Erinnerungen an Heiko Richter
Es gibt viele Gelsenkirchener Geschichten, die ohne Heiko so nicht stattgefunden hätten.
Am Freitag wurde die Ausstellung zur Erinnerung an ihn in der Werkstatt eröffnet. Es waren so viele Menschen gekommen, dass sie zum Teil draußen auf dem Bürgersteig standen. Manche auch, weil sie so rücksichtsvoll waren und draußen rauchten. Ich habe viele Menschen wieder gesehen, die jahrelang aus meinem Blickfeld verschwunden waren. Natürlich auch deshalb, weil wir uns einig darin waren, dass keiner mehr so richtig weiß, in welcher Kneipe in Buer man/frau sich eigentlich noch treffen soll.
Jan-Hermann Huda hielt als Freund von Heiko eine sehr persönlich gehaltene Rede, mit der sich der Großteil der Anwesenden identifizieren konnte. Unser ehemaliger Kulturdezernent Rose bat um eine schriftliche Form. Ich hoffe, ich kann sie in Auszügen wiedergeben.
Es muß um 1978 gewesen sein. Vor den Sommerferien hatten Heiko und Paul Sawitzki Freunde und Bekannte dazu aufgerufen, während ihres Urlaubs Erinnerungen aller Art zu sammeln, damit sie im Herbst in der Mantelfabrik ausgestellt werden könnten. Heiko hatte den Ansatz, ähnlich wie sein Vorbild Joseph Beuys, zu propagieren, dass „jeder Mensch ein Künstler“ sei. Nach den Ferien kamen Gemaltes, Fotografiertes und Gesammeltes zusammen und Heiko und seine Kollegen stellten alles in der Mantelfabrik aus.
Am Vormittag der Eröffnung meinte Heiko, es fehle noch der passende Bodenbelag und er fuhr kurzerhand in den Wald, klaubte ein paar Müllsäcke voll Laub und kippte dieses auf den Fußboden. Perfekt! Die Kunstparty konnte beginnen. Wie es der Zufall wollte, hatte sich der Vemieter des Wohn- und Kunstobjektes an diesem Tag aus Bonn nach Buer begeben, um einmal zu schauen, was man aus seinem vermieteten Raum gemacht hatte. Ungläubig starrte er auf das Laub am Boden. Heiko erklärte ihm, dass dieses die bequemste und preiswerteste Fußbodenlösung gewesen sei, er habe lediglich 40 Pfennige pro Quadratmeter bezahlen müssen. Auf dem Weg über den Hof fragte er mich, ob ich die Mieter kenne und ob die vielleicht Drogen nehmen würden. Ich konnte mir das Lachen kaum verkneifen und beteuerte dem Vermieter, dass das nicht der Fall sei.
Nachdem die Mantelfabrik den Modernisierungsbestrebungen Gelsenkirchens zum Opfer gefallen war, zog es Heiko in die Lindenstraße. Dort hatte seine Frau Doris zunächst einen Second-Hand-Laden betrieben, den sie nach einiger Zeit aufgab. Auch dort verwandelte Heiko die ganze Wohnung in kürzester Zeit zu einem einzigen Kunstwerk, malte, stellte aus und feierte Kunst-Partys.
Fertiges machte ihn unruhig, reizte ihn nicht, langweilte ihn, also begab er sich in die alte Zigarrenfabrik hinter dem Deutschen Haus. Oben wohnte er, unten arbeitete er, teilweise zusammen mit Rainer Kleinschmidt. Typisch für Heiko: er verlegte das Badezimmer mitten in die Küche, zimmerte ein Fenster vor die Badewanne, bloß nicht konventionell werden.
Dort in der Zigarrenfabrik entdeckte J. ein Bild, wollte es Heiko abkaufen. Ein blau-graues Bild, am unteren linken Ende ein kaum wahrnehmbares Paar, das sich über eine Kluft hinweg versucht, die Hände zu reichen.
Ja, mal sehen, brummelte Heiko, wich aus, zögerte, sagte nicht richtig Ja, nicht richtig Nein. J. ließ nicht locker, fragte immer wieder nach. Nach ungefähr einem Jahr meinte Heiko, jetzt könne er das Bild haben. Freudig eilte J. zum Atelier, aber wo war das Bild geblieben? Es war rosa geworden, hatte einen völlig anderen Charakter!
Ist doch egal! antwortete Heiko. Ich habe es ein bisschen verändert!
Aber J. hätte gerne das Bild, in das er sich einst verguckt hatte.
Na, ist doch kein Thema, dann male ich es wieder so, wie es einmal war, sprach Heiko und tat es. Es war trotzdem ein anderes Bild, aber J. nahm es, bevor Heiko es sich wieder anders überlegen konnte. Jetzt hängt dieses Bild in Berlin in einer wunderschönen Altbauwohnung, wo sich die Bewohnerin täglich an ihm erfreut.
So kannten viele „ihren“ Heiko. Auf der einen Seite tat er sich schwer, seine Werke herzugeben, auf der anderen Seite freute es ihn, wenn seine Bilder geschätzt wurden.
Einmal, er weilte schon öfter in der Normandie, waren wir bei ihm zu Besuch. Heiko hatte den ganzen Morgen eine mordsmäßig schlechte Laune, war kaum ansprechbar, brummelte nur unverständliches Zeug, alle behandelten ihn wie ein rohes Ei und flüsterten, wenn er in ihre Nähe kam. So gegen Mittag dachte ich mir, das geht so nicht weiter und fragte ihn, warum er um Himmels willen denn so dermaßen knatschig sei.
Heute würde „das“ Bild abgeholt, das er gegen eine neue Heizungsanlage eingetauscht habe. Die Heizung lief bereits seit einigen Monaten, aber der Installateur hatte bislang noch keinen Platz für das Bild gefunden. Und das hatte sich nun geändert, also kam er, um es zu holen.
In der Zwischenzeit betrieb Heiko zusammen mit seiner Lebensgefährtin und noch zwei weiteren Menschen das Sawitzki. Sie organisierten tolle Veranstaltungen, Jazz-Abende, Ausstellungen. Und vor allem, wenn man/frau kam und hatte Hunger, Heiko zauberte immer noch etwas zum Essen herbei, und wenn es nur Bratkartoffeln mit Spiegelei waren.
Dann kam die Zeit, wo auch die Zigarrenfabrik dem Neubauwahn weichen musste und somit vertrieb die Stadt Gelsenkirchen einen ihrer rührigsten, aber auch unbequemsten Künstler. Heiko fand eine neue Stätte, wo er wirken und wachsen konnte. In der Normandie erwarb er einen heruntergekommenen Bauernhof, bestehend aus Wohnhaus, Hühner- und Schweinestall. Von da an pendelte er, wann immer er konnte, zwischen der Normandie und Gelsenkirchen hin und her.
In Villedeux les Poulles entdeckte er am Bahnhof einen Haufen rostiger Bleche, die dort herrenlos herumlagen. Auf seine Frage an den Bahnhofsvorsteher, was mit den Blechen geschehen solle, sagte der nur: „Nehmen Sie sie mit!“
Das tat Heiko und wieder begann ein neuer Abschnitt seines künstlerischen Schaffens. Er bewahrte die rostige Struktur der Bleche und arbeitete neue Formen aus dem Vorhandenen heraus. Die Bleche waren in Frankreich der Renner. 1998 bekam Heiko einen Preis für den innovativsten Künstler des Jahres. Natürlich ehrte ihn das! Noch zuletzt spürten ihn Kunstsammler in seiner selbst gewählten Einöde auf, um ihm so ein Blechbild abzuluchsen. Zum Glück habe ich eines der ersten festgehalten, denn keines der Blechbilder ist noch in seinem Besitz.