Carl Böhmer, Statthalter der NSDAP

Alles über die Verstrickungen der Stadt/Bürger mit der NSDAP/Faschismus

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Carl Böhmer, Statthalter der NSDAP

Beitrag von Verwaltung »

  • Carl Böhmer, Statthalter der NSDAP
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    Carl Böhmer wurde als Sohn eines Brauereidirektors am 1. Dezember 1884 in Essen-Schonnebeck geboren. Nach der Schulzeit und einigen Bildungskursen absolvierte er eine kaufmännische Lehre bei Siemens & Halske. In dem erlernten Beruf arbeitete Böhmer dann bei der Bochumer Knappschaftsverwaltung. Anschließend war er in den kaufmännischen Abteilungen von Zechenunternehmen tätig, erst bei Ewald Fortsetzung und dann bei Graf Bismarck. Während des Ersten Weltkrieges war er von August 1916 bis Mai 1918 Soldat. Für die Deutsche Erdöl AG (DEA), zu der seit 1923/24 die Zeche Graf Bismarck gehörte, leitete er vor seiner Karriere im „Dritten Reich" die betriebliche Konsum-Anstalt.

    Nachdem Böhmer zunächst dem deutschnationalen "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten" angehört hatte, ging er relativ früh zur NSDAP. Er trat dieser Partei zum 1. März 1928 bei und erhielt die Mitgliedsnummer 80 329. Damit zählte er zu den „Alten Kämpfern" der NSDAP mit einer Mitgliedsnummer unter 100 000. Offenbar existierte gerade unter den Angestellten der Zeche Graf Bismarck eine ganz Gruppe früherer NSDAP-Mitglieder. In der Ende der 20er Jahre noch unbedeutenden NSDAP-Ortsgruppe Gelsenkirchens und im NSDAP-Bezirk Emscher-Lippe fungierte er zunächst bis 1930 als Geschäftsführer. Im „Dritten Reich" gehörte er später zahlreichen nationalsozialistischen Nebenorganisationen und z. B. auch der SA an, wobei er in letzterer ab 1944 den Rang eines Standartenführers erreichte, was dem militärischen Rang eines Obersten entsprach.

    Wohl aufgrund seiner langen Zusammenarbeit mit dem NSDAP-Gauleiter Alfred Meyer, der seine Parteikarriere ja auch in der Gelsenkirchener NSDAP-Ortsgruppe begonnen hatte und auch Angestellter bei der Zeche Graf Bismarck gewesen war, avancierte Böhmer auf Vorschlag des Gauleiters nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mit der Entlassung der Politiker der Weimarer Zeit zum Gelsenkirchener Oberbürgermeister. Zunächst wurde er ab 7. April 1933 Staatskommissar für die Stadt Gelsenkirchen, dann ab 21. Juli kommissarischer Oberbürgermeister. Am 27. September 1933 wurde Carl Böhmer vor der Stadtverordnetenversammlung endgültig in das Amt des Oberbürgermeisters eingeführt. Die Funktion des Oberbürgermeisters, die eben bedeutete, dass Carl Böhmer Chef der gesamten Stadtverwaltung war, behielt er bis zur Befreiung der Stadt Gelsenkirchen vom Nationalsozialismus.

    Wegen seiner wichtigen Funktion wurde Böhmer 1945 von der britischen Militärregierung in einem Internierungslager bis 1. April 1947 inhaftiert. Bei der Entnazifizierung wurde Böhmer durch den (deutschen) kleinen Entnazifizierungsausschuss in Gelsenkirchen nach sehr sorgfältiger Untersuchung mit zahlreichen Zeugenvernehmungen am 18. Mai 1949 in die Kategorie III („Geringe Übeltäter") eingereiht, nachdem die britische Militärregierung zuvor am 1. April 1947 Böhmer nur in Kategorie IV („Anhänger) eingestuft hatte. Für den Ex-Oberbürgermeister bedeutete die Entscheidung des Gelsenkirchener Entnazifizierungsausschusses, der auch die Beteiligung Böhmers ar der Zerstörung der Gelsenkirchener Synagoge als erwiesen ansah, neben beruflichen Beschränkungen vor allem einen Verlust des Pensionsanspruchs. In dem dann eingeleiteten Berufungsverfahren zu seiner Entnazifizierung erreichte Böhmer zunächst nichts. Am 8. Juni 1949 bestätigte der Sonderbeauftragte für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen die Einreihung in Kategorie III. Auch der Entnazifizierungs-Berufungsausschuss entschied am 27. Oktober 1949 gegen die Berufung Böhmers. Schließlich wurde Böhmer dann mit der Entscheidung des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1950 doch entlastet und in Kategorie IV („Anhänger") eingereiht.

    Trotz dieser Entscheidung bemühten sich nun die Kommunalpolitiker und die Gelsenkirchener Stadtverwaltung, dem ehemaligen Oberbürgermeister alle Versorgungsbezüge zu verweigern. Die Stadt Gelsenkirchen nutzte entsprechend alle Rechtsmittel, um Pensionszahlungen an Böhmer zu verhindern, wobei die Stadt grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der Ernennung Böhmers zum Oberbürgermeister verneinte. Als die Stadt 1952 vom Landgericht Essen verurteilt wurde, bis zur endgültigen Entscheidung regelmäßig einen Teilbetrag der geltend gemachten Pensionsbezüge an Böhmer zu zahlen, weigerte sie sich. Bis zum Tod Carl Böhmers am 12. November 1960 blieb es bei der Weigerung. Von 1952 bis 1960 mussten die Gelder für Böhmer jeden Monat durch Zwangsvollstreckung, also Pfändung aus der Stadtkasse, eingetrieben werden. Nach dem Tode Böhmers wurden die langwierigen juristischen Auseinandersetzungen - noch waren drei Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen - beendet, indem Böhmers Witwe, die die Prozesse offenbar nicht weiterführen wollte, und die Stadt Gelsenkirchen 1962 einen Vergleich schlossen.
Quelle: Gelsenkirchen - Ein Streifzug durch 125 Jahre Stadtgeschichte, Heinz-Jürgen Priamus, Holger German, Norbert Silberbach, Wartberg, 2000
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Beitrag von GELSENZENTRUM »

Netzfundstück; Aufdruck auf einer Fahne aus dunkler Zeit:

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Yibe
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Registriert: 19.09.2007, 05:21

Beitrag von Yibe »

Ein interssanter Bericht zu GE Vergangenheit , vielen Dank.

Weiß jemand , was bei dem Vergleich beschlossen wurde?
Für Menschen, die mir etwas bedeuten, gehe ich durchs Feuer...für andere gehe ich nicht einmal ans Telefon !!!

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PARISER TAGESZEITUNG vom 11. März 1937

Beitrag von GELSENZENTRUM »

Aus: "PARISER TAGESZEITUNG", 11. März 1937

Offene Worte im Rat der Stadt Gelsenkirchen

Gelsenkirchen, 11. März. Bei der Beratung des städtischen Etats, er mit einem Fehlbetrag von 8,6 Millionen Mark abschliesst, kam es, wie die "Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung" berichtet, zu einem für die Stimmung des städtischen Mittelstandes bezeichnenden Zwschenfall.

In der Aussprache über den Haushalt wies Ratsherr Schulz darauf hin, das die Sätze der Gewerbesteuer namentlich bei den mittleren und kleineren Gewerbetreibenden eine herbe
Enttäuschung auslösen würden. Er bat, die alten niedrigeren Sätze beizubehalten. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Ratsherr Schulz, der selbst Gewerbetreibender ist, wies nochmals darauf hin, dass nach dieser Rechnungsart gerade die Schultern am stärksten belastet würden, die am schwächsten seien. In dieser, unter nationalsozialistischen
Verhältnissen auffälligen Intervention kam die grosse Unzufriedenheit des Städtischen Mittelstandes zum Ausdruck.

Oberbürgermeister Böhmer sah sich genötigt, folgende Erklärung abzugeben:

"Alle Ausgaben, die dem Wohle der Bevölkerung dienen, müssen zurückgestellt oder abnormal gedrosselt werden. Wir wollen damit das Bestreben des Reiches, möglichst alles für die Erringung einer starken Wehrmacht einzusetzen, mit besten Kräften unterstützen. Ein solches Sparsystem, das nur die Erfüllung der primitivsten Bedürfnisse gestattet, ist begreiflicherweise vorübergehend, wie ein Kriegszustand, aber nicht auf die Dauer ohne üble Folgen zu ertragen."

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