Einiges an wichtigen theoretischen Abhandlungen, selbst heraus gegebenen Zeitschriften, lagert in seinen Archiven.
Hoffen wir, dass er sie hier zugänglich macht.


Zur Ausstellung am 27. Februar 2004 im Forum Bergmannsglück in Gelsenkirchen
Von Dr. Thomas Groetz
Die Ausstellung von Jürgen Kramer, die sie hier sehen, umfaßt Bilder aus 20 Jahren. Viele von Ihnen wissen sicherlich, daß Jürgen Kramer an der Kunstakademie Düsseldorf bei Joseph Beuys studiert hat. Dort entstanden in den frühen 70er Jahren vor allem kleinformatige Arbeiten auf Papier, die sich mit vielfältigen Themen beschäftigen.
Zwischen 1972 und 1978, als Jürgen Kramer sich eher theoretisch als praktisch mit Kunst aus der Perspektive von linker Kulturkritik befaßte, gibt es zwar sporadisch einzelne Bilder, doch erst ab 1979 und besonders ab 1982 steigt die malerische Produktion enorm an. Eine Auswahl dieser Werke wurde 1984, also vor genau 20 Jahren im Städtischen Museum von Gelsenkirchen gezeigt.
Was war der Grund für diese Rückkehr zum Bild? Zu einer eindeutigen Bejahung der traditionellen erzählerischen Tafelmalerei, die ihre Berechtigung ja an vielen Stellen der Kunst seit Ende der 70er Jahre machtvoll demonstriert hat, in einer kulturellen Umbruchsituation, die man nicht ganz unproblematisch Postmoderne genannt hat.
Für Jürgen Kramer stand dieser kulturelle Umbruch zunächst im Zusammenhang mit einem Phänomen der populären Musik. Die Begegnung und Auseinandersetzung mit den Klängen, die ab 1978 aus den angloamerikanischen Gefilden auch hierzulande als Punk zu Gehör kamen, wirkte als ein Katalysator. Jürgen Kramer verstand den im Punk heftig zu Tage getretenen No Future-Gedanken nicht nur als eine vorübergehende Erscheinung der Jugend-und Unterhaltungskultur, an dessen modische Aspekte man sich seit 2 bis 3 Jahren wieder erinnert, sondern nahm Zukunftslosigkeit und Sinnverlust ernst als eine tiefgreifende Krise von kulturhistorischer Tragweite. Interessanterweise entzündete sich gerade an diesem Sinnverlust, an dieser Negativität und Hoffnungslosigkeit eine große Kreativität.
Dies wird in Jürgen Kramers bildnerischem Schaffen zunächst durch eine enorme Fülle an Techniken und stilistischen Ausprägungen und Anknüpfungen sichtbar. Es gibt erzählerische Bilder, mythologische Motive, die mal als Zitat einer vorhandenen Skulptur oder eines Bildes, mal als eigene dramatisch anmutende Vision dargebracht werden. Die Vielfältigkeit der Themen und Herangehensweisen an das Bild umgeht dabei bewußt den Personalstil, die sofort identifizierbare Manier.
In dieser sehr produktiven Phase vom Ende der 70er bis zu den frühen 80er Jahre sind bereits viele der Sujets und Themen, die für das weitere Werk von Jürgen Kramer bis heute bestimmend sind, vorhanden: Das Thema des Lochs, die Schwärze, die alles verschlingt und die konkret wird als der bezeichnete Schacht des Grabes, in den der Mensch angesichts von totalem Verlust, auch dem Verlust seiner selbst, zu fallen droht Haltlosigkeit, Sturz und Fall beschwören eine ausweglose, aber auch unbedingte Auslieferung an den Nihilismus, der fast einer Hingabe gleichkommt, in dieser Hingabe aber auch den energetischen Strahl für die Überwindung des Nichts und des Vernichtenden aufscheinen lässt.
Ein weiteres wichtiges Motiv dieser Periode ist der Engel, das gefiederte, zwitterartige Wesen, ein Phänomen des Übergangs, halb geistig und dennoch leiblich, zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen stehend. Gemeint ist auch der gefallene Engel, der vom Himmel seines festen humanistischen und rationalistischen Weltbildes stürzt. Der Engel ist ein Bote, ein zunächst endzeitlicher Bote, aber auch der vorsichtige Verkünder einer neuen Welt, deren Gestalt und Ausmaß jedoch vorerst nur zu erahnen ist.
Von einem Heraufnahen einer neuen Zeit scheint zunächst wenig spürbar, im Gegenteil: ab Mitte der 80er Jahre hält die Dunkelheit zunehmend Einzug in die Bildwelt von Jürgen Kramer, gleichzeitig schränkt sich die stilistische und materielle Vielfalt der vorhergehenden Jahre wiederum ein: Mehr und mehr im Zentrum steht nun die gemalte Imagination selbst: Friedhöfe in fahlem Licht, menschliche Gestalten und Antlitze, die aus der Versenkung auftauchen.
Auf vielen Bildern verschwindet der Hintergrund in eine schwarze Finsternis. Damit geht gleichsam die Welt verloren, das Bestehen jeglichen Raumes und räumlicher Orientierung, in der der Mensch, alle Wesen und Dinge angesiedelt sind. In dieser weltlosen Welt oder Zwischenwelt erscheinen Wesen und Fragmente von Wesen, Köpfe, abgetrennte Körperteile, die auf diese Weise eine verloren gegangene Beziehung zu einem Ganzen dokumentieren, vereinzelt und von einem kalten, fahlen Licht beschienen. Die Figuren selbst sind bleiche, geisterhafte Gestalten, aus denen alles Leben entschwunden ist, ihre maskenhaften Gesichtszüge erscheinen schmerzverzerrt oder diabolisch grinsend, um in einer Art Kälteschlaf, einem eisigen Fegefeuer auszuharren.
Der Höhepunkt dieser dunklen Phase ist ca. 1990/1991 erreicht, in dem Jahr, als Jürgen Kramer seine Publikation "Sterben" veröffentlichte, die wie die Bilder dieser Zeit von einem beunruhigend tiefen Einlassen auf das Sterben als menschliche Fähigkeit und Möglichkeit handelt.
Ab ca. 1994/95 hellen sich dann die Bilder zunehmend auf und erlauben den Farben mehr und mehr den Zutritt: Eine Aufbruchstimmung macht sich bemerkbar. Nicht zufällig sieht man in diesen wiedergeburtlichen Bildern Motive, Zitate und Farbharonien, die man aus der Renaissance kennt. Und logischerweise erscheint in diesem Klima auch erneut das Motiv des Engels, dessen weißes Gesicht ruhig und wach, sozusagen von falscher Individualität befreit ist. Hinter seinem Rücken senkt sich langsam der schwarze Vorhang und gibt den Blick in die Helle des Himmels frei. Oder es entsteht eine gänzlich in himmlischem Blau schwebende Engelsfigur, die in ihrer Körperlichkeit machtvoll und gleichzeitig in sich ruhend ihr Haupt in eine Ferne erhebt, von der Zukünftiges und Erneuerung zu erwarten ist.
So etwas wie Hoffnung läßt sich auch aus den neuesten Bildern Jürgen Kramers aus den letzten Jahren ablesen. Der gute Engel scheint über den gefallenen Beelzebub gesiegt zu haben, wie man auf dem Bild "Bindung Satans" aus dem Jahr 2003 erkennen kann, das auf der Einladungskarte dieser Ausstellung abgebildet ist. Dennoch bleibt die Bedrohung sichtbar und damit die Gefahr einer "Weltverdüsterung", von der der Philosoph Martin Heidegger in Betrachtung eines Gedichtes von Friedrich Hölderlin einmal sprach. Was Heidegger in Hölderlins späten Gedichten erkannte, lässt sich auch auf Jürgen Kramers Malerei übertragen: der Künstler hat hier den Mut, sich weit vorzuwagen in den Bereich, wo eine "Gesamtbedrohung des geistig-geschichtlichen Daseins zur Auswirkung
kommt". Es gibt wenige Künstler, die in solcher Schonungslosigkeit diese Gesamtbedrohung aufzeigen, aber auch die Möglichkeit eines Endes jener Bedrohung ins Auge fassen können.