Eduard Spranger

Menschen, deren Namen in Gelsenkirchen auftaucht, auch wenn sie nicht in Gelsenkirchen lebten

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Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Da mein letzter Beitrag zu Spranger schon etwas zurückliegt, knüpfe ich an die wichtigsten Aussagen aus dem letzten Beitrag an:

"Meine Neigungen waren immer antidemokratisch" habe ich da Spranger zitiert, und schon 1917 propagierte er als die ihm wünschenswert erscheinende Staats- und Gesellschaftsform "einen Sozialismus, bereichert durch die ethische Führeridee". (s.o.) Und 1918 fordert er eine "staatsbildende Kraft", "die die alten deutschen Elemente bewahrt" und "eine neue feste Organisation schafft". (s.o.)

Am 30. Januar 1923, also genau 10 Jahre vor dem 30. Januar 1933, schrieb Spranger nach einem Treffen "in dem (deutschnationalen) Kreise von MARTIN SPAHN" an Käthe Hadlich:

"Man erwartet hier für bald oder später neue Unruhen. Mit Recht. Alles wird unhaltbar. ... Eine andere, eine feste Hand muss kommen! Aber wer?" (Briefe ES - KH, s.o., S. 228)

1933 erkannte er - ich wiederhole auch dies - "in der nationalsozialistischen Bewegung" einen "großen positiven Kern" (s.o.).

Um deutlich werden zu lassen, wie der Weg verlief, auf dem Spranger zu solchen "Einsichten" kam, zitiere ich noch etwas mehr aus dem Kommentar zu den Briefen Sprangers mit K. Hadlich:

"In der Weimarer Republik ... sahen SPRANGER und KÄTHE HADLICH nicht das Heraufziehen des ersehnten Neuen. ...
In der Revolution von 1918 ... erkannte Spranger ´keine politische Bewegiung` und nicht den ´Ausbruch der längst zu erwartenden Epoche des demokratischen Sozialismus, sondern eine Volkskrankheit`, eine ´Köpenikade ins Große übersetzt`, einen ´Witz der Weltgeschichte`. ...

Auch der Umstand, daß nun die Macht überwiegend in der Hand von Repräsentanten weniger gebildeter Schichten lag, scheint ihn (Spranger, M.S.) irritiert zu haben: ´Mein Widerstreben gegen die neue Ordnung beruht auch darauf, daß schließlich doch nur eine Regierung der Intelligenz, eine Aristrokratie des Geistes für den Regierten nichts Entwürdigendes hat.` Im Brief vom 22.11.1930 schreibt er: ´Der soziale Geist darf nicht sterben, aber er sieht anders aus als die Sozialdemokratie.` Und er begrüßt in demselben Brief den Abstieg der Sozialdemokratie mit der lakonischen Bemerkung: ´ Das ist schon etwas.` ...

Den Liberalismus bezeichnete Spranger als ´jammervoll`. ... Obwohl er von der Politik STRESEMANNS ... eine geringe Meinung hatte, kamen seinen politischen Anschauungen in den zwanziger Jahren die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationalen noch am nächsten. Vor allem das Gedankengut des deutschnationalen Abgeordneten MARTIN SPAHN beeindruckte ihn. In den dreißiger Jahren fand Spranger Gefallen am Gedankengut des ´Stahlhelm`, wenn ihm dabei auch die außenpolitische Perspektive fehlte."

(Briefe ES - KH, Kommentar, S. 407, 408; genaue Quellenangaben siehe dort, Großbuchstaben im Original)

Forts. folgt.
M.Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere noch etwas weiter aus dem - den Extrakt aus den Briefen gut zusammenfassenden - Kommentar zur Auswahl aus den Briefen Eduard Spranger - Käthe Hadlich:

"Noch am Ende der zwanziger Jahre machte Spranger aus seiner Ablehnung der wertindefferenten und in sich zerrissenen Weimarer Republik kein Hehl. So schrieb er am 28.06.1926: ´Ich freue mich, daß die jungen Leute den Instinkt haben, diesen Staat nicht zu bejahen.` Auch Käthe Hadlich lehnte ´diese trostlose Demokratie` ab, die den ´niederen Volksklassen` zu viel Macht gab. ...

Wenn Käthe Hadlich der Weg in und durch eine Diktatur durchaus akzeptabel erschien, so hielt SPRANGER immerhin den Führergedanken als solchen für wertvoll. HINDENBURG erschien beiden als großer Führer der Nation. Ihre Verehrung für ihn war geradezu überschwänglich. ...

Weniger einig waren EDUARD SPRANGER und KÄTHE HADLICH in der Beurteilung des Nationalsozialismus: SPRANGER sah im Münchener Putschversuch (8./9. November 1923, M.S.) eine ´urdumme Explosion`, ein ´Maskenfest`, in LUDENDORF eine ´ständige Gefahr`. KÄTHE HADLICH indes bedauerte, daß beim Putsch keine neue, starke Regierung entstanden war. HITLERS Rede beim Hochverratsprozeß hinterließ in ihr den ´starken Eindruck von nationalem Willen und echtem Staatsgefühl`. Auch SPRANGER erschien die ´kriegerische Haltung`der Nationalsozialisten lediglich ´noch verfrüht`, und ihren Antisemitismus hielt er zwar nicht für ein taugliches politisches Programm, gleichwohl aber für ´in gewissem Sinne notwendig`. ...

Die Reichtagswahl vom 14.09.1930, bei welcher die Kommunisten und die Nationalsozialisten Stimmengewinne erzielten, empfand SPRANGER als ´ungeheure Befreiung`. Ihr Ausgang sagte ihm, ´daß das deutsche Volk noch lebt`, und er meinte: ´Die Nationalsozialisten sind noch völlige Neulinge; umso besser. Mit der Bedächtigkeit der letzten 12 Jahre haben wir nichts erreicht. Versuchen wir es einmal an der Grenze.`"

Käthe Hadlich trat 1932 - gegen Sprangers Rat - in die NSDAP ein.

"Bereits im Oktober riet er KÄTHE HADLICH dringend wieder zum Austritt aus der Partei, den sie dann auch vollzog. Die Begeisterung für den Nationalsozialismus stehe allenfalls der Jugend, nicht aber älteren und besonnenen Zeitgenossen an: ´Wäre ich jung, wäre ich Nationalsozialist, d. h. - ich liefe mit, wie die Jugend glaubt, sich zu folgen, wenn sie ´hingerissen` ist. Aber das wäre von uns ja frevelhaft.`

Gleichwohl war SPRANGERS Ablehnung des Nationalsozialismus am Beginn der dreißiger Jahre keine radikale, ... . Viele negative Erscheinungen führte er auf die ´Unreife` des Nationalsozialismus zurück. Als ´Segen` sah er immerhin an, daß er ´vor dem Bolschewismus schützt.` Noch 1932 gestand SPRANGER dem Nationalsozialismus ´guten Willen, Begeisterung und die Kraft der Verzweiflung` zu und war ´der Meinung, daß in dieser Hülle etwas Wertvolles steckt.` Er vermißte allerdings zunehmend Wirklichkeitssinn und Intelligenz in der ´Bewegung`."

(Briefe ES - KH, s.o., Kommentar, S. 408 - 410; genaue Quellenangaben siehe dort; Goßschreibungen der Namen im Original)

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Bevor ich den Briefwechsel Eduard Sprangers mit Käthe Hadlich als Hauptquelle der Beiträge hier - vorerst - verlasse, noch eine Anmerkung dazu.

Vielleicht erscheint es manchem ja als etwas anstößig, wenn hier ganz private Briefe so öffentlich ausgewertet werden. Aber einerseits gibt es wohl für Persönlichkeiten der Geschichte irgendwann keinen Schutz der Privatsphäre mehr und - was hier auch wichtig ist: Spranger und Hadlich haben ihre private Korrespondenz durchaus in dem Bewusstsein geschrieben und aufbewahrt, dass sie später veröffentlicht werden sollte.

"Ebenso ist es mit den Briefen. Ich mag sie nicht haben; denn sie gehören Dir und sind der persönliche Ausdruck dessen, was ich Dir geben konnte. ... Nach meinem Tode wirst Du, geeignete Verhältnisse vorausgesetzt, der Öffentlichkeit davon zugänglich machen, was Dir recht scheint. Nur habe ich den Wunsch, daß kein idealisiertes, sondern ein historisches Bild entsteht. In der Technik des Auswählens und Herausgebens wird Dir derjenige meiner Schüler helfen, der mir persönlich am nächsten gestanden hat."

Dies schrieb Spranger an K. Hadlich am 23.01.1923, also im Alter von 40 Jahren. Er hielt sich ganz offenbar da schon für einen ganz "Großen", an dessen privater Korrespondenz die Nachwelt nach seinem Tode ein Interesse haben würde.

----------------------------

Dass Spranger mit seiner Selbsteinschätzung von 1923 Recht behalten sollte, zeigt sich ja u. a. daran, dass (noch) heute etliche Schulen nach ihm benannt sind.

Und warum Schulen nach ihm benannt sind, geht zum Beispiel aus der Einleitung zum Kapitel "Theoretische Grundpositionen und Hauptwerke" der Habilitationsschrift "MYTHOS und PATHOS ..." von Benjamin Ortmeyer (s.o) andeutungsweise hervor. Da heißt es:

"1. Spranger: Begründung der ´geisteswissenschaftlichen Pädagogik`

Eduard Spranger ist verglichen mit Peter Petersen, Herman Nohl und Erich Weniger sicher die theoretisch wirkungsmächtigere Gestalt. Nur von ihm gibt es immerhin eine elf Bände umfassende Ausgabe gesammelter Schriften. Und in den 1950er Jahren war er es, und nicht Petersen, Nohl oder Weniger, der im Bundestag die Festrede zum zweiten Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland halten durfte und das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen bekam." (S. 91)

Ich bleibe zunächst noch bei Werk und Wirken Sprangers in der Zeit vor 1933.

"Unstrittig ist, dass Spranger in der Weimarer Republik, wie er selbst nachträglich schildert, eindeutig ´auf der Seite der ´Deutschnationalen`` stand. Seine theorethische Reputation, vor allem aber sein großer Einfluss, entstand durch die Veröffentlichung seiner zwei umfangreichen Schriften ´Lebensformen` (1914 bzw. 1921) und ´Psychologie des Jugendalters` (1924). ...

Politisch von großer Bedeutung war sein Sammelband ´Volk, Staat, Erziehung (1932), der gut verständlich macht, warum Spranger 1933 Mitglied im ´Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten` wurde." (Ortmeyer, MYTHOS ..., s.o., S. 91)

Auf diesen Sammelband werde ich etwas näher eingehen. Aber auch zu den oben genannten einflussreichen beiden Hauptwerken, die auch in Schulhomepages (so) genannt werden, werde ich zu gegebener Zeit noch ein paar Anmerkungen machen.

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere aus: Ortmeyer, "MYTHOS ...", S. 100:

"Der Sammelband ´Volk, Staat, Erziehung` (1932)

1932 erschien der Sammelband "Volk, Staat, Erziehung", der unmittelbar vor dem Januar 1933 als politische Stellungnahme eines exponierten deutschnationalen akademischen Lehrers wahrgenommen wurde. Der Akzent dieses Bandes liegt politisch auf der Betonung des Deutschen, des Nationalen und hebt Befehl, Gehorsam und Autorität hervor. ...

Als beherrschenden Gedanken dieser Schrift hebt Spranger in seinem auf September 1932 datierten Vorwort Folgendes hervor:

´Nur wenn wir die deutsche Wahrheit leben können, die neue, die wir uns selbst erkämpft haben, werden wir überhaupt leben können.` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. VI, Hervorhebung im Original)

Spranger warnt im Aufsatz ´Das humanistische und das politische Bildungsideal im heutigen Deutschland` aus dem Jahr 1916 ´vor der sozialistischen und materialistischen Barbarei` ... und vor dem ´Gedanke(n) eines reinen freien Menschentums` ..., weil er die Humanitätsidee mit der nationalen Idee untrennbar verknüpfen möchte: ´Heute stellen wir mit freierem Selbstgefühl das Deutsche in den Mittelpunkt` (Spranger: Volk. Staat, Erziehung, 1932, S. 24)"

Ortmeyer schreibt über Sprangers Aufsatz "´Der Anteil des Neuhumanismus an der Entstehung des deutschen Nationalbewusstseins` aus dem Jahr 1923":

"... wissenschaftliche Nüchternheit weicht im selben Aufsatz der Pathetik des Deutschnationalen. Es finden sich wiederholt Passagen wie die folgende:

´Die höchste und größte Stunde des Deutschtums ist noch nicht vorüber, sie liegt noch vor uns. - In diesem Glauben reichen wir uns die Hände und geloben uns: Deutschland unsere Hoffnung! Deutschland unser Wille! Deutschland unsere Gewissheit!` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 56)

Und Spranger führt weiter aus:

´Deutschheit, Griechheit [sic!] und Menschheit erschienen als eine große Identität. Aber der Historiker muss fühlen, wie der Grundton in diesem Akkord doch eben die Deutschheit ist. Sonst wäre das alles wie ein unbegreiflicher geistiger Landesverrat.` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S 42, Hervorhebungen im Original)"

(Kursiv- und Fettdruck bei Ortmeyer, Fettdruck in den Zitaten bei Spranger, einige der genauen Quellenangaben habe hier weggelassen.)

Forts. folgt.
M. Schurich

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Kalle Mottek
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Beitrag von Kalle Mottek »

Gertrud-Bäumer als Namensgeberin für eine demokratische Schule – Nein Danke!-


Und wie sieht es mit Eduard-Spranger aus?

Der ehemalige Lehrer der Gertrud-Bäumer-Real-schule, Manfred Schurich, hat aus vielen Doku-menten Material über die Namensgeberin der Gertrud-Bäumer-Realschule in unserer Stadt zu-sammen getragen und in dem Forum Gelsenkir-chener Geschichten veröffentlicht.
In GE-W 149 von August 2010 hatte ich auf diese Forschungsergebnisse bereits hingewiesen und die Frage gestellt, ob man eine Frau mit dieser „lite-rarischen Vergangenheit“ guten Gewissens als Namensgeberin für eine Schule akzeptieren darf. Wie gesagt, es geht nicht darum, dieser Frau Ver-brechen oder Mitwirkung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzuwerfen. Es geht nur darum, ob Verbreiter von faschistischem Gedankengut, wie wir es bei Frau Bäumer in ihren Büchern und Schriften finden, als Namensgeber für Schulen taugen. Für mich kann die Antwort nur ein klares Nein sein. Manfred Schurich hat seine Beiträge seit dem 10.04.2010 ins Netz gestellt. Bis zum 09.11.2011 hat er etwa 90 DIN-A4-Seiten zusammengetragen. Diese Aufarbeitung ist 16.441- mal angeklickt worden.
Der Hinweis in unserer Zeitung „GE-W !49 hat
leider nicht zu einer größeren Diskussion geführt. Auch haben sich betroffene Schulen, die diesen Namen tragen, nicht an der Diskussion beteiligt.
Die Forschungsarbeiten sind abgeschlossen, die Diskussionen gehen weiter. Nahtlos hat Manfred Schurich sich jetzt dem Pädagogen Eduard- Spranger angenommen.
Bereits am 11.04.2010 hatte eine Forumskollegin angeregt, auch einmal diesen Pädagogen zu über-prüfen, ob er als Namensgeber für eine Schule in unserer Republik tauge. In Gelsenkirchen ist das Eduard-Spranger-Berufskolleg nach ihm benannt. Andere Schulen in unserem Land haben auch dieses Schicksal.
Die Anregung, sich um Spranger zu kümmern, blieb fast ein Jahr unbeachtet, bis sich Manfred Schurich nach Abschluss seiner Arbeiten über Gertrud-Bäumer nun in den „Gelsenkirchener Ge-schichten“ auch dem Wirken dieses Mannes annahm.
Seit dem hat er etwa 10 Beiträge verfasst. Die Quintessenz: Er ist auch als Namensgeber für eine demokratische Schule ungeeignet. Zu eng und zu überzeugt dient er mit seinen Veröffentlichungen den Nazis. Aber lesen Sie selbst und beteiligen Sie sich an der Diskussion. www.gelsenkirchener-geschichten.de.
Geben Sie auf der Seite „Neue Beiträge“ in der Suchfunktion Getrud-Bäumer oder Eduard-Spran-ger ein. Ich wünsche eine spannende Lektüre.

Kalle Mottek

Nachzulesen in der GE_W Stadtverbandszeitung "GE-W 152"

Schlönen Gruß


Kalle Mottek
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Heinz O.
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Beitrag von Heinz O. »

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Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere weiter aus Ortmeyer, "MYTHOS ...", zum Sammelband "Volk, Staat, Erziehung" aus dem Jahr 1932:

"Spranger fasst in "Volk, Staat, Erziehung" auch Grundideen seiner politischen Staatserziehung zusammen. Die Grundthese ist (hier aus dem Aufsatz ´Probleme der politischen Volkserziehung` von 1928): ´Man muss Staat in seine Seele hineingenommen haben (...)` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 79). Er wischt den Einwand vom Tisch, dass Erziehung eigentlich dem idealen Staat zu gelten habe, und bekräftigt, dass die Erziehung eine Erziehung für den gegebenen ´wirkliche(n)` Staat sein müsse (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 80).

Kennzeichnend für den gesamten Sammelband ist, dass Spranger einen verschärften Militarismus eng mit deutschem Nationalismus verknüpft. So finden sich bereits 1930 (im Aufsatz ´Wohlfahrtsethik und Opferethik in den Wertentscheidungen der Gegenwart` Sätze wie:

´Der Krieger, der das Dasein opfert, tut es nicht um des Krieges und des bloßen Opfers willen; sondern: ´Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen`. ` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 112)

Und Spranger führt diesen Gedanken weiter. Nach einer Huldigung ´voll Ehrfurcht`, die er Hindenburg und dessen altpreußischer Pflichttreue entgegenbringt, formuliert er:

´Wir huldigen dem Andenken derer, die im großen Kriege ihr Sein für uns hingegeben haben, Arbeiter und Akademiker vereint in derselben schlichten Göße. Ihre Opfer waren nicht vergebens. Weil sie zu sterben wussten, deshalb dürfen wir leben.` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 133)

Bereits 1930 verbinden sich in Sprangers Denken auch Natur und Blut mit der Geistigkeit. Im Aufsatz ´Volkskenntnis, Volksbildung, Volkseinheit` formuliert er, dass vier Faktoren ein Volk erst zum Volk machen würden:

´(...) Blut, Arbeit, Ordnung, Gläubigkeit. Der Volkszusammenhang wurzelt im Blut: nur wo gesunde Kinder geboren werden und geboren werden können, hat das Volk eine Zukunft. Diese Naturgrundlage kann durch keine noch so hohe Geistigkeit ersetzt werden. Der Mensch muss den Willen haben - nicht nur, dass irgendwer den Heimatboden besiedle, sondern dass es sein Blut und damit sein Geist sei, der sich in der Welt fortpflanze.`"
(Anm.: "Spranger: ... Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 138, Hervorhebungen im Original")

(Ortmeyer, "MYTHOS ...", s.o., S. 101, 102; Hervorhebungen bei Ortmeyer bzw. in den Spranger-Zitaten durch Spranger))

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Noch etwas mehr zu Sprangers Sammelband "Volk, Staat, Erziehung" von 1932:

"Die Positionierung Sprangers gegenüber dem Parlamentarismus der Weimarer Republik erfolgt am Ende des Sammelbands, im Aufsatz ´Gegenwart` vom September 1932 in der These:

´Wenn je die Ungeeignetheit eines politischen Systems experimentell erwiesen worden ist, so ist auf diese Weise der Parlamentarismus in Deutschland widerlegt worden.`(Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 192 f.) ...

Rückwärts gewandt orientiert Spranger die deutsche Gesinnung an der Tugend der ´freien, adeligen Subordination` gegen Ideen von Konkurrenz und Neid. Das sei der Vorteil des ´altpreußischen Ranggedankens` gewesen, der, so Spranger, Rivalitäten im Allgemeinen ausgeschlossen habe. Für den neuen Typus des Führers stellt er axiomatisch fest:

´Dieser neue Typus kann nur entstehen, wo die Frontkämpfergeneration als Erziehergeneration vorangeht. (...) Er wird den Glauben haben, dass seinem Volke eine kulturelle Zukunftsmission gesetzt ist, (...) im Dienste (...) gottgewollter sittlicher Werte. Sein Glaube wird also religiös sein. Und eben deshalb wird sein Herrschen ein ewiges Dienen sein, ganz im Stile alter, unvergänglicher Ordensrittergedanken.` (Spranger: Volk, Staat, Erziehung, 1932, S. 210)"

(Ortmyer, "MYTHOS ...", S. 102, 103; Kursivdruck und die "(...)" so bei Ortmeyer)

In einer Anmerkung zum letzten Spranger-Zitat schreibt Ortmeyer:

"Spranger forderte bereits 1928 eine Erneuerung der geistigen Qualität der Volksgemeinschaft durch hervorragende Führer, die sich auf den Geist und auf Gott berufen: ´Mussolini als einzelner wäre nichts, wenn nicht durch ihn hindurch die alte Geistesmacht der Roma eterna die Gestalt einer Roma nuova gewönne. Echte Staatsmänner werden nicht durch das Parlament regiert, sondern sie stellen das Parlament in die politische Kraftverteilung mit ein, die sie dirigieren` (Spranger, Eduard: Von der deutschen Staatsphilosophie der Gegenwart (1928), in: Gesammelte Schriften, Band V ..., Tübingen / Heidelberg 1969, S. 126, Hervorhebung im Original)." (S. 103)

Ortmeyer kommentiert:

"Dieser Sammelband mit Aufsätzen aus den Jahren 1916 bis 1932 weist eine erste zunehmende Distanzierung Eduard Sprangers von den Bildungsgedanken Wilhelm von Humboldts auf. Nicht zufällig rekurriert er auf Denkfiguren der Deutschen Ordensritter. Gewichtiger jedoch ist die deutliche Hinwendung zu jenen um Hindenburg gruppierten Strömungen, die bereits wenige Monate nach Erscheinen des Sammelbandes das politische Bündnis mit der NSDAP und Adolf Hitler eingingen. ... Natur und Blut, Dienen und Gehorchen und die Größe des Deutschtums wurden in diesem Band so konzentriert vorgestellt, dass sich der politische Übergang Sprangers auch in der Diktion deutlich abzeichnet." (S. 103)

"Dass Spranger nicht politisch naiv war, zeigt sich vor allem in der Platzierung und Zusammenstellung des eben vorgestellten Sammelbandes. Die Grundgedanken der beiden großen Arbeiten über Wilhelm von Humboldt werden vorsichtig, aber doch präzise abgeschwächt, die geisteswissenschaftliche Fundierung eines Bildungsbegriffs weicht insbesondere in der ´Psychologie des Jugendalters` bereits der theoretischen Fundierung einer psychologisch-religiösen Innerlichkeit, um die männliche Jugend in Deutschland weg von Humanitätsidealen hin zum gläubigen Deutschtum zu erziehen." (S. 103)


In den nächsten Beiträgen stelle ich Auszüge aus Sprangers schon wiederholt erwähntem programmatischen Aufsatz "März 1933" vor, der - wenn ich das richtig sehe - in die o. g. "Gesammelten Schriften" (1969) nicht aufgenommen wurde.

M. Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 1

Beitrag von Gert B. »

In den folgenden Beiträgen soll es um einen Aufsatz mit dem Titel "März 1933" gehen, den Spranger in der u.a. von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Die Erziehung", 8. Jg. 1932/33, im April 1933 veröffentlicht hat.

Bei diesem Aufsatz wird in der neueren Literatur über Spranger immer nur auf diese o.g. Original-Quelle verwiesen; in die von "Spranger-Schülern" herausgegebenen "Gesammelten Schriften" wurde er nicht aufgenommen. Da mich dieser Aufsatz sehr interessierte, habe ich ihn in einer Präsenz-Bibliothek der Ruhr-Uni auch ganz durchgelesen und kopiert.

Damit das, worum es in diesem Aufsatz geht, auch richtig deutlich wird, will ich ein paar historische Fakten wenigstens stichwortartig voranstellen; Spranger benennt diese Fakten selbst nicht konkret, sondern bewertet und interpretiert sie nur.

"März 1933" - das bedeutet geschichtlich:

- Ausgangspunkt: der Reichtagsbrand vom 27. Februar 1933 mit der daraus resultierenden Notverordnung "des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933, mit der Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden und auf Grund derer ca. 4000 Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Gegner der Nazis verhaftet wurden.

- 5. März 1933: Reichstagswahlen, die Nationalsozialisten erreichten 43,9%, sie hätten zur Regierungsbildung die 8% der "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" (DNVP; Stahlhelm und Landbund) gebraucht, dies war dann aber deshalb nicht nötig, weil die Abgeordneten-Pätze der KPD (12,3%) "gestrichen" wurden.

- 21. März 1933: der sog. "Tag von Potsdam": feierliche, von Goebbels organisierte Großinszenierung der konstituierenden Sitzung des neuen Reichstages mit landesweiter Rundfunkübertragung und drei Gottesdiensten vorab, je einen für die katholischen und evangelischen Abgeordneten (letztere mit dem Reichspräsidenten) und dann der große Festakt in der Potsdamer Ganisonkirche in Anwesenheit von Mitgliedern der Kaiserfamilie. Vor der Garnisonkirche danach: der Handschlag Hindenburg-Hitler; Hitler (in ziviler Festkleidung) verneigt sich in Demut usw. .

- 23. März 1933: Gesetz zur "Behebung der Not von Volk und Reich" , heute als "Ermächtigungsgesetz" bekannt: die legislative Gewalt, das Recht, Gesetze zu verabschieden, wird - befristet - auf die Regierung übertragen. Alle im Reichstag verbliebenen Parteien mit Ausnahme der SPD stimmen zu. Die Demokratie ist faktisch abgeschafft.

Ich habe diese Fakten auch deshalb hier vorangestellt, weil schon ein flüchtiger Blick in neuere Schulbücher für das Fach Geschichte zeigt, dass insbesondere bestimmte Details zum sog. "Tag von Potsdam" dort - um es mal zurückhaltend zu formulieren - nicht gerade in den Vordergrund gerückt werden, die aber für die Bewertung des Verhaltens unseres Gelsenkirchener Schulnamensgebers Spranger durchaus sehr wichtig sind.

---------------------

Eduard Spranger hat im Aufsatz "März 1933" als "renommierter" Professor für Philosophie und Pädagogik an der "renommierten" Berliner Universität zu den oben genannten Ereignissen Position bezogen: Er war begeistert. "Der siebeneinhalbseitige Aufsatz ist von Begeisterung gekennzeichnet, einer Begeisterung, der Spranger, beginnend mit diesem Aufsatz, bis 1944 Ausdruck verleiht, ... ." (Ortmeyer, MYTHOS ..., S. 174)

"Die großen Ereignisse, die der März 1933 für das deutsche Volk und das Deutsche Reich gebracht hat, bergen in sich die höchsten Verpflichtungen. ...
Deutschland ist aus einer langen Erschöpfungsperiode, die dem Kriege gefolgt war, endlich erwacht."
(Spranger, März 1933, s.o., Einleitungssätze der esten beiden Absätze, S. 401)

Fotsetzung folgt in Kürze.
M.Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 2

Beitrag von Gert B. »

Den zweiten Absatz und den ersten Teil des dritten Absatzes des Spranger-Aufsatzes "März 1933" zitiere ich zusammenhängend. Es geht um einen Rückblick auf - aus der Sicht Sprangers - wesentliche Erscheinungen der "Weimarer Republik".

"Deutschland ist aus einer langen Erschöpfungsperiode, die dem Kriege gefolgt war, endlich erwacht. Die abgelaufene Epoche als Ganzes zu schildern, kann hier nicht die Absicht sein. Sie war voll von Selbsttäuschungen und Hoffnungen, die eines Tages zerrinnen mußten. Im Erziehungswesen hat der nationale Wille - das erfordert die Gerechtigkeit zu sagen - nicht ganz gefehlt. Stand doch etwa über der preußischen Schulreform von 1924/25 das ´Ideal des deutschen Menschen`. ´Deutschkunde` und ´Deutsche Bildung` sind Leitworte, die erst nach dem Kriege zur Herrschaft kamen. Aber dieser deutsche Gedanke war von zwei Seiten her gefährdet.

Zunächst griff eine Weltanschauung um sich, die seinem tiefsten Gehalt entgegengesetzt war. Sie wird meist kurz als Materialismus oder als Marxismus bezeichnet. In Wahrheit handelte es sich um vielverzweigte Auflösungserscheinungen, die schwer unter einen Namen zu fassen sind. Das vom Westen her eingedrungene Programm, durch eine rein innerweltlich gerichtete Gesellschaftsreform Wohlfahrt und Glückseligkeit einer demokratisch und sozialistisch nivellierten Masse heraufzuführen, erstickte die letzten Quellen aller Volkskraft: das Gefühl für die metaphysischen Wurzeln des Daseins, den christlichen Glauben an Gott und das demütige Bewußtsein, daß das wahre Leben nur durch den Einsatz des Lebens für Göttliches und Mehr-als-Irdisches gewonnen werden kann. Dem Daseinsanspruch des Einzelnen gerecht zu werden, galt nun als höchstes Ziel. Unter dem Namen der Volksherrschaft ging doch der wahre Volkszusammenhang immer mehr verloren." (Spranger, "März 1933", s.o., S.401)

Im weiteren Verlauf dieses dritten Abschnitts seines Aufsatzes beschäftigt sich Spranger dann mit der zweiten Gefährdung des "deutschen Gedankens" in den zurückliegenden Jahren: der Psychoanalyse, die die "geistige Volksgesundheit zerstört hat". Dazu komme ich später.

Zunächst möchte ich noch etwas bei den "letzten Quellen aller Volkskraft" verweilen, die "durch eine rein innerweltlich gerichtete Gesellschaftsreform" unter "dem Namen der Volksherrschaft" "erstickt" wurden, also z. B. der "christliche Glaube an Gott". Für das Verstehen des Verhaltens Sprangers gegenüber dem NS-Regime und wohl auch für die Frage der Schulnamensgebungen nach 45 scheint mir das sehr wesentlich zu sein.

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 3 (Exkurs)

Beitrag von Gert B. »

Das "Gefühl für die metaphysischen Wurzeln des Daseins", der "christliche Glaube an Gott" und das "Bewußtsein, daß das wahre Leben nur durch den Einsatz für Göttliches ... gewonnen werden kann" - diese "letzten Quellen aller Volkskraft" sieht Eduard Spranger durch die demokratische Staatsform der "Weimarer Republik" als "erstickt" an - und er erhofft und erwartet und begrüßt die Wiederentstehung dieser Volkskraft-Quellen im März 1933 nun ausgerechnet im neuen von den Nationalsozialisten geführten Staat, der gerade klar erkennbar auf dem Weg ist, die Demokratie in Deutschland abzuschaffen.

Da mag sich so mancher, dessen Bild vom Nationalsozialismus durch den Blick vom Ende her geprägt ist, fragen, wie das zusammenpasst.

Es passte hervorragend zusammen, unter anderem - und so weit ich mir erlauben darf, das zu beurteilen - auch deshalb, weil er sich als gläubiger evangelischer Christ in dieser Einschätzung bestätigt und aufgehoben fühlen konnte durch das Verhalten der evangelischen Kirche in Deutschland in dieser Zeit.

Der Bochumer Prof. em. Günter Brakelmann, ehemals Professor an der Abteilung für Evangelische Theologie der Ruhr-Universität Bochum, hat am 29. Januar 2008 in der Evangelischen Stadtakademie Bochum einen Vortrag gehalten, der unter dem Titel "Hitler und Luther 1933" auch in der "Schriftenreihe des Kirchenkreises Bochum / Evangelische Perspektiven" veröffentlicht wurde. Der "Superintendent des Ev. Kirchenkreises Bochum", Fred Sobiech, schreibt dazu im Vorwort: "Beim Hören und Lesen wird man sehr nachdenklich, gerade wenn man der Evangelischen Kirche verbunden ist." (Genaue Angaben zu dem Heft siehe unten.)


Ich zitiere aus Brakelmanns Schrift einen Abschnitt aus dem Kapitel: "Die Haltung der wissenschaftlichen Theologie" (S.34), passend zu Eduard Spranger als Vertreter der Universitätsprofessoren, die im "März 1933" die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begrüßten:

"Einspruch von theologisch-wissenschaftlicher Seite hat es in dieser Zeit kaum gegeben. Die Freude über den Untergang der Republik, die eben für Liberalismus, Demokratie, marxistischen Sozialismus und Internationalismus stand, war zu groß, um nicht der Versuchung widerstehen zu können, Luther gleichzeitig mit Hitler als die großen Sieger über das undeutsche und unchristliche Wesen des säkularistischen Zeitgeistes zu feiern.

Vor allem Abrechnungen mit dem Liberalismus als der Todsünde der neuzeitlichen Emanzipation gehörten zur Tagesordnung. Der Theologe Walter Grundmann (nach dem Krieg Prof. in der DDR) schreibt in der neuen Monatsschrift ´Deutsche Theologie` (1933, M.S.) einen Aufsatz mit dem Titel ´Die Neubesinnung der Theologie und der Aufbruch der Nation`:

´Durch 14 bange Jahre hindurch verfiel unser Volk mehr und mehr, Ordnung auf Ordnung brach ein, Recht und Sitte, Treu und Glauben schwanden. Die Lebenskraft unseres Volkes schien zerstört. Der Bolschewismus stand vor der Tür. Das Ende des deutschen Lebens schien gekommen. In dieser Zeit richteten sich immer mehr Augen auf einen Mann, der in seiner ungeheuren Gläubigkeit und mit einer an das Phantastische grenzenden Energie ´Nein` sagte zu diesem Verfall und der in seine Gläubigkeit und seinen Willen immer mehr Menschen hineinzog, die in ihm den Retter erkannten, den Gott sandte, weil die Sendung unseres Volkes in der Geschichte noch nicht erfüllt war. Und aus dem Blick auf Adolf Hitlers Glauben und Willen wuchs in unserem Volke die Front derer, die Pflicht vor Recht, Dienst vor Ichsucht, Autorität und Gehorsam vor Freiheit und Selbstbestimmung stellten und in sich den Liberalismus zu zerstören begannen und das Leben neu gewannen. Von dieser Front sagt Adolf Hitler, dass hier Deutschland stehe. Die Entwicklung der deutschen Geschichte hat gezeigt, dass die auf Adolf Hitler gesetzte Hoffnung nicht trügt, dass er tatsächlich der Führer ist, seinem Volk den Weg zu bahnen zu einer neuen Zukunft. ... In diesem Geschehen in der Geschichte unseres Volkes hören wir Gottes Schritt und vernehmen wir seine Sprache.`"

(Aus: Günter Brakelmann, "Hitler und Luther 1933", Evangelische Perspektiven - Eine Schriftenreihe des Kirchenkreises Bochum, Verlag Books on Demand GmbH, 2008, S. 34; Kursivdruck und Auslassung durch Brakelmann) (ISBN-13: 9783837071245, 52 Seiten, 5.- €)

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Hier ein Link zum Wikipedia-Artikel über den soeben zitierten evangelischen Theologie-Professor Walter Grundmann:

http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Grundmann

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Und noch ein Link zu einem WAZ-Artikel (Lokalteil Bochum) über das oben vorgestellte Heft von G. Brakelmann, dem man auch die telefonische Bestellmöglichkeit für das Brakelmann-Heft entnehmen kann. Für jeden, der sich für die Frage interessiert, wie es in Deutschland zur Herrschaft der Nationalsozialisten kommen konnte, aus meiner Sicht: höchst lesenswert!

http://www.derwesten.de/staedte/bochum/ ... 07281.html

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 4 (Exkurs 2)

Beitrag von Gert B. »

Einen kleinen Nachtrag zum "Exkurs" des letzten Beitrags möchte ich doch noch machen. Ich zitiere das kurze "Nachwort" Brakelmanns zu seinem oben vorgestellten Vortrag/Heft:

"Ein Nachwort

Klaus Scholder hat über die Frühphase der Kirche im Dritten Reich von einer Zeit der Illusionen gesprochen. Es wäre ein weiteres aufregendes Thema, den Prozess der Desillusionierung evangelischer Christen über die Kirchen- und Religionspolitik ihres anfänglich emphatisch begrüßten Retters zu beschreiben. Auch hier in Bochum. Aber genau so aufregend wäre es, die Gründe zu benennen, warum die politische Gefolgschaft des Führers bis zum bitteren Ende mehrheitlich im deutschen Protestantismus ungebrochen blieb. Jedenfalls war der Mythos Hitler erst zu Ende, als der Führer tot und der Krieg verloren war." (S. 40)

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Bei der Beschäftigung mit Spranger und Bäumer und zuletzt dabei beim Stöbern in den Originalausgaben der von Spranger herausgegebenen "renommierten" und bei Pädagogen meinungsbildenden Zeitschrift "Die Erziehung" (und Büchern zum Thema) ist mir - wie nie zuvor - klar und bewusst geworden, in welchem Ausmaß nicht nur die (hier: evangelische) Kirche, sondern auch das gesamte System "Schule" eine der Säulen war, auf denen das NS-Machtsystem ruhte. Da werden zwar in Schulbüchern heute Informationen zu genannt, durch das Herausstellen von Einzelbeispielen in Quellen-Texten und Bildern wird aber auch der Blick dafür verstellt, dass die Nazis mit einer Unzahl von Maßnahmen, "Gesetzen", Erlassen und Verfügungen den Bereich "Schule" ideologisch bis hin zur letzten Dorfzwergschule besetzt haben.

Und dies hat nach meiner Ansicht etwas mit den Schulnamensgebungen nach 45 zu tun: Da haben sich - so mein bis jetzt gewonnener Eindruck - letztlich doch im NS-System Mitmachende, nach ihrer Selbsteinschätzung aber "Gute", mit den (am besten noch zu "Heiligen" und Widerstandskämpfern verklärten) Persönlichkeiten wie Bäumer und Spranger identifizieren und damit von den ganz "Bösen" abgrenzen können. In diesen Zusammenhang passt es auch, dass - so wie sehr viele andere damals - sowohl Bäumer wie Spranger eine sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzende Beschäftigung mit der Nazi-Zeit nicht haben wollten.

Bäumer in ihrer Schrift "Der neue Weg der deutschen Frau" von 1946: "Es lohnt sich wirklich nicht, den geistigen Kampf mit dem Nationalsozialismus noch einmal wieder aufzunehmen. ... Ein Blick auf sie und weiter!" (S. 43) Und auch Spranger verwahrte sich nach 45 gegen das nach seiner Meinung nicht weiterführende "Wühlen im Schmutz". (Belege dazu hier später)

Vielleicht sind diese Überlegungen auch ein Teil einer Erklärung dafür, dass so mancher für die Schulnamen heute Verantwortliche der Beschäftigung mit dieser Thematik lieber aus dem Wege geht.

(Ich plane, in einem weiteren kleinen "Exkurs" auf die Brakelmann-Schrift noch einmal zurückzukommen, wenn ich mich mit dem Antisemitismus-Vorwurf gegen Spranger näher beschäftige.)

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Doch nun zurück zur "quellenorientierten" Beschäftigung mit Spranger. Im o.g. Artikel "März 1933" schreibt er:

"Über die ethische Bindung hinaus reicht die religiöse Bereitschaft, zu der das deutsche Volk wieder erwacht ist. Es erinnert sich, daß sein dem Norden entsprossener Geist von früh auf in christliche Erziehung genommen wurde, daß sein Staat in diesem Glauben die stärksten Quellen seiner Kraft hatte ... ." (S. 403)

Unter der Formulierung "in christliche Erziehung genommen" kann ich mir ja noch etwas halbwegs Konkretes vorstellen; aber warum der "Geist" des deutschen Volkes "dem Norden entsprossen" sein soll, erschließt sich mir so auf Anhieb nicht. Leider verzichtet Spranger hier - wie so oft in seinen Texten - auf eine konkrete Erläuterung.

Im nächsten Absatz folgt dann die nach Meinung Benjamin Ortmeyers (MYTHOS ..., S. 175) "entscheidende Passage zur NS-Bewegung".

Diese dann in meinem nächsten Beitrag.
M. Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 5

Beitrag von Gert B. »

Der von Ortmeyer als "entscheidende Passage zur NS-Bewegung" (s.o.) bezeichnete Absatz in Sprangers Artikel "März 1933" ist dieser:

"Religiös und sittlich unterbaut ist auch der Wille zur Volkwerdung (denn ein Volk in diesem erstrebten höchsten Sinne waren wir noch nie!), der aus den Kriegserlebnissen zur Kraft geworden ist und der den großen positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung ausmacht, mag er heute auch für manche durch die bloß negative Seite eines übersteigerten Antisemitismus verdeckt werden. Auch der Sinn für den Adel des Blutes und für Gemeinsamkeit des Blutes ist etwas Positives. Bewußte Pflege der Volksgesundheit, Sorge für einen leiblich und sittlich hochwertigen Nachwuchs (Eugenik), bodenständige Heimattreue, Wetteifer der Stämme und Stände ohne unnötige Zentralisierung an verkehrter Stelle, gehören zu den Kräften, die neu belebt sind und die in eine bessere Zukunft weisen. Eine Fülle großer Erziehungsaufgaben ist damit angedeutet." (S. 403; Kursivdruck durch Spranger)


"Wille zur Volkwerdung", "Adel des Blutes", "Gemeinsamkeit des Blutes", "Sorge für einen leiblich und sittlich hochwertigen Nachwuchs (Eugenik)", "bodenständige Heimattreue":
Als "Erziehungsaufgaben" für ein "Schulprogramm" einer Gelsenkirchener Schule im Jahre 2012 eignen sich solche Leitbegriffe ganz sicher nicht. Eher ist schon anzunehmen, dass der "Staatsschutz" verständigt würde, würden Schüler etwa an einer nach Spranger benannten Schule so etwas z.B. auf Flugblättern als "Erziehungsaufgaben" für ihre Schule fordern. Erst recht, wenn noch das hinzukäme, was ich in meinem nächsten Beitrag aus Sprangers Aufsatz "März 1933" hier zitieren werde.

Aus der Habilitationsschrift Benjamin Ortmeyers möchte ich noch zwei kommentierende Sätze Ortmeyers zu dem obigen Spranger-Absatz zitieren:

"Das Zitat belegt, dass offensichtlich auch Distanz seine Position prägt, wenn er ´die bloß negative Seite eines übersteigerten Antisemitismus` benennt. Die Analyse dieser Textsequenz zeigt aber auch, dass Spranger all jene, die über das ´Juda verrecke` entsetzt sind, beruhigen will und gerade solchen Personen mit seiner ganzen Persönlichkeit den eigentlich ´positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung` erklären, nahebringen und begründen will." (Ortmeyer, MYTHOS ..., S. 175)

Fortsetzung folgt.
M.Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 6

Beitrag von Gert B. »

Martin Heidegger hat am 23. September 1966 dem SPIEGEL ein langes Interview gegeben, das erst 1976, nach Heideggers Tod, veröffentlicht werden durfte. (Der Spiegel, 30. Jg. (1976), Heft 23) Hauptgesprächspartner Heideggers in diesem Spiegelgespräch war Rudolf Augstein.

In diesem Gespräch finden sich die folgenden Sätze:

"SPIEGEL: ... Einen neuen Ton glauben wir jedoch in Ihrer Rektoratsrede zu vernehmen, wenn Sie dort, vier Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, etwa von der ´Größe und Herrlichkeit dieses Aufbruchs` reden.
HEIDEGGER: Ja, ich war auch davon überzeugt.
SPIEGEL: Könnten Sie das noch etwas erläutern?
HEIDEGGER: Gern. Ich sah damals keine Alternative. Bei der allgemeinen Verwirrung der Meinungen und der politischen Tendenzen von 32 Parteien galt es, zu einer nationalen und vor allem sozialen Einstellung zu finden ... . Ich könnte hier, nur um ein Beispiel zu nennen, einen Aufsatz von Eduard Spranger zitieren, der weit über meine Rektoratsrede hinausgeht."

(Zitiert aus: Antwort - Martin Heidegger im Gespräch, hg. von Günther Neske u. Emil Kettering, Neske Verlag, 1988, S. 84)

In den Anmerkungen dazu wird als der hier von Heidegger gemeinte Spranger-Aufsatz der Aufsatz "März 1933" genannt.

B. Ortmeyer geht in seiner Habil. auch auf dieses Spiegel-Gespräch ein und schreibt zu der oben zitierten Stelle: "Heidegger spricht hier wohl von Sprangers Aufsatz ´März 1933`." (S. 148)

Ortmeyer schreibt im dazugehörigen Kapitel mit der Überschrift "Der ´spezifisch deutsche Professorenwahnwitz`: Wie der Philosoph Heidegger den ´Führer führen wollte`":

"Zunächst existiert oberflächlich ein Zusammenhang, wenn Heidegger in einem ´Spiegel-Gespräch` zu seiner Verteidigung in etwas infantiler Weise mit dem Finger auf Spranger zeigt, um die - in der Tat existierende - ´Ungerechtigkeit` anzuprangern, dass man über ihn herfalle, dass es aber angesichts der genauso schlimmen oder schlimmeren Reden Sprangers in der NS-Zeit unverständlich sei, warum Spranger nicht so in die Kritik gerate wie er. Heideggers Bemerkung in der Zeitschrift ´Spiegel` wurde kaum beachtet, sondern als das gewertet, was sie auch war: als ein Ablenkungsmanöver von der Debatte um die eigene Biographie." (S. 148)

Als ich zunächst Auszüge aus Sprangers "März 1933" las, habe ich nicht sofort verstanden, inwiefern Spranger hier "weit über (Heideggers) Rektoratsrede" hinausgeht. Beide schreiben neben ihren begeisterten Aufbruchshuldigungen lange Passagen zu dem begrüßten und geforderten Dreiklang "Arbeitsdienst - Wehrdienst - Wissensdienst", der - bei Heidegger mehr, bei Spranger etwas weniger - auch für die Universitäten gelten sollte. In einem Punkt wird Heidegger aber dann doch von Spranger noch "getoppt": in der kaum verschleierten Ankündigung eines - von ihm begrüßten und für notwendig gehaltenen - neuen großen Krieges, den er dann auch in weiteren Reden und Schriften in den nächsten Jahren in seinen neuen Eigenarten als "technischen" und "totalen" Krieg sehr realistisch voraussieht; sehr realistisch bis auf einen Punkt: dass die Deutschen diesen Krieg auch verlieren könnten.

Fortsetzung folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Spranger: "März 1933" 7

Beitrag von Gert B. »

In einem Brief an Käthe Hadlich schrieb Spranger 1924: "Der Staat, den ich bejahe, ist der Staat der Ordnung, also auch der Unterordnung, der Pflicht und der national-kulturellen Selbstbehauptung. Diesem Gedanken am nächsten stehen die Deutschnationalen, ... .die Deutsch-Völkischen wissen nur, was sie nicht wollen. ... Der Kampf gegen die Juden, in gewissem Sinne notwendig, ist kein politisches Programm. Die kriegerische Haltung ist im Augenblick noch verfrüht." (Briefe ES -KH, S. 237)


Dies war seine damalige in einem privaten Brief geäußerte Ansicht; 1933 äußert er sich dann öffentlich zum Thema Krieg und erklärt zumindest die positive "Haltung" einem kommenden Krieg gegenüber nicht mehr für "verfrüht". Im Aufsatz "März 1933" schreibt er:

"Aber auch da, wo man an deutschen Idealen festhielt, fehlte vielfach das Bewußtsein der ungeheuren Gefährdung unserer nationalen Gesamtexistenz und des immer enger werdenden Lebensraumes. Ein ´Volk in Not` braucht Erziehungsideale, die klar und scharf auf seine Daseinsrealitäten bezogen sind. Das beispiellose Anwachsen der Arbeitslosigkeit allein hätte vielleicht noch nicht zur nationalen Sammlung geführt, wenn uns nicht das frevelhafte Spiel mit dem Abrüstungsgedanken die Augen geöffnet hätte, daß man uns auf die Dauer in der Lage eines Volkes zweiter Klasse, in geminderter Ehre und in Unfreiheit erhalten wollte. Und obwohl allenthalben durchaus neue staatliche, wirtschaftliche und soziale Aufgaben zu lösen sind, besann sich das deutsche Volk mit einem lange schmerzlich vermißten Stolz auf das Große und Ehrwürdige seiner Vergangenheit. Es begann, sich selbst wiederzufinden.

Das nächste Ziel, um das zu kämpfen ist, besteht darin, daß wir das Neue in einem wahrhaft deutschen Sinne aufzubauen haben . ..." (S. 403) (Kursivdruck bei Spranger)

"Ohne Zweifel gehen alle diese bejahenden Strömungen auf gewaltige, gemeinsame Erlebnisse des Krieges zurück. Erst seit wenigen Jahren mehren sich die Anzeichen, daß das Leiden am Krieg und das Problematisieren über den Krieg einer heroischen Einstellung zur Wirklichkeit, die immer und überall Kampf ist, zu weichen beginnt. Erst jetzt ist das Kriegserlebnis in der Generation, der er zum entscheidenden Schicksal wurde, innerlich verarbeitet, so daß das Lied des deutschen Dichters sich zum Ruhm der Helden und zur männlichen Totenklage aufzuschwingen wagt.

So ist es denn nicht zufällig ein militärischer Geist, der die neuen Erziehungsideale bis in die äußere Terminologie hinein bestimmt. Der Weltkrieg beginnt, endlich seinen positiven (denn alles Tragische ist positiv!) Gehalt in unserem Volke zu entfalten, dessen Masse lange Zeit niedergeworfen und von pazifistischen Hoffnungen erfüllt war, obwohl sie jeder Tag realpolitischer Erfahrung aufs neue widerlegte. Wer wollte es uns verdenken, wenn wir bei einem Blick auf unsere Grenzen, auf unsere gewaltsam klein gehaltene Wehrmacht, auf manchen Eingriff von Nachbarvölkern in unser elementarstes Lebensrecht als Volk den Krieg nicht nur als Vergangenheit sehen, sondern die Notwendigkeit eines zweiten Aufbruches zur Verteidigung aus der gespannten Weltlage heraus vorfühlen müssen?" (S. 403, 404) (Kursivdruck bei Spranger)


B. Ortmeyer kommentiert den zuletzt zitierten Satz so:

"Die Aufforderung, ´den Krieg nicht nur als Vergangenheit` zu sehen, kann als eine mehr oder minder vornehm formulierte Propaganda, die Niederlage des Ersten Weltkriegs durch einen neuen Krieg wieder wett zu machen, bezeichnet werden." (MYTHOS, S. 176)

Fortsetzung folgt.
M.Schurich

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