MiR: Mefistofele (Spielz. 10/11)

Immer mal wieder für ein Spektakel gut - deshalb hier der Film über die 5.ten Gelsenkirchener Spektakelfeiern.
Andere Themen rund ums MIR haben hier auch Platz

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Paul Herbstwald
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Beitrag von Paul Herbstwald »

war doppelt
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gutenberg
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Lehrersweisheit

Beitrag von gutenberg »

Mein - damals noch junger, solche Sätze fangen meist mit "mein alter Klassenlehrer..." an - Herr Reddig, selbst im Neben(oder doch Haupt)beruf Künstler, und zwar erste Sahne, definierte so: "Kunst ist das, was der Künstler macht und Künstler ist der, der keine Kritik verträgt."
Ich habe diesen Satz mehrfach bestätigt bekommen im Leben. Und jetzt komme mir keiner mit diesem: "...Malerei ist wohl nur das, was du erkennst, wie?" und "... es muss dir ja nicht gefallen, das ist Kunst und kein Wahlkampf!" usw., aus dieser Kiste eben. Nicht jeder, der nicht von einer künstlerischen Tätigkeit lebt, ist bescheuert.
Ich meine, ein Künstler, der nur für sich selber oder andere Künstler "Werke schafft" hat seine Berufung verfehlt. 1965 gingen mein Oberstift, Hans-Peter P. aus Horst und ich in Jeans und Fransenlederjacken per Abendkasse(!) ins Musiktheater. Empfohlen hatte uns den Besuch der in Buer unvergessene Herr Riebe. Ich weiß nicht mehr welche, ob WAZ oder NRZ oder was, jedenfalls waren wir fast kommentarlos als Vorboten des gesellschaftlichen Verfalls gesarazint worden. Ich meine mich jedoch zu erinnern, dass es "Peer Gynt" von Grieg gab. Jedenfalls gab es einen Romantiker. Niemals, so lange ich noch atmen werde, werde ich vergessen, der ich nie eine Ausbildung in klassischer Musik hatte, wie mich diese Musik mitnahm auf einen Schwanenflug über die Wälder und Auen einer lange versunkenen Zeit. Ohne erkältet zu sein, war ich klatschnass geschwitzt und durchgefroren.
Der 15jährige bekam etwas mit von der Majestät und der Erhabenheit des Abbildes einer Welt, die nicht die reale, gleichwohl auch die wirkliche war. Ich war mit "Kunst" in Berührung gekommen.
Zehn Jahre später führte ein hageres Männlein mit albernem Lachen und einer Anglerweste einen Prozess um viel Geld gegen eine Putzfrau, weil sie eine verschmierte Kinderbadewanne für eine verschmierte Kinderbadewanne hielt. Und so gar nichts von der Mystik als des Künstlers erste Unterkunft von des Menschen Hand verspürte.
Mein Lehrer wusste, dass wir von selber dahinterkommen würden, als er uns nicht verriet, dass Kunst auch ein wenig mit Verarscherei zu tun hat.
Nun gut, dann bin ich eben ein Banause!

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rabe489
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Beitrag von rabe489 »

Hi, Tanja, die Musik ist das Eine, die Inszenierung in Gelsenkirchen das Andere.


Mefistofele, 3. Akt:
Margherita hat im Wahn ihre Mutter vergiftet und ihr Kind ertränkt. Sie ist gefesselt im Kerker und erwartet ihr Urteil. Als sie Faust erblickt und der sie anhalten will zu fliehen, ist sie entzückt. Als Mefistofele jedoch auftritt, ändert sich ihre Laune, sie weist Faust voller Grauen zurück. Margherita wendet sich an Gott mit der Bitte um Erlösung, die himmlischen Heerscharen erklären sie für erlöst.
Hier die Arie der Margherita: "L'altra Notte in fondo al mare", gesungen von Mirella Freni (!):

L'altra notte in fondo al mare - Letze Nacht auf den Grund des Meeres
Il mio bimbo hanno gittato, - Haben sie mein Kind geworfen
Or per farmi delirare dicon ch'io - Oder um mich fantasieren zu machen sage sie,
L'abbia affogato.- ich hätte es erstickt.
L'aura è fredda, - Die Luft ist kalt
Il carcer fosco, - der Kerker dunkel
E la mesta anima mia - und meine traurige Seele
Come il passero del bosco - wie der Sperling im Wald
Vola, vola, vola via. - fliegt, fliegt, fliegt weg.
Ah! Pietà di me! - Ah! Habt Mitleid mit mir!
In letargico sopore - In lethargischen Schlummer
E' mia madre addormentata, - ist meine Mutter eingeschlafen
E per colmo dell'orrore dicon ch'io - Und als Gipfel des Schreckens sagen sie,
L'abbia attoscata.- ich hätte sie vergiftet
L'aura è fredda, - Die Luft ist kalt,
Il carcer fosco... - der Kerker dunkel...


transform
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Beitrag von transform »

Hier ist eine positive Kritik von H.A. Heindrichs zu lesen:

http://www.ruhrnachrichten.de/nachricht ... 41,1045166

axel O
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Beitrag von axel O »

Hi, Tanja, die Musik ist das Eine, die Inszenierung in Gelsenkirchen das Andere.
Lieber Rabe, Du weißt hoffentlich, dass ich Dich als Menschen, Künstler und auch Kritiker sehr schätze. Und Frau Freni singt die Arie der Margherita recht hinreissend in dieser (konzertanten) Aufführung.
Jedoch..... wir beginnen hier teilweise im Vorfeld auf Grund einer Kriitk von Mario Stork (den ich ebenfalls schätze) eine Inszenierung zu beurteilen, die wir alle (die Probe, die ich gesehen habe, ausgenommen) noch nicht gesehen haben - bis auf Tanja.

Ich habe in GE keine wirklich schlechte Inszenierung gesehen. Daher werde ich mir in ein paar Wochen mein abschliessendes Urteil bilden. :D

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rabe489
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Beitrag von rabe489 »

Lieber Axel, in einigem hast Du sicher recht.

Ich mag einfach den modernen Kulturbetrieb nicht, der mit Nacktheit und Rülpsen und .... meint, unser Lebensgefühl zeitgemäß darstellen zu müssen.

Meine Kritik also richtet sich garnicht primär gegen Mario Stork.

Gibt es eigentlcih noch Aufführungen die abseits vom TV RTL-Niveau sowas wie Sensibilität für das Menschliche Maß zeigen, die nicht die Kaputtheiten des Zeitgeistes verdoppeln und die noch von leisen humanen Tönen wissen?

Rabe

axel O
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Beitrag von axel O »

Ich mag einfach den modernen Kulturbetrieb nicht, der mit Nacktheit und Rülpsen und .... meint, unser Lebensgefühl zeitgemäß darstellen zu müssen.
Da bin ich sicherlich bei Dir.... im großen und ganzen.
Ich erinnere mich an die Empörung über die nakten Brüste in der Commentatore-Szene in Sellars Don Giovanni. Das waren ein aar Mnuten. Die ganze Oper war aber eine herausragende Inszenierung.
Den Grat zw. künstlerischem Ausdruck und schlechten Geschmack zu beschreiten, ist da mit Sicherheit teilweise ein Hochseilakt.
Meine Kritik also richtet sich garnicht primär gegen Mario Stork.
Das habe ich auch garnicht so verstanden :D
Gibt es eigentlcih noch Aufführungen die abseits vom TV RTL-Niveau sowas wie Sensibilität für das Menschliche Maß zeigen, die nicht die Kaputtheiten des Zeitgeistes verdoppeln und die noch von leisen humanen Tönen wissen?
Die Hoffnung stirbt zuletzt :D Doch sollte sich der werteverachtende und plattitüdengeschwängerte Duktus des Privat-TV hoffentlich von unseren Bühnen fernhalten.
Das ist kein Zeitgeist, sondern unterirdisches Niveau, das einem "Volk der Dichter und Denker" sicherlich nicht würdig ist. Aber sicherlich werden wir es nicht verhindern können, das er sich hier und da mal einschleicht.

Ich überlege gerade.....doch, ich habe schon eine wirklich schlechte Inszenierung in GE gesehen - komme aber nicht mehr darauf (habe das wohl verdrängt )

Josel
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Beitrag von Josel »

axel O hat geschrieben:Jedoch..... wir beginnen hier teilweise im Vorfeld auf Grund einer Kriitk von Mario Stork (den ich ebenfalls schätze) eine Inszenierung zu beurteilen, die wir alle (die Probe, die ich gesehen habe, ausgenommen) noch nicht gesehen haben - bis auf Tanja.
Das halte ich derzeit auch für das Problem dieses Threads ;-)

Übrigens: Zumindest das, was man hier sieht, würde man m.E. auf RTL & Co. vergeblich suchen. (Aber vielleicht schaue ich auch zuwenig fern. :-))

http://www.mypott.de/video/Mefistofele- ... c750456f98 c1c44693e54f8b5d3c78

J.

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Lupo Curtius
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Beitrag von Lupo Curtius »

Link geändert, damit er funktioniert :wink:
8)

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Wir suchen noch Helfer - warum machst Du nicht mit?

Josel
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Beitrag von Josel »

Nachdem Teile der Presse bereits geurteilt hatten, die aktuelle MiR-Inszenierung des Mefistofele schwanke zwischen „Provokations-Klischee, Einfallslosigkeit und mangelndem Niveau“ (vgl. den zu Beginn dieses Threads verlinkten Artikel), habe ich mir lange überlegt, was wohl die Nachbarn sagen würden, wenn sie mich auf dem Weg zum MiR ertappen sollten. Ob ich vielleicht ausnahmsweise zu der Notlüge greifen könnte, ich sei unterwegs in die Arena, um dort Stefan Raab, Conny Reimann und Konsorten bei der Schrottautoproduktion zu erleben? Oder würde mein Aufzug diese Ausflucht gleich verraten? Glücklicherweise blieben das letztlich nur theoretische Gedanken. Denn es gelang mir, weitgehend ungesehen ins Foyer des MiR zu huschen. Und die dort Herumstehenden hatten ja als gewissermaßen Mitbetroffene wenig Grund, ob meiner zweifelhaften Freizeitbeschäftigung mit dem Finger auf mich zu zeigen.

Doch die Erleichterung währte nur kurz. Gefangen von der seit Kindertagen bekannten, doch immer wieder aufs Neue überwältigenden architektonischen Kraft des Gebäudes bemerkte ich gleich die Zettel, die man an allen passenden und unpassenden Stellen im Theater aufgeklebt hatte (Was wohl Ruhnau in seiner Detailliebe dazu sagen würde?). Sie enthielten eine ebenso schlichte wie deutliche Warnung: Mit Stroboskop-Licht sei zu rechnen!

Ach Du großer Gott, schoss es mir durch den Kopf, und das sagen die einem erst, nachdem man sich die Karte schon gekauft hat? Dabei fragte ich mich allerdings gleich, warum man auf dieses Licht wohl so eindringlich hinweisen muss. Stroboskope waren ja immerhin so eine Art ständiger Begleiter meiner Jugend gewesen, und zwar von der wilden Ampütte-Zeit an. Und nie hatte uns damals jemand gewarnt. Bleibende Schäden hatte jedenfalls ich selbst bislang auch nicht festgestellt. Und da es ein gesellschaftsfähiges Entrinnen aus dieser Gefahrensituation inzwischen sowieso nicht mehr gab und die anderen Besucher die vielfache Zettelwarnung ziemlich gelassen in den Wind zu schlagen schienen, installierte schließlich auch ich mich todesmutig trotzdem im Parkett.

Das Bühnenbild des Gelsenkirchener Mefistofele kommt schlicht und unfertig daher, und zwar offenbar ganz gewollt, denn kurz vor Beginn der Aufführung, wenn auch der letzte Besucher seinen Platz gefunden hat, wird von zwei Bühnenarbeitern noch eine venezianische Gondel aus der Szenerie gerollt. Die Bühne wirkt - gemessen an dem Raum, den das MiR bietet - eng, aber auch das scheint gewollt, wie sich ganz am Ende der Inszenierung zeigt, sich die Szenerie bei der Errettung des Faust effektvoll weitet.

Da ich als schlichter Ückendorfer nicht das Glück habe, täglich den Live-Aufführungen eines großen Orchesters beizuwohnen, zucke ich bei meinem MiR-Besuchen regelmäßig zusammen, wenn die Neue Philharmonie einsetzt. Es spielt häufig anfangs für mich eine gar nicht so große Rolle, was da gespielt wird, mich fasziniert meistens schon, wie das Orchester klingt. Bei Mefistofele vertieft sich dieser Effekt aber noch deutlich: Denn Boitos Musik ist - in meinen zugegebenermaßen vielleicht etwas schlichten Ohren - nicht nur „schön“, sondern wird in Gelsenkirchen gewissermaßen von mehreren Seiten aufgeführt. Die Blechbläser sitzen nicht mit ihren Musikerkollegen vorn im Graben, sondern hinten im zweiten Oberrang. Und dieses MiR-Surround-System 5.1 mit seinen Posaunen und Hörnern, die den Besucher gewissermaßen musikalisch hinterrücks überfallen, fesseln von Beginn an so sehr, dass man für Sekunden sogar die Warnung vor den Stroboskopen völlig vergisst.

Ich will hier nicht langweilen mit der Beschreibung aller meiner Eindrücke, die ich während der nächsten zweieinhalb Stunden hatte. Deshalb nur in Kurzform das, was mir persönlich besonders auffiel:

Ob die Inszenierung wirklich so sehr provozieren will, wie die Teile der Presse meinen, habe ich mich die ganze Zeit über gefragt. Das erste Mal stellt sich die Frage mit besonderer Deutlichkeit beim Osterspaziergang. Goethe lässt den Faust hier „vor den Toren“ Frankfurts durch die Wiesen flanieren, wo er der festtäglich geschmückten Bevölkerung begegnet, die ihn zum Teil wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen hofiert. Unternimmt man indessen in unseren Tagen einen Osterspaziergang – sagen wir mal durch den von Wedelstaedt-Park oder auch durch den Park von Schloss Berge – so träfe man dort gewiss kaum jemanden in festtäglicher Kleidung oder besonderer Festtagsstimmung an. Was man anträfe, wären vielmehr Heerscharen von Joggern und Walkern, häufig in drolliger Sportkleidung und mit albernen Stöcken umherwatend. Und genau diesen Gesellen begegnet auch unser Faust (Ray M. Wade jr.) während seines Spaziergangs in der Gelsenkirchener Inszenierung auf der Bühne. Was auf einem aus dem Zusammenhang gerissenen Szenenfoto also möglicherweise wie eine ultramodern-abwegige Inszenierung wirken mag, gerät im szenischen Zusammenhang zu einem ziemlichen Treffer, wie zumindest ich finde (Es fehlen eigentlich nur noch die Hundehalter...)

Zu konzedieren ist: Es schadet nicht, Goethes Faust in groben Zügen zu kennen, um Mefistofele seinen besonderen Reiz abzugewinnen. Das liegt aber nicht an der Gelsenkirchener Inszenierung, sondern daran, dass Boito sein Werk gnadenlos zusammengestrichen hat, nachdem die Mailänder Uraufführung des Originals wegen ihrer außerordentlichen Länge heftig kritisiert worden war. So erfährt man beispielsweise in Ermangelung der Szene in der Hexenküche nicht, warum Faust plötzlich wieder jung ist (die grauen Haare Ray M. Wades verschwinden). Und auch Margherita und Martha (bei Goethe: Gretchen und Marthe) werden nicht in das Stück eingeführt, sondern tauchen relativ plötzlich gleich in der Gartenszene auf.

Diese Szene im Garten hat dann aber durchaus ihren Reiz. Margherita (Petra Schmidt) stellt Faust natürlich auch hier die berühmte Gretchenfrage. Doch das in ihrer kindlicher Naivität erhoffte Glaubensbekenntnis kann der gelehrte und weise Faust nicht über die Lippen bringen, so dass für einen Moment das zwischen dem ungleichen Paar stehende Göttliche tatsächlich noch den Plan des Mefistofele zum Scheitern zu bringen droht. Der Gelsenkirchener Inszenierung gelingt es, dies sogar zu visualisieren: Als kleinwüchsiger Gott sitzt Rüdiger Frank während dieses berühmten Dialogs die ganze Zeit zwischen Faust und Margherita.

Doch die Dinge nehmen deswegen keinen anderen Lauf als üblich. Mefistofeles (gesanglich, aber auch mimisch stark: Dong-Won Seo) und Faust besuchen in der Walpurgisnacht den Brocken im Harz und schauen dem Treiben der Hexen zu. Dargestellt wird das ganze mittels einer Anhebung der Bühne, die den Blick auf eine noch engere Unterbühne preis gibt. Und nicht ganz unerwartet kommen in der dortigen Unterwelt die von Teilen der Presse inkriminierten Hängebrüste zum Einsatz. Dabei handelt es sich übrigens wohlgemerkt um Requisiten, die ganz offenbar manche Schauspielerinnen eindeutig zu Hexen stempeln sollen, ohne dabei auf den im Kinderfernsehen üblichen Spitzhut zu setzen. So richtig provozierend empfinde ich sie - ehrlich gesagt - nicht, zumal es dort unten für mein Empfinden Schlimmeres zu sehen gibt. Während des Treibens in der Unterwelt erleidet Margherita auf der oberen Bühne ihre Seelenqualen (wobei für den jüngeren Leser vielleicht hinzuzufügen ist, dass die Trias „jung, unverheiratet und schwanger“ zu Fausts Zeiten noch kein fester Bestandteil von Mittags-Talk-Shows, sondern ein ziemliches No-Go war). Margherita entschließt sich schließlich auch in dieser italienischen Fassung des Stoffes, ihr Kind umzubringen. Die Gelsenkirchener Darstellung dieser Tat fährt dem Besucher in Mark und Bein - wenn ich da mal von mir auf andere schließen darf -, denn Margherita schleudert das Kind durch eine Luke in das ekelhafte Treiben der Unterwelt. Und das ist ein Bild, das selbst ich als Ückendorfer während der folgenden Pause erstmal verdauen muss (Wieso gibt's eigentlich diesbezüglich keine Zettelwarnungen?)

Im dritten Akt schlägt gesanglich die große Stunde der Margherita und damit der sie verkörpernden Petra Schmidt. Im Kerker wartet die wegen Kindstötung Verurteilte auf ihre Hinrichtung; das Angebot ihrer Errettung durch Faust schlägt sie aus, weil sie erkennt, dass er sich dabei der Hilfe des Mefistofele bedienen muss: Heinrich! Mir graut’s vor Dir! So heißt es auch hier. Gänsehaut angesichts dessen, was man sieht, aber vor allem hört.

Weiter gehts dann mit Faust II. Mefistofeles und Faust besuchen die klassische Walpurgnisnacht im alten Griechenland. Dass die beiden dort zunächst nur Betrachter sind, bringt die Gelsenkirchener Inszenierung mit einem einfachen Mittel deutlich auf den Punkt: Mefistofeles und Faust verfolgen das Treiben der griechischen Götter aus dem Publikum, und zwar von einem Balkon des ersten Ranges aus. Und wir Gelsenkirchener gucken alle mit.

Gesanglich erreicht das Stück im Epilog schließlich mit dem Finale furioso seinen Gipfel: Der gesamte Opernchor (man könnte übrigens ob des Aufzugs seiner Mitglieder meinen, man träfe ihn auf dem Betriebsausflug zur Sensation White an) feiert die Erlösung des Faust von seinem diabolischen Begleiter und seine göttliche Errettung. Und hier hat das oben bereits erwähnte MiR-Surround-System seinen absoluten Höhepunkt: Es ist eine mitreißende, bewegende Leistung von Orchester und Chor.

Fazit: Es war ein wunderschöner, außerordentlich unterhaltsamer Abend. Oder wie man auf ebay-isch sagen würde: Netter Kontakt, jederzeit gerne wieder.

Achja, was mir zu meinem Glück an diesem Abend noch fehlte, war ein guter Restauranttip für diese Uhrzeit. Ich musste an Detlef Aghte denken, der hier in den GG mal schrieb, dass man früher nach dem MiR das HSH-Restaurant stürmte und er spätabends regelmäßig in der Küche in Stress geriet. Tja, die Ratsstuben, das Wessel Eck und auch das HSH gibt’s ja bekanntermaßen leider nicht mehr. Und bei den anderen Gelsenkirchener Restaurants war ich mir hinsichtlich ihrer Küchenzeiten auch nicht so sicher, dass ich noch Lust hatte, es zu versuchen.

Das werde ich beim nächsten Mal besser planen.

axel O
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Beitrag von axel O »

Mein lieber Josel: gar köstlich, informativ und unterhaltsam, deine Rezension. :applaus:

Troy
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Beitrag von Troy »

@ Josel: Danke. Du schreibst so schön anschaulich.

Zum Stroboskop:
Der Hinweis ist sicher für die Menschen gedacht, die unter Epilepsie leiden.
Stroboskope gehören zu den Anfallsauslösern.
Eine reine Sicherheitsmaßnahme.

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zuzu
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Beitrag von zuzu »

Nachdem ich das gelesen habe, glaube ich, dass ich doch reingehen werde. Danke! Die Erfahrung mit dem Essen habe ich auch schon gemacht und bin mit leerem Magen ins Bett gegangen. Die Musik hatte mich ja auch satt gemacht... :lol:
Zuzu

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rabe489
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Beitrag von rabe489 »

Danke Josel, hört sich alles sehr kurzweilig an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein,
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

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Tanja
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Beitrag von Tanja »

rabe489 hat geschrieben:Danke Josel, hört sich alles sehr kurzweilig an.
Okay (ich wollte fast Blödmann sagen),

"kurzweilig" hört sich fast so falsch euphemistisch an wie "nett".

T.
"Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe - aber als Mensch unersetzlich!" (Johannes Rau)

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