich, daß sie redressiert wird. Auch wenn sie bleibt, ist es nicht sehr schlimm, da sie sich nur auf die Schriftleitung bezieht, nicht auf die Herausgeber- und Mitarbeiterschaft. Es muß also hinten jemand anders zeichnen, wo ja früher schon Emmy Wolff stand. Bitte erzähl es niemand, man soll keine überflüssige Sensation daraus machen. ... Ich bin eigentlich nicht sehr erschüttert davon." (Bäumer, Briefe, hg. v. E. Beckmann, 1956, S. 82; Originalausgabe) (Unterstreichung: M.S.)


Goebbels hat also offenbar höchstpersönlich seine wohlwollend schützende Hand über Frau Bäumer gehalten; vgl. dazu auch das Schreiben des Pressereferenten Werner Stephan oben und die hier schon von mir zitierten Stellen aus den "Briefen" zum Weitererscheinen der "Frau" bis 1944. (Hier Seite 10)

Bäumer ist bis zur Einstellung der Zeitschrift "Die Frau" 1944 (aus kriegsbedingtem Papiermangel) niemals als "Herausgeberin" dieser Zeitschrift abgesetzt worden.
Und dass das so war, konnte man, wenn man denn wollte, schon in ihren 1956 veröffentlichten Briefen nachlesen.

Aber irgendwie ist dann wohl doch die eigentlich von Bäumer nicht erwünschte "überflüssige Sensation" in die Welt gesetzt worden; weil sie vermutlich so "überflüssig" dann doch nicht erschien:
Wie das bei Heiligenlegenden so ist: Die Legende ist oft wichtiger als die/der Heilige selbst.

M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Zu meiner Bemerkung im letzten Beitrag, Goebbels habe "offenbar höchstpersönlich seine wohlwollend schützende Hand über Frau Bäumer gehalten", möchte ich noch eine ergänzende Anmerkung machen.

Es hat zwischen Bäumer und Goebbels mindestens ein längeres persönliches Gespräch gegeben.

Angelika Schaser zitiert in ihrer Habilitationsschrift den hier etwas weiter oben erwähnten Pressereferenten des Reichspropagandaministers, Werner Stephan, aus einem von diesem geschriebenen Buch von 1949:

"Gerade wer den rücksichtslosen Demagogen der Massenversammlungen (Joseph Goebbels, Anm. Schaser) abgelehnt, ja verachtet hatte, erlag seinem unerwarteten Charme (in privaten Audienzen, Anm. Schaser) um so schneller und gründlicher ... Nur bei wenigen versagte seine Kunst: eine Frau wie Gertrud Bäumer blieb kühl bis ans Herz hinan, als er sie einst in ein langes Gespräch zog, und er äußerte sich tief enttäuscht über die intellektuellen Abwehrkräfte dieser alten Demokratin, die er gern für seine Propaganda gewonnen hätte."
(Werner Stephan, Joseph Goebbels. Dämon einer Diktatur, Stuttgart 1949, S. 274; hier zit. nach: Schaser, Habil., S. 315)

Bevor aber nun die Information, dass Bäumer gegenüber Goebbels "kühl bis ans Herz hinan" blieb, als neues Versatzstück für die Bäumer-Heiligenlegende verwendet wird, hier noch ein paar Stellen aus der Habil. von A. Schaser:

"Teile eben dieses Apparates waren aber davon überzeugt, die Erfolgsautorin für nationalsozialistische Propagandazwecke benutzen zu können. Die NS-Frauenschaft und die Reichsfrauenführung versuchten zum Beispiel eine Rehabilitierung (wg. ihrer Entlassung aus dem Staatsdienst, M.S.) durchzusetzen, indem sie die Übereinstimmung von Bäumers Grundeinstellungen mit den zentralen Positionen des Nationalsozialismus herausstrichen. ´Die Reichsfrauenführung sei im Laufe der Jahre zu der Erkenntnis gelangt, daß Frau Bäumer während ihrer Tätigkeit in der Frauenbewegung doch in sehr vieler Hinsicht wertvolle Vorarbeit auch für die heutige Frauenarbeit geleistet habe ... . Die von ihr herausgegebene Frauenzeitschrift ... gebe zu Beanstandungen keinerlei Anlaß und werde auch im Ausland viel gelesen ... Seit einiger Zeit werde Frau Bäumer vom Reichspropagandaministerium in der Auslandsarbeit verwendet`, ließ die Reichsfrauenführerin anläßlich des anstehenden 65. Geburtstags Bäumers 1938 im Reichsministerium des Innern vortragen." (Schaser, Habil., S. 325; als Quelle gibt Schaser an: "BA Koblenz, R 18/7108. p. 3.")

"Bäumers Schriften und ihre bis 1944 fortgesetzte Herausgebertätigkeit wurden sowohl von Seiten der im Land gebliebenen Liberalen als auch von den Nationalsozialisten teilweise kritisiert, aber auch für die jeweils eigene Position in Anspruch genommen. Bäumer hat um den Beifall von der falschen Seite gewußt, hat ihm auch immer wieder Nahrung gegeben durch das Betonen nationalistischer Positionen, das Gutheißen einzelner nationalsozialistischer Maßnahmen, in denen sie die Fortsetzung Naumannscher Politik oder die Umsetzung von alten Forderungen der Frauenbewegung sah. Nie hat sie offen - wie etwa die von ihr geschätzte Ricarda Huch - gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten protestiert. ...

´Ich kann die Menschen, die sagen: für diese Menschen opfere ich mich nicht, nicht moralischer finden als die Menschen, die einfach sagen: ich opfere mich für Deutschland. Hier heißt es einmal wirklich: right or wrong, my country. Ich will damit das wrong nicht beschönigen, aber ich darf mich nicht im Mantel der Tugend dem Schicksal meines Landes entziehen, sondern, da seine Schuld in gewissem Sinn zugleich meine ist, habe ich sie mit auf mich zu nehmen, wenn es um die Existenz geht.` Dieser Bemerkung Bäumers gegenüber Marianne Weber nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kommt eine Schlüsselstellung für das Verständnis des Handelns Bäumers im Nationalsozialismus zu. ...
Wie sie seit dem Ende der zwanziger Jahre vor allem das Negative an der Weimarer Republik wahrnahm und herausstrich, so waren es nach 1933 die in ihren Augen positiven Züge des nationalsozialistischen Staates, die sie hervorhob. Nicht nur in öffentlichen Verlautbarungen, sondern auch in der privaten Korrespondenz." (Schaser, Habil., S. 325, 326)

Und:

"Gleichzeitig verwies sie ... immer wieder auf die Loyalitätsverpflichtung gegenüber dieser Regierung." (Schaser, Habil., S. 327; Schaser geht hier auf Bäumers Reaktion auf den Heß-Flug nach Großbritannien ein.)

"Die nationalsozialistische Außenpolitik unterstützte Bäumer bis zum bitteren Ende und mußte dabei viele ihrer früheren politischen Überzeugungen nicht ändern." (Schaser, Habil., S. 327. 328)

"So wie Bäumer immer wieder den Nationalsozialismus in einzelnen Aspekten vehement ablehnte und in sie selbst betreffenden Dingen Zivilcourage gegenüber dem Regime bewies, so zeigen sich in ihrem Denken und Handeln unübersehbar die Affinitäten zum Nationalsozialismus." (Schaser, Habil., S. 328)

M. Schurich

Gert B.
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In Bezug auf die Informationen über Bäumer auf der Seite des "Lebendigen Museums Online" möchte ich noch auf einen weiteren dort genannten Sachverhalt eingehen: auf Bäumers Einkünfte nach ihrer Entlasung aus dem Staatsdienst 1933.

Es heißt dort:
"1933 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird sie vom Dienst suspendiert und mit Volksschullehrerpension entlassen."
In der Homepage des Gertrud-Bäumer-Gymnasiums Remscheid wird das wörtlich so übernommen.

Auch ich habe in meiner Analyse des Beitrags über Bäumer in der Homepage der Gertrud-Bäumer-Realschule Gelsenkirchen diesen Sachverhalt so wiedergegeben. Diesen Fehler habe ich erst nach Einstellen meines Beitrags hier (siehe Seite 7) bemerkt und korrigiere ihn hiermit.

Bäumer wurde 1933 nicht "mit Volksschullehrerpension" aus dem Staatsdienst als Ministerialrätin entlassen, sondern mit einer gekürzten Ministerialratspension.

In der Habil. von A. Schaser heißt es auf Seite 292:

"Im Juni 1933 bekam Bäumer die Nachricht aus dem Ministerium, daß ihre frühere Lehrtätigkeit im öffentlichen Schuldienst nicht in ihre Pensionshöhe miteinbezogen werden würde. (Bäumer, Des Lebens wie der Liebe Band, S. 53)" (Dazu, ob die Volksschullehrerzeit nun doch noch angerechnet wurde oder nicht, gibt es in verschiedenen Quellen verschiedene Angaben. Ich gehe darauf hier nicht ein.)
Schaser listet viele Details ("Vermerk in der Besodungsgrundliste", "Personalakte Bäumers" u.a.) über diese Angelegenheit auf, deren Wiedergabe ich den Lesern hier erspare. Fakt ist: Bäumer ehielt eine gekürzte Ministerialratspension, die gegenüber ihrem Einkommen davor eine erhebliche finanzielle Einbuße darstellte.

Für die Frage, ob es heute verantwortbar ist, Schulen nach Bäumer zu benennen bzw. benannt zu lassen, ist das nicht wirklich wichtig.

Es war aber - und ist es bis heute - wichtig als Bestandteil der in Schulhomepages (und eben nicht nur da) gepflegten Verklärung von Bäumers Leben und Wirken.

Die "Gute", Bäumer, wird von den "Bösen", den Nazis , aus dem Amt gejagt und fristet fortan ein stilles, zurückgezogenes Leben als bitterarme Schriftstellerin (Spitzwegs "Armer Poet" lässt grüßen), fern der Hauptstadt irgendwo auf dem kargen Lande in Schlesien: so weit die in Schul-Homepages, der "LeMO"-Seite u.a. suggerierte Legende.

Darauf, dass die Wirklichkeit ganz anders aussah, habe ich schon mehrfach hingewiesen: Bäumer hat mit ihrer Schriftstellerei in der Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten sehr viel Geld verdient und war eine reiche Frau.

Anlässlich der sich hier bietenden Gelegenheit möchte ich das, auch durch Hinzufügung bisher noch nicht erwähnter Details, noch etwas mehr verdeutlichen:

Bäumer mietete zunächst die untere Etage des Schlosses Obergießmannsdorf, ab 1940 dann das ganze Schloss. (Man hat sich darunter ein sehr geräumiges, zweigeschossiges Haus vorzustellen; Bilder in: "Briefe")
"Ich kann jetzt das ganze Haus mieten ... Es ist dann ... ganz wie Eigentum, Park und alles, ich liebe es ja sehr" (Bäumer an an E. Beckmann, Schaser, Habil., S. 293)
"Seitdem wohnte Bäumer abwechselnd dort und in Berlin, wo sie ´eine größere Wohnung` ... als Standquartier für den Winter zusammen mit ihrer Schwester Else mietete. Das in einem schönen Park gelegene Schloß ... wurde ihr zum neuen Lebensmittelpunkt. ´Gertrud stand nun in vorderster Reihe. Sie war Herrin ihrer selbst und ihrer Wahlfamilie, von der sie verehrt, geliebt und bewundert wurde. Sie präsidierte an der Tafel; man nannte sie Magna.`" (Schaser. Habil., S. 293)

"Um Bäumers ´Wahlfamilie` gruppierten sich vor allem in den Sommermonaten zahlreiche Gäste, für die zu Anfang zwei, ab 1939 fünf Gästezimmer, später ein Blockhaus im Park eingerichtet wurde." Schaser, Habil., S. 296)

"Im Sommer 1933 verbrachten sie (Bäumer und Ludwig Nießen, M.S.) auf Sylt mehrere Wochen ..." Schaser; Habil, S. 198)

"Er (Nießen, M.S.) unternahm zusammen mit Bäumer in ihrem (Bäumers, M.S.) neugekauften Ford-Cabriolet 1935 eine sechswöchige Studienfahrt nach Italien ..." (Schaser. Habil., S. 298)

"Im Frühsommer 1937 verbrachten sie nochmals zusammen zwei Monate in Sizilien und Apulien ..." (Schaser, Habil., S. 298) (Die von Schaser genannten weiteren Details über Nießens berufliche Verhältnisse lassen nicht etwa darauf schließen, dass der Herr die Dame hier eingeladen hätte.)

Und ich erinnere nochmal daran, dass die Nazis der "armen" Frau Bäumer ja auch so ganz direkt ein kleines Zubrot zu ihrer vermeintlichen "Volksschullehrerpension" verschafften, als sie für die Soldaten an der Ostfront eine Sonderauflage des Bäumer-Bestsellers "Adelheid ..." drucken ließen. (Siehe hier S. 7 u.a.)

Und - auch noch einmal: Fast alle der hier aufgelisteten Fakten über G. Bäumers finanzielle Verhältnisse gehen aus den 1956 von E. Beckmann herausgegeben "Briefen" hervor. Ich habe mich hier der Einfachheit beim Schreiben und auch der besseren Lesbarkeit wegen auf die Habil. von Schaser als Belegangabe beschränkt.

M. Schurich

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