Ja, wenn ich über die Bahnhofstraße gehe, dann ist es da anders als früher.
Ja, man muss was anne Augen haben, wenn man da keine Veränderungen sieht.
Aber welches "früher"?
Es gab Zeiten, da hatte die Bahnhofstraße Holzfußboden.
Da kann man sehr sicher sein, dass die Vorfahren-Generation mit der o.g. Wirtschaftsmigrationsgeschichte zwar als Arbeitskräfte bestellt, aber als Mitmenschen nicht "abgeholt" worden waren in der aufstrebenden Stadtgesellschaft. Ein hoher Grad an (vom Preußischen Staat sehr genau beobachteter) Selbstorganisation war überlebenswichtig und der regelmäßige Pendelverkehr mit der "Heimat".
"Deutsch" sprechen?
Hallo, wo? Schon Luftlinie weniger als 1 km weg von der Bahnhofstraße hörte die Insel der Seligen auf.
Polnisch, Masurisch, Litauisch... alles nebeneinander war in den Straßen zu hören.
Mit extra hergeholten, extra beauftragten muttersprachlichen Geistlichen, Wanderpredigern und wasweißichnoch alles...
Welches "früher"?
Es wurde m.E. bereits ab Mitte des 19.Jh. mit dem Bau der Arbeitersiedlungen mitten in damals noch so mancher "Revier-Pampa" der Grundstein für das gelegt, was heute aussieht wie städtische "Armutsviertel", abgehängte Stadtteile etc. Da sind so entstandene Quartiere und eben noch verschlafene Dörfer in Zeiten explosionsartig ansteigender Bevölkerungszahlen zueinander gekrochen - Haus für Haus, Straße für Straße.
Und irgendwann waren es so viele Menschen, dass man "Stadt" war. Auf dem Papier.
Nur weil man toll malochen kann, ist man noch lange kein prima Nachbar!
Im Gegenteil.
Wo stehen nochmal die Erinnerungstafeln an die Arbeiterkolonie-Häuser auf der Bahnhofstraße? *grübel*
Wie viele Leute aus den Arbeitervierteln sind wohl damals über die Bahnhofstraße flaniert?
Und was die meist zahlreichen "nachgeborenzugewanderten" Kinder betrifft und deren schulische Versorgung: GE hatte schon inne 1920'er Jahre so schicke Hilfsschulen... für alle die doofen Kleinen, deren vermeintlich ungebildete Eltern nix für ihre Bildung tun konnten.
Und GE hatte auch schon damals gemessen an der Einwohnerzahl beständig mehr Kinder als andere Städte ringsherum.
Welches "früher"?
Das der 1960'/70'er Jahre, wo man extra nach GE kam, weil hier das Einkaufshighlight schlechthin war?
Donnerstags zum Ende des Schlussverkaufs kam immer eine mir bekannte Dame von auswärts extra angefahren, um auf der Bahnhofstraße Stoff zu kaufen, weil damals noch viel selber genäht wurde und an diesem Tag stets die Preise nochmals runtergingen. Und damals wurde den "Langhaarigen" deutlich gesagt, wo's lang geht... die lungerten nämlich auch schon einfach überall herum.
Welches "früher"?
Vielleicht das der 1980'er Jahre? Auch wegen "Stoff"? Und dann abends, so kurz nach Geschäftsschluss? Mit den Kindern der ersten Gastarbeiter?
Als man die "Hucky-Boys" auf der Bahnhofstraße antraf - und deren Schriftzug auch dortselbst regelmäßig an Wänden lesen konnte? Mit ihren Gang-Jacken, immer unterwegs auf der Suche nach dem Abenteuer? Zum Beispiel, um sich ordentlich mit den "The Wanderers" auf die Nasen zu hauen? Wegen Mädchen, Stoff, Revierkämpfen...
Da gab es reichlich Zündstoff, man schlug sich gelegentlich sogar bis nach Wanne und Essen durch.
"Jacken abziehen" - das gab es da auch schon.
Zu der Zeit hat auch so manches Mütterchen auf der Bahnhofstraße von "früher war alles besser" geträumt.
Also: Welches "früher"?
...to be continued...