"Die 80er Jahre" 1978 - 1982
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Quelle: http://www.intro.de/magazin/musik/23013214Intro hat geschrieben: 24.07.2002 17:24
Die 80er Jahre.
Anti-Fanzine Der Neuen Welle
In Gelsenkirchen brachte zu Beginn des Jahres 1978 der Künstler und Joseph-Beuys-Schüler Jürgen Kramer die erste Nummer eines New-Wave-Magazins heraus. Das 6-seitige, großformatige Pamphlet, durch dessen Umschlag eine Sicherheitsnadel gezogen war, trug den Titel "Einige Millionen". Der Schriftzug aus ausgeschnittenen Buchstaben (wie man es prototypisch von den Schallplattenhüllen der Sex Pistols kannte) war ironisch zu verstehen und spielte auf die gesellschaftliche Marginal- und Außenseiterexistenz der Punks an. Jürgen Kramer nahm mit seinem Magazin jedoch im Punk-Kontext ebenso eine Außenseiterposition ein. Geprägt von seinen künstlerischen Interessen und seinem zwischen 1969 und 1974 absolvierten Studium bei Joseph Beuys, hatte er den Künstler Werner Speis sowie die damals noch recht unbekannten Beuys-Schüler Katharina Sieverding und Felix Droese eingeladen, jeweils eine Seite im Heft zu gestalten.
Die nächste Nummer der Zeitschrift, die im April 1978 erschien, brach mit diesem künstlerischen Schwerpunkt.
Das Verhindern einer Kontinuität bzw. Identität sollte einer neuen Jugendbewegung Ausdruck und Form verleihen, die sich nihilistisch und pessimistisch als Anti-Bewegung, als No Wave verstand. Während man die erste Nummer als Negation eines konventionellen Punk-Fanzines verstehen konnte, war die folgende Ausgabe eine Affirmation: ein ganz und gar typisches Fanzine - im handlichen DIN-A-5-Format war es das einzige fotokopierte Heft der Reihe und enthielt vorrangig Informationen über angloamerikanische Punk- und New-Wave-Gruppen.
Von historischer Bedeutung war dann die dritte, im August 1978 veröffentlichte Ausgabe. Hier tauchte auf dem Titel in eckigen Buchstaben erstmalig der Schriftzug "Neue Welle" auf. Der Hamburger ZickZack-Labelchef und Journalist Alfred Hilsberg griff diesen Titel ein Jahr später für seine dreiteilige Artikelserie in der Zeitschrift Sounds auf und wurde damit zum Erfinder der Neuen Welle. Textzitate von Jürgen Kramer und Abbildungen von dessen Zeitschriften in dieser Artikelserie belegen jedoch, dass Hilsberg mit den Gelsenkirchener Aktivitäten wohl vertraut war. Der örtliche Knotenpunkt der Gelsenkirchener Szene befand sich in einer Baracke auf dem Schulhof eines Gymnasiums. Der Joseph-Beuys-Schüler Johannes Stüttgen, Lehrer an dieser Schule, veranstaltete hier eine wöchentliche Kunst-AG. Der sogenannte "Erweiterte Kunstbegriff" von Beuys, der Kreativität über das bloße Malen von Bildern hinaus propagierte, schuf eine offene Atmosphäre, in welche die kreative Aufbruchstimmung des Punk einströmte. 1978 hielten junge Mitglieder der Kunst-AG (die wenig später die Band Salinos gründeten), durch englische Musik mit der neuen Welle infiziert, einen Punk-Vortrag in der Baracke. Dieser verband das Gedankengut Beuys' mit der zugleich lustvoll und nihilistisch aufschäumenden Punk-Welle. Über diesen Vortrag berichtete Jürgen Kramer ausführlich in der dritten Ausgabe.
Für die nächste Nummer änderte er dann erneut Stil, Aufmachung und Umfang. Unter dem neuen Titel "Die 80er Jahre" erschien Ende 1978 ein dickes Portfolio, das eine Fülle von Materialien enthielt: Collagen in den unterschiedlichsten stilistischen Ausrichtungen, Dokumente der New Wave aus verschiedensten europäischen Ländern, aus Amerika und aus dem Ruhrgebiet. Kramer interessierte sich dabei weniger für The Clash oder die Sex Pistols als für extreme Musikphänomene wie z. B. Throbbing Gristle, Pop Group oder SPK. Auch die kalifornischen Residents tauchten in seinem Fanzine auf, noch bevor sie von der regulären Musikpresse in Deutschland entdeckt wurden. Durch die Vermittlung von Jürgen Kramer wurden die damals noch in Wuppertal ansässigen späteren Mitglieder der Düsseldorfer Band Der Plan auf die Residents aufmerksam. Sie sollten eine wichtige Rolle für die stilistische und klangliche Entwicklung der Gruppe spielen. Genauso wichtig waren die ebenfalls durch die Zeitschrift Kramers vermittelten Kontakte zu kalifornischen Bands wie Monitor und dem Musiker Boyd Rice, der den Plan bald darauf in Düsseldorf besuchte und ihm von seiner Begegnung mit Martin Denny vorschwärmte, einem Gründungsvater der Exotica-Musik, die bis heute im Kosmos des vom Plan begründeten Musiklabels Ata Tak eine große Rolle spielt.
Außer den vermittelten Musikeinflüssen ist wichtig zu wissen, dass Der Plan sich personell aus einem Bandprojekt mit dem Namen Weltende entwickelte, in dem Frank Fenstermacher und Moritz Reichelt 1978 gemeinsam mit Jürgen Kramer agierten. Kramer steht als Anreger nicht nur im Kontext der ersten, 1979 veröffentlichten EP des Plans, sondern musizierte gemeinsam mit Sylvia James, die mit Materialschlacht eine eigene wichtige Punk-Band der ersten Stunde hatte. 1979 gründete Kramer eine weitere Gruppe mit dem Namen Das 20. Jahrhundert - von der es leider keine Platten gibt.
Kramer verlor danach sein Interesse an der Neuen Welle in dem Maße, wie diese sich zu einer Modebewegung entwickelte. Deutlich wird seine Reaktion auf diese Entwicklung in der neunten Ausgabe. In dem kleinen, bibliophilen Büchlein wurde auf Kunstdruckpapier kommentarlos eine Reihe von Kathedralen abgebildet. Das für ihn mit Punk verbundene existentielle Hinterfragen der Zivilisation und des modernen, aufgeklärten Lebens führte ihn zu einer intensiven Beschäftigung mit Mythologien. 1980 und 1982 erschienen als Nummern seiner Zeitschrift zwei umfangreiche Bücher, in denen dieses kulturgeschichtliche Interesse vorgeführt wird. Eine 1982 veröffentlichte Publikation mit dem Titel "Der Rabe" beendete sein Engagement im Kontext der Neuen Welle. Danach widmete er sich vor allem der Malerei.
Von Thomas Groetz ist im Verlag Martin Schmitz das Buch "Kunst = Musik. Deutscher Punk und New Wave" erschienen.
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Das Magazin "art" hat in der aktuellen Ausage einen Schwerpunkt auf die Kunst der 80er gelegt: http://www.art-magazin.de/kunst/3144/do ... 80er_jahre
Als die 80er Jahre die Achtziger Jahre wurden, waren die Achtziger bereits in den Neunziger angelangt. Der Zeitgeist hinkt sich ständig selbst hinterher.
Oder in Abwandlung einer Heidegger-Bemerkung: "Das Aktuelle ist eh schon veraltet, bevor es als solches erkannt wird."
Nicht den Moden und Trends hinterherlaufen, sondern Trendsetter sein...
Zum Beispiel im Netzwerk dritter Weg, das es zu "bilden" gilt.
Oder in Abwandlung einer Heidegger-Bemerkung: "Das Aktuelle ist eh schon veraltet, bevor es als solches erkannt wird."
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Rechts und links sind überlebte Begriffe aus der Klassenkampfepoche. Es gibt im Westen nicht mehr das Proletariat, welchem man zur Weltrevolution folgen kann. Mit einem dritten vierten oder fünften Weg, soll die unbequeme Notwendigkeit zur Selbstveränderung, meinetwegen zur Selbstrevolution, ausgedrückt sein. Zumindest muss erlaubt sein darüber abseits der Parteien nachzudenken. Was die Mitte betrifft, so existiert sie nicht in dieser Gesellschaft von Westerwelle, Merkel und wie heissen die nochmal mit den roten Socken?! Ich meine mit Mitte die
Nun, sicher ist, wir müssen nicht in die Alpen flüchten, wenn wir diese Stadt z.B. "sanieren".
, die Hölderlin so beschrieb:"goldene Mittelmäßigkeit"
Derartig kryptische Gedanken lassen sich aber nur verstehen, wenn man den romantischen Geist zugrunde legt. Bekanntlich war Hölderlin nie in Griechenland, das Land galt ihm vor dieser Äußerung als sein Arkadien."goldene Mittelmäßigkeit"
"In Griechenland ist meines Bleibens nicht mehr ..., in ein heilig Thal der Alpen [laß uns] flüchten, und da ein freundlich Haus und auch von grüner Erde so viel... kauffen, als des Lebens goldene Mittelmäßigkeit bedarf..."
Hölderlin, "Hyperion" (1897)
Nun, sicher ist, wir müssen nicht in die Alpen flüchten, wenn wir diese Stadt z.B. "sanieren".
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Tja irgendwie klingt das wie ... wie gemütlicher Ruhestand in der Gartenlaube. Goldener Herbst des Mittelstandes.... in ein heilig Thal der Alpen [laß uns] flüchten, und da ein freundlich Haus und auch von grüner Erde so viel... kauffen, als des Lebens goldene Mittelmäßigkeit bedarf..."
Was ist (war) uns Arkadien?... das Land galt ihm vor dieser Äußerung als sein Arkadien.
Die wirtschaftsstarke Kohlestadt, die am Jahresende Geld über hat?
Göttingen mit dem Gänselieselbrunnen?
Das Gelsenkirchen der Kindheit?
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Mittelmäßigkeit und Midsommar sind nicht das gleiche, eher das Gegenteil.rabe489 hat geschrieben:Dieses Bild erklärt Herrn pito die "goldene Mittelmäßigkeit": es ist von Bonnard und heißt Sommertanz...
Wer will schon in Mittelmäßigkeit leben? Nichts gegen das Einfache, solang es nur auf seine Art besonders ist. Doch erstrebenswerter ist das einmalige Eigene, der besondere Moment, das kostbare Erlebnis.
Der ganze Garten, ja, das ganze Tal war mit kleinen beleuchteten Tischen bedeckt. Die Leuchtkäfer und Glühwürmer funkelten, und die Lampions in den Bäumen schaukelten im Nachtwind wie große leuchtende Früchte.
Eine Knallrakete fuhr am Augusthimmel in einer stolzen Kurve empor; hoch oben zerplatzte sie, und ein Regen von weißen Sternen fiel leise, leise auf das Tal nieder. Jedes kleinste Tier streckte die Schnauze dem Sternenregen entgegen und schrie: "Hurra!" Oh, es war wunderbar!
Tove Jansson - Trollkarlens Hat
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