Deutscher Werkbund:
Einer Ruhrgebiets-Ikone droht die Zerstörung:
Das Theater: taufrisch, jedes Detail stimmt, elegant, menschlich, ein großer Atem, szenisch, abends ist die Glaswand des Foyer ein Spiegel. Genial.
Das konnte verpflichten - tat es aber nicht. Der Blick nach draußen geht auf das verunglückte Terrain, das eine glänzende Mitte der Stadt sein müßte. Aber dazu hat sich nie der jahrzehntelang dümpelnde Geist einer Stadtregierung aufgerafft. Er brachte die breite vierspurige Straße nicht unter die Erde. So gibt es zwischen den beiden Bau-Ikonen nur Unglück: zumöbliert steht alles da nur so herum.
Abriß-Beschluß. Nun ist die Stadt dabei, sich um die Bau-Ikone des Hans Sachs-Hauses zu bringen. Das wird jeden, der am 15. Dezember 2005 dafür stimmte, namentlich in die Hölle der Geschichte bringen. Denn ein solcher Bau muß schlicht tabu sein - wenn es Einsicht und eigene, städtische, regionale Würde gibt. Und den Anspruch, zur Kulturhauptstadt gehören zu wollen. Von selbst reißt sich nichts ab - es sind stets konkrete Menschen, die dies tun. Und sie werden der Stadt bleibenden Schaden zufügen.
Da helfen auch die üblichen Ausreden nicht wie "dumm gelaufen" oder "kein Geld", die dazu dienen, den Diskurs mit Argumenten zu verhindern und sich der Mühe zu versagen, Phantasie für Problem-Lösungen zu entwickeln.
Umdenken. Wer nicht stark ist, muß intelligent sein, sagt ein holländisches Sprichwort. Der Umgang mit dem Hans Sachs-Haus ist ein Beispiel dafür, daß der Kopf schwach war. Von der IBA Emscher Park konnte man lernen, Denkweisen zu verändern. Man muß anders denken, wenn man das Problem auf eine gute Schiene und zu einer guten Lösung führen will - das ist immer noch möglich.
Erstens: man muß vorher ein solches Projekt methodisch gut durchdenken. Fehl-Anzeige.
Zweitens: die Schadhaftigkeiten am Gebäude wurde hochgeredet - das wenigste davon entspricht der Wirklichkeit. Es wurden erhebliche methodische Fehler gemacht.
Drittens: Man lehnte es ab, empfohlene Experten einzuschalten - also kritischen, intelligenten und schöpferischen Geist.
Viertens: Alle Debatten wurden geführt ohne genaue Untersuchung, aber mit viel Bauchrednerei.
Fünftens: Wenn man nichts hat, muß man mit findigen Provisorien leben können. Italiener hätten die fraglichen Räume einfach abgeschlossen. Wenn man meint, eine Decke sei nicht sicher, konnte man - vor allem in einer Bergbau-Landschaft - hölzerne Stempel stellen - es muß nicht vornehm zugehen. Vornehmheit ist kein Maßstab für Armut.
Sechstens: In der Finanzarmut kann man keine großen Ansprüche stellen - und Perfektion verlangen. Unsinn: alles fordern - und schließlich vor dem Nichts zu stehen. Dieses Nichts sieht dann so aus: ein öder Parkplatz. Statt Ikone ein Parkplatz - das ist die symbolischste Form aller Skandale. Unfaßbar: diese Blamage einer Stadt.
Italiener lachen uns aus. Trotz weniger Geld wird nichts abgerissen - es steht vieles leer, meist Jahrzehnte. In Italien ist von zehn Kirchen nur eine in Funktion - aber die neun anderen reißt niemand ab. Schlüssel rumgedreht - basta. Dasselbe gilt für viele Paläste, z. B. in Venedig - es gibt keine Bau-Lücken. Italiener schütteln den Kopf über die hierzulande verbreitete Manie, was man nicht sofort und üppig finanzieren kann, abzureißen - und das Nichts einer kahlen Fläche zu umarmen. In Italien - und in vielen anderen europäischen Ländern - gibt es die Geduld, ein Gebäude, wenn es nicht anders geht, zu tolerieren und vielleicht erst nach Jahrzehnten vernünftig zu richten.
Siebtens. Um sich klar zu machen, was ein Abriß bedeutet, welcher phantastische Unsinn da auf der Basis von Ignorenz und Unverständnis geschehen soll, kann man sich vor Augen halten, was diese Architektur wert ist.
Politische Bedeutung des ersten Volks-Rathauses. Der Entwerfer des Hans Sachs-Hauses ist Alfred Fischer. Er ist neben Fritz Schupp (Weltkulturerbe Zollverein in Essen) der substantiellste und wichtigste Architekt der 1920er Jahre im Ruhrgebiet.
Alfred Fischer leitete die Folkwang-Schule.
Alfred Fischer war der Exponent des Werkbunds im Ruhrgebiet und im Westen Deutschlands.
Vor allem war Alfred Fischer der Gestalter des demokratischen Aufbruchs. In den 1920er Jahren, im äußerst schwierigen Weg von der Kaiser-Zeit in die Demokratie war dies ein politisches Unternehmen. Es gibt nur ganz wenig an Bauten in diesem Prozeß. Alfred Fischer entwarf das Volkshaus in Rotthausen (später Gelsenkirchen) und das wichtige Gebäude für die beginnende Selbstverwaltung (heute Regionalverband) in Essen.
Die dritte hoch wichtige politische Architektur ist das Hans Sachs Haus in Gelsenkirchen. Es ist das erste nachmittelalterliche Rathaus, das staatliche Autorität ins Alltagsleben einbettet - erneut ein Mehrzweckbau. Es ist das erste Volks-Rathaus. Darin hatte nahezu alles an öffentlichem Leben der Stadt seinen Platz.
Wegen seiner Tätigkeit traf ihn 1933 das Berufsverbot.
Jetzt soll diese seltene politische Reform-Architektur ausgerechnet von späteren und offensichtlich bewußtlosen Sozialdemokraten unter der Führung des Oberbürgermeisters Frank Baranowski abgerissen werden. Baranowski ist noch nicht lange im Amt, er hat das Desaster nicht verschuldet, aber er will das Todes-Urteil über den berühmten Bau exekutieren - soviel Unverstand ist unbegreiflich.
Absurdes Beispiel der Privatisierung. Das Hans Sachs-Haus ist nun ein Musterfall dafür, daß das Privatisieren öffentlicher Aufgaben eine Falle ist. Da wollte man verpachten, bauen lassen und zurückmieten. Dem Publikum wurde vorgespiegelt, daß es dann kein Geld koste. Aber der private Pächter und sogenannte Investor, eine Tochter der Deutschen Bank, macht gleich drei Geschäfte: Gewinn beim Bauen. Und fast drei Jahrzehnte der Miete. Damit sie noch einmal hoch geht, treibt er die Kosten in schwindelnde Höhe - und hält dies völlig undurchsichtig.
Hinzu kommt eine Kette von Ungeschicklichkeiten und mangelndem Durchblick, für die es namentlich Verantwortliche gibt. Und Parteipolitik des damaligen neuen Oberbürgermeisters Wittke, der sich mit dem Projekt Prestige schaffen wollte.
Jetzt hat die Stadt die Reißleine gezogen und will aus dem Vertrag heraus. Aber stolpert sie gleich in die nächste Falle: Abriß der Ikone.
Skandal-Stadt. Machen sich die Verantwortlichen klar, was dies bedeutet ? Damit kann Gelsenkirchen nachhaltig in die Geschichte eingehen: als ignorante Skandalstadt. Eine Liste liegt vor - kaum zu übertreffen: Abriß des Hauptbahnhofs. Abriß des Rathauses. Herunterkommenlassen einer schönsten und der größten Gartenstädte - in Buer-Hassel. Verständnislosigkeit für die Spuren der einst größten europäischen Bergwerksgesellschaft, die hier ihre Wurzel hatte. Unverständnis dafür, daß die Stadt zehn Jahre lang die kulturelle Hauptstadt der Region war - mit dem Sitz der IBA Emscher Park. Nichtbegreifen, daß sie die Hauptstadt der Triennale ist. Ungeliebt: das Bundesgartenschau-Gelände. Gelsenkirchen hat eine Denkmalpflege mit einem Halbtags-Job, die keine sein darf und sein will. Dazu inkompetent besetzt. Gelsenkirchen ist Sitz des Europäischen Hauses für Stadtkultur - wird dies begriffen ? Und vieles mehr. Kann man mit einem solchen Abriß-Skandal einer Ruhrgebiets-Ikone eine Kulturhauptstadt-Region werden oder sein ? - das sollten die Nachbar-Städte Gelsenkirchen fragen.
Man darf arm sein, aber nicht von allen guten Geistern verlassen.
Gefordert: Problemlöser-Qualitäten. Oberbürgermeister Baranowski muß endlich Problemlöser-Qualitäten entwickeln - die braucht er jetzt.
Vom Landesminister Wittke ist Wiedergutmachung gefragt: er könnte er drei kluge, unabhängige Sonderbeauftragte einsetzen (Moderationsverfahren) und für den außergewöhnlichen Fall auch außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen.
Denkmalschutz. Wie in schlechten Fußball-Spielen entstehen Ketten von Fehlern. Der schon lange Zeit müde und dadurch gefällige Landeskonservator Prof. Dr. Grunsky hat als letzte Amts-Handlung vor seinem Schritt in die Pension beschlossen, keine Minister-Anrufung in der Frage nach Entlassung der Ikone aus dem Denkmalschutz zu machen. Dies ist ein Zeichen für mangelnde Haltung.
Der Minister könnte jedoch von sich aus den Fall an sich ziehen und auf Erhaltung entscheiden.
Das Nichts ist keine Problem-Lösung. Der Oberbürgermeister Baranowski steht nun vor der Frage, auf unrühmliche Weise in die Geschichte einzugehen - er wird eine Zerstörung der Ruhrgebiets-Ikone niemals vergessen machen können und von seinem Namen lösen.
Man kann das Problem nicht dadurch lösen, daß man den Patienten, die Ikone, umbringt. Dann entstehen gleich mehrere weitere Probleme - für das Opfer, für den Täter, für die Stadt, für die Region.
Die italienische Lösung. Als Vorsitzender des Deutschen Werkbunds NW lege ich Oberbürgermeister Baranowski dringend nahe, erstmal eine italienische Lösung zu nutzen - das römische Via Appia-Prinzip: Dort würde nichts mehr stehen, wenn man es nicht hätte stehen gelassen.
Karl Ganser formulierte es so: Gebt den Dingen Zeit ! Damit hatte er größte Erfolge. Also: stehenlassen, abschließen und ohne Hektik planen !
Gibt es einen Kompromiß ? Das Minimum: Die stadtbildprägenden zwei Fassaden einschließlich des Hotel-Turmes komplett erhalten.
Das Treppenhaus des Bauhaus-Schülers und Folkwang-Lehrers Max Burchartz ist leider bereits ruiniert - unter Bruch des Denkmalschutzes, aus dem es noch nicht entlassen war.
Wenn man arm ist, muß man nicht hochstapeln. Dann muß man in seinen Möglichkeiten bleiben - dazu ist Intelligenz das wichtigste Kapital, das konnte von der IBA gelernt werden.
Umkehr zu produktiver Politik. Der Fall könnte auch die Herausforderung sein, mit Gelsenkirchen ganz anders umzugehen: mit einer Qualitäts-Offensive - nach dem Maastricht-Rezept. In der Stadt ließe sich viel Substanz entdecken. Kluge Leute könnten die städtischen Häuptlinge beraten: was aus Gelsenkirchen zu machen wäre.
Wenn die Kulturhauptstadt-Jury das Ruhrgebiet bereist, wird ein Abriß-Beschluß als dicker Minuspunkt gelten - aber ein kluger Entschluß könnte sie beeindrucken - und eine beispielhafte und eindrucksvolle Entwicklung einleiten: Gelsenkirchen arbeitet Gelungenes heraus - das Aschenputtel wird Prinzessin. Es entwickelt eine Denkmalpflege, die die Schokoladenseite der Stadt zeigt und zur Basis der Stadtentwicklung macht - das kann ein Modell werden, schrittweise gedacht, geplant und realisiert. Der Geist ist umsonst - aber man muß ihn lieben und nutzen.
Dies kann nicht nur die Ikone Hans Sachs-Haus erhalten, sondern dazu beitragen, der gebeutelten Stadt ein anderes Image geben. Das hat mit Geist zu tun - und dann erst mit Geld.
Deutsche Werkbund. Der Fall ist für den Deutschen Werkbund sehr wichtig. Er wird gebeten, mitzuhelfen, den Oberbürgermeister zu bestürmen, eine unsinnige Politik umzukehren.
Dazu darf man auch an eine Solidarität mit dem wichtigen Werkbund-Architekten Alfred Fischer denken.
http://www.deutscher-werkbund.de/index. ... howNews=88
Dieser Text ist in einer ersten Fassung erschienen in der NRZ (180.000 Abonnenten). Er wurde an alle wichtigen Leute in der Stadt-Politik und an die überregionale versandt.
Deutscher Werkbund - Artikel zum HSH
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