LebensgeschICHten von hier - Agnes

Gelsenkirchener blicken auf ihr Leben zurück und erzählen

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hörmal
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LebensgeschICHten von hier - Agnes

Beitrag von hörmal »

Mein Vater ist 20 Jahre nach meiner Mutter gestorben, 1953.
Er hatte Leukämie.
Er war knapp 78 Jahre.
Ich war gerade 40. Wir waren alle zu Hause und die kleinen Kinder meines Bruders waren da, der 3. war gerade geboren.
Das hat Vater noch mitbekommen.
Immer wenn er im Garten war - das war er vom Land gewöhnt - der sagte immer: „Schick mir die Bärbel raus. Das ist mir dann nicht so langweilig.“
Und Bärbel kam raus und war beim Opa.
Und wir hatten viele Blumen und Gemüse. Bärbel hatte ein Schürzchen um und die Tasche war so voll: „Was hast du denn da.“ Opa hat gar nichts gemerkt. Er hatte sie gewähren lassen. Was hatte sie? - 24 Köpfe von Stiefmütterchen.
Die hatte sie alle gerupft.
Opa hat nur gelacht.
Meine Nichte hat immer ihren Kindern erzählt, was sie für ein schönes Leben hatte, draußen spielen und mit den Tanten, da war immer jemand da, der sich mit ihr beschäftigen konnte.
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Gelsenkirchen ist nicht mehr das Schöne, was es früher mal war.
Die Stadt hat sich sehr verändert. Es war alles früher solider.
Buer gehörte auch noch nicht zu Gelsenkirchen.
Wie sie eingemeindet wurden, da waren die Bueraner ganz beleidigt.
Es war ein vornehmer Stadtteil.
Wir hatten die Zechen. Wenn die Bergleute von der Arbeit kamen, da konnte man sie ziehen sehen.
Halbdreckig!
Meistens gingen sie in die Kaue. Aber die waren noch nicht so sauber.
Wie es hier so schmutzig war damals!
Der Papa hatte Oberhemden mit 2 Kragen.
Die Flocken flogen einem um die Ohren.
Und wie sich das verändert hat von früher allein schon, was man früher gemacht hat und wie man es heute macht.
Wie unsere Eltern - ich habe es auch noch erlebt -, sich mit Waschen gequält haben und so. Da hat man früher richtig was getan.
Ich bremse auch für Obst!
Rauchen verkürzt ihre Zigarette!

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hörmal
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LebensgeschICHten von hier - Agnes

Beitrag von hörmal »

Und Radio gab es kaum.
Das kam erst.
Das Fernsehen haben wir erst 1957 gekriegt.
So hatte man abends gemütlichere Zeiten.
Die Mama stopfte, strickte, bügelte und sang dabei.
Oder im Oktober war immer Rosenkranzmonat.
Wenn wir draußen waren, hat die Mama gerufen: „Reinkommen!“
Da haben wir den Rosenkranz gebetet.
Aber sie hat immer was dabei getan.
Das Familienleben war intensiver.
Man hat noch Strümpfe gestopft und sich was dabei erzählt.
Und heute bleiben alle den ganzen Tag vor dem Fernseher.
Jedes kleine Kind hat jetzt schon ein Handy. Manchmal ist das ja ganz gut. Aber muss nicht immer sein.
Dass ich jetzt mit so was nichts im Sinn habe und so was nicht mehr lernen möchte, ist doch klar.
Aber mein Doktor, der meint, ich könnte das noch. „Kaufen Sie sich einen schönen neuen Fernseher!“ Aber ich habe sogar schon drei. Ich habe einen kleinen Fernseher in der Küche. Der tut mir viel Gutes, wenn was Besonders ist.
Und ich höre viel Radio.
Das war alles gemütlicher als heute.
Damals war Gelsenkirchen auch nicht so städtisch wie jetzt. Heute wird alles neu gebaut und abgerissen.
Das war früher bestimmt ein schöneres Leben.
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Sonntags ging man zur Oma. Die Mutter meiner Mutter lebte noch. Wir wurden alle fein angezogen.
Es war alles billiger früher.
Die Leute waren zufriedener.
Die Ehen waren auch noch richtig in Ordnung. Und wenn nicht, dann lief man nicht sofort auseinander.
Dann sitzen die Kinder und haben entweder keinen Vater oder keine Mutter.
Die Frauen waren damals auch oft darauf angewiesen. Deshalb liefen sie nicht weg. Und was tun sie heute? Müssen sie alle zwei arbeiten?
Dann nehmen sie noch eine Ziehmutter.
Ob da viel dabei rumkommt, weiß ich nicht.
Es gab auch viele Frauen, die so Hausmütterchen waren.
Wir waren nicht so hausbacken.
Wir sprachen viel über Politik und so.
Und meine Schwestern waren berufstätig.
Aber dass die Kinder so früh aus dem Haus müssen... Na ja, das ist das Alter!
Ich bin in Gelsenkirchen geboren.
Wir wissen, dass Gelsenkirchen nicht die schönste Stadt war, aber wir hatten die schöne Bahnhofstraße und die war mal die eine der schönsten Einkaufsstraßen in Deutschland.
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Verwaltung
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Beitrag von Verwaltung »

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Beitrag von Verwaltung »

Agnes ist im April 2016 im Alter von 102 Jahren gestorben. Sie war bis zuletzt geistig fit und klar.
Alles Gute, Agnes!
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