Alles hat seine Zeit oder: auf dem Friedhof lachen?

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

Moderatoren: Verwaltung, Redaktion-GG

Benutzeravatar
Fuchs
Ehemaliges Mitglied der Verwaltung
Beiträge: 27559
Registriert: 21.12.2006, 12:30
Wohnort: In der Stadt mit den Geschichten

Beitrag von Fuchs »

Alles künstlich...

Besonders verwunderlich, da es doch gerade die Künstler sind, die uns alle gerne etwas stolpern lassen.


Kennt ihr das denn nicht, dieses kreative Stolpern?!?
Nein?
Im Ernst??!!??
Nachsitzen, 6 !

Der Mensch hat nun einmal diese Fähigkeit ( Segen oder Fluch ) , sich erinnern zu können. Mensch, nutze sie !!!

Bist doch sonst nicht so unkognitiv...

Benutzeravatar
Dietmar
Beiträge: 138
Registriert: 13.01.2007, 10:17

Holocaust-Überlebende.

Beitrag von Dietmar »

Wenn „etwas nervt oder „nerven“ sollte, wenn eine Meinung nicht (mehr) gefragt ist, weil sie sich vehement gegen einen möglichen eingefahrenen Zeitgeist wendet, dann ist es für jeden Zeit, zu gehen. Wie man es auch wendet: Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein. Das ist nun mal Philosophie und Politik. Selbst die Astrophysik lebt (nur) von der Filterung der Vergangenheit. Ohne sie würde es keine Kenntnisse über die Gegenwart geben.

Jammern hilft nicht weiter. Verbrämte und zerknirschte Andeutungen auch nicht. Der Holocaust lässt sich nur mit dem Blick in die Vergangenheit rekonstruieren, aber kaum bewältigen. Es ist besser in diese dunkle Vergangenheit erneut zurückzugehen, als Debatten über „schales Biere“ zu führen. Wir leben mit Illusionen, wenn wir stets nur verdrängen. Oder sollte „Geschichte von unten“ in einem gleichgeschalteten Einklang enden?

An der Vergangenheit zu rütteln, sie mit in die Gegenwart nehmen um daraus für die Zukunft zu lernen, die anscheinend mehr und mehr schwindet, das ist die Chance, die wir vom Leben erhalten. Vielleicht die letzte? Was sind in diesem Zusammenhang „linke Attitüden“? Diese Sprachgewalt, wenn sie eine wäre, ist kein Bonus für die Richtigkeit von Ideen. Sie schälen sich (zum Glück), wenn überhaupt, erst im Laufe der Zeit heraus.

Sprachgewaltigkeit kann zur Sprachlosigkeit führen, die im Internet zur Plage werden kann, wo jeder in Kenntnissen machen kann, die er hat oder auch nicht, ohne sich Rechenschaft über die Bedeutungsschwere seiner Sätze abzulegen. Sollten wir hier etwa beginnen intolerant zu werden?

Ich halte es da mit Franz Kafka: „Es gibt viel Hoffnung, aber nicht für uns!“

Dietmar Kesten

Benutzeravatar
Dietmar
Beiträge: 138
Registriert: 13.01.2007, 10:17

Holocaust-Überlebende.

Beitrag von Dietmar »

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland!

"Viermal steht dieser Satz in dem Gedicht 'Todesfuge' von Paul Celan... Denn er bezeichnet genau das, war wir ausdrücken wollen. Es gab viele Gesellen, die mitmachten, und ihnen wollten wir nachspüren. Der Meister aber, der Führer der Morde, kam aus Deutschland." (Lea Rosh/Eberhard Jäckel: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Deportation und Ermordung der Juden, Kollaboration und Verweigerung in Europa")

Alle Grundelemente des Denkens, das zu Auschwitz geführt hat, entstammen dem breiten Strom der Modernisierungsgeschichte und ihrer Ideologisierung. Auschwitz steht in der Kontinuität der spezifischen deutschen Nationalgeschichte. So "sehr diese Tat zur westlichen Moderne gehört", schreibt der Publizist Robert Kurz, ebenso ist es wahr, "dass sie nur von deutschen Tätern und getragen von der deutschen Gesellschaft vollbracht wurde". (Robert Kurz: Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft)

Der Tod ist und bleibt ein "Meister aus Deutschland".

Dietmar Kesten

Benutzeravatar
rabe489
† 22.11.2011
Beiträge: 6706
Registriert: 21.01.2007, 10:42
Kontaktdaten:

Beitrag von rabe489 »

Selbst Schulen kennen folgende Anweisung:
Paul Celan, Todesfuge
Mit seiner "Todesfuge" (1945) schuf Paul Celan ein lyrisches Meisterwerk, das eindrucksvoll
das zerissene Lebensgefühl von KZ-Häftlingen verdeutlicht. Doch Celans Kunstform für die
Schilderung des Holocaust wurde heftig kritisiert. Die Lernenden setzen sich mit der Form
des Gedichtes und seiner Wirkung im Kontext der Lyrik des Holocaust auseinander.
Das Gedicht bewegt nicht nur durch den besonderen Aufbau (Motive, Bildkomplexe, Metaphern
und sprachliche Mittel), sondern gibt Einblick in die historischen Hintergründe und das
<b>Lebensgefühl von KZ-Häftlingen zur Zeit des Dritten Reiches</b> in Deutschland.
Die "Todesfuge", nämlich die bildhafte Gestaltung des Lebensgefühls von KZ-Häftlingen zur Zeit des Dritten Reiches als maßgebend für 2007 (Der Tod <b>ist</b> ein Meister aus Deutschland) zu behaupten, bei dieser Art von Desorientierung muß ich passen.

Bild

Jürgen Kramer: Der lachende Grabstein, ca 1990

Benutzeravatar
Dietmar
Beiträge: 138
Registriert: 13.01.2007, 10:17

Holocaust-Überlebende.

Beitrag von Dietmar »

Schulen kennen nachfolgende Sätze nicht:

Der Holocaust hatte seinen Ursprung in Deutschland. Er ist darum in erster Linie ein deutsches Phämomen. Das steht historisch fest. Wer den Holocaust verständlich machen will, muss ihn aus der Mitte der Gesellschaft erklären können, aus der deutschen Geschichte heraus begreifen.

Ob Celan oder nicht: Desillusionierung und Desorientierung besteht dann, wenn man nicht begreifen will, dass sich der Wille, die Juden zu töten, sowohl bei Hitler als auch bei denen, die seine mörderischen Pläne in die Tat umsetzten, vorrangig aus einer einzigen Quelle speisten: "Aus einem bösartigen Antisemitismus", wie Daniel Goldhagen ("Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust") schreibt.

Mit "schulischen Gedanken" in dieser Form kann und werde ich micht nicht anfreunden. So wenig ich mich an dem Oscar für "Das Leben der Anderen" erfreuen kann, oder mit dem Literaturnobelpreis für Grass, so wenig werde ich Sichtweisen teilen, die mir fremd sind.

Jeder Tod ist ein Meister auf seine Art.

Dietmar Kesten

Benutzeravatar
rabe489
† 22.11.2011
Beiträge: 6706
Registriert: 21.01.2007, 10:42
Kontaktdaten:

Kein Kommentar

Beitrag von rabe489 »


Benutzeravatar
Dietmar
Beiträge: 138
Registriert: 13.01.2007, 10:17

Vaterlandslose Gesellen/Mit Kommentar.

Beitrag von Dietmar »

Fehlt noch der "Vaterlandslose Geselle", dem "man" sich nicht anschließt.

Der "Vaterlandslose Geselle" ist keinem Vaterland geboren.

"Es ist besser, den Tod für das Leben zu halten, als das Leben für den Tod." (Wassily Kandinsky)

Dietmar Kesten

Benutzeravatar
rabe489
† 22.11.2011
Beiträge: 6706
Registriert: 21.01.2007, 10:42
Kontaktdaten:

Beitrag von rabe489 »

Lieber Dietmar, bitte nicht so schwarz sehen.
Ich verstehe die Todessehnsucht. Hier:
Bild
Betitelt "Ewiges Leben" 1990 ca.

Benutzeravatar
Dietmar
Beiträge: 138
Registriert: 13.01.2007, 10:17

Alles hat seine Zeit...

Beitrag von Dietmar »

Ich schätze Jürgen Kramer sehr, obwohl ich in vielen Dingen mit ihm nicht konform gehe. Doch das ist hier kein Ort für Rechthaberei und Besserwisserei, sondern für tiefe Gedanken, die jedem unbenommen sind.

1997 schrieb ich in dem Essay „Die Dämmerung hat längst begonnen, der Mensch ratlos vor der großen Mauer des Vergessens: „Die geschriebenen Wörter gleichen einem Durchfall, die widerstandslos durch uns hindurchfließen. Die Erinnerung an Ereignisse, die uns umgeben, wird lückenhaft und selektiv, wenn wir es nicht verstehen, aus der Vergangenheit zu lernen. Schon wieder Hochmut, schon wieder Arroganz, schlagende Wetter, das sich unter die Haut zwängt!

Je trister die Gegenwart, desto mehr wendet man ihr den Rücken zu. Es ist die verloren gegangene Größe, etwas, was ein Volk immer mit sich herumträgt. Sie ist von einer Präsenz, die eine Zeitepoche zu einem einzigen Augenblick schrumpfen lässt. Es ist wie mit den Toten, die uns verfolgen. Fast schon vergessene Ereignisse müssen präsent bleiben, wenn wir nicht unter der Hand schallendes Gelächter ernten wollen.

Wir sehen die alten und die neuen Toten, die alten Konzentrationslager und die neuen. Wir hören uns Diskussionen über den „Historikerstreit“ an, ideologische Diskussionen über die Einmaligkeit des Genozid, reflektieren über die Unterschiede von Hiroshima, Uganda und Auschwitz. Doch einmalig ist jeder Mensch, und die Toten liegen unter derselben Erde. Die qualvoll im Gas erstickten, und die, die für die „Freiheit“ des Westens vom Atomblitz erschlagen wurden.

Sie teilen sich nicht in glückliche und unglückliche Tote, rechnen sich nicht auf, und ziehen sich nicht voneinander ab. Und verglichen sich nicht. Sie sind von einer Präsenz, die es fast unmöglich macht, zu atmen. Wir sahen die Toten und löffelten weiter. Wir sind so übersättigt. Es bleibt das schlechte Gewissen, das uns an die Menschen bindet, das unausräumbare Gefühl, an alledem auf rätselhafte Weise Schuld zu sein. Und gleichwohl mit Appetit zu essen.

Die toten Juden verdampfen quasi in der Suppe der Schizophrenie des Denkens. Die Selektion schlägt sich unter den Opfern Bahn. Wir leben mit Illusionen. Wenn wir jung sind, gleicht die Zukunft einem Füllhorn, das lauter herrliche Geschenke über uns ausschüttet. Und sind wir alt, dann liegt milder Sonnenschein auf unserer Kindheit. Unser Bedürfnis nach Glück ist größer, ist alles, was die Welt uns zu liefern vermag. Und von dieser Differenz leben die Religionen und die sozialen Utopien.

Wir sind süchtig. Doch das Leben bietet wenig Stoff. Wir werden im Alter verbittert, misanthropisch und reaktionär. Da in Wirklichkeit ein Leben aus so wenigen paradiesischen Augenblicken und so vielen höllischen Jahren besteht, ist es besser in der Illusion oder in der Vergangenheit zu verharren, in der fernen Zukunft, oder in einem anderen Leben. Es ist die Rückwendung des Blicks die Sanduhr hinab. Es ist die Schlüsselstellung des Denkens, die dazu führt, dass wir unserer Zukunft den Rücken kehren. Und verteufeln, was kommen mag. Jede Philosophie des Menschen ist Hausphilosophie. Und kommt mit ihren müden Hausschuhen daher geschlurft.

Wir verschwinden aus der Erinnerung. Es gibt zwischen der Berühmtheit eines Menschen und seiner Glorifizierung nach dem Tod ein Niemandsland des Vergessens. Im Tod wird man keine Freunde haben, die wenigen, die man im Leben hat, verliert man schnell durch Intoleranz, Dummheit und Arroganz. Sie werden vergessen und bleiben vergessen. In dieser postmodernen Blödwelt dringt nichts mehr ins Bewusstsein. Was ist wirklich, was ist Wahrheit, was sind unsere Wege, wohin führen sie uns?

Nichts Menschliches ist mir fremd.

Dietmar Kesten

Wolf
Beiträge: 1944
Registriert: 24.02.2008, 20:05

Hauptfriedhof Buer Garten der Erinnerung

Beitrag von Wolf »

Sehenswert, denkenswert...........BildBild

siehe auch:
http://www.derwesten.de/nachrichten/sta ... 549313/det ail.html

Antworten