Margarethe Zingler

Menschen die Eindruck in Gelsenkirchen hinterlassen

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Margarethe Zingler

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Margarethe Zingler (1885-1973), Sozialpolitikerin

Nachdem Anfang 1987 der großzügige Umbau der Gelsenkirchener Innenstadt fertiggestellt war, wurden am 30. Januar d.J. drei Plätze in der Fußgängerzone nach zwei Gelsenkirchener Widerstandskämpfern und einer Widerstandskämpferin neu benannt. Der Platz vor der Evangelischen Altstadtkirche wurde dem Geistlichen Heinrich König gewidmet, der im Konzentrationslager Dachau umgekommen war. Die Namensgebung des Platzes vor dem Versicherungsamt war dem kommunistischen Widerstandskämpfer Fritz Rahkop gewidmet. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus dem Kreis der Sozialdemokratie wurde durch die Benennung des Platzes am Hauptmarkt nach der Sozialpolitikerin Margarethe Zingler gewürdigt. Der Platz trägt den Namen Margarethe-Zingler-Platz. An ihren Ehemann Alfred Zingler erinnert die Alfred-Zingler-Straße und das Jugendheim Alfred-Zingler-Haus (ab 1967) am Margarethenhof 10.

Margarethe Zingler hatte sich in den Nachkriegsjahren aktiv für den Wiederaufbau der zerstörten Arbeiterstadt Gelsenkirchen eingesetzt. Sie war Mitbegründerin der Gelsenkirchener SPD und Mitglied des ersten Unterbezirksvorstandes. Bis 1948 war sie Stadtverordnete und Mitglied des Fürsorgeausschusses und des Volksbildungsausschusses, des weiteren in der Wahlperiode 1948/52 Bürgerschaftsvertreterin im Fürsorgeausschuss, Vertreterin der Arbeiterwohlfahrt im Jugendausschuss und Vertreterin der politisch Verfolgten im Soforthilfeausschuss und im Lastenausgleichsausschuss.

Agnes Seline Margarethe Wiesner kam am 6. November 1885 in Jauer (pol. Jawor), Regierungsbezirk Liegnitz, in Niederschlesien, zur Welt. Die Tochter einer Beamtenfamilie absolvierte zunächst die Volksschule und erhielt danach Privatunterricht in französischer und englischer Sprache und in Literatur. Im Alter von 29 Jahren heiratete sie den Schriftleiter Alfred Wilhelm Hermann Zingler. Die Ehe blieb kinderlos. Es heißt, dass beide Eheleute keine Kinder wollten, weil ihr berufliches und politisches Engagement nicht mit ihrer Vorstellung von einer guten Kindererziehung in Einklang zu bringen gewesen sei. Ab 1916 lebte das Ehepaar in Tilsit in Ostpreußen, wo Alfred Zingler die Schriftleitung der Zeitung übernommen hatte. Am 20. Februar 1919 trat ihr Mann, am 1. April 1919 Margarethe Zingler selbst in die Mehrheits-Sozialdemokratie ein.

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Margarethe und Alfred Zingler, ca. 1918 (Quelle: ISG/Stadtarchiv Gelsenkirchen)

Nach 1923 zog das Paar nach Gelsenkirchen. Alfred Zingler wurde leitender Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung Volkswille. Beide Eheleute engagierten sich in der sozialdemokratisch orientierten Wohlfahrts- und Selbsthilfeorganisation Arbeiterwohlfahrt und in Organisationen der Arbeiterkultur. Ihr Hauptbetätigungsfeld fand Margarethe Zingler in den sozialdemokratischen Frauengruppen. Ende der zwanziger Jahre war das "August-Bebel-Haus" im Margaretenhof, heute Alfred-Zingler-Haus, in Bulmke errichtet worden. Es diente den sozialdemokratischen Verbände als Treffpunkt und Agitationsforum. In der Beratungsstelle und der Nähstube der Arbeiterwohlfahrt wirkte Margarethe Zingler aktiv mit. Schon bald vertraute man ihr die Leitung aller SPD-Frauengruppen an. Von 1923 bis 1933 war sie Vorstandsmitglied der örtlichen Arbeiterwohlfahrt.

Bei den Wahlen am 20. Mai 1928 war sie zur Stadtverordneten gewählt worden. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren verhafteten sie 1933 noch während des Wahlkampfes die Mitglieder der Arbeiterparteien SPD und KPD. Am 23. Februar 1933 wurde das "August-Bebel-Haus" beschlagnahmt, am 2. Mai wurden die Gewerkschaften verboten, am 1. Oktober ging das August-Bebel-Haus in den Besitz der Hitler-Jugend über.

Wann genau Margarethe Zingler über die "Grüne Grenze" in die Niederlande flüchtete ist nicht bekannt. Alfred Zingler hatte am 5. Mai 1933 Deutschland verlassen und Zuflucht bei Mitgliedern der "Sociaaldemocratischen Arbeiders Partij" (SDAP) in Hengelo gefunden. Margarethe und Alfred Zingler korrespondierten mit Mitgliedern der verbotenen Sozialdemokratie in ihrer Heimatstadt und im Ausland und sie betätigten sich in der sozialdemokratischen Bewegung der Niederlande. Bei der Besetzung der Niederlande wurde das Ehepaar am 2. Juli 1943 verhaftet und in verschiedenen Gefängnissen festgehalten. Am 3. Januar 1944 in das Gelsenkirchener Gefängnis eingeliefert wurden Alfred und Margarethe Zingler angeklagt, "durch die Anknüpfung und Aufrechterhaltung illegaler Beziehungen zu Hauptfunktionären der illegalen SPD, durch die Mitarbeit an illegalen Hetzschriften der SPD und deren Verbreitung im In- und Ausland gemeinschaftlich den marxistischen Hochverrat vorbereitet zu haben". Alfred Zingler klagte man der darüber hinaus an, "wehrkraftzersetzend" gewirkt zu haben und damit im Krieg die feindlichen Mächte unterstützt zu haben.

Alfred Zingler wurde am 28. August 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Danach tagte der Volksgerichtshof im Hochverratsprozess gegen Margarethe Zingler. In der Urteilsbegründung wird ihre eigene Widerstandstätigkeit als Hilfeleistung für ihren Mann ausgelegt. Der nationalsozialistischen Unrechtsstaat erkannte "für Recht":

"Frau Margarethe Zingler hat vor dem Krieg in Holland für ihren Mann, einen emigrierten sozialdemokratischen Funktionär, Hetzmaterial auf der Schreibmaschine geschrieben. Dafür bekommt sie drei Jahre Zuchthaus. Ihre Haft wird ihr darauf angerechnet." Am 9. November 1944 brachte man sie in ein Frauengefängnis nach Cottbus, von hier aus in das Gefängnis in Leipzig, das am 19. April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit wurde.

Noch im selben Jahr übernahm Margarethe Zingler Vorsitz und Geschäftsführung der Gelsenkirchener Arbeiterwohlfahrt. Die Leitung der Arbeiterwohlfahrt unterstand ihr bis in die sechziger Jahre. Nach ihrem Rücktritt aus Altersgründen wählte man sie zur Ehrenvorsitzenden. Margarethe Zingler starb am 16. Juni 1973 im Alter von 87 Jahren. Sie wurde auf dem Friedhof in Bulmke beigesetzt.

Marlies Mrotzek

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