LebensgeschICHten von hier: Manfred Stock

Gelsenkirchener blicken auf ihr Leben zurück und erzählen

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hörmal
† 26. 03. 2014
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Beitrag von hörmal »

Für ein neues Zuhause sorgte bald der Hautarzt, der mich ins Krankenhaus einwies.
Es war wieder einmal so weit, dass sich an meinen Armen offene Stellen bemerkbar machten und einen starken Juckreiz hinterließen.
Hier im Krankenhaus versuchten die Ärzte wirklich alles, soweit es ihnen möglich war.
Einmal sollte ich Schüttelfrost bekommen. Der Doktor versprach sich eine Besserung dadurch. Es wurden mir Spritzen verabreicht, von denen ich nun bald Fieber bekommen und frieren sollte, so dass die Zähne aufeinander klappen würden. Nichts dergleichen geschah, auch nicht, als ich größere Spritzen erhielt.
Zweimal in der Woche besuchte mich Grete und wir schwärmten von Spaziergängen, von Dampferrundfahrten und vom Meeresstrand.
Einmal war es besonders schlimm, so dass wir uns für einundzwanzig Uhr draußen verabredeten.
Inzwischen war ich ja mit den täglichen Gepflogenheiten hier im Haus vertraut und wusste, dass das Krankenhaus auch einen Hinterausgang hatte.
Um zwanzig Uhr kam die Nachtschwester, die uns eine „Gute Nacht“ wünschte und dann auch, wenn weiter nichts vorlag, in ihr Zimmer ging.
Auf das „Gute Nacht“ hatte ich schon lange gewartet. Nun war für mich der Zeitpunkt gekommen, um mich leise und schnell anzuziehen.
Den anderen Patienten hatte ich mein Vorhaben mitgeteilt und mit: „Lass dich nicht erwischen“, durfte ich aus dem Zimmer schleichen.
Leise, auf jedes Geräusch hörend, ging ich auf Zehenspitzen, mit den Schuhen in der Hand, zum Treppengeländer. Unten lief ich noch schnell über den langen Flur, an dem sich die Untersuchungszimmer und das Labor befanden, dann hatte ich es geschafft.
Den Wuschelkopf von Grete konnte ich schon sehen und bald war ich bei ihr.
Was hatten wir uns alles zu erzählen, obwohl sie noch nachmittags bei mir gewesen war.
An diesem Nachmittag hatte ich von der Werft meine Kündigung wegen Arbeitsmangel erhalten. Aber nicht nur ich, sondern alle anderen unserer Gruppe auch.
Für vier Wochen hatte ich noch mein Geld bekommen und das war ja ein Grund etwas zu feiern.
An diesem Abend haben wir nicht nur Bier und Wasser getrunken.
Nach einigen Tagen bat ich darum, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Lange hatte ich nun im Krankenhaus gelegen und wollte auch einmal wieder heraus.
Meiner Bitte wurde entsprochen und mein erster Weg führte mich zum Arbeitsamt.
Wissen musste ich doch, ob ich keine andere Arbeitsstelle bekam oder wie viel Stempelgeld ich erhielt.
In der Woche musste ich nun mit siebzehn Mark und zwanzig Pfennig auskommen. Das war hart, denn mit solch einer Grundlage konnte ich schon gar nicht an eine Heirat denken.
Was sollte ich nur machen?
Für mich war es ja genug Geld, denn ich brauchte ja nur zwölf Mark abzugeben. Ich wohnte nämlich wieder im Lager.
Für etwas Anderes reichte es nun gar nicht mehr.
Die Nächte wurden länger, die Tage kürzer, das Weihnachtsfest stand vor der Tür.
Vom Roten Kreuz aus erhielt ich eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier.
In meinem Inneren sah es sehr traurig aus.
Da überbrachte mir der Postbote die Einladung.
Es gab also doch noch Menschen, die sich Gedanken darüber machten, welche Bedeutung das Weihnachtsfest hatte. Damals war ich so froh, dass es noch Christen gab, die der ehemaligen Kriegsgefangenen gedachten.
Krankenschwestern des Roten Kreuzes hatten sich viel Mühe gemacht, um uns ein frohes Weihnachten zu ermöglichen. Sicherlich hatten sie selbst tief in ihren schmalen Geldbeutel gegriffen, denn jeder von uns erhielt ein kleines Geschenk.
Es fehlte aber auch nicht an Kaffee und Kuchen.
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Einen besonderen Spaß hatten sich die Schwestern bei unserem Eintritt erdacht.
Jeder von uns Männern konnte sich die Tischdame aussuchen, die in Reih und Glied angetreten waren.
Nur die meisten Jüngeren hatten sich kichernd und lachend hinter den Älteren versteckt. Schon wollte ich auf eine jüngere Schwester zugehen, als mir mein berechnender Sinn sagte: „Mit einer älteren Schwester geht es dir am Tisch besser.“
Nachdem die Weihnachtsgeschichte gelesen war, wurden Kaffee und Kuchen serviert.
Die ältere Schwester sorgte wie eine Mutter für mich, so dass Teller und Tasse nie leer waren.
Der menschliche Kontakt war hergestellt.
Doch heute würde ich mich schämen einen so großen Kuchenberg zu vertilgen. Wir hatten aber das Gefühl, es wurde uns von Herzen gegönnt und das gab den Ausschlag, dass bald auf jedem Teller nur noch ein Anstandsstückchen lag.
Durch viel Zureden ermuntert, verschwanden die auch noch in unserem für alles Gute aufgeschlossenen Magen.
Mit einem Akkordeon in der Hand meldete sich bald eine Schwester zu Wort. Noch heute sehe ich sie vor mir mit ihrem frischen sauberen Gesicht, auf dem wir lesen konnten, dass sie uns nur ein wenig Freude und Frohsinn vermitteln wollte.
„So, es heißt ja immer die norddeutschen Mädchen wären stur und dröge. Wir haben uns fest vorgenommen, euch vom Gegenteil zu überzeugen.“
So begann sie ihre Rede und bald wurde lustig und fröhlich gesungen, sowie auch Gesellschaftsspiele eingeübt.
Es war jedenfalls eine Weihnachtsfeier, wie wir sie von Hause aus nicht in der Erinnerung bewahrt hatten.
Aber es war der geglückte Versuch an uns, den verhärmten zum Teil hoffnungslos blickenden Augen, zu einem freudigen Glanz zu verhelfen.
Das ist diesen Schwestern damit meisterlich gelungen.
Aufgrund dieser Weihnachtsfeier meldete ich mich für einen Kursus zur „Ersten Hilfe“ beim Roten Kreuz an, den ich auch regelmäßig besuchte.
So erfuhr ich auch etwas über die Wirbelknochen, das leicht verwundbare Schien- und Nasenbein über das letzte Fettpolsterchen des Menschen am Backenknochen.
Am ersten Weihnachtsfeiertag trieb es mich doch zur Kirche.
Schließlich ging ich ja nicht des Geistlichen wegen, sondern um das Wort Gottes zu hören.
Bevor das Opfer eingesammelt wurde, ermahnte der Geistliche die Gemeinde mit folgenden Worten: „Es ist noch viel Not zu lindern, besonders unter den heimkehrenden Kriegsgefangenen; darum gebt mit freudigen Herzen. Von meiner Tür ist noch niemand mit leeren Händen weggegangen.“
Schon wollte ich sagen: „Sie Lügner!“
Das Weihnachtsfest hielt mich aber davon ab.
So stand ich nur auf und verließ das Gotteshaus.
Am übernächsten Tag stand in der Zeitung, dass das Weihnachtsopfer über achthundert Mark betragen hätte.
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Ein ehemaliger Arbeitskollege und ich gingen nun auf Arbeitssuche.
Das war gar nicht so einfach, zumal wir beide ja nicht viel gelernt hatten.
Am Randgebiet der Stadt entdeckten wir bei einem Rundgang ein Kabellager, dessen Wert noch nicht nach England, Russland oder einem anderen Siegerstaat verschifft war.
Warum sollten wir nicht, bevor das geschah, ein paar Meter für uns retten?
Große Rollen standen dicht an dicht. Es würde wohl kaum auffallen, wenn hehr etwas abgewickelt würde.
Schließlich wollte ich ja auch mit meiner Grete tanzen gehen.
So warteten wir zu Hause die Dunkelheit ab und mit einer Zange in der Hosentasche machten wir uns auf den Weg. Zwanzig Minuten mussten wir laufen, bis wir unser Ziel erreicht hatten.
Nun hieß es, sehr vorsichtig zu sein, dann auf dem Platz stand auch ein Wärterhäuschen, aus dessen Fenster Licht zu sehen war.
Durch ein Loch im Zaun kamen wir gut durch und schon standen wir vor der ersten Rolle, die leider kein Kupfer aufwies. So suchten wir weiter, bis wir das Richtige gefunden hatten.
Hier machten wir uns an die Arbeit.
Es war nicht einfach, mit der Zange zuerst das Blech- und dann den Bleimantel durchzukneifen, bis schließlich jedes Kupferdrähtchen das gleiche Schicksal erlitt.
Hatten wir uns nicht zuviel zugetraut?
Es kostete schon viel Mühe das zusammengerollte Kabel auf die Schulter zu bekommen.
Es ging nur so, indem wir das Kabel auf unser Knie stemmten und dann den Kopf durchsteckten. Langsam und mit etwas wackeligen Knien gingen wir bis zum Zaun zurück.
Da das Loch nicht groß genug war, musste das Kabel wieder herunter und auf der anderen Seite wieder herauf.
Einer hinter dem anderen marschierten wir nun mit der teuren Last zurück.
Bald konnten wir nicht weiter und legten eine Pause ein. Die gute Pilotzigarette sorgte für die Entspannung. Dann ging es nach Hause.
In einer windgeschützten Ecke wurde alles auseinander montiert.
Die Asbestschicht kam auf einen Haufen, dann wickelten wir den Blechmantel ab, um auf den Bleimantel zu kommen. Diesen schnitten wir mit unserem Taschenmesser auf und vor uns lagen in Papier eingewickelte Kupferdrähte. Die haben wir noch abgebrannt und am Morgen Blei und Kupfer zum Schrotthändler gebracht.
Das Ergebnis war pro Nase siebzehn Mark. Genau so viel Stempelgeld bekam ich für die ganze Woche.
Zweimal in der Woche gingen wir abends dorthin, um unser Taschengeld aufzufrischen.
Gretchen wunderte sich immer, wo das Geld herkam. Das war aber mein großes Geheimnis.
Nun hätte ich es ja noch sehr lange aushalten können, das war aber kein Leben.
Vom Arbeitsamt bekam ich einmal für vier Wochen eine Aushilfsstelle als Bäcker.
Die beiden Gesellen hatten je vierzehn Tage Urlaub, so konnte ich für diese Zeit arbeiten.
Das Gute war, dass mir die Meisterin keine Lebensmittelmarken ab verlangte, so dass ich etwas dabei verdient hatte.
Nach diesen vier Wochen war es wieder mit der Arbeit vorbei.
Grete freute sich nun doch, denn wir hatten wieder füreinander Zeit.
So meldeten wir uns für eine Hafenrundfahrt an, die mir zu einem Erlebnis wurde.
Auf dem Schiff schworen wir uns ewige Treue.
Gar nichts sollte uns auseinander bringen können. Das stand für uns fest.
Wir wussten aber auch, dass es so nicht weitergehen konnte. So besaßen wir kaum etwas und zum Heiraten gehört bekanntlich Geld.
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Eines Tages sagte ich deshalb auf dem Arbeitsamt zu, auf einer Zeche im Ruhrgebiet anzufangen.
Der Abschied fiel uns beiden schwer, galt es doch einer längeren Trennung standzuhalten.
Mit einer DM als Taschengeld wurden wir auf die Reise geschickt und die Stadtväter waren sicherlich froh, dass sie für uns schon keine Unterstützung mehr zu zahlen brauchten.
Die Reise durften wir trotzdem im Personenzug antreten.
Unsere Gedanken während der Fahrt kreisten mehr oder weniger um die neue Arbeitsstelle.
Wie würde es dort unter der Erde aussehen, was für Verhältnisse würden wir antreffen?
In einer größeren Stadt wurden wir erst einmal untersucht. Bei der alten Wehrmacht hätte es auch nicht schlimmer sein können.
Die Tippdamen sahen interessiert zu, so dass mancher junge Mann nicht wusste, wo er in dem großen Untersuchungszimmer hinsehen sollte.
Hier schlich sich zum ersten Mal der Gedanke bei mir ein, nun bist du ein Mensch zweiter oder dritter Klasse geworden. Sicherlich hatte ich eine Dummheit begangen, als ich mich zum Bergbau meldete.
Nachdem wir durch eingehende Betrachtung für gut befunden wurden, brachte uns ein Omnibus zu einem zecheneigenen Lager.
Baracke stand hier neben Baracke. Wir wurden in eine davon eingewiesen und vorerst uns selbst überlassen.
Vier Feldbetten standen in einem Zimmer und in dem anderen vier Stühle und ein Tisch. Ein schrankähnliches Gebilde vervollständigte die Einrichtung.
Das war also unser neues Zuhause.
Wie waren nun die Verdienstmöglichkeiten? Von was sollten wir in den ersten Tagen leben?
Wir trösteten uns gegenseitig. Dafür wird wohl gesorgt werden. Ein Schichtlöhner wie wir es ja werden sollten, verdiente pro Tag acht Mark und vierzig Pfennig.
Der Hauerdurchschnitt betrug neun Mark und sechzig.
Der nächste Tag begann für uns mit der Lehrfahrt, nachdem wir Arbeitssachen, eine Lampe und einen Schutzhelm, empfangen hatten. Die Arbeitssachen sollten vom Lohn abgezogen werden.
Ein älterer, gemütlicher Steiger nahm sich unser an und führte uns zum Schacht, das eine oder andere erklärend.
Der Förderkorb nahm uns auf mit großer Geschwindigkeit ging es in die Tiefe, dass es uns in den Ohren summte. Wie aufregend alles war, nur die Lampe in der Hand wurde schon etwas schwer. Neun Pfund wiegt sie, erklärte unser Steiger.
Durch einen Streb wurden wir geführt, sicherlich damit wir etwas schwarz werden sollten. Dann war unsere erste Schicht beendet und wir fuhren wieder nach oben.
In der Waschkaue waren wir uns einig, dass es sehr schön war und es uns sehr gut gefiel. Wie schön es noch werden sollte, darüber machten wir uns kaum Gedanken.
Am nächsten Tag wurde ich der Ladestelle zugeteilt.
Meine Aufgabe bestand darin, an jedem Wagen eine Nummer anzuhängen, die Ladestelle sauber zu halten und die Kohlenwagen an- und abzuknebeln (abzukuppeln).
Meine dritte Schicht begann, ein lautes „Glück auf“ gebot mir, mich umzudrehen und den Gruß zu erwidern.
Ein neuer Reviersteiger begutachtete meine Arbeit und fragte mich, ob ich nicht mehr Geld verdienen wollte.
Mein Kopfnicken hatte zur Folge, dass er mir sagte: „Na, dann nimm einmal deine Schaufel, klettere die sieben Fahrten (Leitern) hinauf und melde dich beim Rutschmann.“
Die Schaufel und die Lampe in der linken Hand begann ich meine Kletterei.
Für das erste Mal war ich doch schnell oben und sah mich hier um.
Ein Gummiband beförderte die Kohlen hierher, wo sie mit lautem Getöse in den Bunker fielen, der zur Ladestelle führte.
Wo die Kohlen herkamen, da musste doch wohl auch der Streb sein. So ging ich durch einige Wettertüren nach hinten.
Was war das alles interessant und aufregend für mich!
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Wie erst musste es im Streb aussehen?
Je weiter ich nach hinten kam, um so lauter wurde es.
Bald war ich auch an Ort und Stelle und wurde einem Kohlenhauer zugeteilt, der mit seinem Stück Kohle nicht so richtig fertig wurde.
Nun war ich in dem Arbeitsbereich, an dem ich mit Zittern und Zagen und gemischten Gefühlen unten an der Ladestelle gedacht hatte.
Hier war es gar nicht so übel, denn ich hatte es mir viel schlimmer vorgestellt. Die Kohlen, die der Hauer loslöste, schaufelte ich weg. Viel mehr brauchte ich nicht zu machen.
Damals konnte ich gar nicht verstehen, warum fast alle so stöhnten und schimpften, die auf der Zeche beschäftigt waren.
Sicherlich war ich in einer körperlich guten Verfassung, so dass mir die Arbeit in der ersten Zeit nichts ausmachte.
Etwas später wurde es anders, denn alle Mahlzeiten musste ich mir selbst zubereiten. Durch die Schwerstarbeiterkarte konnte ich das auch, nur meiner Gesundheit war es weniger dienlich.
So ging ich von der Zeche aus einmal in der Woche zum Metzger und holte mir zwei Pfund Schnitzel. Meine kleine käuflich erworbene Bratpfanne, hatte dann auf dem Kocher stehend so lange gar zu braten, bis ich alles vertilgt hatte.
Der Magen hatte wohl etwas Gutes bekommen, aber keine lebensnotwendigen Vitamine erhalten.
Welcher Junggeselle, auf sich selbst angewiesen, sah das aber ein?
Am Sonntag ging ich in ein Lokal in der Stadt und aß dort zu Mittag. Das war aber nur einmal in der Woche.
An den anderen Tagen schnurzelte ich mir selbst etwas.
So kaufte ich des Öfteren Markklöße, die ich mit Nudeln kochte. Dazu gab es Brot. In all den Speisen war nur Fett und nicht viel mehr.
Die Arbeit in der Grube gefiel mir gut.
Mein Kumpel war derjenige, der die meisten Kohlen förderte; so schaufelte ich wie ein Wilder, um ihm keinen Anlass zu irgendeiner Klage zu geben.
Das ging nun schon einige Monate so und trotzdem war mein Lohnstreifen fast immer der Gleiche.
Nie verdiente ich mehr als neun Mark sechzig.
Mein Kumpel verdiente jeden Monat zwischen achtzehn und zwanzig Mark und ich, der die gleiche Arbeit leistete, wurde betrogen.
Auf Anraten der Älteren ging ich zum Betriebsführer und trug dem meine Lage vor, sagte aber auch, dass ich lieber eine andere Schachtanlage aufsuchen wollte, wenn sich mein Lohn nicht änderte.
Der Fahrsteiger wurde gerufen und im Flüsterton verhandelten die beiden.
Danach konnte ich mir ein Revier aussuchen, in dem ich arbeiten wollte.
Die Folge davon waren sechs Mark pro Schicht mehr, als es vorher der Fall war. Davon konnte ich schon besser leben.
Im Lager sollten nun bald bessere Verhältnisse eintreten. Alle Baracken wurden umgebaut und wohnlich hergerichtet, um uns zu einem besseren Heim zu verhelfen.
Bald war es auch so weit, dass wir umquartiert wurden und auf die Herrichtung unsere Baracke warteten, was jedoch vier bis fünf Wochen in Anspruch nahm.
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

In dieser Zeit kam ein neuer Transport aus dem Norden an, der für unsere Schachtanlage bestimmt war.
Alle schichtfreien Kumpels hatten sich zur Begrüßung der Neuen am Lagertor eingefunden. Eventuell kannte man den einen oder anderen doch, der gerade wir wir damals aus dem Omnibus stieg.
Ein langer Neuankömmling trat an mich heran und sagte: „Guten Tag, Manfred, ich heiße Fritz.“
Sehr verdattert muss ich wohl geguckt haben. Woher wusste Fritz, dass ich Manfred hieß? Er war, wie sich bald herausstellte, ein Verwandter meiner Grete, der auch viele liebe Grüße übermitteln sollte.
So sprach ich nach fast einem dreiviertel Jahr endlich wieder mit einem Menschen, der Grete kannte.
Vieles wusste er aus der Stadt zu berichten und fand in mir einen aufmerksamen Zuhörer.
Bis er plötzlich ernster wurde, mich ansah und sagte: „Das für dich Wichtigste habe ich dir noch nicht gesagt. Deine so treue liebe Grete bekommt etwas Kleines“.
Kein Wort davon wollte ich glauben, ein Gebäude, das aus Treue und gutem Glauben aufgebaut war, hatten diese Worte vernichtet.
Ich Trottel war nicht einmal aus gewesen, sondern hatte sofort von dem wenigen Verdienst etwas zurückgelegt, um einmal sagen zu können: „Hier, das habe ich gespart.“
So war es also.
Dabei hatte ich gestern von ihr noch einen Brief erhalten, der mich so richtig froh gemacht hatte.
Sollte Fritz doch nicht die Wahrheit gesagt haben? Dann konnte er sein Testament machen, das stand für mich fest.
So zog ich mich an und ging zur Zeche, um darum zu bitten, für drei Tage Urlaub zu erhlaten.
„Für drei Tage entschuldige ich Sie gern, wenn Sie etwas Dringendes zu regeln haben“, bekam ich vom Betriebsführer gesagt.
Froh, der Sache auf den Grund gehen zu können, nahm ich meine Aktentasche, packte das Nötigste ein und fuhr mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof.
Die Fahrt nach Norden nahm ihren Anfang. Von den Städten und Dörfern, durch die ich fuhr, nahm ich kaum Notiz. Meine
Gedanken waren doch ganz bei dem Mädchen; denn ich war ja, um uns eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können, in den Bergbau gegangen.
Wenn Fritz mir die Wahrheit berichtet hatte, war alles vorbei.
Jede Fahrt geht einmal ihrem Ende entgegen. Meine zweite Heimatstadt war erreicht.
Schon eilte ich aus dem Bahnhof die mir wohlbekannten Straßen entlang, bis ich das kleine Haus erreicht hatte, in dem und vor dem ich schon so oft gestanden und gewartet hatte.
Was sollte ich nur sagen oder musste ich Grete reden lassen?
Sie öffnete selbst und ich sah, dass Fritz nicht gelogen hatte.
Ihr Gesicht, vom Erschrecken gezeichnet, fragte fast: „Was wird er jetzt machen“?
Als ob ich sie jemals hätte dafür schlagen können.
Sie musste doch wissen, was sie machte, an wen sie sich hielt.
Sicherlich empfand sie nicht das für mich, was die Voraussetzung für eine glückliche Ehe war.
Keine zehn Minuten war ich in dem Haus, dann zog es mich auf die Straße, nach frischer Luft schnappend.
War ich nun traurig?
Nein, nur sehr enttäuscht und auf der anderen Seite froh.
Denn was wäre geworden, wenn ich diese Frau geheiratet hätte?
Ohne mich umzusehen oder etwas zu essen, ging ich zurück zum Bahnhof und fuhr mit dem nächsten Zug ins Ruhrgebiet.
Hier in der Grube fand ich bei der Arbeit Vergessen.
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Beitrag von hörmal »

Bald waren die neu hergerichteten Baracken für den Einzug bereit.
Wie sauber und ordentlich nun alles aussah.
Eine richtige Wohnküche mit einer Bauernecke entsprach meinem Geschmack.
In dem gemeinsamen Schlafzimmer hing sogar ein Spiegel. Da konnte ich, der damals auf sein Äußeres keinen Wert legte, ja einmal hinein sehen.
Wie groß war mein Erschrecken, als ich mich kaum selbst wieder erkannte. Das Gesicht bestand nur aus Haut und Knochen. Nun wusste ich auch, warum mir in der letzten Zeit, beim Sitzen im Personenzug, alles weh getan hatte. Das waren nur noch Knochen, auf denen ich saß.
So durfte es mit mir nicht weitergehen.
Ich sah ein, dass ich mit weniger Geld zufrieden sein musste, sonst war ich eines Tages gar nicht mehr da.
Das sagte ich auch dem Rutschmann am nächsten Tag, der mich einem anderen Hauer zuteilte. Er arbeitete nicht wie ein Verrückter, vermied es auch Überstunden zu machen.
Kam ich nun nach Hause, so kochte mir täglich ein richtiges Mittagessen.
Viele Zuschauer hatte ich an manchen Tagen, besonders bei der Herstellung von Mehlpfannekuchen.
So wurde ich auch von Lagerinsassen gebeten, das eine oder andere zu kochen. Ein älterer Mann wünschte sich Pflaumenpfannekuchen. Alles, was dazu benötigt wurde, brachte er in reicher Fülle mit.
Nachmittags um sechzehn Uhr fing ich damit an, die große Tüte Mehl in eine Schüssel zu schütten. So viel Verstand hatte ich noch nicht, dass ich mir sagte, der vierte Teil davon wäre ja auch genug gewesen.
Zwei Stunden waren vergangen. Da kam der ältere Mann, sich die Pfannekuchen abholen und schenkte mir das andere, was noch übrig war.
Abends um dreiundzwanzig Uhr hatte ich keine Lust mehr, Pfannekuchen zu backen, schüttete Wasser dazu und kochte nun davon eine Mehlsuppe.
Die Mehlsuppe wurde immer mehr. Bald war der eine Topf zu klein und ich hatte am nächsten Morgen Frühschicht.
Es war zum Verzweifeln.
Drei Tage gab es auf unserem Zimmer Mehlsuppe, so dass ich niemandem mehr Mehlpfannekuchen backen wollte.
Nach dem Umbau der Baracken nannte sich unsere Bleibe nicht mehr Lager, sondern Wohnheim.
Wir bekamen auch einen Heimleiter, der auf Sauberkeit und Anstand im Wohnheim bedacht war. Es war noch ein junger Mann, der uns das Leben hier durch Fahrten mit einem gemieteten Omnibus schmackhaft machen wollte.
So fuhren wir einmal für zwei Tage zur Mosel. Ursprünglich sollte uns die Reise nach Cochem führen.
Alles war in aufgeräumter Stimmung und schon begann die Fahrt.
Je weiter wir uns aus dem Ruhrgebiet entfernten, umso froher wurden wir……


Hier endet leider die Geschichte und wir wissen nicht, warum Herr Stock plötzlich mit dem Schreiben aufhörte. Trotzdem wissen wir ja, wie es weiter ging, denn bald lernte er ja seine Margret aus Gelsenkirchen-Horst kennen und heiratete sie.
Und Margret Stock hat uns ihre Geschichte, in der ja auch ihr Mann einen wichtigen Platz hat, schon erzählt.
Wer es noch mal nachlesen will: Margret Stock

Zum Schluss möchte ich noch zwei Bilder einfügen die Herrn Stock als Straßenbahnfahrer in einer Gruppe Kollegen zeigen und ein späteres Bild mit seiner Frau. Vielleicht kann sich ja jemand an das verschmitzte Gesicht erinnern...
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Wir danken Frau Margret Stock dafür, dass sie uns diese schöne Geschichte zur Verfügung gestellt hat.
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