Irene Dodel - Vom Gretchen zur Iphigenie

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Irene Dodel - Vom Gretchen zur Iphigenie

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  • Irene Dodel
    "Vom Gretchen zur Iphigenie"

    von Christiane Trzeschan
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    • "Es war herrlich! Ich war erste Heldin, jugendliche Heldin, ich war jugendliche Salondame, ich war Sentimentale, Charakterspielerin und .... ich war befreit von der Operette."
    In einem Interview im Oktober 1990 mit Irene Dodel konnte ich nicht nur etwas über die Theatergeschichte des Sprechtheaters in Gelsenkirchen erfahren, sondern hatte das Erlebnis, mehr als zwei Stunden in ihrer behaglich ausgeleuchteten Wohnung in der Nähe des Stadtgartens in Gelsenkirchen den Erinnerungen einer Schauspielerin zu folgen, die mich in verschiedene Rollen und historische Ereignisse führten.

    Irene Dodel, 1922 im Schwarzwald geboren, kam 1950 nach Gelsenkirchen und spielte bis zur Auflösung des Schauspiels 1967 im hiesigen Theater.

    Irene Dodel begann 1939/40 nach dem Abitur mit einer Stimm- und Sprechsausbildung. Ihr Privatlehrer lehrte sie einiges, war aber, so Frau Dodel, nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Nach einem Jahr Unterricht empfahl er ihr, sich zu bewerben. Sie sprach an der Folkwangschule in Essen vor - ihre Begabung wurde erkannt und man nahm sie auf.

    Nach erfolgreichem Abschluß ihrer Ausbildung sprach sie am Landestheater in Coburg vor und wurde engagiert. Von 1940 -1944 spielte sie in Coburg nicht nur Theater in den vielfältigen Rollen:

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Beitrag von pito »

    • "Wir haben 'Stella' gespielt und 'Sturm im Wasserglas' und 'Faust'. Ich habe die Iphigenie gespielt, da war ich 22 Jahre alt. Das 'Gretchen' und 'Iphigenie', stellen Sie sich mal diese Spanne vor, das käme heute kaum mehr in Frage."

      "Wir haben in Coburg nicht bis zum Schluß gespielt, sondern wir mußten dann in die Fabrik, als die Theater geschlossen wurden. Das war ein Jahr vor Kriegsende. Die Theater wurden geschlossen, weil es keine Heizmöglichkeiten mehr gab; alle männlichen Schauspieler waren eingezogen. Goebbels hatte den totalen Krieg proklamiert."

      "Der Coburger Kulturdezernent war in derselben kleinen Stadt im Schwarzwald wie ich geboren. So hatte ich zu ihm einen guten Kontakt. Bei ihm habe ich erreichen können, daß wir im Theater (in den Garderoben) für die Rüstungsindustrie arbeiten konnten. Aus Weidenruten, die aus Bulgarien, Rumänien und anderen besetzten Ländern kamen, flochten wir Körbchen. Diese Körbchen hatten keinen Boden und waren oben offen. Sie wurden als Schutz über die Spitze des Geschosses der Granate gestülpt."

      "Nach dem 2. Weltkrieg waren echte Hungerzeiten. Da habe ich mich dann verdingt als Gärtnerlehrling in einer Gärtnerei, um wenigstens ab und zu einmal Gemüse oder Salat zu bekommen. Mein Stundenlohn betrug 50 Pfennige. Coburg war von den Amerikanern besetzt worden, und die brauchten ab und zu das Theater für ihre Soldatenschows. Meine Opernfreundin war im Headquarter als Dolmetscherin tätig - eine Schauspielkollegin fuhr Lkw's-wir mußten irgendwie durchkommen! Eines Tages engagierten mich die Amerikaner als Ansagerin für eine ihrer Shows. Ich holte mein letztes Abendkleid aus dem Schrank und polierte mein Englisch ein wenig auf. Natürlich freute ich mich, unser schönes kleines Theater in Gold und Blau wiederzusehen, so ein richtig schönes Hoftheater. Aber als ich auftrat, packte mich zunächst ein Riesenentsetzen, denn es starrten mir von den blausamtenen Rängen lauter Schuhsohlen entgegen. Die Soldaten hatten es sich auf den Rängen nach Ami-Art bequem gemacht. Als ich auftrat, pfiffen sie wie verrückt. Das war ihr Applaus."

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Beitrag von pito »

    • "1946 wurden die Theater allmählich wieder geöffnet. Es fehlten aber männliche Schauspieler. Da kam ein abgerissener Soldat unter vielen anderen, den man irgendwo in Süddeutschland entlassen hatte, zu Fuß nach Coburg. Er war vor dem Krieg in Weimar engagiert gewesen, wollte aber nicht in die russische Zone. So fragte er bei der Intendanz an, ob er hier spielen känne. Man nahm ihn natürlich mit Kußhand. Männer waren rar und jugendliche Helden - so nannte man das Fach früher - ohnehin selten. Wir spielten 'Iphigenie' und er war mein Orest. Nach einem Jahr holte ihn Saladin Schmitt an sein berühmtes Theater nach Bochum. Walter Uttendorfer hieß er, ging später nach München, Frankfurt und schließlich nach Hannover. Er vermittelte mir ein Vorsprechen in Bochum, und ich wurde engagiert.

      Saladin Schmitt war seit 1921 Intendant in Bochum und hat dort in dieser Arbeiterstadt eine großartige Theatertradition aufgebaut. Es gelang ihm, die Kumpels an die Klassiker heranzuführen, besonders an Shakespeare, aber auch an alle deutschen Klassiker. Zum Ausgleich für die schwere Kost gab er auch Lustspiele und Schwanke: einmal 'Krach um Jolante', einmal 'Richard III.'!

      So wurde Bochum zu einer einmaligen Theaterstadt. Da er vor allem ein Ensemble formte, das jahrelang bei ihm blieb, konnte er sämtliche Kleiststücke, Schiller und Goethe, Grabbe und Hebbel, in Festspielen aufführen. Außerdem tagte hier alle zwei Jahre die Shakespeare-Gesellschaft, und es gab immer drei hauseigene Shakespeare-Inszenierungen. Und die Kumpel kamen - das Theater war ihr Stolz. Sie bildeten eigene Laiengruppen, und wir haben mit ihnen zusammen einmal auf dem Bochumer Theater ein Stück über die Gründung der Zeche Konstantin gespielt. Diese Bergleute waren wahnsinnig stolz, einmal auf den Brettern zu stehen, die so berühmt waren.

      Bochum war eine ausgesprochene Theaterstadt - Gelsenkirchen nicht. Von 1947 bis 1950 blieb ich in Bochum. Im Herbst begann ich in Gelsenkirchen. Der Sprung von Bochum nach Gelsenkirchen war zunächt bitter ... auch finanziell. Aber am Theater gibt es Spielzeiten, da wechseln viele das Engagement, manche, in denen wechseln wenige. In Bochum war 1949 Intendantenwechsel.

      Schalla kam und wollte alles anders machen und wollte seine eigenen Leute mitbringen. So entließ er viele Kollegen - ich blieb noch ein Jahr, aber dann mußte auch ich mir ein neues Engagement suchen. Krefeld, Osnabrück, Dortmund - diese Theater standen zur Wahl. Natürlich wäre ich lieber nach Stuttgart oder Hamburg gegangen, aber das klappte nicht ..... man hat das nicht in der Hand.

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Beitrag von pito »

    • In Gelsenkirchen hatte man sich trotz der harten Zeiten entschlossen, das Theater zur städtischen Einrichtung zu machen. Bis dahin war es ein Privattheater bzw. eine GmbH. Und man wollte einen namhaften Intendanten. Den fand man in Hans Meissner, dem ehemaligen Generalintendanten aller Frankfurter Bühnen ... zu Zeiten der Nazis. Meissner war 'belastet', da er ein Protege der Nationalsozialisten gewesen war - hatte inzwischen ein Jahr in einem Entnazifizierungslager zugebracht und war nun auch für eine SPD-Stadt eine gute Wahl. Was er vor allem mitbrachte, war eine große Bühnenerfahrung - er engagierte vor allem junge Leute, Begabungen, die er schnell erkannte und zu geringen Gagen bekommen konnte. Die Stadt war schwarz und schmutzig, und die wenigsten wollten länger als zwei Jahre hier bleiben ..... aber wir alle lernten sie und vor allem das Publikum lieben.

      In Gelsenkirchen begann also 1950 eine neue Ära, und wenn der damalige Kulturausschußvorsitzende ins Theater kam, um zum Ensemble zu sprechen, so sagte er öfter, die und die Summen seien vom Rat für den Zoo und das Theater freigegeben worden. Das löste unter den Sängern und Schauspielern immer einen ungeheuren Jubel aus ..... Zoo und Theater in einem Atemzug ..... na bitte! Immerhin, es gab einen kleinen, aber sicheren Etat, die Gagen waren äußerst bescheiden. Ich verdiente 475,00 DM im Monat, und davon mußte ich auch noch einen Teil der Garderobe für moderne Komödien bestreiten. Die Zimmermiete betrug 80,00 DM. Am Monatsende war absolute Ebbe im Geldbeutel. Aber Meissner hatte ein junges, ehrgeiziges Ensemble, und ich spielte von Anfang an die herrlichsten Rollen. Wir stürzten uns natürlich auf die französische und englisch-amerikanische dramatische Literatur, von der wir bis dahin ausgeschlossen waren, Wilder, Giraudoux, Priestley, und Tennessee Williams ..... Als ich nach der Premiere von 'Endstation Sehnsucht' in Ückendorf bei meiner Bäckersfrau Brot kaufte, meinte sie: "Nein, Frau Dodel, so was wollen die Leute hier nicht sehen. Das haben sie doch selbst zu Hause, daß der Mann säuft und dann seine Frau vertrimmt oder vergewaltigt."

      Nein, mit modernen Dramatikern konnten wir keine Kumpels ins Theater locken. Gelsenkirchen war eine Kohlenstadt - 1000 Feuer brannten, und man traf die Kumpels nach Schicht in der Straßenbahn, erkenntlich an den schwarzumrandeten Augen. Die waren hundemüde und brauchten Unterhaltung: Operette und leichte Lustspiele. So war der Spielplan sehr gemischt, zwischen 'Faust' und 'Frau Luna'.

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Beitrag von pito »

    • Bis 1959 spielten wir übrigens in Behelfshäusern, zunächst in einem ehemaligen Kino direkt am Bahnhof. Ich erinnere mich genau ..... ich spielte die Johanna in einem Stück von Maxwell Anderson, 'Johanna von Lothringen'. In einer Spannungspause, kurz bevor die Schergen mich zum Scheiterhaufen führten, was erklang laut und vernehmlich: 'Hier Gelsenkirchen-Hauptbahnhof - alles aussteigen.' Später spielten wir im Hans-Sachs-Haus und am 15. Dezember 1959 wurde das neue Haus mit 'Sommernachtstraum' eröffnet.

      Bis dahin waren wir aber viele Tage der Woche unterwegs zu Gastspielen von Dorsten bis Wesel. Manchmal fuhren wir schon um 17.30 Uhr los und kamen erst nach Mitternacht nach Hause ..... und auf welchen Nudelbrettern wir spielten ..... es waren harte Zeiten!! Da waren die Vorstellungen am Ort die reine Wohltat. Vor allem auch deshalb, weil das Gelsenkirchener Publikum aufgeschlossen, dankbar und unglaublich anhänglich war - wen es einmal ins Herz geschlossen hatte, dem hielt es die Treue."
    Irene Dodel spielte in Gelsenkirchen an den Städtischen Bühnen von 1950 - 1967 viele große Rollen, zusammen mit Ingeborg Kloiber, Maria Krahn, Tana Schanzara, Helga Feddersen, Herbert Mensching, Jürgen von Manger und vielen anderen mehr.

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Beitrag von pito »

  • Nach Auflösung des Schauspielensembles 1967 blieb sie in Gelsenkirchen - zwei Kinder und Familie ließen keinen Ortswechsel zu. Sie war zunächst in der Bücherei und als Sprecherzieherin in der Volkshochschule und schließlich als Fachbereichsleiterin für Kunst in der Volkshochschule tätig bis 1984.
    • "Mein berufliches Leben war zweigeteilt. Ich kann sagen, daß ich mich in meinen zweiten Beruf zwar sehr, sehr mühsam einarbeiten mußte, aber er hat mir dann doch sehr viel neue Erfahrungen und viel Freude gebracht. Ich weiß nicht, ob ich als alternde Schauspielerin am Theater sehr glücklich geworden wäre. Die Rollen werden weniger, man ist von Intendanten und Regisseuren abhängig ..... dem gefällt die Nase nicht, der andere sieht mich schwarz in der Rolle oder will mich dicker ..... So mußte ich neu beginnen - es war gut so!"
    Die private Familienplanung während ihrer Berufstätigkeit wurde von Frau Dodels Mann und ihrer Mutter mitgetragen, ohne sie, so Frau Dodel, wäre das alles gar nicht gegangen.
    • "Ich habe noch eine hübsche Geschichte zum Schluß. Wir spielten 'Vater' von Strindberg, ein Stück über den Geschlechterkampf. Eine Frau bringt ihren Mann in die Zwangsjacke. Ich spielte die Frau. Es war eine meiner ersten großen Charakterrollen. Folgende Szene - Ehekrach - ums Geld, um alles, um die Tochter geht es auch. Die Szene baut sich allmählich auf und endet in dem wütenden Satz der Frau: 'Und ich werde Dich entmündigen lassen!' Ich probierte die Szene zu Hause in der Wohnung. Mein Mann war im Nebenzimmer. Ich probierte den stufenweisen Aufbau der Szene wiederholt und endete wieder einmal mit dem zornigen Ausruf: 'Und ich werde Dich entmündigen lassen!' Da riß mein Mann die Zimmertür auf und erwiderte, nicht minder entschlossen: 'Und das wirst Du nicht!'
    Anmerkung:
    Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Interview mit Irene Dodel. Ich hoffe, daß nicht nur ein Einblick in die Vita einer Gelsenkirchener Schauspielerin entstanden ist, sondern auch die heitere Gesprächsatmosphäre zu spüren ist.

    Ich danke Irene Dodel für ihre Erinnerungen.
    Christiane Trzeschan
aus: Keine GEschichte ohne Frauen,
Eine Auswahl von Materialien zur Geschichte von Frauen in Gelsenkirchen,
zusammengestellt von der Frauenwerkstatt an der VHS Gelsenkirchen, 1989/90
Nachdrucke mit Quellenangabe sind erwünscht.

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Beitrag von pito »

Schacht 9 hat geschrieben:Bild
Am Mittwoch in der WAZ.
"Stella" gespielt von Irene Dodel und Maria Plagges " Blanche" in Endstation Sehnsucht, zu Beginn
der 50er Jahre, für mich immer noch ein unvergessenes Theatererlebniss.

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