Porajmos - Verfolgung von Sinti und Roma in Gelsenkirchen

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Porajmos - Verfolgung von Sinti und Roma in Gelsenkirchen

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Porajmos - Verfolgung von Sinti und Roma in Gelsenkirchen

Porajmos (auch Porrajmos), wörtlich das Verschlingen, ist ein Wort, das von den ziganischen Völkern verwendet wird, um den gegen sie gerichteten Teil des Massenmordes durch die Nationalsozialisten zu benennen. (aus Wikipedia)


Die mit einem diskriminierenden Unterton "Zigeuner" genannten Menschen bezeichnen sich in ihrer eigenen Sprache Romanes als Roma, das heißt im Singular Mensch bzw. Mann. Mit dem Begriff "Sinti" bezeichnen sich seit Jahrhunderten die in Deutschland und Mitteleuropa lebenden Roma.
Die Roma stammen ursprünglich aus Indien und wanderten aufgrund von Verfolgung, Hunger und Not in einem jahrhundertelangen Prozeß über den Nahen Osten und den Balkan, bis sie im 15. Jahrhundert nach Europa kamen. Die Wanderungen hatten also ganz reale Hintergründe, ein "angeborener Wandertrieb" bei den Sinti und Roma ist eines der bis heute fortbestehenden Vorurteile.
Die Menschen waren auf dem Balkan über Jahrhunderte seßhaft, ebenso viele Familien in Deutschland und Österreich. Obwohl jahrhundertelang von der jeweiligen Bevölkerungsmehrheit verfolgt, haben sich die Sinti und Roma ihre eigene Kultur bewahrt.

Im Jahr 1912 verbot der ostpreußische Innenminister das "bandenmäßige Umherziehen", der Minister für Volkswohlfahrt verbot 1920 den "Zigeunern" den Aufenthalt in Kurorten, Heilbädern und Erholungsstätten. Der Regierungspräsident Münster erließ im April 1930 eine Verfügung, welche die Städte aufforderte, sogenannte "Zigeunerlagerplätze" einzurichten. Damit sollte die Überwachung der Sinti und Roma verbessert werden. In Gelsenkirchen wurden die vorgegebenen Maßnahmen der höheren Behörden noch weiter radikalisiert und die Verfolgung der "Zigeuner" verschärft. 1934/35 wurde der erste "Zigeunerlagerplatz"an der Cranger Str. 543 gegenüber dem Freibad Grimberg eingerichtet.

Die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung schrieb am 9. Januar 1936 über
"Das Zigeunerlager am Kanal":

"Um der Zigeunerplage einigermaßen entgegen zu treten, hat die Stadtverwaltung einen besonderen Platz an der Grenze zwischen Gelsenkirchen und Wanne und zwar zwischen der Dorstener Straße und dem Kanal hergerichtet, auf dem die in Gelsenkirchen anwesenden Zigeuner zusammengefaßt werden. Der Oberbürgermeister hat nunmehr ein Ortsstatut über die Erhebung von Standgeld für die Benutzung dieses Zigeunerplatzes erlassen. Für die Benutzung des Lagerplatzes ist die Erteilung einer vorherigen Genehmigung und die vorherige Entrichtung des Standgeldes erforderlich. Die Genehmigung ist bei der städtischen Polizeiverwaltung zu beantragen. Die Höhe des Standgeldes richtet sich nach der Dauer der Lagerplatzbenutzung. Rückständiges Standgeld wird im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben. Außerdem ist im Falle der Nichtzahlung der Lagerplatz sofort zu räumen."

1936 schließlich waren alle bürokratischen und organisatorischen Maßnahmen getroffen, alle Sinti und Roma auf dem Gebiet Gelsenkirchens an einem Ort zu konzentrieren. Im folgendem Jahr, 1937, wurde auf initiative der städtischen Behörden ohne Weisungen von übergeordneten Behörden mit Drohungen und Schikanen gegen die Vermieter privater Stellplätze vorgegangen.
Mit verschärften Kontrollen sollten alle Sinti und Roma, die sich in Gelsenkirchen aufhielten, auf dem Lagerplatz am Kanal untergebracht werden. Eine Zählung der Stadtpolizei ergab, das Mitte 1937 in Gelsenkirchen 154 "Zigeuner" lebten.
Im April 1939 waren dann alle "Zigeuner" Gelsenkirchens auf dem Lagerplatz an der Cranger Str. konzentriert. Im April 1939 wurden dort "45 Familien mit 237 Menschen in 51 Wagen" von der Verwaltungsstelle Buer des städtischen Polizeiamtes gezählt.

In Gelsenkirchen trugen Beschwerden über die "Zigeuner" dazu bei, daß die Behörden die Verfolgungsmaßnahmen weiter verschärften. Beschwerdeführer waren u.a. die Deutsche Erdöl-Aktiengesellschaft (DEA), der die Zechen Graf Bismarck und Königsgrube gehörten und die Mannesmannröhren-Werke, Abteilung Steinkohlebergwerk Consolidation.
Vor dem Hintergrund dieser massiven Beschwerden wurde am 15. Mai 1939 seitens der Stadt ein neuer Lagerplatz genannt:
Reginenstr., zwischen den Deutschen Eisenwerken (Schalker Verein) und der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG) mit ihrer Zeche und Kokerei Rheinelbe/Alma.
Im Briefwechsel zwischen Unternehmen und Verwaltung ist schon zu diesem Zeitpunkt von einer vorrübergehenden Unterbringung die Rede.
Wußten die Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt schon, daß der weitere Weg der Sinti und Roma direkt in die Vernichtungsfabriken der Nazis führen würde?

Der Umzug fand dann am 9. Juni 1939 statt. Die Wagen, dreißig an der Zahl, zogen in einer Kolonne von der Cranger Str. quer durch die Stadt zum Lagerplatz Reginenstr. in Hüllen (Luthenburg).

Die National-Zeitung schrieb am 10. juni 1939 dazu:

"Wiederholt wurde über das Zigeunerlager in der Nähe des Freibades Grimberg von Seiten der Bevölkerung und der durchfahrenden Kraftfahrer Klage geführt, weil diese seßhaft gemachten Pustasöhne sich nur schwer an ordentliche Arbeit
gewöhnen konnten und bettelnd und wahrsagend durch die Gegend zogen. Nun wird dieses "romantische" Wagenlager am Grimberger Hafen verschwinden. Gestern vormittag kamen plötzlich Arbeiter des städtischen Fuhrparks und zogen mit ungefähr 30 Zigeunerwagen in Richtung Wattenscheider Str. davon.
Hunderte von Zuschauern begleiteten diesen wildromantischen Zug des Steppenvölkchens.
Wie wir hörten, werden die Zigeuner in einem umzäunten Lager an der Reginenstraße in Hüllen untergebracht."

Auf der BeigeordnetenKonferenz der Gelsenkirchener Stadtverwaltung vom 13. Juni 1939 wurde beschlossen, Mittel freizusetzen, damit eine Bewachung durch die SA erfolgen kann. Die Stadt Gelsenkirchen beauftragte den SA-Sturm 14 unter
Obersturmbannführer Buttgereit mit dieser Aufgabe.

Auszug aus einem Brief des Stadtpolizeiamtes Gelsenkirchen an das Staatliche Polizeiamt vom 23. September 1939:

(...) "Der bisherige Lagerplatz in der Nähe des Freibades Grimberg mußte geräumt werden, weil nicht nur das Freibad gefährdet war,sondern die Gesundheitspolizei wegen der Verhütung von ansteckenden Krankheiten und Seuchen in unserem dicht bevölkerten Stadtgebiet die Räumung verlangte. Größere industrielle Werke, wie die Deutsche Erdöl-AG, verlangten immer wieder die Entfernung der Zigeuner aus dem Stadtgebiet, weil neben Diebstählen und Beschädigungen auch die werktätige Jugend durch das sittlich nicht einwandfreie Verhalten der Zigeuner gefährded wurde.
Nach vielen Bemühungen und nach Überwindung großer Schwierigkeiten ist der neue Lagerplatz auf der Reginenstraße in der Nähe der deutschen Eisenwerke, südlich der Zeche Alma, angelegt worden. Die Zigeunerwagen stehen hier auf der Straße, die von einer Seite durch einen mit Stacheldraht geschützten Bahndamm der Reichseisenbahn begrenzt wird und auf der anderen Seite mit spanischn Reitern zum Schutze eines sich anschließenden Kohlenlagers versehen ist. Die Reginenstraße mußte für den Verkehr gesperrt werden und ist am Kopfende mit spanischen Reitern abgeriegelt.
Die Wohnwagen stehen ausgerichtet in einer Reihe, sind mit durchgehenden Nummern versehen und tragen vor jedem Fenster ein Verzeichnis der Wageninsassen, getrennt nach Erwachsenen und Kindern. Vor dem 1. September 1939 wurde das Lager von SA-Kommandos dauernd, auch während der Nacht, kontrolliert. Nur auf diese Art konnte die notwendige Sauberkeit und Ordnung erreicht werden. Infolge dieser strengen Überwachung haben es 31 Familien vorgezogen, abzuwandern. Heute befinden sich auf dem Platz 20 Familien in 22 Wagen mit insgesamt 131 Köpfen.
Die Gelsenkirchener Bergwerks-AG und andere große Industrie-Werke sind erneut an die Stadt heran getreten und verlangen die umgehende Entfernung der Zigeuner aus dem Stadtgebiet, weil ihre Rüstungsbetriebe und die im Sinne des Vierjahresplanes tätigen Werke durch die Zigeuner gefährdet seien. Die staatliche Polizei ist wegen der Abkommandierung zahlreicher Hilfskräfte nicht in der Lage, das Zigeunerlager und die Zigeuner dauernd so zu überwachen, das evtl. Sabotageakte verhindert werden. Tatsache ist jedoch, das bei einem Zigeuner ein Hemmschuh der Reichseisenbahn vorgefunden wurde und die Zigeuner häufig bei Diebstählen auf den Zechenanlagen, trotz strengster Überwachung der Werke, erwischt wurden. Hinzu kommt, das sich auf dem Lagerplatz bei der jetzigen Verdunkelung noch mehr lichtscheues Gesindel einnistet als bisher
und die Gefahr besteht,das evtl. Sabotageakte und Zerstörungen lebenswichtiger Anlagen unter dem Deckmantel des Zigeunerplatzes ausgeführt werden können."(...)

Bei Ihrem Versuch, die Sinti und Roma endgültig loszuwerden, bezichtigte die Stadtverwaltung diese Menschen des Diebstahls, der Sittengefährdung und der Sabotage. Damit nicht genug wurde offensichtlich auch die Gelsenkirchnener Wirtschaft mobilisiert, die Forderungen der Stadt zu unterstützen.

Am 16. Dezember 1942 erging Himmlers sogenannter "Auschwitz-Erlass", nachdem "Zigeunerische Personen" im Nazi-Jargon "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft" nach Auschwitz deportiert werden sollten.
Die Ausführbestimmungen des Deportationsbefehls erreichte die Kriminalpolizeistellen am 29.Januar 1943 per Schnellbreif durch das Reichssicherheitshauptamt. Die Standgeldabrechnung wurde vom Sachbearbeiter am 9. März 1943 geschlossen, am darauffolgenden Tag, es war der 10. März 1943, wurden die Gelsenkirchnener Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert.

In einem Vermerk, geschrieben vom Abteilungsleiter der Stadtpolizei vom 10. März 1943 heißt es :

"Die Kriminalpolizei hat die bisher an der Reginenstr. lagernden Zigeuner abtransportiert und ihre zurück gelassenen Wagen
der Stadtverwaltung überlassen. Auf Vorschlag der Kreishandwerkerschaft wurde der Obermeister der Schmiedeinnung,
Schmiedemeister Hundt, Peterstr. 3, mit der Taxierung der Wagen beauftragt. Er hat den Wert auf höchstens 300,00 RM geschätzt (siehe vorstehende Bescheinigung).
Zu diesem Preis wurde das ganze Gelumpe an den Schmiedemeister Vorderwülbeke, Gelsenkirchen, Kesselstr. 31 und den
Rohproduktehändler Meier, Wanne-Eickel, Deutschestr. 6, verkauft.
Sie zahlten jeder 150,00 RM, Empfangsbescheinigung wurde erteilt. Außerdem hat jeder der beiden Käufer wunschgemäß eine Bescheinigung über den Kauf der Wagen und deren beliebige Verwendung erhalten."

Augenscheinlich war der Stadtverwaltung bekannt, das Auschwitz für die Gelsenkirchener Sinti und Roma ein Ort ohne Wiederkehr sein würde. Die Menschen waren abtransportiert worden, der Rückbau der Wasserentnahmestelle und Drahtsperren durch die Stadtämter war abgeschloßen. Die Standgeldabrechnung endet mit der Vereinnahmung des Verkaufserlöses der Wagen. Die bei der Deportation beschlagnahmten Papiere wurden an die Aussteller zurückgesandt.

Vom Lagerplatz Reginenstraße wurden die in der Standgeldliste verzeichneten Menschen zuerst deportiert und ermordet:

Familie Wilhelm Wernicke und Anna Paul(7 Personen), Franz Grosch(6 Personen), Dietrich Behrens(7 Personen), Paul Geisch(9 Personen),
Maria Petermann(3 Personen), Maria Müller(5 Personen), Josef Zens(3 Personen), Weschko Weiß(5Personen).

Aus verschiedenen Wohnungen im Stadtgebiet wurden Anna Böhmer, Patzurra und Minna Schopper und Josef Wernicke deportiert.

Bezeichnenderweise wurden die Menschen in der Einwohnerkartei der Stadt Gelsenkirchen, obwohl sie ja gleichzeitig nach Auschwitz abtransportiert wurden, unter verschiedenen Daten, die allesamt einige Tage später lagen als das tatsächliche Datum, abgemeldet.

Quellenwerk:
"Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen"
von Stefan Goch, Schriftenreihe des ISG, Beiträge-Bd. 8, ISBN 3-88474-785-1

Gast
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Beitrag von Gast »

Hoffentlich findet sowas nie wieder statt!

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Heinz O.
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Beitrag von Heinz O. »

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im Treppenhaus Dokumentationszentrum Cranger Straße gesehen
Gegen Hass, Hetze und AfD
überalteter Sittenwächter

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Internationaler Gedenktag der Sinti und Roma in Auschwitz

Beitrag von GELSENZENTRUM »

2. August 2009

P R E S S E E R K L Ä R U N G

Internationaler Gedenktag der Sinti und Roma in Auschwitz
65. Jahrestag der Mordaktion der SS am 2. August 1944
Wirksame Maßnahmen gegen rassistische Gewalt und Hetze gefordert

Eine Delegation von 120 Personen aus Deutschland – unter ihnen mehr als 50 KZ-Überlebende – nimmt am 2. August unter Leitung des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, an dem Internationalen Auschwitz-Gedenktag der Sinti und Roma teil. Aufgrund Himmlers "Auschwitz-Erlass" vom 16. Dezember 1942 deportierte die SS 23.000 Sinti und Roma familienweise aus elf Ländern Europas in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Am 2. August 1944, vor 65 Jahren, ermordete die SS dort in den Gaskammern die letzten 2.900 Sinti und Roma - Kinder, ihre Mütter und Alte. Zuvor von SS-Ärzten noch als "arbeitsfähig" selektierte 3.000 Sinti und Roma kamen als Sklavenarbeiter in andere Konzentrationslager wie Buchenwald und Ravensbrück. Im besetzten Europa wurden 500.000 Roma und Sinti Opfer des Holocaust.

In der Gedenkansprache „appelliert“ Romani Rose „an diesem historischen Ort an die politisch Verantwortlichen, rassistische Gewalt gegen Roma und Sinti endlich ebenso konsequent zu ächten wie den Antisemitismus“. Der Zentralratsvorsitzende forderte außerdem wirksame Maßnahmen gegen die menschenverachtende Propaganda durch Neonazis im Internet. Gemeinsam müssten auf der internationalen Ebene durch Internet-Industrie und staatliche Stellen Schritte vereinbart werden, mit denen Aufrufe zur Gewalt gegen die Minderheit aus dem Netz beseitigt werden können. Rose kritisierte auch Politiker bürgerlicher Parteien, die in populistischer Manier mit rassistischen Klischees und Zerrbildern über Sinti und Roma in vielen Ländern Europas auf Stimmenfang gingen.

Die Sprecherin der Auschwitz-Überlebenden, Luise Bäcker, äußerte Dank und Respekt für die alliierten Soldaten, die sie „aus dieser Hölle befreit“ haben. Zu der um 12.00 Uhr beginnenden Veranstaltung erwarten der Zentralrat und der Verband der polnischen Roma mehrere hundert Sinti und Roma aus vielen Ländern Europas. Die Reise der deutschen Delegation zu dem Internationalen Gedenktag in Auschwitz wurde von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, dem Auswärtigen Amt, von dem Fonds "Erinnerung und Zukunft" und dem „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ gefördert.

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