Gertrud Bäumer

Menschen, deren Namen in Gelsenkirchen auftaucht, auch wenn sie nicht in Gelsenkirchen lebten

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Gertrud Bäumer

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Manfred Schurich, ehemaliger Lehrer an der Gertrud Bäumer Realschule hat aus etlichen Dokumenten Material zur Namensgeberin dieser Schule zusammengetragen, das wir wegen der Menge geschriebener Worte an dieser Stelle nach und nach in seinem Namen einstellen werden.


[center]„Old Bäumerhand – der Schrecken der Demokratie“ (Kurt Tucholsky)
Oder:
Wer war eigentlich diese „Gertrud Bäumer“?[/center]

Die „Gertrud-Bäumer-Realschule“ an der Rotthauser Straße 2-4 gehört sowohl vom fast hundert Jahre alten, heute denkmalgeschützten Gebäude wie auch vom Namen der Schule her, den sie jetzt länger als ein halbes Jahrhundert trägt, zu den markanten „Institutionen“ der Stadt Gelsenkirchen. Zudem ist an einer Seitenwand des Gebäudes (zur Zeppelinallee) das alte, restaurierte Gelsenkirchener Stadtwappen angebracht, das sich vorher am abgerissenen Rathaus gegenüber befand.

Ich habe mich seit längerer Zeit mit der Frage etwas eingehender befasst, wer eigentlich diese „Gertrud Bäumer“ war, nach der in Nordrhein-Westfalen mehrere Schulen benannt sind. Zum landläufigen Bildungsgut gehört es nach meiner jahrzehntelangen Beobachtung ganz offenbar nicht, irgendetwas über diese Frau zu wissen.

Was ich alles erfahren habe, als ich mich mit dem Wirken dieser Frau, ihren Veröffentlichungen und der inzwischen recht umfangreichen wissenschaftlichen Literatur über sie befasste, hat mich – ich war fast 30 Jahre Lehrer an der Schule und hatte keine blasse Ahnung – zutiefst erschreckt.

Ebenso, wenn nicht sogar noch mehr erschreckt hat mich, dass in den heute am leichtesten per Internet zugänglichen Informationsquellen zu dem Namen „Gertrud Bäumer“, also in den Homepages der nach ihr benannten Schulen oder z.B. auch im „Internet-Lexikon“ „Wikipedia“, das, was ich so erschreckend fand und finde, gar nicht vorkommt oder allenfalls nur undeutlich und unvollständig und somit die Wahrheit eher verschleiernd anklingt.

Zu meiner eigenen Ahnungslosigkeit gegenüber der historischen Wahrheit über Gertrud Bäumer stehe ich, so peinlich das im Rückblick auch ist. Es wäre mir aber sicher nie eingefallen, mein Nicht-Wissen als vermeintliches Wissen, andere damit belehrend, im Internet zur Schau zu stellen.

Damit ich einen Weg und Einstieg für das Aufschreiben meiner Erkenntnisse finde, habe ich mich entschieden, zunächst die Ausführungen über Gertrud Bäumer, die von der Gelsenkirchener nach Bäumer benannten Schule jedem Interessierten frei zugänglich sind, einer kritischen Analyse zu unterziehen.

Diese Veröffentlichungen der Schule zu Bäumer können zumindest für den Kernbereich dessen, was mich so erschreckt hat, als exemplarisch auch für andere Schul-Homepages und den Wikipedia-Artikel gelten:

Es geht um die Ignorierung oder Ausblendung der Verstrickung Gertrud Bäumers in die Entstehungsgeschichte und die Durchführung der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland (1933 - 45).

Daraus ergibt sich die Frage:

Ist es im Jahre 2010 noch pädagogisch und politisch verantwortbar, die Realschule an der Rotthauser Straße nach Gertrud Bäumer benannt zu lassen?

Und falls ja: WER übernimmt die Verantwortung dafür? Die, die 1958 diese Namensgebung beschlossen, können das nicht mehr.
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(Teil 3-1)

[center] „Land, so geliebt, kann manchen Sohn verschmerzen.“

Gertrud Bäumer im 1. Weltkrieg:
rauschhafte Kriegsbegeisterung, Kriegsverherrlichung und Kriegsunterstützung
[/center]


„Die Heldentaten unseres Heeres, die Strategie der Führer, die kühnen Listen unserer Unterseeboote, – da ist nichts in meinem Gefühl, was mir den Stolz, die Siegesfreude verböte, und meine Seele fühlt sich frei und rein dabei. Wir messen uns, Volk gegen Volk, Faust gegen Faust, Intelligenz gegen Intelligenz, Leben gegen Leben, jeder mit dem gleichen Einsatz, jeder um den gleichen Preis. Da ist nichts, was das Gefühl beleidigt und verwundet. Im Gegenteil: Es erlebt stolz und ehrfürchtig die Größe des Krieges, der das Äußerste an Willen, Hingabe, Selbstüberwindung, an geistiger Kraft und Leistung von unserem Volke erzwingt. Es spannt sich mit in der stählernen Luft dieses unerhörten Wettkampfes. Es ist beglückt, sich dazu rechnen zu dürfen, Partei zu sein, mitzuhelfen, innerlich und äußerlich, zu dem einen klaren, handgreiflichen Ziel: Sieg.

Das schreibt Gertrud Bäumer im Januar 1915 und lässt diesen „Die Bürde des Hasses“ überschriebenen Zeitschriftenaufsatz ausklingen mit den folgenden Worten, die ich hier nur unwesentlich gekürzt zitieren möchte, weil jede Zusammenfassung nur eine Verharmlosung sein könnte:

„Ich ahne eine strenge Wahrheit, die nicht vom Himmel ist, sondern von der Erde, die nicht aus Geist, sondern aus Fleisch und Blut kommt. Das Vaterland ist keine ´Idee`, in deren Bereich alle Gegensätze sich harmonisch lösen und klären, die Liebe zu ihm ist … Blutliebe, irdische Liebe, Liebe deines Leibes und deiner Sinne zu etwas Leiblichem und Sinnlichem: zu dem Blut deiner Väter, der Erde, die du fühlst, der Luft, die du atmest. Sie ist ein Stück N a t u r , wild und ´jenseits von Gut und Böse`, ein Stück elementarer Selbstverständlichkeit. Ihr Recht kommt nicht aus den abstrakten Zonen, vor denen du gewohnt bist, dich zu verantworten. Ihr Recht ist `Naturrecht` im einfachsten Sinne des Wortes. Vaterlandsliebe ist ein dunkler, heißer, reißender Strom, mit allem Urmenschlichen gefüllt, aller unerlösten Leidenschaft, aller irrationalen Glut, allem naturhaften Lebenswillen.
Du sollst ihren ewigen Widerspruch zu den ´Menschheitsideen` fühlen und tragen. Aber du sollst dich vor diesem Zwiespalt und den Leiden, in die er dich stürzt, nicht fürchten. Du sollst dich zu deinem Fleisch und Blut bekennen, deiner Luft und deiner Erde getreu sein und die dunklen Lasten mittragen, die allen Erdgebundenen auferlegt sind.“

(Gertrud Bäumer, Die Bürde des Hasses, in: Weit hinter den Schützengräben – Aufsätze aus dem Weltkrieg, Verlag Eugen Diederichs Jena, 4. bis 6. Tausend, 1916, S. 48, 49 bzw. 51, zit. nach Originalausgabe) (Hervorhebungen durch Fettdruck immer von mir.)

Im gleichen Buch – „Weit hinter den Schützengräben“ – findet Bäumer unter der Überschrift „Wir Frauen“ die folgenden Worte:

„Wir Frauen fühlen die Größe und Gewalt dieses Volkwerdens aller derer, die sonst unter dem Zwang ihrer Sonderbestrebungen, ihrer eigenen Ziele standen. Wir fühlen uns mit aufgenommen in dieses große, ernste Zusammenwachsen aller nationalen Kräfte zu einem großen gemeinsamen Willen: durch den uns aufgezwungenen Weltkrieg die Macht und Größe unserer Nation zu erhalten.“ (S. 27)

Und unter der Überschrift „Einkehr“ schreibt Bäumer dort (September 1914):

„Viele Male in den letzten Wochen hat uns der rauschende Flügel dieser ganz großen wunderbaren Einheitsstimmung gestreift. Wie aus einer Welt her, deren Macht uns im Alltagsleben des Friedens verschlossen blieb, hat diese Berührung unsere Seelen getroffen und bis ins Innerste erschauern lassen. … Heute sind wir nicht einzelne, heute sind wir nur Volk, nur Einheit des Blutes und des Stammes, der Gesinnung und der Kultur. Und keiner, aus dem die stählerne Zeit den schlummernden Funken des Volksbewußtseins schlug, wird diese Erfahrung je vergessen können. …

Der große, düstere Grundmaßstab der Todesbereitschaft verändert alles. Es geht um Sein oder Nichtsein. Unser Volk zahlt mit einer Einmütigkeit sondergleichen den höchsten Preis für sein höchstes Gut – seine Macht und Ehre als Staat. Was dem einzelnen sonst teuer ist, was unser Leben reich und wertvoll macht, woran unser Herz und, wie wir meinen, unser Glück hängt – es ist alles nicht so groß und kostbar wie dieses unser gemeinsames Eigentum und Erbe: unser im Staat verkörpertes Volkstum. Für kein Lebensgut wird so unbedingt, so selbstverständlich, aus so allgemein gefühlter Notwendigkeit heraus das Leben eingesetzt. Die große Alternative: siegen oder sterben, Größe des Vaterlandes oder Tod, hebt auf einmal die Nation hoch über alle anderen Schätze des Lebens, macht sie zum Gut der Güter. Jeder einzelne, der begnadet ist, für dies Höchste zu kämpfen und zu opfern, fühlt sein Dasein auf eine nie erlebte Art geadelt und erhoben. Das Bewußtsein dieser Weihe ist irgendwie noch in der dumpfesten Seele derer lebendig, die hinausziehen. Darin liegt die Schwungkraft, die unerhört starke Stimmung unserer Heere. …

Unsere Zukunft kann nicht sein: Abschließung, sondern Einfluß und Führung. Auf den Straßen, die unsere Heere bahnen, sollen nachher alle friedlichen Kulturmächte einhergehen.“
(Bäumer, Weit hinter den Schützengräben, S. 29 – 31, 34)

In seiner Dissertation (1970) schreibt Werner Huber über G. Bäumer zu Beginn des 1. Weltkriegs:

„Sie erlebte ´mit Inbrunst`, wie Marianne Weber bemerkte, den Aufschwung des ersten Kriegsjahres; die ´Volkseinung`, die sie wahrnahm, war ihr geradezu ein mystisches Erlebnis. Sie sah eine ´verwandelte Welt` vor sich, wobei die Verwandlung für sie begründet lag im `Weitwerden der Seelen`.“ (S. 58, Huber zitiert: Bäumer, Der Krieg und die Frau, S. 5)

„Gertrud Bäumer hat sich, als sie alle Register ihres irrationalen Wortschatzes zog, im Ton oft vergriffen. Sie ist bisweilen einer schauerlichen Verirrung erlegen, Das ´Einswerden` Deutschlands erklomm die Spitze ihrer Wertpyramide … . … Deutschland sei in die Sprache, ins Gefühl und Wollen der einzelnen Menschen eingekehrt, die persönliche Seele sei aufgegangen in die Seele des Volkes. Das war völkischer Pantheismus, und Bäumer vergaß nicht, ihn mit religiösen Formeln auszustatten. Die Seele der Menschen, schrieb sie, habe auf das ´rauschende Zusammenfließen` aller Volkskräfte geantwortet ´mit heiligen Schauern, die wir so groß, so bis in die Tiefe aufwühlend nicht kannten.`“ (Huber, S. 59, zitiert: Bäumer, Der Krieg und die Frau, S. 6f.) „Das ´Erlebnis der Volkseinheit` habe jedes Opfer emporgehoben ´zu einer Weihe über menschliches Leid und menschliche Lust hinaus`.“ (Huber, S. 59, zitiert hier: Bäumer, Vor uns der Tag, S. 10) „Und sie stellte fest, daß für ihre Generation nun ´der feierliche Gipfel des Lebens` gekommen sei: ´Wir trauern um alle, … die ihre Augen schließen mußten, ehe sie den großen Tag ihres Volkes sahen`.“ (Huber, S. 59, zitiert hier: Bäumer, Der Krieg und die Frau,, S. 7) „Der große Tag brach an, als Deutschland – wie ein Gott – in die Einzelseelen eindrang und sie mit Gemeinschaftsgeist erfüllte: ´Nun atmet das Leben der Nation in unseren Atemzügen und klopft in unserem Blute`.`“ (Huber, S. 59, zitiert hier: Bäumer, Der Krieg und die Frau, S. 7)

„Der große Tag Deutschlands war zugleich ein heroischer Tag. Denn als die Kriegserklärungen der Feinde auf Deutschland niederprasselten, da hätten sich die Deutschen ´als dem Untergang Geweihte` gefühlt: ´Das war die seltsame Heiligkeit der Stunde. Tausende dachten nicht an Töten, nur an Sterben`. Bäumer sah hierin den Beweis für die ´R e i n h e i t des Kriegsgeistes`, der Deutschland im August 1914 erfüllt habe. … So lebte in den Kriegsschriften Bäumers der altgermanische Heroismus in neuer Form wieder auf. Nicht umsonst gebrauchte sie oft den Begriff ´Schicksal`.“
(Huber, S. 60, zitiert hier: Bäumer, Heimatchronik während des Weltkrieges, 1930, S. 223)

Huber stellt in seiner Dissertation fest, dass sich Bäumers „Auffassung vom August 1914“ „eng mit der des Nationalsozialismus“ „berührte“. „Auch für die Nationalsozialisten wurzelte das ´gewaltige Erlebnis` des Jahres 1914 in der ´schicksalhaften Offenbarung einer Volksgemeinschaft`, wie Paula Siber, eine Frauenführerin des Regimes, einmal schrieb.“
Huber, S. 62, zitiert hier: Siber, Die Frauenfrage und ihre Lösung durch den Nationalsozialismus, S. 15)

Huber weist darauf hin, dass es zu Beginn des 1. Weltkriegs – hier: auch in Deutschland – durchaus auch Menschen gegeben habe, die nicht von der Kriegseuphorie angesteckt waren. (Auf die aggressive Polemik Gertrud Bäumers speziell gegen die deutschen Pazifistinnen innerhalb der „Frauenbewegung“ gehe ich noch ein.) Und er schreibt in diesem Zusammenhang:

„Man darf sich nicht von den großen Wellen rauschhafter Begeisterung, die Deutschland damals durchflutet haben, betäuben lassen. Es gab auch Menschen, die den Krieg so nannten, wie er wirklich ist: Zerstörung und Schrecken. Und gerade weil zu allen Zeiten das Menschliche – wenn auch oftmals nur in einer kleinen Gruppe – sichtbar ist, so darf der Historiker es wagen, Urteile zu fällen, die am Maßstab der Humanität orientiert sind. Deshalb ist es erlaubt, manche Äußerungen Gertrud Bäumers schlechthin Verirrungen zu nennen.“
(Huber, S.63)

(Fortsetzung folgt)
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(Teil 3-2)

Im Jahre 1915 fand in Den Haag ein internationaler Frauenfriedenskongress statt, von dem sich der von Gertrud Bäumer als Vorsitzender geführte „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) scharf distanzierte.

Angelika Schaser schreibt darüber (Frauenbewegung in Deutschland …, S. 85):

„Den Pazifismus hielt man für eine utopische Bewegung, der lediglich einen Gradmesser für die Schwäche eines Volkes darstellte. Folgerichtig boykottierte der BDF den nach Den Haag einberufenen Internationalen Frauenfriedenskongress. Der Gesamtvorstand erklärte ´die Propaganda für diesen Kongress, sowie die Beteiligung daran, für unvereinbar mit der vaterländischen Gesinnung und der nationalen Verpflichtung der deutschen Frauenbewegung`. Die Frauen, die trotz dieser Resolution den Kongress besuchten (so Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann), sollten, so ließ Bäumer in einem vertraulichen Schreiben wissen, aus den Vorständen der Frauenvereine entfernt werden. In der Heimatchronik war zum Kongressbeginn in Den Haag zu lesen: `Nur die Neutralen können sich auf der Forderung sofortigen Friedens um jeden Preis einigen. Und sollen die Frauen der kriegführenden Nationen den Männern, die ihre nationale Pflicht tun, in den Rücken fallen mit pathetischen Erklärungen über den ´Wahnsinn`, in dem sie befangen sind? Nur eine unbegreifliche Gefühlsverwirrung kann eine solche innere Loslösung der Frauen von der Aufgabe ihres Vaterlandes vollziehen!`“

Schaser spricht in Bezug auf die Verlautbarungen des BDF in diesem Zusammenhang von „nationalchauvinistischen Tönen“. (Schaser, Frauenbewegung …, S. 85)

„Alice Salomon, die trotz wiederholter Beteuerung ihrer nationalistischen Haltung und intensiver Mitarbeit im NFD (Nationaler Frauendienst, MS) ihre internationalen Kontakte nicht aufgeben wollte und deshalb 1920 aus dem engeren Vorstand des BDF austrat, unterstrich im Exil noch einmal die damalige Kriegsbegeisterung und nationalchauvinistische Haltung der führenden Frauen im BDF, von denen jeder, der diese Stimmung nicht teilen mochte, als Defätist angesehen wurde.“
(Schaser , Frauenbewegung …, S. 85)
(Defätist: „jmd., der mut- u. hoffnungslos ist und die eigene Sache für aussichtslos hält; Schwarzseher; Pessimist“, aus: Fremdwörterduden)

Lida G. Heymann schreibt in ihren Memoiren „Erlebtes – Erschautes“ über ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Haager Frauenfriedenskongress von 1915:

„Wie viel Unheil, Brutalität, Vernichtung von Kulturschätzen, Verrohung der Menschheit wären der Welt erspart geblieben, hätte man 1915 den Rat der Frauen befolgt! Wie kriegsmüde schon damals, 1915, deutsche Soldaten waren, das sollten die deutschen Delegierten aus eigener Anschauung erfahren, als sie, vom Haager Kongreß kommend, die holländische Grenze passierten. Man behandelte sie nicht nur mit der größten Zuvorkommenheit, erhob keinerlei Zoll auf Eßwaren … , sondern man bat um ganz genaue Einzelheiten über den Verlauf des Kongresses, fragte immer wieder: ´Wird er Erfolg haben?` und dankte den Frauen für ihr Vorgehen. Im vollen Widerspruch zu diesen deutschen Soldaten verhielt sich ein Teil der Bevölkerung bei unserer Rückkehr. Von der Kriegspflicht verschonte Männer und vom Militärgeist verseuchte Frauen, denen die Kriegspsychose wahres weibliches Empfinden getrübt hatte, veranstalteten in der Presse eine wahre Hetze gegen den Kongreß und die deutschen Delegierten, ziehen die dort gefaßten Beschlüsse der Oberflächlichkeit, versuchten die ganze Veranstaltung lächerlich zu machen. An der Spitze stand wieder Gertrud Bäumer.“

(Lida Gustava Heymann in Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg, Erlebtes – Erschautes -Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden, hg. von Dr. Margit Twellmann, Ulrike Helmer Verlag, Neuausgabe 1992, S. 148)

Wie die „Hetze“ einer Gertrud Bäumer gegen die am Haager Friedenskongress teilnehmenden Pazifistinnen aussah, kann man in dem schon erwähnten Buch mit Aufsätzen aus dem 1. Weltkrieg „Weit hinter den Schützengräben“ nachlesen. Bäumer grenzt sich da ab von den pazifistisch gesinnten Frauen, denen „das alte heilige Wort von dem süßen Tode für das Vaterland nicht heilig ist, sondern ein Rest von Barbarei, oder eine Phrase der Kriegspsychose, und die sich durch den Sturm der Hingabe und des Opfers, dessen Wirklichkeit wir anderen voll tiefster Erschütterung als ein Ungekanntes in unser Weltbild einsetzten, keinen Augenblick wankend machen ließen in der armseligen Selbstgewißheit, mit der sie sich als die als die Edleren und Reineren, die Klügeren und Klareren fühlten. Warum? – im Grunde nur, weil ihnen Tod und Feindschaft als die beiden größten Übel gelten, mit denen jedes andere Gut der Welt zu teuer bezahlt ist. Weil sie sich jener Erfahrung zu verschließen vermochten, die so alt ist wie die Welt, aber die uns diese Monate tausendfach neu geschenkt haben: daß das Leben der Güter höchstes nicht ist.

Bei der Haager Friedensdemonstration der Frauen hat man sich blind gemacht für die gegenwärtigen unüberbrückbaren Gegensätze der Nationen, um der Sehnsucht nach den ´Schwesternhänden` folgen zu können. Damit hat man nach meinem Gefühl ein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkauft: das kostbare Gut, Glied und Zelle, Atem und Pulsschlag zu sein des Körpers Deutschland, der um sein Dasein ringt, gegen die Gefühlsbefriedigung, auf ein paar Tage der Feindschaft zu entfliehen und statt der herben Luft unseres deutschen Schicksals die weiche einer flachen Verbrüderung zu atmen. …
Es liegt etwas Schwaches, Demütiges und Sklavisches in dem Wunsch nach der Verständigung um jeden Preis. Und was von den Menschen gilt, gilt erst recht von den Völkern. Ihr lebendiges Wachstum bringt sie in Gegensätze zueinander, denen entrinnen zu wollen Feigheit und Selbstpreisgabe wäre, die in ihrer schicksalhaften Notwendigkeit anzuerkennen die Treue zu sich selbst erfordert. Die Herrlichkeit eines ´Vaterlandes` – eines lebendigen geschichtlichen Körpers mit seinem eigenen Gesetz und Willen ist uns nicht geschenkt ohne eine Summe von Gegenwirkungen, die der Kraft … seines Lebens entsprechen. Das eine wollen, heißt das andere in Kauf nehmen müssen, heißt tragische Zusammenstöße des Lebenswillens der Völker in ihrer Unvermeidbarkeit anzuerkennen.
Und so ist es denn Wesen unserer Zeit, Quell ihrer Schwere und Erhabenheit zugleich, daß sie unter einem doppelten Gesetz ist. Es hieße sie verkleinern … und entheiligen, wollte man diesen Widerspruch leugnen. Ihr Gott ist der Gott, von dessen Güte die Erde voll ist, u n d der Gott, der ´Entsetzen anrichtet`. Und während wir im Namen des einen zerrissen werden von dem allgemeinen Menschenleid, wissen wir doch, daß Gottes Kraft in dem Menschen wohnt, der den Preis seines irdischen Lebens einzusetzen vermag für etwas, das sein Einzeldasein überragt und überdauert.
Eine nimmer zu überwindende Fremdheit ist in uns gegenüber der Vorstellung, daß Menschen einander verwunden und töten, und doch fühlen wir in tausend Zeugnissen die Größe und Erhabenheit des Sterbens für den Staat.
Niemals weicht aus unserer Seele die Gewißheit, daß die liebevolle Schonung, die zarteste Achtung des Lebens der Hort aller Kultur ist und daß die Geringschätzung des Menschen den Zerfall aller Sittlichkeit und Zivilisation bedeutet. Und doch sagen wir ´Ja` zu dem heilig vermessenen Wort: ´Land, so geliebt, kann manchen Sohn verschmerzen.`“
(Gertrud Bäumer, Zwischen zwei Gesetzen, in: Weit hinter den Schützengräben, S. 53, 54, 55)

„Als der Krieg für Deutschland bereits verloren war, publizierte der BDF eine von Gertrud Bäumer unterzeichnete Erklärung. Hier hieß es, daß die deutschen Frauen in diesem Kriege eine Notwendigkeit gesehen hätten, die Deutschland aufgezwungen worden sei. Der BDF verwahrte sich gegen einen sog. ´Rechtsfrieden`, der Deutschland demütigte und bestrafte: ´Ehe das deutsche Volk Bedingungen auf sich nimmt, die das Andenken seiner Toten verleugnen und seinem Namen einen unauslöschlichen Makel anheften, würden auch die Frauen bereit sein, ihre Kräfte für einen Verteidigungskampf bis zum äußersten einzusetzen`.“
(Huber, S. 88, 89; Huber zitiert hier: Die Frau, 26. Jg., H. 2, 1918, S. 37,38)

Huber schreibt dazu:
„Während die meisten Soldaten ermüdet resignierten und das Ende des Krieges herbeisehnten, stiegen manche deutsche Frauen auf die Barrikaden, um einen Verzweiflungskampf zu propagieren. Die Erklärung des BDF entsprach jedoch nicht mehr der Stimmung der Menschen, nur einige rechts stehende Zeitungen haben sie noch aufgegriffen. Sonst aber ging sie unter in der Turbulenz der kommenden Ereignisse. Das deutsche Volk war in seiner Mehrheit nicht bereit, für das alte Regime einen Todeskampf zu riskieren.“ (S. 89)


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(Teil 3-3)

Dass eine Frau wie Gertrud Bäumer, die für ihre Huldigungen gegenüber dem Volk, dem Vaterland, der Nation in der oben ausführlich belegten Weise „alle Register ihres irrationalen Wortschatzes zog“ (s. o.), sich auch für imperiale Bestrebungen Deutschlands einsetzte, versteht sich ja schon fast von selbst. Interessant bei Gertrud Bäumer sind da schon eher die Begründungen, zu denen sie sich dabei versteigt.

Werner Huber stellt in seiner Dissertation zwei wesentliche imperialistische Zielsetzungen fest, die Bäumer Deutschland zuweist:
Einmal „hat das deutsche Volk seinen kulturellen Führungsanspruch in der Welt durchzusetzen. Die militärische Expansion soll dabei lediglich Voraussetzung der kulturellen sein. Der Preis, um den die europäischen Nationen im Krieg jetzt ringen, ist ´nicht die Weltgeltung der Gewalt, sondern die der Kulturkraft.`“ (Huber zitiert hier: Bäumer, Weit hinter den Schützengräben, S. 34) „Bäumer huldigt damit einem Kulturimperialismus, der freilich auf friedliche Methoden – nach dem gewonnenen Krieg – nicht verzichten wollte.

Die geschichtliche Aufgabe, die Bäumer Deutschland zuwies, erschöpfte sich freilich nicht im Kulturellen. Deutschland war berufen … , eine Weltmacht zu werden und Weltpolitik zu treiben. … Die Forderung nach einer deutschen Weltmacht, nach deutscher Weltpolitik machte auch sie sich zeitweise zu eigen. Die Völker stehen nicht still, sie wachsen oder nehmen ab. So ihre Argumentation! Bäumer blieb … vom Darwinismus nicht unbeeinflußt. Deshalb auch ihre Anleihen beim Wortschatz der Biologie! Soll Deutschland auf Erwerb von Kolonien, auf Weltmarkteroberungen etwa verzichten – nur ´um nicht anderen ins Gehege zu kommen?` Bäumer verneinte entschieden: ´Das wäre Sünde gegen den heiligen Geist des Lebens, das sich seinem eigenen inneren Gesetz entsprechend entfalten will und soll.´.“ (Huber, S. 66-68; Huber zitiert hier: Die Frau, Jg. 23, H. 4, 1916, S. 223; Sperrdruck im Original)

„Bäumer … scheute sich nicht, Gott dafür zu danken, daß Deutschland ´das höchste und unbestreitbare Recht` für sich habe: das Recht seiner Entwicklung, seiner Leistungen und Fähigkeiten.“ (Huber, S. 68; Huber zitiert hier: Bäumer, Weit hinter den Schützengräben, S. 41)

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(Teil 3-4)

Auf den „Nationalen Frauendienst“ bin ich im ersten Teil meiner Arbeit hier schon eingegangen. Da in den „hagiographischen“ Darstellungen über Bäumer die historische Wahrheit über diese Organisation aber oft sehr verfälscht geschildert wird, will ich das doch noch etwas ausführen und zitiere dafür – zusätzlich zu den Zitaten von Prof. Angelika Schaser im ersten Teil – hier auch noch aus der Dissertation von Werner Huber, in der das „Wesen“, die ideologische Ausrichtung des „NFD“ sehr prägnant deutlich wird.

„Die Erringung des Staatsbürgertums der Frauen war eines der augenfälligsten Ziele der Frauenbewegung. Den Frauenverbänden ging es in erster Linie darum, den Frauen ein unmittelbares Verhältnis zur Nation zu erschließen. Als der 1. Weltkrieg ausbrach, zögerte die Frauenbewegung nicht, ihre Kräfte dem Staat zur Verfügung zu stellen und ihren Platz in der „Heimatfront“ zu beziehen.

Manche Frauenführerinnen, unter ihnen Gertrud Bäumer, betrachteten den Krieg als eine Generalprobe für die Frauenbewegung. Im Krieg, so glaubten sie, mußte sich erweisen, was die Frauen bisher geleistet hatten, und ob diese Leistungen unter erschwerten Bedingungen Früchte hervorbringen konnten.“
(Huber, S. 83, 84; Huber bezieht sich hier auf: Gertrud Bäumer, Lebensweg durch eine Zeitenwende, S. 274. Diese Autobiographie Bäumers ist 1933 (!) erschienen; Bäumer geht darin sehr ausführlich auf den NFD ein, das Buch liegt mir in einer Originalausgabe vor.)

„Bäumer drückte das einmal so aus: `Bürgerin sein heißt, bewußt und unter eigener Verantwortung für den Staat arbeiten. Das ist die politische Kriegslehre der deutschen Frau`.“ (Huber, s.84, Huber zitiert hier: Bäumer, Vor uns der Tag, S. 174) „Freilich war es fast makaber, den Krieg als einen ´Akt der Krönung der Frauenbewegung` anzusprechen, wie es Bäumer noch – oder gerade! – 1933 tat.“ (Huber, S. 84, Huber zitiert hier: Die Frau, Jg. 41, H. 3, 1933, S. 174) „Andererseits ist an der Tatsache festzuhalten, daß der 1. Weltkrieg sicherlich eine Vorwärtsbewegung der Frauen zum Staat hin und als Folge davon eine entsprechende Reaktion des Staates gebracht hat. Ohne die wohl organisierten Frauenverbände hätte es die staatliche Gewalt sehr schwer geschafft, die Frauen in die „Heimatfront“ einzureihen.

Bereits am 31. Juli 1914 legte der Bund Deutscher Frauenverbände (BDF) einen Plan vor, wonach alle Frauenvereine in einem ´Nationalen Frauendienst` gemeinsame Arbeit leisten sollten. Das Projekt wurde in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen und dem Roten Kreuz bald schon realisiert. Auch die kirchlich organisierten und die sozialdemokratischen Frauen machten, diese freilich z.T. mit Vorbehalten und Mißtrauen, mit.“ (Huber, s. 84, Huber bezieht sich hier auf: Bäumer, Lebensweg …, S. 274)

„Es versteht sich von selbst, daß Gertrud Bäumer als Vorsitzende des BDF dem ´Nationalen Frauendienst ihre Kräfte in besonders starkem Grade lieh. Bäumer arbeitete auch in den Frauenreferaten mit, die Ende 1916 durch Verfügung der militärischen Leitung bei sämtlichen Kriegsamtsstellen eingerichtet wurden und die in einer Frauenarbeitszentrale beim Kriegsamt Stab ihre Spitze hatten. Aufgabe der Frauenreferate war es, möglichst viele Frauen der Rüstungsindustrie zuzuführen. … Die Arbeit der Frauen in der Rüstungsindustrie war bereits echter Kriegsdienst, … .
Während des 1. Weltkriegs und auch noch danach wurde in der Frauenbewegung viel über die weibliche Dienstpflicht diskutiert. Gertrud Bäumer war dafür, wobei sie Dienstpflicht freilich als sozialen Dienst verstand. Dennoch waren manche ihrer Äußerungen sehr problematisch: ´Der Gedanke einer Dienstpflicht … muß den Frauen jetzt in der Seele brennen`. Bäumer fühlte ´Ungeduld und Beschämung` darüber, daß die Frauen nichts tun konnten, was sich mit der Wehrleistung der Männer messen ließ. Die bisher unbezahlte Schuld sollten die Frauen, meinte sie, dadurch abtragen können, ´daß es auch für sie, im Rahmen ihrer Natur, eine Einberufung gibt`.“ (Huber, S. 85, 86; Huber zitiert hier: Bäumer, Weit hinter den Schützengräben, S. 135)

„Gertrud Bäumer trat auch nach dem 1. Weltkrieg für den weiblichen Arbeitsdienst ein, besonders in der Zeit des Dritten Reiches. … Als das Wehrgesetz von 1935 die deutschen Frauen ´zur Dienstleistung für das Vaterland` verpflichtete, billigte dies Bäumer ausdrücklich.“ (Huber, S. 86, 87; Huber bezieht sich hier auf: Die Frau, 42. Jg., H. 9, 1935, S. 526)

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Eine recht ausführliche Darstellung des „Nationalen Frauendienstes“ findet sich u. a. in: Dietlinde Peters, Mütterlichkeit im Kaiserreich – Die bürgerliche Frauenbewegung und der soziale Beruf der Frau, Wissenschaftliche Reihe Band 29, B. Kleine Verlag Bielefeld, 1984.

Ich zitiere aus dieser Arbeit – bewusst „pointiert“ – nur zwei Stellen:

„Ziel dieser ganzen Arbeit ist natürlich nicht die soziale Fürsorge um ihrer selbst willen, sondern zum Zweck der Freisetzung möglichst vieler Frauenkräfte für die Munitionsherstellung.“
(Peters, S. 474; Peters zitiert hier: Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine, 1918, S. 15)

„Die immer schon handarbeitenden proletarischen Frauen werden zum Granaten drehenden `Heer der Arbeit`, die bürgerlichen Frauen übernehmen als ´soziales Heer` die mütterlichen Sorgen und Pflichten.
Die führenden, erfahrenen Frauen aus der Frauenbewegung, die M. E. Lüders oft durch direkte Ansprache als Referentinnen gewinnt (z. B. Gertrud Bäumer, …) organisieren und werben für die Kriegsarbeit: … so wird jetzt und hier die in ausreichender Zahl produzierte und gut funktionierende Granate zum Zweck organisierter sozialer Arbeit. Konkret lösen Werbeveranstaltungen für Munitionsarbeiterinnen, d. h. politische Arbeit, die ´alte` Arbeit von ´Mensch zu Mensch` ab. … Die Hauptsorge der Referentinnen gilt dem Transport und der Unterbringung der für die Waffenproduktion angeworbenen Arbeiterinnen.“ (Peters, S. 475)


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(Teil 3-5)

Beenden möchte ich diesen Teil meiner Erkenntnissammlung über Gertrud Bäumer mit ein paar Sätzen aus einem Vortrag Bäumers mit dem Titel „Weltkrieg und deutsche Bildung“, den sie in den schon mehrfach erwähnten Sammelband „Weit hinter den Schützengräben“ (1916) aufgenommen hat:

„Was lehrt der Krieg für die Erziehungspflicht in der Schule – Erziehung im engeren Sinne der sittlichen Bildung des einzelnen Kindes gefaßt? Er hat der Jugend dieser Tage Vorbilder und Maßstäbe geschenkt, von denen man fast sagen kann, daß sie einen Teil der Erziehung selbst übernehmen ohne Zutun des Erziehers. Die junge Generation hat lebendige Helden zu Vorbildern, hat außerordentliche Leistungen als Maß des eigenen Strebens. Alle Kräfte der Zeit helfen ihr zur Anerkennung der Aristokratie der Fähigkeiten und Leistungen. Sie ist bereit zur Ehrfurcht vor dem Können. Und man braucht nicht viele andere „Ehrfurchten“ in der Erziehung, wenn das Kind diese eine verstanden hat. Die künftige Erziehung kann im Zeichen des Heroismus stehen, der in dieser Zeit in Tausenden von Beispielen um unsere junge Generation herum lebendig ist. Der Erzieher hat es leicht in dieser Zeit, weil sie den Kindern zwei Dinge auf einmal gezeigt hat, die in dieser Verbindung durch kein denkbares Ereignis in gleicher Eindringlichkeit deutlich werden konnten, nämlich die Bedeutung des überlegenen Führers u n d die Bedeutung des pflichtbewußten Einzelnen in der Masse. Auf diese beiden großen Beispiele kann die ganze persönliche sittliche Erziehung eingestellt werden … .“ (S. 208, 209)
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Buerelter
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Beitrag von Buerelter »

Ok, ich denke mal, das es vorerst keine weitere Fortsetzung der Texte gibt.

Vor diesem Hintergrund ist es natürlich bedenklich (und ich meine, ernsthaft zu Bedenken) ob der Name Gertrud Bäumer als Name einer Schule in der heutigen Zeit passt.

Die hier zitierten Texte lassen den Eindruck zu, als ob sie aus dem Nationalismus des Kaiserreichs nicht nur den Boden für den aufkeimenden Nationalsozialismus bereitet hat, sondern ihn auch mit reichlich Dünger versehen hat. Auch wenn sie in der Nazizeit quasi kaltgestellt war.

Leider fehlen mir Informationen darüber, ob sich sich in späterer Zeit von ihren damaligen Äußerungen distanziert hat.

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Tanja
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Schon wieder

Beitrag von Tanja »

Der Diskussionsansatz kommt mir bekannt vor. Vielleicht ist es nicht direkt vergleichbar; dennoch gab es im Eselchen-Thread schon mal folgende Antworten oder Ansichten auf meine Anfrage:

Emscherbruch:
Warum sollte ein in Kupfer gegossener Esel, der nur noch in der Erinnerung existiert, eine Ausstellung belasten?
Würde jemand sich aus einem ähnlichen Grund weigern, in einen VW Käfer zu steigen? Das ist auch so ein "Gegenstand", der in der NS-Zeit erdacht und mit großer Unterstützung des Regimes von Ferdinand Porsche erschaffen wurde.
Und wenn jemand auf die Idee käme, dieses Auto wieder als Neuwagen aufzulegen: würde er damit die Ideen der Nazis ehren? Wohl kaum.

ausdemhinterhof:
... Wenn ein Künstler oder ein Techniker, der im 3. Reich als "Mitläufer" bei den Nazis
so geächtet werden würde... hätten uns besser die Amerikaner mit Ihren A-Bomben in die Steinzeit zurück gebombt.......! Hier ist eigentlich nichts was nicht irgend wie mit den Nazis in Verbindung gebracht werden kann! Porsche ist da eines der prominentesten Beispiele. Ist denn die Nazie Vergangenheit der Grund für den Abbau des Esels gewesen? Geht es in erster Linie nicht um die Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt? Wenn der Esel da war gehört er dazu!
Mein Bild zeigt Tanks eines Ölwerkes, welches im 3. Reich ein KZ Außenlager war.
Also auch besser entfernen? Wenn ja sollten wir alle Zechenbilder aus der Ausstellung nehmen!
Eisen und Stahl hat Hitler ja erst dazu gebracht Polen zu überfallen! ...
Diese und andere Antworten fußten auf meine Bedenken:
Liegt darin nur ein Quentchen Wahrheit, müssten wir, auch als Ausstellungsmacher, uns einen sehr sensiblen Umgang überlegen, wenn wir das Thema nicht vollends rausschmeißen.
Ich finde die Bedenken nach wie vor gerechtfertigt, nur sollte man auch beachten, dass nach dem Krieg, indirekt mit Vergangenheitsbewältigung begonnen wurde. Immerhin fanden dort die ersten (um 1948) Entnazifizierungsprozesse der britischen Militärregierung statt. Es geht um historisches Bewusstsein.

Was gibt es zu tun oder zu bedenken?

- geht es bei einer möglichen Namensänderung um Vergangenheitsbewältigung oder nur um einen "Persilschein"? (Also trotz und alledem oder in Demut sterben)

- ist dass der richtige Weg die Schüler zu sensibilisieren, sofern es der Geschichtsunterricht nicht hergibt? Und, wer weiß das?

- sollte man vielleicht doch zunächst, bevor man das öffentlich darstellt und diskutiert, mit dem Schulleiter sprechen? Also, könnte eine solche Diskussion ein negatives Licht auf die Schule werfen?

- wem hilft es? Wer hat bislang, beispielsweise, eine vollständige Liste von allen Nietsch-Skulpturen in Gelsenkirchen angefordert? (Dass eine solche niemals herausgegeben würde, ist mir völlig klar)

Ne, ich bin gegen eine Namensänderung und gegen jegliches virtuell herbeigeführtes Geschmäckle. Die Schule hat in rund sechzig Jahren verschiedene Wandlungen erlebt und sogar Jungs "eingeführt". Der Name und die damit verbundene Vita blieb mit Sicherheit nie im Dunklen.

Dafür gab es zu viele Liebhaber für dieses Gebäude, die bestimmt nicht nur auf Fassade geguckt haben.

Tanja
"Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe - aber als Mensch unersetzlich!" (Johannes Rau)

MichaL
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Beitrag von MichaL »

Buerelter hat geschrieben:Leider fehlen mir Informationen darüber, ob sich sich in späterer Zeit von ihren damaligen Äußerungen distanziert hat.
Das von Manfred Schurich zusammengefaßte Material ist wirklich unfaßbar, genau das waren die bewußten und unbewußten Wegbereiter.
Ich war gerade mal neugierig und habe ein wenig geggogelt, das Bild von Gertrud Bäumer ist vielfältig.

In einem Buch scheint mir eine körperliche Beziehung zu einer Frau angedeutet zu sein, ein damals sicher mehr als ungewöhnlicher Vorgang, der viel Mut, aber auch Selbstbewußtsein erfordert hat: http://www.ulrike-helmer-verlag.de/bucher/Buch134.htm

Hier wird sie als recht skeptisch bis ablehnend gegenüber dem Nationalsozialismus dargestellt:
http://www.frauenpolitik.net/system-cgi ... d=406#more

Hier aber wird ihr - mit Zitat - die Unterstützung während der Zeit ab 1933 vorgeworfen:
http://www.lwl.org/westfaelische-geschi ... tab_person
Auch während der NS-Zeit konnte Gertrud Bäumer die Zeitschrift "Die Frau" weiterhin herausgeben. Ihre darin veröffentlichten Artikel sorgten in den frühen Nachkriegsjahren für erhebliche Kritik, denn mehr als einmal hatte Gertrud Bäumer darin der Politik Hitlers applaudiert. Den Zweiten Weltkrieg beispielsweise hatte sie als "nationale Befreiungstat" gelobt.

Während sich wiederrum hier das Bild ergeben könnte, dass sie "Opfer" des Nationalsozialismus sei (sich jedenfalls selbst so gesehen hat):
http://www.frauenpolitik.net/system-cgi ... d=406#more

Man müßte vermutlich alle in diesem Artikel genannten Werke von ihr lesen, um ein korrektes Bild zu bekommen:
http://www.helloarticle.com/de/gertrud- ... g-r212.htm

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Buerelter
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Beitrag von Buerelter »

@Michael Liedtke:
Danke für die Linksammlung. Damit kann man sich schon mal ein ungefähres Bild machen.

Dazu auch:

http://books.google.de/books?id=iXbii5y ... &q&f=false

Dort wird aufgezeigt, wem sie nach dem Krieg die Schuld am Nationalsozialismus gibt.
Interessant auch die Seite davor und danach, sowie die Fußnoten.

DThamm
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Beitrag von DThamm »

Puh, viel gelesen, kann mir aber keine eigene Meinung bilden.

Lunte
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Der nächste bitte...Eduard Spranger

Beitrag von Lunte »

Ein weiterer Kandidat für eine genauere Betrachtung seines Wirkens in der NS-Zeit -und auch nach 1945- ist Eduard Spranger. (Bezug : Eduard-Spranger-Berufskolleg, Goldbergstraße 60)

Zum Beispiel hat Eduard Spranger noch 1951 verkündet, "daß es nicht der Nationalsozialismus war, der in die Katastrophe geführt hat, sondern ganz eigentlich der Hitlerismus".* Mit dieser eindeutigen und keinesfalls mehrdeutigen Interpretation geht Eduard Spranger den Weg, Hitler für die Verbrechen der Nazis alleine verantwortlich zu machen und eine historisch nicht haltbare Differenzierung zwischen "Nationalsozialismus" und "Hitlerismus" zu konstruieren.

* Zitat aus: Spranger "Fünf Jugendgenerationen 1900-1945" in: Spranger: Pädagogische Perspektiven, Heidelberg 1951

Troy
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Beitrag von Troy »

@ Lunte:
hab mir erlaubt, deine Idee aufzugreifen und einen neuen Fred angefangen:
http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... php?t=8875

Zu diesen Texten:
Der Lehrer Herr Schurich erscheint mir erstaunt und erschrocken über sich selbst,
wie sorglos er selber 30 Jahre unter bedenklicher bzw. falscher Flagge gesegelt ist!
So viel Offenheit imponiert mir.
Er betreibt nun Aufklärung, regt zum Nachlesen und Mitdenken an, lädt zur Diskussion ein.
Späte Erkenntnis, aber nicht zu spät: Nicht in der Schule, sondern im Leben lernen wir!

MichaL
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Beitrag von MichaL »

Troy hat geschrieben:Der Lehrer Herr Schurich erscheint mir erstaunt und erschrocken über sich selbst, wie sorglos er selber 30 Jahre unter bedenklicher bzw. falscher Flagge gesegelt ist!
So viel Offenheit imponiert mir.
Er betreibt nun Aufklärung, regt zum Nachlesen und Mitdenken an, lädt zur Diskussion ein.
Vielleicht könnte man ihn einladen hier mitzuschreiben?

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Ego-Uecke
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Beitrag von Ego-Uecke »

Diese Einladung war Bestandteil unserer Vereinbarung zum Einstellen der Texte durch die Verwaltung. Wir haben die Bearbeitung der Texte übernommen, weil unsere Software keine Dokumente aus Textverarbeitungsprogrammen zulässt. Mit dem Texteditor hier sind aber Textformatierungen relativ umständlich.

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