Was wir hier vor uns haben, ist die Zusammenfassung eines pastoralen Dienstes von ca. 40 Jahren. Es geht dabei immer zuerst um das Wort, weil Gottes Wort nur durch das menschliche hörbar und lesbar wird.
Dieser pastorale Dienst geschah einige Jahre in Deutschland in der Evangelischen Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Buer-Hassel, bewohnt in besonderer Weise von Bergarbeiterfamilien. Diese Gemeinde gehörte zur Evangelischen Kirche von Westfalen. Danach geschah dieser Dienst in Argentinien in der Deutschen Evangelischen Gemeinde von General Alvear in der Provinz Entre Ríos, einer russlanddeutschen Gemeinde der Evangelischen Kirche am La Plata. Unsere Kirche arbeitet in Uruguay, Paraguay und Argentinien. Den 27 Jahren in Entre Ríos folgten noch nach meiner Pensionierung ca. 10 Jahre in der ökumenischen Arbeit unserer Kirche. Am Anfang meines Dienstes mit den Russlanddeutschen war unter ihnen noch die deutsche Sprache die tägliche Umgangssprache, aber der normale Prozess hin zur spanischen Sprache war nicht mehr aufzuhalten, So machte ich ebenfalls diesen Wandel mit. Aus diesem Grunde finden wir jetzt deutsche oder spanische Texte vor. Zunächst wurde der pastorale Dienst mit den vorhandenen Unterlagen in 3 Zusammenfassungen eingeteilt: a) Predigten, b) Vorträge, c) Fotos und zuletzt kam noch die 4. : d) Näheres über den Autor hinzu. Es ist eine zu lange Geschichte, um sie zu erzählen, wie ich, jetzt 85 Jahre alt, zu dem Entschluss kam, in den Jahren nach Beendigung meiner dienstlichen Arbeit, mich mit dem COMPUTER und was dazu gehört, zu beschäftigen Jedenfalls liegt jetzt das Ergebnis als CD und als Internet-Seite vor. Dabei halfen mir von Anfang an in entscheidender Weise meine Söhne Joachim und Paul und zum Schluss bei der Programmierung Frl. Natalia Spañol. Ohne sie alle wäre ich mit dem Apparat wohl nicht sehr weit gekommen. Ihnen sei herzlicher Dank dafür. Anfänglich wollte ich mit all diesen Unterlagen meinem Familien- und Freundeskreis auf diese Weise mit meiner Lebensarbeit vertraut machen. Später kam dazu, dass mir geraten wurde, diese Texte den Theologiestudenten in Deutschland und am La Plata zur kritischen Bearbeitung zur Verfügung zu stellen, auch zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Hinblick auf den pastoralen Dienst in einer bestimmten Zeitepoche. Von da an wurde daran gedacht, alles einer weiteren Öffentlichkeit durch Internet zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls rechne ich durchaus mit der Möglichkeit, dass auch noch nach Jahrzehnten Gottes Wort in einem begrenzten Wort eines Menschen hier und da für den, der damit in Berührung kommt, vernehmbar wird.
Die Mitteilung von Tippfehlern, Irrtümern und sonstigen Fehlern nehme ich sehr gern unter meiner E-Mail Adresse entgegen.

PERSOENLICHE ERINNERUNGEN UND GEDANKEN
eines 82-jährigen (Pfarrers) von Karl Schwittay verstorben am 29. Dezember 2004
1 hat geschrieben:Im Jahre 1917 am Ende des ersten Weltkrieges wurde ich in Gelsenkirchen im Industrie-Ruhrgebiet geboren.
Meine Eltern Wilhelm Schwittay und Eva geb. Kopatz kamen vom Lande aus der Provinz Ostpreussen. Das Gebiet (Masuren) gehoert heute zu Polen. Mein Vater arbeitete als Bergmann auf der Zeche Bonifatius in Essen-Kray. Ich wuchs in der Familie mit weiteren 3 Schwestern und 2 Bruedern auf. Das Ambiente bestand in einer von der Bergwerks-Gesellschaft gebauten Siedlung mit vielen weiteren Bergmannsfamilien, jedes Haus mit einem kleinen Garten.
Das Charakteristische war, dass sich unser Leben zwischen Fabriken, Zechen, und Bergarbeitersiedlungen abspielte, aber immer auch dazwischen und um uns her die immer mehr zurueckgehende Landwirtschaft und leicht zu erreichen eine schoene Landschaft mit Wald, Fluss und Parkanlagen zwischen Ruhr und Lippe. Meine Mutter, die die Arbeit mit uns 6 Kindern kaum bewaeltigen konnte, liess uns sehr viel Freiheit in der Gestaltung unseres Lebens. Mein Vater brauchte seine Zeit nach der Arbeit, um sich von dieser schweren Arbeit in der Grube als "Hauer vor Kohle" zu erholen. Meine Kindheit war auch dadurch sehr stark gepraegt, dass mein Vater "ünter Tage" einen schweren Unfall erlitt, ein massiver Stein ueber ihm loeste sich und schlug ihn nieder. Unter groessten Schwierigkeiten konnte er sich von seinem Wirbelsaeulenbruch wieder erholen, aber er litt sein Leben lang darunter und war nur bedingt arbeitsfaehig.
Wir Kinder waren in unserer Freiheit zu einer gewissen Selbstverantwortung gezwungen und lebten sehr stark in einer geistigen Spannung, die dadurch gekennzeichnet war, dass meine Mutter zu einer sehr engen pietistischen Gemeinschaft gehoerte, die nicht viel von der evangelischen Kirche wissen wollte, aber zu ihr gehoerte.. Mein Vater war Mitglied der Sozialistischen Partei (SPD) und Atheist, ein Bruder von mir war in der Ausbildung als Diakon, ein anderer war Funktionaer bei der ANTIFASCHISTISCHEN AKTION.
Mehrere Jahre nahm ich am sonntaeglichen Kindergottesdienst teil und mit 12 Jahren begann der 2-jaehrige Konfirmandenunterricht. Behalten von diesem Unterricht habe ich allerdings nur, dass ich einmal als Strafe die Bergpredigt 5x abschreiben musste. Ferner weiss ich noch,, dass wir anstelle einer Unterrichtsstunde mit dem Pfarrer an einer Versammlung der Gottlosenbewegung teilnahmen, die Propaganda fuer den Atheismus machte und dazu gehoerte auch die Propaganda fuer die Feuerbestattung. Dieser Propagandazug durch Deutschland wurde immer begleitet und auf der gleichen Versammlung bekaempft von einem Vertreter der Evangelischen Apologetischen Zentrale in Berlin-Spandau. Als die ersten Bierglaeser bei den heftigen Auseinandersetzungen flogen, sagte uns unser Pfarrer, dass wir jetzt doch den Saal verlassen muessten, es wuerde langsam fuer uns gefaehrlich. So wenig wichtig fuer mich der Konfirmanden-Unterricht war, so entscheidend und wichtig war fuer mich, dass ich durch diesen Unterricht in Verbindung mit der Evangelischen Jugend dieser Gemeinde kam, zunaechst mit der Jungschar des Evgl. Jungmaennervereins. Unsere Stunden fanden statt im Gemeindehaus am Markt in Gelsenkirchen-Rotthausen, 100 Meter von den Oefen der Kokerei der Zeche Dahlbusch entfernt. Oft umgab uns bei der Loeschung der Oefen eine feuchtheisse giftgruene Wolke. Noch 1929 gruesste uns am Eingang des Evgl. Gemeindehauses ein Gips-Relief vom letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. Nach der Konfirmation gehoerte ich zur Jugendgruppe und spielte mit im Posaunenchor. Inzwischen kam die Auseinandersetzung zwischen rot und braun. Wie oft erlebten wir es, dass in einer Woche waehrend unserer Zusammenkuenfte wir bewusst gestoert wurden durch die kommunistische Jugend mit ihren Schalmeien und in der anderen Woche durch die Hitlerjugend mit ihren Fanfahren, immer auch mit Einschlagen der Fensterscheiben verbunden. Im Kreis der Evangelischen Jugend, die sehr mit der Gemeindearbeit verbunden war und deren Leiter fuer uns junge Menschen sehr offen war fuer alles, was das Leben lebenswert machte, allerdings nicht fuer den immer maechtiger werdenden Nationalsozialismus, kam ich in der Bibelarbeit mit Jesus Christus in Beruehrung. ER liess mich nicht mehr los. Diese Verbindung hat auch in der Zukunft mein ganzes Leben gepraegt und gehalten.
2 hat geschrieben:Nach Beendigung der Volksschule begann ich eine Lehrzeit bei der damaligen Deutschen Reichspost. Waehrend dieser Zeit bekam ich entscheidende Impulse fuer mein Leben, besonders was die Behandlung mit fremdem Geld angeht. Neben diesem Dienst besuchte ich die Kaufmaennische Berufsschule in Essen-Steele.
Was nir besonders eindruecklich beim Bibelstudium erschien, war, dass die Nachfolge Jesu immer mit einem Ruf zu einem Dienst in seinem Reich verbunden ist.
Bald nach meiner Konfirmation verliess mein Konfirmator die Gemeinde und es kam der junge Pfarrer Ernst Käsemann an seine Stelle, Mit ihm waren wir als Evangelische Jugend sehr verbunden. Er war der Vertreter der Bekennenden Kirche und vertrat sie in unserer Gemeinde, die ein deutsch-christliches Presbyterium hatte und das er in einem vorher bekanntgegebenen Gottesdienst entmachtete, trotz aller Drohungen der Nationalsozialistischen Partei und der Geheimen Staatspolizei mit Aufmaerschen der SA. Inzwischen war ja Adolf Hitler an die Macht gekommen, der sich oeffentlich bei der Gemeindevertreterwahl der Evangelischen Kirche fuer die Deutschen Christen eingesetzt hatte. Diese Deutschen Christen waren Vertreter der Ideologie des nationalsozialistischen Parteiprogramms, die Adolf Hitler wie Jesus Christus in den Mittelpunkt stellten. Die Folge seines Einsatzes fuer die Bekennende Gemeinde war Pfarrer Käsemanns Verhaftung. Waehrend seines Gefaengnisaufenthalts in Gelsenkirchen haben wir ihm an jedem Sonntagmorgen nach dem Gottesdienst mit dem Posaunenchor vor dem Gefaengnis Choraele gespielt, die ihm sagten, dass wir hinter ihm stehen. Trotz allen Widerstaenden und Verhinderungsversuchen konnten wir waehrend seines ganzen Gefaengnisaufenthalts dieses Bekenntnis zu ihm durchhalten.
In vielen Formen wurde die evangelische Jugendarbeit gestoert und verhindert, Freizeiten verboten und Jugendlager auseinandergetrieben und zum Schluss alle Arbeit an der Jugend unter 18 Jahren der Hitlerjugend ueberfuehrt und dieses alles mit der Unterschrift des deutsch-christlichen Reichsbischofs Müller. Wir als Evgl. Jugend von Gelsenkirchen-Rotthausen nahmen an dieser Ueberfuehrung nicht teil, sondern fuehrten unsere Arbeit geheim weiter, aber jetzt unter der ausschliesslichen Schirmherrschaft der Bekennenden Kirche als kirchlichen Unterricht.
Inzwischen hatte ich durch meine Arbeit bei der Post in Essen-Kray den Kontakt mit der Bekenntnisgemeinde dort aufgenommen. Auch da war der Kirchenkampf im vollen Gange. Es kam zu einem persoenlichen Kontakt mit dem Bekenntnispfarrer Hack, dem vom deutsch-christlichen Presbyterium die Kirche fuer den Gottesdienst verschlossen blieb, trotzdem wurden die Gottesdienste gehalten, nun aber in anderen Saelen, immer an anderen Stellen.
Die evgl. Gemeinde Gelsenkirchen-Rotthausen gehoert zur westfaelischen Landeskirche und ist uniert-lutherisch gepraegt, die evangelische Gemeinde in Essen-Kray war Teil der rheinischen Landeskirche und ist uniert-reformiert. In der schwierigsten Zeit hat oft Pfarrer Heinrich Held aus Essen-Rüttenscheid hier den Gottesdienst gehalten, der, was wir spaeter erfahren haben, waehrend der ganzen Nazizeit unter groesster eigener Gefahr und der seiner Familie den ehemaligen juedischen Mitarbeiter des Oberbuergermeisters von Essen im Pfarrhaus versteckt gehalten hat. Pfarrer Heinrich Held (1897-1954), Pfarrer in Essen-Rüttenscheid. Nach dem Kriege Kirchenpräsident der Evgl. Kirche von Rheinland, Vater des ehemaligen Präsidenten unserer Evangelischen Kirche am La Plata.
3 hat geschrieben:In der Gemeinde Essen-Kray kam ich auch in einen engen Kontakt mit einem pensionierten Missionar der Basler Mission, Georg Kehrer, und seiner Tochter, einer aus China heimgekehrten Missionsaerztin, die nun hier am Ort ihre Praxis ausuebte. Ebenfalls entstand ein sehr freundschaftliches Verhaeltnis mit der Familie meiner spaeteren Frau. Ich wurde zu ihrer Konfirmation als 13 jaehriges Maedchen eingeladen, die am Weihnachtstag 1939 stattfand, unvorhergesehen in der Nachbargemeinde Essen-Steele, und zwar durch den Superintendenten von Essen, weil ihr Pastor Hack kurz vorher von der Geheimen Staatspolizei Redeverbot fuer ganz Deutschland bekommen hatte. Er war aber bei der Konfirmation dabei. Der Superintendent war gewissermassen sein Mund.
Dieses mein Verhaeltnis zur Evangelischen Jugend und zur Bekennenden Kirche konnte meiner vorgesetzten Behoerde nicht verborgen bleiben. Ich galt als einer, "der sich nicht rueckhaltlos fuer den nationalsozialistischen Staat einsetzen wuerde", auch wurde ich nicht zur Pruefung zugelassen.
Als solch ein unsicherer Kandidat wurde ich zu einem 14-taegigen Kursus vom Amt fuer Beamte der NSDAP zur Gauschulungsburg Muehlheim/Ruhr-Menden einberufen, der speziell fuer Beamte des Staates der verschiedenen Arbeitsgebiete und Laufbahnen gedacht war, die verdaechtig waren, sich nicht rueckhaltlos fuer den NS-Staat einzusetzen. Hier waren wir zu ungefaehr 50 Beamten und Beamtenanwaerter. Es begann eine radikale Doktrinierung in der nationalsozialistischen Weltanschauung, besonders aber in der Rassenlehre, bzw. im Rassenhass und in der Herausstellung des Gegensatzes zum christlichen Glauben. Was mir noch in Erinnerung geblieben ist:
"Die 10 Gebote sind so viel Wert wie der Dreck unter den Fingernaegeln".
"Die Geschichte vom Getreidewucherer Josef".
Auf einem Ausmarsch:
"Kopf hoch, Kameraden, Jesus lebt, sehr Ihr nicht, wie er gerade gen Himmel auffaehrt?"
Ein Beispiel des politischen Denkens gerade in der Zeit der internationalen Muenchener Konferenz ueber das Sudetenland und ueber die Tschechoslowakei:
"Weh Euch,, wenn Ihr in dieser Zeit wagt, zu sagen, dass bald die deutsche Fahne ueber Prag und ganz Tschechoslowakei wehen wird, wehe aber Euch auch, wenn Ihr nicht glaubt, dass bald die deutsche Fahne ueber Prag wehen wird.!"
Als Fazit dieses Kursus wurde uns allen mitgegeben, dass daran nicht zu ruetteln sei, dass als Beamter des nationalsozialistischen Staates nur der tragbar sei, der rueckhaltlos die nationalsozialistische Weltanschauung akzeptiert und dafuer eintritt. Wer das nicht tun kann oder nicht tun will, der muesse sich schon eine andere Lebensstellung suchen.
Fuer mich war da die Entscheidung klar:
Ich hatte schon erwaehnt, dass bei meiner Entscheidung fuer Jesus diese verbunden war mit einem Dienst in der Nachfolge.
In der Zeit, da ich Klarheit brauchte fuer meinen Weg, kam ich durch Schriften und Buechern und Missisonskonferenzen und -vortraegen mit dem Missionsauftrag in Beruehrung und suchte Kontakte mit verschiedenen Missions-Gesellschaften. Ich dachte damals an China als Arbeitsfeld und als Begegnung mit Chinas Kultur. Es kam dann zu vielen persoenlichen Kontakten mit der Rheinischen Mission in Wuppertal-Barmen.Und schliesslich fuehrten diese Kontakte dazu, dass ich nach meiner Volljaehrigkeit und nach Ueberwindung mancherlei Schwierigkeiten am 1. April 1939 in das Rheinische Missions-Seminar in Wuppertal-Barmen eintrat, das auch durch die Bekenntnisbewegung gepraegt war. Leider dauerte dieser Einstieg nicht lange, da ich schon im Februar 1940 zum Kriegsdienst eingezogen wurde.
Wenn auch die Zeit des Anfangs des Theologiestudiums nur sehr kurz war, hatte sie mir doch in einer gewissen Weise eine Grundlage geschaffen, um meinen Glauben auch beim Militaerdienst, den ich im Innersten meines Herzens ablehnte, nicht nur wegen des Missbrauchs durch Hitler, und ihn wie ein deutscher Dichter, als STAATSTIERDRILLANSTALT empfand und verstand, zu bewahren und zu staerken. Gleichfalls gab mir diese theologische Grundlage die Moeglichkeit, weiter an der theologisch-wissenschaftlichen Erfassung des christlichen Glaubens, der durch den Pietismus und durch die kirchliche Verkuendigung gepraegt war, zu arbeiten. Da ich als Soldat bei der Nachrichtentruppe war, blieb mir viel Zeit, besonders Karl Barth und Rudolf Bultmann zu lesen. Und es gab innerhalb der Kompanie viele Kontakte und Gespraeche, da wir zun groessten Teil mit Akademikern der verschiedensten Auspraegungen zusammengesetzt waren, darunter 5 Pfarrer.
4 hat geschrieben:Der Krieg fuehrte mich zuerst nach Koenigsberg in Ostpreussen. Von dort ueber den Truppen-Uebungsplatz Arys nach Luxemburg, Holland, Belgien und Frankreich. Nach Beendigung des Frankreich-Feldzuges ging es wieder zurueck nach Ostpreussen und nach einer Ruhepause mit Beginn des Russlandkrieges ueber Litauen, Lettland, Estland nach Russland in die Naehe der Stadt ((damals) Leningrad. Durch das Erlebte, was ein Krieg alles verursachte, besonders bei der Zivilbevoelkerung, wuchs noch mehr meine Aversion und mein Widerstand gegen jede Form von Kriegshandlungen, die mich veranlasste, eine Moeglichkeit der Vorbereitung fuer eine hoehere Karriere bei den Soldaten abzulehnen, und die mich auch durch Aeusserungen vor Kameraden vor ein Kriegsgericht in Krasnogwardeisk bei Leningrad brachte, das allerdings wohlwollend vor der Verhandlung mich unterrichtete, was ich sagen muesste, damit ich nicht wegen Meuterei verurteilt wuerde. Mein Kompaniechef war extra direkt von der Front im haertesten Winter zur Gerichtsverhandlung gekommen, um fuer mich zu sprechen. Er besuchte mich auch vorher in meiner Zelle. Das Schwerste fuer mich allerdings war das Gespraech mit einem zum Tode verurteilten Kameraden, den ich nach meinem Freispruch zu einer aerztlichen Untersuchung in ein Lazarett begleiten musste. Das Gespraech habe ich nicht mehr in meinem Leben vergessen koennen.
Schon bei der Vorbereitung fuer den Russlandkrieg wurde eine Gruppe unserer Funkkompanie fuer den Abhorchdienst des russischen Militaerfunks ausgebildet, zu der ich auch gehoerte, die dann in Russland selbst ihren Dienst etwas hinter der direkten Front versah. Das gab mir die Moeglichkeit, direkt in Verbindung mit der russischen Bevoelkerung die russische Sprache zu erlernen. Trotzdem waren die Jahre bis zu unserer Kapitulation nur schwer zu ertragen. Sie erreichte uns eingeschlosen im Kurlandkessel (Lettland).
Wir wurden als Gruppe von unserem Offizier zu einem offiziellen Akt zusammengerufen, nach dem wir noch alle Fahrzeuge, Waffen und Spezialgeraete fuer die Uebergabe reinigen mussten. Uns wurden die Wehrpaesse uebergeben und mitgeteilt, dass wir mit diesem Tage aus dem Dienst der Deutschen Wehrmacht entlassen seien und jetzt machen koennten, was wir wollten. Auf uns warteten schon die russischen Soldaten.
Und so endete fuer mich eine 5-jaehrige Kriegsdienstzeit und es begann in verschiedener Hinsicht eine noch schwerere 2-jaehrige Kriegsgefangenschaft. Von Kurland aus ging es langsam Woche fuer Woche, zuerst zu Fuss und dann mit der Eisenbahn, von einem Lager zum anderen, weiter in Richtung Moskau. Solch ein Lager bestand meistens aus einem Stueck freien Feldes, umzaeunt von Stacheldraht und weiter nichts. Schliesslich kamen wir da an, wo wir hinsollten, in dem Lager ELECTROSTAL bei Moskau.
Auf diesen letzten Wegen wurden wir "gefilzt", das heisst, uns wurden nach und nach alle wertvollen Sachen abgenommen. Sonst wurden wir nicht so schlecht behandelt, wenigstens nicht so, wie wir Deutsche die russischen Kriegsgefangenen behandelt hatten.
Wir dachten, dass das Kriegsgefangenenlager Electrostal bereits fuer unsere Ankunft vorbereitet gewesen sei, leider mussten wir das gesamte Lager erst aufbauen. Wir wohnten bis in den Winter hinein auf freiem Felde und dann in Zelten. Dazu gehoerte ebenfalls, dass wir in der ersten ganzen Woche ohne irgendwelche Nahrungsmittel blieben. Man sagte, wir seien zu frueh angekommen, sie haetten mit uns noch nicht gerechnet.
Wir hatten in den kommenden Wochen und Monaten immer Hunger. Man schob die Schuld auf die Nordamerikaner. Sie haetten nach der deutschen Kapitulation alle Nahrungsmittellieferungen an Russland eingestellt. Oft haben uns gestohlene Kartoffelschalen, die wir gebraten hatten, sehr gut geschmeckt, wenn wir sie nur immer haetten kriegen koennen. Wir konnten den uns umgebenden Russen keine Schuld geben, da sie selber Hunger litten. Ihre Verpflegung war in den meisten Faellen noch schlechter als unsere. Auch konnten sie sich Kino und Sauna nicht leisten, was wir alle 14 Tage hatten.
Was uns Kriegsgefangene allerdings sehr stark bedrueckte, war, dass wir lange Zeit ohne Nachricht aus der Heimat blieben, am Anfang konnten wir selbst an unsere Familien nicht schreiben. Eine Heimkehr schien uns unbestimmt in weiter Ferne zu liegen.
So bereiteten wir, ein Kamerad und ich, unsere Flucht vor, die uns ueber Gorki die Wolga hinunterfuehren sollte, und ueber den Kaukasus weiter in die Tuerkei. Wir kamen aber nicht sehr weit. Bei der Ueberquerung der Moskwa, wurden wir wieder gefangen genommen und von einer Bahnstation zur anderen langsam ins Polizeipraesidium nach Moskau gebracht. Auch hier, wie bis zur Rueckfuehrung in unser bisheriges Lage wurden wir sehr tolereant behandelt, im Gegensatz zu der Behandlung vieler anderer Kriegsgefangenen in der selben Situation an anderen Orrten. Das Schlimmste war, dass man mir meine kleine Bibel wegnahm, die ich erst im naechsten Lager von einem Kameraden, mit dem ich viele Gespraeche fuehrte, ein Mitglied der "Ernsten Bibelforscher", der fuer den Ruecktransport vorgesehen war, fuer ein halbes Brot ersetzen konnte.
In einem Schauprozess vor dem ganzen Lager wurden wir zu 30 Jahren Zwangsarbeit am noerdlichen Eismeer verurteilt. Fuer mich selbst war es klar, dass dieser Schauprozess nur eine Farce war.
Fuer uns war wichtig und lebenssrettend, dass die russische Feldschererin (Krankenpflegerin) des Lagers, oft im Widerstand gegen den Lagerkommandanten, dafuer sorgte, dass wir menschenwuerdig behandelt wurden. Sie sorgte dafuer, dass wir uns nach der Flucht auf der Krankenstube mit einer besseren Verpflegung wieder erholen konnten.
Nach unserem Abtransport zum "noerdlichen Eismeer" landeten wir schon bald nach 30 km in einem Straflager, in dem es keine Fluchtmoeglichkeit mehr gab. Die schwere Arbeit in einem Steinbruch verbrauchte voellig unsere Kraefte. Wir Kriegsgefangene wurden fast taeglich mit der Mahnung der russischen Regierung konfrontiert, dass wir zum Aufbau des von uns zerstoerten Landes dabehalten worden sind. Wir sollten wieder das in Ordnung bringen, was wir zerstoert hatten und das war tatsaechlich fast das ganze Gebiet westlich von Moskau.
In Electrostal haben wir ganze Ortsteile neu aufgebaut, im Steinbruchlager haben wir Kalksteine gebrochen zur Herstellung von Zement und in einem weiteren Lager haben wir Ziegelsteine gebrannt.
Trotz der nachlassenden Kraefte wegen der schweren Arbeit ohne die noetige Nachricht aus der Heimat, wurde ich am Weihnachsfest 1946 von meinen Kameraden gebeten, eine weihnachtliche Ansprache zu halten. Ich tat es mit dem Wort des Philipperbriefes 4,4:
"Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich euch: Freuet euch!"
Einen Tag spaeter wurde ich von der Antifa-Gruppe, die aus kommunistischen deutschen Kriegsgefangenen bestand, angeklagt, weil ich durch meine Weihnachtsansprache den anderen Gefangenen etwas von einer besseren Zukunft vorgegaukelt haette, statt sie aufzufordern, besser am Aufbau des russischen Landes mitzuarbeiten.
Eine weitere Verlegung brachte mich in ein Lager, das bestimmt war, Ziegelsteine zu brennen. Hier arbeiteten wir zusammen mit den russischen Arbeitern und Arbeiterinnen, besonders russische Maedchen wurden zu den schwersten Arbeiten am heissen Ringofen herangezogen. Hier kamen wir in einen richtigen Kontakt mit der russischen Zivilbevoelkerung. Fuer uns kam auf der einen Seite die Zeit der schwersten korperlichen Erschoepfung, einer nach dem andern brach zusammen und wurde Dystrophie geschrieben und fuer eine Zeit von der Arbeit befreit. Dazu gehoerte auch ich. Und als Kranke bekamen wir eine etwas bessere Verpflegung. Auf der anderen Seite begann nach so langer Zeit die Moeglichkeit der Verbindung und des brieflichen Kontaktes mit unseren Familien in der Heimat, wenn auch nur spaerlich.
Da ich mich nach einer laengeren Zeit in meiner koerperlichen Schwaeche nicht erholte, kam dann schliesslich im Juli 1947 total geschwaecht (43 kg Koerpergewicht) der Heimtransport im Viehwagen.
5 hat geschrieben:Hier, bei der Ankunft, erfuhr ich, dass mein Vater inzwischen mit anderen bei einem Brand ums Leben gekommen war. Meine Mutter tat alles, dass ich wieder zu Kraeften kam. Sie verkaufte Gegenstaende aus unserem Haushalt, um mein Essen zu verbessern und hat oft selbst um meinetwegen gehungert.
Aber das war das ganz Aussergewoehnliche in dieser Zeit, das mich sehr schnell wieder auf die Beine brachte, dass meine spaetere Frau, Esther Meier, trotz der langen Ungewissheit, auf mich gewartet hatte und das Einleben nach 5 Jahren Soldaten- und 2 Jahren Kriegsgefangenenzeit nicht nur erleichtert, sondern erst ueberhaupt ermoeglicht hatte.
So konnte ich schon Ende August 1947 ganz neu und ganz von vorne wieder das Theologiestudium am Missisonsseminar in Wuppertal-Barmen, das inzwischen im engen Kontakt mit der Kirchl. Theol. Hochschule im selben Gebaeudekomplex stand, beginnen.
Die erste Zeit war nicht leicht und wenn das Essen absolut nicht mehr ausreichte, mussten einige von uns aufs Land ins pietisrtische Siegerland fahren und dort Gottsdienste halten. Das Ergebnis war dann meistens ein Eisenbahnwagon voll mit Kartoffeln und anderen landwirtschaftlichen Produkten, sodass fuer eine Zeit die schlimmste Not im Seminar behoben war. Wir nannten diese Predigten Kartoffelpredigten.
Es war fuer mich nicht leicht, nach den vergangenen 7 Jahren wieder das Studium zu beginnen, besonders mit den 3 alten Sprachen. Das Eigenartige war, dass ich in den ersten Monaten meistens bei den Vorlesungen und beim Unterricht und bei der Erlernung der Sprachen, wozu auch noch Englisch kam, einschlief und auch wirklich geschlafen habe. Meine Studienkollegen, die 10 Jahre juenger waren, haben mich oft wecken muessen. Sie sagten mir spaeter, dass sie nicht gedacht haetten, dass ich noch einmal ans Ende kommen wuerde. Aber am Ende waren bei mir die Ergebnisse der Studien nicht schlechter als bei ihnen auch. Ich weiss heute selbst nicht, wie das moeglich sein konnte, aber es gibt ja das Sprichwort:
"Der Herr gibt es den Seinen im Schlaf".
Meine Verlobte stand bei meiner Heimkehr bereits im Schlussexamen an der Bibelschule in Bad Salzuflen. Als sie die Nachricht von mir bekam, dass ich auf dem Wege nach Hause sei, war sie gerade bei der schriftlichen Arbeit ueber "Rechtfertigung nach dem Roemerbief", die ihr Schwierigkeiten bereitete und war dann durch meine Nachricht so beflueget, dass sie doch noch eine sehr gute Arbeit schreiben konnte. Sie arbeitete dann in der Gemeinde Duisburg als Gemeindehelferin. Sie hatte nach dem Abitur Musik studieren wollen, war aber durch die Begegnung mit mir auch zur Theologie gekommen.
Ich kann wohl sagen, dass insgesamt die 4 Jahre meines Studiums eine sehr schoene Zeit gewesen war. Die Vorlesungen ueber das Neue Testament durch Dr. Georg Eichholz und ueber das Alte Testament von Dr. Hans Walter Wolff haben mir die Botschaft der Heiligen Schrift immer wichtiger werden lassen, als Massstab fuer das kirchliche, aber auch fuer das soziale und politische und persoenliche Leben.
Man darf nicht vergessen, dass das ganze oeffentliche Leben in Deutschland, das von den Alliierten und den Russen besetzt war, vor der Notwendigkeit stand, das verbrecherische Geschehen des besiegten Naziregimes aufzuarbeiten, wie Judenverfolgung und -mord, die nicht nach Recht und Gerechtigkeit fragende Diktatur und die in der ganzen Welt verursachten Schaeden und Zerstoerungen und die Millionen von Kriegstoten und
-verletzten auf allen Seiten, Das alles scheint bis heute beim Jahrtausendwechsel nicht abgecshlossen zu sein. Und diese fuer Millionen von Menschen entsetzliche und grausame Zeit der Diktatur wird wohl nie aus der deutschen Geschichte geloescht werden koennen und kaum einer von uns Deutschen, die damals in Deutschland gelebt haben, kann behaupten, dass er voellig schuldlos durch diese Zeit gegangen ist.
Es schien nun so zu sein, dass im Angesicht dessen, was durch uns Deutsche geschehen war, in Deutschland nach der Niederlage wieder mehr auf das Wort Gottes gehoert wurde, was auch dazu fuehrte, dass dadurch das Grundgesetz (Verfassung) der Bonner Republik mitgepraegt wurde. Das zeigte zum Beispiel unter anderem die Bestimmung, dass kein Deutscher mehr gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst herangezogen werden durfte. Gerade das war schon noetig. Da die Alliierten schon bald die Deutschen bedraengten, wieder ein Heer aufzustellen und unter ihrer Fuehrung mit ihnen ein Bollwerk zu bilden gegen die russische Sowjetunion, die ja ebenfalls ein grosses Gebiet Deutschlands besetzt hielt.
In dem Zeitraum des Theologiestudiums nach dem Kriege wurde der Schwerpunkt der Theologie immer mehr von Karl Barth auf Rudolf Bultmann und seine Schule gelegt, was nach meinem Ermessen eine groessere und erweiterte Moeglichkeit gab, auf die Probleme dieser Welt und des Menschen in dieser Welt einzugehen. Ich sehe auch darin die Voraussetzung der spaeter aufkommenden lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. Es ging also nicht mehr darum, das Evangelium vor den Unbilden oder vor dem Hass der Welt zu schuetzen und rein zu erhalten, sondern darum, die konkreten Noete der Menschen in dieser Welt ernst zu nehmen und sie mit dem Evangelium zu konfrontieren und von daher eine Hilfe zu erwarten. Dieses machte sich selbstverstaendlich auch bald deutlich in den Gottesdiensten und in der ganzen Gemeindearbeit und fuehrte in Deutschland zur Bildung der sogenannten "Bekenntnisbewegung", die Front machte gegen die neue Theologengeneration.
Leider wurden auf dem konfessionellen Gebiet die Erfahrungen der Bekenntnisgemeinden waehrend der nationalsozialistischen Diktatur nicht beachtet und die neue Ordnung der Evangelischen Kirche gestaltete sich in einer restaurativen Weise. Es setzte dabei der fanatische Kampf der lutherischen Landeskirchen ein, die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland, die zusammengesetzt ist aus lutherischen, unierten und reformierten Gemeinden, zu einer evangelisch-lutherischen Kirche umzuformen, was ihnen allerdings nicht gelang. Dieser Versuch ist allerdings bis heute noch nicht beendet und hat seine Auswirkungen bis in unsere Kirche am La Plata.
Ob die lutherischen Landeskirchen besonders damit kompensieren wollten und wollen, dass sie mit dem Verstaendnis der lutherischen Bekenntnisschriften (Zweireichelehre zum Beisspiel) die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Staat nicht in der gebotenen Weise haben fuehren koennen oder wollen?
Vergessen kann ich nicht, dass bei einer Tagung von Theologiestudenten verschiedener Universitaeten und Missionsseminare es unmoeglich war, das Heilige Abendmahl gemeinsam zu feiern, weil es den lutherischen Studenten von ihren kirchlichen Autoritaeten verboten war, selbst auch mit den unierten Lutheranern, zu denen ich mich selbst zaehle, gemeinsam am Abendmahl teilzunehmen.
6 hat geschrieben:Waehrend des Studiums nahm ich an verschiedenen Kursen ueber Psychologie und Seelsorge und auch ueber psychosomatische Medizin teil. Jeder von uns hatte in seiner Obhut einen Kindergottesdienst, oder leitete eine Bibelstunde oder einen Jugendkreis in Wuppertal oder in der naeheren Umgebung des Bergischen Landes. Wir suchten auch Kontakte und Gespraeche mit den zahlreich entstandenen evangelischen Kreisen, die ins Seketierertum abzugleiten schienen.
Ende Oktober 1951, nun nach dem Schlussexamen, waren wir, meine Verlobte und ich, sehr froh, weil wir dachten, bald nach einem Vikariat im Siegerland, an unsere vorgesehene Arbeit auf einer Missionsstation in Suedwestafrika (jetzt: NAMIBIA) gemeinsam gehen zu koennen. Leider kam es zum Bruch mit der Missionsleitung, weil wir nicht akzeptierten, dass wir nach der langen Verlobungszeit und ich schon mit 34 Jahren noch mit der Heirat warten sollten, bis sie das erlaubte, eventuell sollte meine Verlobte erst nach einer gewissen Zeit nach Afrika nachkommen. Wir heirateten am 19. November 1951.
Trotz aller Schwierigkeiten der Missionsleitung setzte mich der Superintendent meiner Heimatsynode, Ernst Kluge, schon gleich im Januar 1952, in eine Vikarsstelle in der Gemeinde Gelsenkirchen-Buer-Hassel/ Westfaelische Landeskirche ein. Hier lernte ich, was es heisst, pfarramtlichen Dienst in einer Bergarbeitergemeinde zu versehen, die immer noch schwere Not unter den Folgen des Krieges litt und die aus ihrer Ablehnung jeglicher kirchlichen Arbeit keinen Hehl machte, wohl in Notfaellen Hilfe forderte und in Anspruch nahm. Mit dem Ortspfarerr hatte ich ein sehr feines und vertrauensvolles Verhaeltnis und eine gute Zusammenarbeit und als Vikar wurde ich zu allen pfarramtlichen Diensten herangezogen, ausser Abendmahlsfeiern und Konfirmationen, die waren den ordinierten Pfarrern vorbehalten. Besonders schwer war die Arbeit mit den jugendlichen Bergarbeitern. Ich gab auch Religionsunterricht an der bergmaennischen Berufsschule. Man brauchte viel Geduld, um mit ihnen in einen naeheren Kontakt zu kommen . Als ich am Anfang einer neuen Jugendarbeit mit ihnen die Bibel aus meiner Aktentasche holen wollte, sagten sie mir einstimmig, ich solle die "Schwarte" (altes wertloses Buch) ruhig wieder einstecken, da stehe fuer sie als Jungbergleute doch nichts drin. Erst nach einem mehrmonatigen Miteinander mit Spielen, Waelzen von Problemen und Freizeiten und Radtouren und Wanderungen, kam auf einmal von den jungen Leute die Frage, wie es denn komme, dass sie, trotzdem sie eine evangelische Jugendgruppe seien , von mir als als einem Geistlichen noch nichts von Jesus gehoert haetten. Und jetzt, da die Frage von ihnen selbst kam, war der Weg zu einer intensiven und fruchtbringenden Bibelarbeit nicht nur moeglich, sondern erwuenscht, sie wollten in mir zuerst den Menschen kennen lernen. Wozu diese Jugend in der Bergamannssiedlung allerdings auch faehig war, erzaehlte mir der junge katholische Kaplan aus unserem Ortsteil. Er und ich hatten einen sehr guten Kontakt miteinander und lasen woechentlich einmal am Abend das griechische Neue Testament und suchten dabei eine von uns beiden akzeptierbare Erklaerung. An einem Abend kam er voellig zerstoert zu unserem Treffen und fragte mich, was er da machen koenne? Er hatte eine Jugendgruppe, die sich in der Sakristei seiner Kirche versammelte. Er komme direkt daher. Als er an dem selben sehr kalten und frostigen Tage hinging. - was hatten die Jugendlichen da gemacht? Die Sakristei konnte wohl geheizt werden, aber es fehlte das Heizmaterial, die Gemeinde hatte kein Geld dafuer. Weil nun die Jugendlichen nicht frieren wollten, hatten sie inzwischen die Tuer von der Sakristei zur Kirche herausgehoben und fingen an, sie zu zerschlagen und damit den Ofen zu heizen. Die Tuer war schon zur Haelfte verfeuert.
Ich wusste tatsaechlich fuer ihn auch keinen Rat in diesem Augenblick.
Meine Frau hatte inzwischen eine Krankenpflegeausbildung in Bielefeld wegen einer Erkrankung abbrechen muessen und arbeitete inzwischen wieder als Gemeindehelferin in Gelsenkirchen-Schalke, ebenfalls in einer Arbeitergemeuinde. Hier waren es Fabrikarbeiter. Unter ihrer Verantwortung standen besonders die Jugendlichen und die Frauengruppe und die chorische Arbeit. Gelsenkirchen-Schalke hatte damals den Ruf wie heute hier der Ortsteil BOCA von Buenos Aires. Bekannt war dieser Ort in ganz Europa durch den Fussballklub SCHALKE O4. - Jetzt werden bei mir die Spannungen in meiner Familie zwischen Boca und River aktuell.-
7 hat geschrieben:Am 30. Oktober 1954 wurde ich durch den Superintendenten Ernst Kluge in Gelsenkirchen-Buer-Hassel ordiniert.
Kirchenjahr 1953/54 - 30 -Apostelgeschichte 4, 32 - 35 - Ordinationspredigt-
"Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesu, und war große Gnade bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wie viel ihrer waren, die da Äcker oder Häuser hatten, die verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Guts und legten es zu der Apostel Füßen; und man gab einem jeglichen, was ihm not war".
"Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele".
Dieser Satz der Apostelgeschichte, der das Leben der Urgemeinde zu Jerusalem kennzeichnet, hat in der Geschichte unserer Evangelischen Kirche viel heillose Unruhe, aber auch ein neues gesegnetes Fragen nach der Echtheit der christlichen Gemeinde inmitten dieser Welt gebracht. Denn das müßte doch wohl klar sein, daß mit den Worten "Die Menge aber der Gläubigen," nicht irgendeine selbstgeformte Vereinigung frommer und gläubiger Seelen gemeint ist, auch nicht eine Vereinigung, in der sich Menschen mit religiösen, vielleicht sehr tief religiösen Interessen treffen. Wenn das so wäre, wie könnte sich solch eine Gruppe, mag sie noch so christliche Namen tragen, unterscheiden von den vielen Gruppen ringsum im Land, vom Fußballverein und Kegelklub angefangen bis hin zum Kaninchenzüchter- oder Großmütterverein und Nachbarschafts-Kaffeekränzchen. Wir haben beileibe nichts gegen eine solche Vereinigung, zumal jeder Deutsche am liebsten einen eigenen Verein bilden würde, in dem er Vorsitzender, Kassierer, Organisator und einfaches Mitglied in einer Person wäre. Nein, mit den Worten
"Die Menge aber der Gläubigen", wird etwas grundsätzlich anderes gemeint als eine Interessengemeinschaft oder irgendein Verein. Es wird damit die Gemeinde Jesu Christi gemeint, die wir Menschen, auch wir Christen, nicht bilden oder gründen können, sondern zu der wir immer nur hinzugetan werden können, wie es beim Pfingstwunder heißt:
"Und es wurden hinzugetan an dem Tage bei 3.000 Menschen".
Von dieser Gemeinde Jesu Christi dort in Jerusalem wird uns durch unseren Text bezeugt, daß sie "ein Herz und eine Seele" gewesen war.
Unwillkürlich legt sich dann sofort die Frage auf uns, gerade auch auf uns hier in Hassel: Sind wir in den vergangenen Jahren als Gemeinde Jesu Christi
"ein Herz und eine Seele" gewesen?
Ach, wieviel Not bricht doch da unter uns auf. Und wir alle müßten uns gegenüber dieser Gemeinde zu Jerusalem in Grund und Boden schämen, nein, gegenüber dem Herrn der Kirche Jesu Christi. Und gerade für uns als die so angefochtene Gemeinde kommt alles darauf an, daß es von uns heißen darf:
"Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele".
Aber dieses kann man nicht machen, so wie man etwa einem Haufen Menschen eine einheitliche Uniform geben kann und schon wird dann von einer Soldateneinheit gesprochen. Wenn einem schon über diesem angeführten Einheitsbeispiel ein Grauen und ein Ekel ankommt, wieviel gefährlicher wird es für die Gemeinde, wenn von menschlicher Seite versucht wird, diese Einheit, von der in unserem Text die Rede ist, selbst machen zu wollen. Nur solange zum Beispiel die Bemühungen der Weltkirchenkonferenz dahingehen, die Einheit geschenkt zu erhalten, solange steht dieses Bemühen in der Tat unter einer großen Verheißung.
Aber im allgemeinen steckt bei uns allen das Bestreben, durch unser eigenes Tun zu erreichen, was von einer Gemeinde gesagt werden kann: "ein Herz und eine Seele" zu sein.
Da versucht der Pfarrer die Gemeinde nach einem Einheitsbilde zu formen, das er sich selbst in seinem Kopf zurecht gemacht hat und wehe, wer sich seinem Einheitsstreben entgegensetzt. Oder da versucht ein Gemeindeglied oder Presbyter, sein erträumtes Einheitsbild zu verwirklichen und wird gerade dadurch zu einem Hemmnis oder sogar zu einem Zerstörer der echten Einheit.
Gerade das vergangene Jahrhundert war in besonderer Weise der Versuch, auf menschliche Art zu erreichen, was in Jerusalem ein Geschenk war, "ein Herz und eine Seele" zu sein. Und das Ergebnis war eine Zersplitterung und eine Absonderung nach der anderen, Sekten ohne Zahl. Vielleicht kann man die vielen Jahrhundertfeiern in dieser Zeit auch einmal von solch einer Warte aus ansehen.
Jeder meinte zu wissen, wie ein Christ aussehen und leben muß, damit er die Einheit verwirkliche. Wer solch einer Idealgestalt eines Christen nicht entsprach, dem wurde sein Christsein abgesprochen oder es wurde ein neues christliches Grüppchen gebildet. Dieses vergangene Jahrhundert ist noch nicht abgetan, sondern ragt noch bis in das heutige Leben unserer Gemeinden hinein und fordert die Erfüllung bestimmter Glaubens- und christlicher Lebensregeln. Manch eine Gemeinde ist schon über solch einen Einheitsversuch in die Brüche gegangen. Oft sogar ist gerade unsere Bibelstelle von dem "einen Herzen und der einen Seele"
zum Aushängeschild dieses menschlichen Tuns geworden. Auf den ersten Blick könnten wir es vielleicht auch annehmen, da doch die beiden Worte HERZ und SEELE uns direkt dazu verleiten, an die Christen heranzutreten:
Schaffe du es selbst, schafft ihr es selbst als Gemeinde!
8 hat geschrieben:Aber der Schreiber der Apostelgeschichte gebraucht die Worte Herz und Seele in der Weise, daß er bezeugt, daß da die Einheit der Gemeinde geschenkt worden ist, das da wirklich von einer Gemeinde als von einem Herzen und von einer Seele gesprochen werden kann, wo diese Gemeinde einen Mittelpunkt hat, der ihr das Gepräge gibt und wo diese Gemeinde den bestimmten Grundstein besitzt, auf dem sie erbaut ist.
In diesem Mittelpunkt und auf diesem Grundstein ruht die Einheit der Kirche. Jetzt kann es für uns doch keine Frage mehr sein, worin die Einheit der Kirche, die Einheit einer Ortsgemeinde, die Einheit der Kirchen in der weiten Welt liegt, in Jesus Christus, dem auferstandenen Herrn, Herrscher Himmels und der Erden.
Wo Jesus Christus Mittelpunkt und Grundstein einer Gemeinde ist, da kann auch heute noch von einer Gemeinde gesagt werden:
"Die Menge aber der Gläubiugen war ein Herz und eine Seele".
Wenn dieser lebendige Herr Jesus Christus auch heute hier in diesem Gottesdienst Mittelpunkt und Grund ist, dann kann auch heute wieder von der Schar gesprochen werden, die eins ist in ihrem Herrn. Es wäre doch zu furchtbar, wenn das nicht der Fall wäre und wir alle miteinander nur Theater gespielt hätten, Spieler und Zuschauer zugleich. Darum laßt uns jeden Tag aufs neue bitten, daß Jesus Christus, der Herr der Kirche, nicht von uns gehe und wir allein herumwurschteln müssen und ausgeben, daß wir eine wahre Gemeinde seien und doch nur ein erbärmlicher Haufe sind. Und glauben wir es ruhig, dieser Mittelpunkt und Grundstein der Kirche, dieser lebende unter uns weilende Herr Jesus Christus ist nicht stumm und nickt zu allem, was wir als Gemeinde tun und denken. Jesus Christus meldet sich zu Wort und bittet um Gehör, o, daß wir doch alle ihm das Gehör schenken, daß wir alle auf seine Stimme hören, auch im grauen Alltag unseres Lebens; o, daß wir noch freudiger alle miteinander am Sonntagmorgen zum Gotteshaus eilen und unter der Kanzel auf das lauschen, was er uns zu sagen hat, das Wort der Vergebung und der Ruf zum Dienst, zum Gehorsam. Wir versäumen sehr viel, wenn wir nicht auf sein Wort achten; ja, wir versäumen sogar alles, unser Heil, wenn wir unsere Ohren ihm gegenüber verstopfen,
Das wird uns jedenfalls von der Gemeinde zu Jerusalem berichtet, daß der Herr der Kirche zu Worte kommt und gehört wird.:
"Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung Jesu Christi".
Es tut uns bestimmt sicher sehr gut, einmal dieses so scharf betont zu hören, denn nicht umsonst heißt es von der abendländischen Kirche, daß das Kreuz auf Golgatha ihr Mittelpunkt sei. Und wenn wir uns einmal all die vielen erwecklichen Lieder ansehen, da steht das Kreuz Christi in der Tat in der Mitte.
Wenn hier nun die Betonung auf die AUFERSTEHUNG liegt, so soll damit kein Gegensatz zwischen Kreuz und Auferstehung aufgezeigt werden. Aber es tut doch gut, unseren Blick von Karfreitag wegzulenken auf Ostern, vom Kreuz zur Auferstehung, vom Schmerz über unseren Ungehorsam gegenüber Gott hin zur Freude, daß der lebendige Herr uns zugerufen hat und noch zurufen will:
"Dir sind deine Sünden vergeben!"
Statt daß wir als Christen fröhlich durch diese Welt ziehen, gehen wir mit einem gekrümmten Rücken umher, traurig in Sack und Asche. Vergessen wir doch auf keinen Fall, daß Jesus Christus, der Gekreuzigte, nicht mehr im Grabe liegt, sondern auferstand und uns das Leben brachte und in unser Dunkel des Alltags das helle Licht hineinstrahlen läßt. Lernen wir doch ein wenig von den Kirchen des Ostens diese große Freude:
"Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!"
Mit ihm dürfen auch wir leben. Sieht die Umwelt es uns an, dir und mir, daß unser Herr der lebendige Herr ist, der dem Tod, Teufel und der Sünde die Macht genommen hat?
Lassen wir es uns ruhig von dem Spötter Nietzsche gesagt sein:
"Wenn wir Ungläubigen an Jesus Christus glauben sollen, dann müssen die Christen erlöster aussehen".
Und wir Christen dürften in Wahrheit ein wenig erlöster und fröhlicher durch dieses Leben gehen, wenn wir daran denken, wie reich wir durch Jesus Christus geworden sind.
Wir sagten, daß Jesus Chrisus in der Gemeinde zu Jerusalem zu Worte kommt und auch gehört wird. Wie bezeugt sich das Hören? Indem wir hingehen und das Wort des Herrn tun:
"Und keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte, denn wieviele ihrer waren, die da Äcker oder Häuser hatten, verkauften sie und brachten das Geld zu der Apostel Füßen und man gab einem jeden, was im not war".
Auf keinen Fall kann hier aus dieser Stelle ein allgemeiner Liebeskommunismus abgeleitet werden oder etwa die Meinung, jeglicher Besitz sei Sünde. Petrus sagt ja zu dem Lügner Ananias:
"Hättest du doch ruhig deinen Acker behalten mögen, er stand doch in deiner Hand".
Aber doch muß ein anderes deutlich werden, daß es nämlich unmöglich ist, Gottes Wort zu hören und womöglich zu sagen:
War das doch eine erbauliche Rede, sie war so richtig erhebend, aber den Auftrag, den Jesus Christus gegeben hat, zu überhören oder abzulehnen und zu sagen:
Ach, damit habe ich nichts zu tun, damit können sich ruhig andere abgeben. Nein, wo Gott uns seine Liebe erweist, da öffnet er uns auch den Blick für die Lieblosigkeit unserer Umgebung und bittet uns, von dieser Liebe, die Gott uns erwiesen hat, etwas weiterzugeben: Freude durch unseren Besuch in eine Krankenstube zu bringen. Wenn Gott uns seinen Reichtum und seine Gaben geschenkt hat, dann bittet er uns, von diesem unserem Reichtum dem etwas zu geben, der auf die Hilfe Gottes angewiesen ist, wie wir.
So zeigt uns der Text, daß es beim Hören auch gleichzeitig immer um ein Tun, um ein Gehorchendürfen geht. Es sähe in dem Leben unserer Familien, im Leben unserer Gemeinde und im Leben unseres Volkes entschieden anders aus, wenn statt der vielen frommern und christlichen Wörter im Munde die Befehle Gottes durch uns ausgeführt würden.
Wenn allein wir hier im Gottesdienst heute gehört haben, daß wir zum Tun aufgefordert sind, zum Gehorsam und nun hingehen würden, um Jesus Christus in seinem Worte zu gehorchen, welch eine Veränderung der ganzen Welt um uns her würde zum Heil dieser Welt entstehen. Gehe nun hin und sei gehorsam.
(Predigt zum Ordinationsgottesdienst in Gelsenkirchen-Buer-Hassel am 19.10.1954.)
9 hat geschrieben:Meiner Frau und mir war es aber von vornherein klar, dass unsere Lebensarbeit nicht in Deutschland sein wuerde, darum traten wir bald in Kontakt mit dem Aussenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland in Frankfurt am Main, um die Moeglichkeit eines pfarramtlichen Dienstes in einer deutschen Gemeinde im Ausland zu erkunden. Anfaenglich dachten wir an Brasilien. Aber dann kam die Nachricht vom Kirchlichen Aussenamt, ich moechte sofort nach Frankfurt (2.Juni 1954) ins Aussenamt kommen, es sei dort Propst Marczynski von der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode, der dringend einen Pfarrer suche fuer eine Gemeinde in Argentinien. Durch diese Begegnung war es nach Ruecksprache mit meiner Frau klar, dass wir das Angebot annehmen wuerden, obwohl wir von der politischen Situation keine Ahnung hatten, auch nicht von den kirchlichen und gemeindlichen Gegebenheiten, auch nicht viel verstanden von dem, was Propst Marczynski uns von seiner Sicht erklaert hatte. Wir wollten einfach den Sprung ins Ungewisse wagen.
Wir gehoerten mit zu den Ersten, die ueberhaupt wieder vom Kirchlichen Aussenamt aus Deutschland ins Ausland ausgesandt werden konnten.
Nun folgten die Vorbereitungen fuer eine Ausreise im November 1954. Inzwischen war im August 1954 unsere Tochter Ruth geboren worden. Weil meine Frau danach an einer Brustentzuendung erkrankte, verlor sie voruebergehend die Tropentauglichkeit und wir mussten bis zum 9. Maerz 1955 mit unserer Ausreise nach Argentinien warten.
So kamen wir, meine Frau und unsere Tochter Ruth und ich Anfang April 1955 im Hafen von Buenos Aires an. Selbstverstaendlich waren wir voller Fragen, was uns nun in Argentinien und in der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode und in der Gemeinde "General Alvear" in Entre Ríos erwarten wird. Allerdings fragten wir auch uns selbst, ob wir als Pfarrfamilie dem entsprechen, was sich die Kirche und die Gemeinde von uns erhofft und erwuenscht hatten.
Jedenfalls wurden wir im Hafen von Buenos Aires am Schiff LAENNEC von Propst Ostrowski aufs herzlichste, ja aufs liebevollste empfangen. Inzwischen war Propst Marczynski verstorben. Waehrend dieser ganzen ersten Zeit machten Propst Ostrowski, seine Frau, ja, sogar die ganze Familie, uns das Einleben in der Metropole sehr verstaendlicher und leichter. Auch der Sekretaer unserer Synode, Herr Gruenwedel, stand uns zu jeder Hilfe bereit.
Da schon abzusehen war, dass bis zur Erlangung des argentinischen Personalausweises einige Wochen Aufenthalt in Buenos Aires notwendig sein wuerden, hatte uns der Synodalvorstand in das Hotel Viena in der Lavalle einquartiert.
Es war nicht leicht, nach der verwoehnenden Ueberfahrt in der ersten Klasse, die Situation im Hotel Viena zu durchstehen. Vergessen habe ich nie, wie Propst Ostrowski uns ins Gastzimmer fuehrte und mit einem harten Fussschlag und den Worten: Was ist das doch fuer ein schoenes Zimmer! eintrat. Zum Glueck hatte meine Frau in diesem Augenblick Ruth auf dem Arm, nicht bemerkt, dass er mit dem Fussauftritt 2 dicke CUCARACHAS schon gleich an der Tuer zertreten hatte. Das Problem fuer uns alle fing aber erst richtig an, als wir dann allein auf dem Zimmer zurueckblieben. Ausser dem unbekannten Phaenomen Cucaracha musste meine Frau das Zimmer reinigen und den Fussboden aufwischen. Ich forderte die Hotelleitung auf, sofort das Klosett in Ordnung zu bringen, denn man konnte das Badezimmer nur in Gummistiefeln betreten.Allerdings waren wir entschlossen, wieder nach Deutschland zurueckzufahren, als meine Frau in der Kueche des Hotels das Essen fuer das Kind vorbereiten wollte. Meine Frau war der festen Ueberzeugung, dass man um des Kindes willen diese Unreinigkeit des Kochgeschirrs einfach nicht werde hiunnehmen koennen.Aber nicht nur Propst Ostrowski und seine Familie , und Glieder aus der Gemeinde standen uns helfend zur Seite. Wir wurden meistens zum Mittagessen dann auch von Gemeindegliedern eingeladen.
Auch der Trost, dass alles in Aldea Protestante, unserem zukuenftigen Pfarrsitz, alles anders sei, gab uns Mut, die Tage bis zur Weiterreise auszuhalten. Es wurden auch andere Moeglichkeiten gefunden, um unser Kind mit dem Essen zu versorgen. Jedenfalls ist uns das Hotel Viena mit noch anderen Erlebnissen als Trauma in unserem Leben haften geblieben.
Wir sehnten uns den Tag herbei, da wir die Fahrt nach Entre Ríos, dem GELOBTEN LANDE, werden antreten koennen. Inzwischen hatte ich auch das erlebt, dass man mir am Schalter des Hauptpostamtes 5 Centavos-Briefmarken fuer 5 Pesos verkaufte und dass man meiner Frau am Schalter im Bahnhof RETIRO beim Loesen einer Fahrkarte ihren Geldschein wegschnappte und im Nu war der Junge mit dem Pesos-Schein im dollen Gedraenge verschwunden. Das alles hat sich heute 1999 allerdings noch nicht geaendert. Allerdings gabe es auch nette Begegnungen, so eine mit einem Polizisten auf der Straße. Heute sieht man sie ja kaum noch auf der Straße. Beim Versuch, das Stadtinnere kennen zu lernen, fand ich nicht zurueck ins Hotel. Ich sah den Polizisten und stammelte vor ihm meine Frage nach diesem Hotel. Ich tat es mit den spanischen Worten, die ich aus dem Buechlein "30 Stunden Spanisch" auf dem Schiff gelernt hatte. Das muss entsetzlich gewesen sein! Ein Sprachkursus war ja in Deutschland nicht vorgesehen, auch spaeter wurden mir und meiner Frau von der Synode kein Intensivkursus zugebilligt. Es war kein Geld vorhanden. Als ich so stotterte vor dem Polizisten, sah er mich ruhig an und sagte: "Sprechen Sie ruhig Deutsch, denn Ihr Deutsch verstehe ich besser als Ihr Spanisch".
10 hat geschrieben:In der Gemeinde Villa Ballester hielt ich am Karfreitag 1955 den ersten Gottesdienst in Argentinien, natuerlich in der deutschen Sprache.
(Kirchenjahr 1954/55 bis Himmelfahrt-8- Johannes 19, 30
"Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: ES IST VOLLBRACHT! und neigte das Haupt und verschied".
Jahr für Jahr hören wir am Karfreitag diese Nachricht, daß Jesus sein Haupt neigte und verschied. Es könnte wahrlich bei dem einen oder bei dem anderen unter uns so sein, daß er fragt:
Warum denn immer und immer wieder diese Geschichte von dem sterbenden Jesus? Wird es denn nicht bald Zeit. daß wir auch ihn vergessen, wie auch wir nach und nach unsere Toten vergessen, so lieb sie uns gewesen sein mögen?
Endlich muß doch dieser Jesus ein für alle Male beerdigt werdem, damit wir unter sein Leben den Schlußstrich setzen und seine Geschichte zu den Akten legen können.
Viele Menschen unserer Zeit möchten in der Tat die Geschichte zum Abschluß bringen, weil sie erkennen, daß da etwas ist, mit dem sie nicht fertig werden können, daß sie nicht zur Ruhe kommen läßt.
Wie mögen die Schriftgelehrten und Hohenpriester in Jerusalem gejauchzt und triumphiert haben, als sie den Mann, der ihnen so unangenehm geworden war, wie einen Verbrecher sterben sahen? Ist erst der Tod dieses Mannes eingetreten, dann haben wir endlich Ruhe, dann erinnert uns niemand mehr daran, daß unser ganzes Leben trotz aller scheinheiligen Frömmigkeit eine einzigartige Flucht vor Gott gewesen ist.
Ist erst der letzte Atemzug dieses Jesus getan, dann ist niemand mehr da, der uns die Maske vom Gesicht reißt und unsere ganze Schändlichkeit aufdeckt.
Wo Jesus Christus einen Menschen anschaut, da sieht er durch alle Äußerlichkeiten hindurch bis aufs Herz und durchschaut uns bis in die entlegensten Winkel unseres Herzens und unserer Gedanken. Niemand könnte vor ihm bestehen. Niemand könnte vor ihm stehen und sagen:
Bei mir aber ist alles in Ordnung, denn ich habe immer das getan, was du von mir wolltest.
Alle miteinander müssen wir bekennen:
Herr, ich habe gerade das Gegenteil von dem getan, was du wolltest. Du wolltest, daß ich mich zur Gemeinde und seinen Gottesdiensten halte, ich aber tat so, als ob ich zum Gottesdienst gehen könnte wie ins Kino oder ins Theater, je nach Lust und Laune. Du, Herr, wolltest, daß ich meine Hände zum Gebet falte und ich hielt ein Gespräch mit dir nicht für notwendig. Du, Herr, wolltest, daß ich dich vor allen Menschen bekenne und ich tat in Freundeskreisen und in der Nachbarschaft so, als kenne ich dich nicht. Du, Herr, wolltest, daß ich mich der Armen und Kranken annehme und ich ging stattdessen mit einer hochnäsigen Haltung an ihnen vorbei.
Das sind wir Menschen, die vor Jesus Christus stehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir den Namen CHRISTEN tragen oder nicht.
Sich so erkannt zu wissen, ist wahrlich kein Vergnügen. Darum können wir nur zu gut verstehen, daß die Menschen damals mit den Zähnen knirschten und die Fäuste ballten und Drohungen und Verwünschungen ausstießen:
"Hinweg mit diesem!"
und:
"Kreuziget, kreuziget ihn!"
Die ganze Passionszeit unseres Heilandes ist der Versuch von uns Menschen, ihn endlich loszuwerden, weil er uns durchschaut und erkannt hat, wie erbärmlich wir da vor ihm stehen.
Der Ruf:
"Hinweg mit diesem, kreuziget, kreuziget ihn!"
erscholl nicht nur vor 2.000 Jahren, sondern dieser Ruf geht durch alle Jahrhunderte und durch alle Länder der Erde bis auf den heutigen Tag.
Auch heute ist Jesus uns Menschen unangenehm und wir versuchen, ihn entweder mit einer Handbewegung beiseite zu schieben oder ihn sogar mit Gewalt zum Schweigen zu bringen.
Wie oft haben wir Menschen es gewünscht und erwartet, daß wir endlich von Jesus und seiner Botschaft sagen können:
"Und er neigte sein Haupt und verschied".
Ach, was sind wir Menschen doch für komische Kreaturen, wie mißverstehen wir Gott, wie mißverstehen wir unseren Herrn und Heiland. Haben wir denn überhaupt keine Ahnung mehr davon, daß Jesus Christus, der da vor uns steht und uns anschaut und uns unsere ganze Trostlosigkeit aufzeigt, daß dieser Jesus aber nicht vor uns steht mit einem Verdammungsurteil. Das ist wohl die Weise aller menschlichen Obrigkeit, daß sie den Übertreter des Gesetzes bestraft und ins Gefängnis wirft. So handelt unser Herr nicht, sondern indem er uns zeigt, wie weit wir von seinem Vater im Himmel geflohen sind, zeigt er uns gleichzeitig auch den Weg zur Rückkehr, den Weg zur Hilfe.
Wir haben im Neuen Testament kein Wort Jesu, mag er damit ein noch so großes Gericht androhen, das nicht gleichzeitig noch eine Möglichkeit aufweist, wieder zum Vater im Himmel zurückzukehren.
Jesus Christus ist in seinem ganzen Leben und Reden, in seinem Leiden und Sterben, die ausgestreckte Hand Gottes, die uns als die Verlorenen wieder heimführen möchte.
Diese Liebe Gottes zu uns Verlorenen hört selbst da nicht auf, wo es nach einem Sieg der menschlichen Willkür aussieht. Wir Menschen haben anscheinend doch gesiegt, wir haben Jesus Christus beseitigt. Es heißt in unserem Text:
"Und Jesus neigte sein Haupt und verschied".
Müßte da in diesem Moment nicht Gott mit harter Faust zuschlagen und seine Gerichtsandrohungen wahrmachen, da ja menschliche Bosheit in der Ermordung des Sohnes Gottes ihren höchsten Triumph feiert?
Nein, selbst in diesem Augenblick, da unsere Verderbtheit zum Ausdruck kommt, gerade da keine Verdammung, da keine Verfluchung, sondern durch allen Hohn und Spott, durch alle Marter und Qual hindurch das Wort der Hilfe des Herrn für uns Menschen:
"Es ist vollbracht!"
Durch alle menschliche Grausamkeit hindurch reicht Gott uns seine liebenden Vaterhände.
"Es ist vollbracht!"
ist das Wort, das uns rettet von aller unserer Schuld und uns von unserer Flucht zurückholt zu Gott.
Unser Leben mit allen Irrungen und allen Fehltritten und mit unserer Rebellion gegen Gott, ist noch kein verpfuschtes Leben. Das dürfen und sollen wir wissen, denn Jesus Christus ruft auch uns zu:
"Es ist vollbracht mein Erlösungswerk für euch Menschen!"
Dieses Wort des sterbenden Jesus dürfen wir für uns in voller Wirkung in Anspruch nehmen und als das Wort des Heiles für unser Leben erkennen:
"Gehe hin in Frieden, denn dir sind deine Sünden vergeben!"
Wir werden mit dem Worte:
"Es ist vollbracht!"
gerufen zu der Schar derer, die von diesem Vollbringer des Heilswerkes leben und nun fröhlich durch das Leben gehen, auch in den grauen Alltag hinein.
So liegt über Karfreitag trotz all der Qual und des Schmerzes unseres Heilandes doch schon die große Freude darüber, dass Jesus Sieger geblieben ist und uns durch sein Leiden und Sterben zu Gottes Kindern gemacht hat.
Wir können nichts anderes tun, als auch an diesem Tage Gott für seine große Liebe zu uns zu danken. Wir können nichts anderes tun als uns in der großen Dankbarkeit von Jesus Christus in den Dienst stellen lassen und als seine Jünger ihm nachzufolgen.
Wir können und dürfen aber auch dadurch unseren Dank zum Ausdruck bringen, daß wir uns nachher zum Tisch des Herrn rufen lassen und das Heilige Abendmahl miteinander feiern, da derselbe Herr Jesus Christus der Gastgeber ist:
"Kommt, denn es ist alles bereit, sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist!"
(Mein erster Gottesdienst in Argentinien am 8. 4. 1955 in Villa Ballester.)
11 hat geschrieben:Wir gehoerten zu den ersten Pfarrfamilien, die nach dem Kriege wieder von der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgesandt werden konnten. Ich war so der
16. Pfarrer in unserer Synode..
Nun kam doch endlich der Tag herbei, den wir so sehnlichst erwartet hatten. Es fiel uns wirklich nicht schwer, Buenos Aires hinter uns zu lassen. Nicht mit einem Omnibus ging die Fahrt nach Diamante, sondern mit einem Flussschiff. Damals bestand noch eine regulaere Schifffahrtslinie auf dem Fluss Paraná. Fuer diese Moeglichkeit waren wir sehr dankbar, konnten wir doch wenigstens ein klein wenig mehr von Argentinien sehen als bisher und meine Frau konnte unser Kind Ruth besser versorgen. Wir spuerten etwas von der Weite des Landes, obwohl das, was wir sahen, nur ein ganz kleiner Ausschnitt war. Ab Rosario wurde es auf der entrerrianischen Seite etwas huegeliger und interessanter.
Wir hatten in der Tat bis zu unserer Ausreise nicht viel von Argentinien gewusst.
So kamen wir im Mai 1955 im Hafen von Diamante an.. Wir waren erstaunt, in welch einer liebevollen Weise wir von der Gemeinde Aldea Protestante empfangen wurden. Fast die ganze Gemeinde war auf den Beinen.
Aldea Protestante ist ein kleines Dorf mit 2 Lehmstrassen und kaum 1ooo Einwohnern, das einem Dorf in Hessen aehnelte, das ich selbst noch erlebt hatte.
Vom Hafen aus ging es ueber die damalige einzige Asphaltstrasse in Entre Ríos bis zur Einfahrt in das Dorf. Dort erlebten wir, was es heisst, auf schlammigen Wegen mit dem Auto hin und her zu rutschen. Es hatte am Vortage sehr stark geregnet. Im Dorf gab es nur wenige Autobesitzer, fast alle anderen hatten als Bauern Pferdewagen,, die auch durch den groessten Matsch einigermassen sicher fahren konnten. Das habe ich im Laufe der naechsten Jahre zur Genuege kennenlernen koennen. Die Wege und Strassen erinnerten mich sehr an die Wegeverhaeltnisse in Russland.
Nach einem grossen Festessen wurden wir natuerlich in das Pfarrhaus gefuehrt, ein um die Jahrhundertwende gebautes Gebaeude, ohne jede Bequemlichkeitt, das aber fuer viele Gemeindeglieder im Verhaeltnis zu ihren eigenen Haeusern als Fortschritt galt. Wir legten sofort Hand an, UNSER Haus wohnlich zu gestalten., zuerst die haesslichen Lila-Waende zu ueberstreichen. In den naechsten Wochen kamen notwendige Moebelsstuecke dazu, die wir in Paraná kaufen konnten oder durch einen Schreiner aus dem Dorf hergestellt wurden.
Jetzt waren wir da angelangt, wo wir unsere Kraefte zur Gestaltung des Gemeindelebens einsetzen sollten und wollten und konnten. Meine Frau als ausgebildete Gemeindehelferin hatte sich bald die Sympathie des Dorfes dadurch erworben, dass sie mit einer grossen Begeisterung die Chorarbeit uebernahm, die in der pfarrerlosen Zeit nur notduerftig weitergeführt wurde, sodass der Chor schon einige Tage spaeter am Himmelfahrtstage bei meiner offiziellen Einfuehrung durch Propst Ostrowski singen konnte.
(Kirchenjahr 1954/55 bis Himmelfahrt-9c-Lukas 13, 6 - 9
"Jesus sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberge; und er kam und suchte Frucht darauf und fand sie nicht. Da sprach er zu den Weingärtnern: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang alle Jahre gekommen und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum, und finde sie nicht. Haue ihn ab! was hindert er das Land? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis daß ich um ihn grabe und bedünge ihn, ob er wollte Frucht bringen; wo nicht, so haue ihn darnach ab".
Was mit diesem Text ausgesagt ist, erklärt die selbstverständlichste Angelegenheit der Welt. Müßte das doch ein dummer Bauer sein, der an seinem Hause einen großen Obstgarten gepflanzt hat und garnicht danach fragt, ob er viele Früchte trägt oder nicht.
Es geht dabei wirklich, ein Irrtum ist ausgeschlossen, bei diesem Feigenbaum um die Frucht, auf die zu rechnen der Besitzer ein Anrecht hat. Auch ohne Erklärung
ist es uns doch deutlich, daß Jesus uns mit diesen Worten keinen Unterricht über rechte Obstbaumanpflanzung geben will, sondern daß dieses Wort in einer ganz besonderen Weise uns alle mein