Opfer der Gewaltherrschaft in Gelsenkirchen

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Opfer der Gewaltherrschaft in Gelsenkirchen

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Gedenkstätten in Gelsenkirchen

Zwischen 1933 - 1945 sind unzählige Menschen der Hitlerdiktatur zum Opfer gefallen. Verschiedene Mahnmale, Gedenksteine und Straßennamen sollen in Gelsenkirchen an diese Menschen erinnern.

Im Gelsenkirchener Stadtgarten erinnert ein Mahnmal in einer etwa zwanzig Meter breiten halbkreisförmigen Anlage an die Verfolgten und Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft. Das Mahnmal wurde im April des Jahres 1951 auf die Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Gelsenkirchen mit Unterstützung der Stadt errichtet. Der Text auf einer Gedenktafel lautet:

Zerstampft des Unrechts Drachensaat.
Zerstört den Haß von Staat zu Staat.
Versenkt die Waffen in Gewässern.
Dann wird im Friedenssonnenschein
die ganze Welt uns Heimat sein.
Den Opfern der Nat.Soz. Gewaltherrschaft

An der Gildenstraße in Gelsenkirchen-Mitte steht ein Mahnmal zur Erinnerung an die 1938 zerstörte Synagoge der Jüdischen Gemeinde. Seine Inschrift lautet:

An dieser Stelle stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.
Sie wurde am 9. Novem. 1938 ein Opfer des Rassenwahnes.
Möge sich solche Tat nie wiederholen.
Gelsenkirchen, den 9. November 1963

In Buer existierte eine selbständige Jüdische Gemeinde, deren Synagoge an der Maelostraße stand, auf dem Gelände des heutigen Hallenbades. Sie wurde in der Nacht vom 9./10. November 1938 verwüstet, die Inneneinrichtung brannte vollständig aus. Anläßlich des 50. Jahrestages der Pogromnacht griff die Stadt Gelsenkirchen eine Initiative der Evangelischen Kirchengemeinde Buer auf, vor dem Hallenbad eine Gedenkstätte zu errichten: eine Anlage mit einer konkaven Wandscheibe und darauf eine Gedenktafel mit dem Text:

"Mein Haus ist ein Haus der Gebete für alle Völker" (Spruch am Eingang der zerstörten Synagoge)
Nicht weit von hier stand die am 10. 11. 1922 eingeweihte Synagoge der Jüdischen Gemeinde Buer.
Als roher Judenhaß unter uns wütete, wurde sie in der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938
von nationalsozialistischen Gewalttätern geschändet und zerstört.
Zum Gedenken an die jüdischen Menschen dieser Stadt, die in den Jahren von 1933 bis 1945 entrechtet,
entehrt, vertrieben und ermordet wurden.

Auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof, Teil des Kommunalen Friedhofs in Gelsenkirchen-Buer an der Mühlenstraße, befindet sich in der Nähe des Nordringes ein Gedenkstein mit hebräischer und deutscher Inschrift. Die Gräber wurden bis 1945 alle zerstört, heute ist hier eine Rasenfläche mit einigen Bäumen. Auf dem Stein ist neben den Namen von 62 KZ-Opfern aus Buer und Westerholt die Inschrift zu lesen:

Das Andenken der Gerechten ist zum Segen
Zum ewigen Gedenken an unsere feige dahingemordeten Schwestern und Brüder

Im Jahre 1932 lebten in Gelsenkirchen etwa 1 440 Juden, in Buer, das 1928 mit Gelsenkirchen vereinigt worden war, etwa 150 und in Horst, ebenfalls seit 1928 zu Gelsenkirchen gehörend, etwa 90 Juden. Es bestanden Frauen- und Männervereine, zwei jüdische Schulen, Jugend- und Sportvereine und der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, verdrängten sie zunehmend die jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem öffentlichen Leben und verfolgten und vertrieben sie aus der Stadt.

Am 26./27. Januar 1942 wurde an den städtischen Ausstellungshallen auf dem Wildenbruchplatz der erste "Judensammeltransport" zusammengestellt. Unter den 506 Juden aus dem Präsidialbezirk Recklinghausen befanden sich etwa 350 Gelsenkirchener Juden, die deportiert wurden. Die meisten sind in den Konzentrationslagern Riga, Auschwitz und Buchenwald ermordet worden. Etwa die Hälfte aller 1932 in Gelsenkirchen lebenden jüdischen Frauen, Männer und Kinder wurden deportiert, fast alle wurden umgebracht, nur 50 überlebten die Konzentrationslager. Einige hatten sich durch "Auswanderung" ins Ausland retten können. Ein Teil dürfte jedoch in den von Deutschland besetzten Ländern den Nationalsozialisten in die Hände gefallen und von dort in die Konzentrationslager deportiert worden sein.

Der Leopold-Neuwald-Platz in Gelsenkirchen-Mitte ist nach dem jüdischen Kaufmann Leopold Neuwald benannt, einem der Deportationsopfer des Transportes vom 27. Januar 1942.

Auf dem Friedhof in Gelsenkirchen-Horst-Süd befinden sich drei Gedenksteine für Opfer des Nationalsozialismus. Ein Mahnmal erinnert an die während des Kapp-Putsches 1920 von Freikorps ermordeten Arbeiter. Dieses Mahnmal wurde während des "Dritten Reiches" zerstört, 1947/48 jedoch vom "Komitee ehemaliger politischer Gefangener und Konzentrationäre" (Vorläufer der VVN) wiedererrichtet. Seither erinnert der große Gedenkstein auch an die Opfer des antifaschistischen Widerstandes, darunter die hingerichteten Mitglieder der "Zielasko-Widerstandsgruppe", Karl Schuster, Johann Eichenauer und Andreas Schillak. In der Mitte des Mahnmals stehen die gleichen Verse wie auf dem Mahnmal im Gelsenkirchener Stadtgarten (s. oben).

Franz Zielasko, Bergmann aus Gladbeck, seit 1919 in der KPD, emigrierte 1932 in die Sowjetunion und kämpfte 1937–1939 in Spanien gegen das Franco-Regime. 1939 kehrte er in die Sowjetunion zurück und meldete sich freiwillig zum Einsatz in Deutschland. Im März 1943 wurde er mit dem Fallschirm über Polen abgesetzt. Im Ruhrgebiet nahm er Kontakt mit kommunistischen Gruppen auf. Mit 44 weiteren Antifaschisten wurde er im August 1943 verhaftet und starb am 18. August 1943 an den Folgen grausamer Folterung. Andere Mitglieder seiner Gruppe wurden vom "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Ein Mahnmal erinnert an ungarische Jüdinnen, die bei der Bombardierung des Hydrierwerks Gelsenberg ums Leben kamen, weil ihnen der Zutritt zu Schutzbunkern untersagt war. Die jüdischen Frauen waren Häftlinge eines Außenlagers des Konzentrationslagers Buchenwald bei der Gelsenberg-Benzin AG in Gelsenkirchen-Horst. Der Gedenkstein trägt neben einer hebräischen die deutsche Inschrift:
Zum Gedenken an unsere durch den Hitlerismus im Lager Gelsenberg am 11. Sept. 1944 umgek. jüd. Schwestern

Auf Gelsenkirchener Friedhöfen sind etwa 3500 Zwangsarbeiter bestattet, 884 russische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden auf dem Friedhof Horst-Süd bestattet. In Horst befanden sich auch die größten Zwangsarbeiterlager Gelsenkirchens, die Lager Brinkstrasse und Bruchstrasse.

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Auch auf dem Ostfriedhof in Gelsenkirchen-Hüllen, auf dem Westfriedhof in Gelsenkirchen-Heßler und auf dem Hauptfriedhof in Gelsenkirchen-Buer sind zahlreiche sowjetische Zwangsarbeiter bestattet. Auf allen Friedhöfen erinnern Namenstafeln auf den Gräberfeldern sowie quaderförmige Gedenksteine mit russischer Inschrift an diese Opfer des Nationalsozialismus, die als Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden waren und hier ums Leben kamen.

Die Schlenkhoffstraße in Buer erinnert an den in der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 1932 von einem Nationalsozialisten erschossenen Sozialdemokraten Johann Schlenkhoff, der mit einer Gruppe von Mitgliedern des republikanischen Kampfverbandes "Reichsbanner-Schwarz-Rot-Gold" Plakate zur Reichstagswahl klebte.

Die Alfred-Zingler-Straße in Gelsenkirchen-Schalke-Nord ist nach dem Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung "Volkswille" Alfred Zingler benannt. Dieser war in der Weimarer Zeit kultur- und kommunalpolitisch tätig, seine Frau Margarethe Zingler in der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Im Mai 1933 emigrierten sie beide in die Niederlande, wurden aktiv im antifaschistischen Widerstand und standen in Verbindung mit vielen Sozialdemokraten in Deutschland und im Exil. Beide wurden im Juli 1943 verhaftet. Der "Volksgerichtshof" verurteilte Alfred Zingler zum Tode, und am 28. August wurde er im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet. Das Alfred-Zingler-Haus, ein Jugendheim des Bauvereins Falken-Jugend e.V. im Margaretenhof, erinnert ebenfalls an den sozialdemokratischen Widerstandskämpfer. Seine Frau Margarethe Zingler erhielt eine Zuchthausstrafe von drei Jahren. Nach ihr wurde im Jahre 1987 der Margarethe-Zingler-Platz in der Innenstadt benannt.

Die Husemannstraße in Gelsenkirchen-Mitte erinnert an den in Bochum (s. dort) tätigen Vorsitzenden der Bergarbeitergewerkschaft Fritz Husemann, der im April 1935 im Konzentrationslager Esterwegen ermordet wurde.

Der Fritz-Rahkob-Platz erinnert an den kommunistischen Widerstandskämpfer Friedrich Rahkob, der von den Nationalsozialisten mehrfach verhaftet wurde und schließlich im Zusammenhang mit der Zielasko-Widerstandsgruppe (s. oben) zum Tode verurteilt und am 24. August 1944 in Nürnberg hingerichtet wurde.

An den Vikar Heinrich König erinnert der Heinrich-König-Platz in der Innenstadt. Der Priester bemühte sich in der Zeit des Nationalsozialismus, die Gelsenkirchener Kolpingfamilie zusammenzuhalten, wurde nach einer Denunziation verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht, wo er am 24. Juni 1942 umkam.

In Gelsenkirchen hat der Bombenkrieg 3038 Tote bei 184 Angriffen gefordert. Bei dem Angriff vom 6. November 1944 kamen allein 518 Menschen ums Leben.
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Friedhof Horst-Süd: Gräber der Bombenopfer aus Horst.

Ende der 70er Jahre gab es in Gelsenkirchen ein wachsendes lokales Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus. In Volkshochschulkursen suchte man nach Zeitzeugen und sammelte Dokumente. Hieraus ging 1980 die Ausstellung "Gelsenkirchen 1933 – 1945" hervor sowie die inzwischen erweiterte Dokumentation "Beispiele des Widerstandes in Gelsenkirchen 1933 – 1945". Seit 1980 werden in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule alternative Stadtrundfahrten zu Stätten des Widerstands und der Verfolgung durchgeführt.

Im Jahre 1989 beschloß der Rat der Stadt Gelsenkirchen, zur Aufarbeitung der Stadtgeschichte ein Institut einzurichten, das Stadtgeschichte am Beispiel Gelsenkirchens erforschen, aufbereiten und präsentieren sowie örtliche Geschichtsvereine beraten und entsprechende Vorhaben anderer städtischer Einrichtungen koordinieren soll. Es gibt eine eigene Schriftenreihe heraus. Dem Institut ist die "Dokumentationsstätte Gelsenkirchen im Nationalsozialismus" angegliedert mit Sitz im Gebäude Cranger Straße 323 im Stadtteil Erle, in dem jüngst eine nach dem Krieg übermalte NS-Wandinschrift entdeckt wurde. Die Inschrift gibt das NSDAP-Programm von 1920 wieder und wurde 1938 angebracht. Das Haus war von der NSDAP-Ortsgruppenleitung Erle und der örtlichen SA genutzt worden. Da es sich um einen der wenigen authentischen Überreste der nationalsozialistischen Herrschaft in Gelsenkirchen handelt, wurde beschlossen, hier die Dokumentationsstätte als Dauerausstellung über das Leben der Gelsenkirchener während der NS-Zeit einzurichten.

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