Eine Geschichte über Grimberg von Lo aus dem Blickwinkel der 1950er und 1960er Jahre.
Lo hat geschrieben:
FREIBAD GRIMBERG
Der Weg von Erle zum Freibad Grimberg führte zunächst über die Cranger Straße zum Forsthaus. Spätestens hier musste man sich für eine von zwei Möglichkeiten entscheiden. Quer über die Cranger Straße verlief die Zechenbahn der Zeche Graf Bismarck, deren Gleise unmittelbar links am Forsthaus vorbeiführten.
Wählte man diesen (kürzeren) Weg, immer an der Bahnlinie entlang, musste man nach einer guten Strecke die Gleise an einem verfallen Bahnhäuschen nach rechts überqueren und hier ein Stück durch Getreidefelder gehen. Links der Felder kam man an einer Barackensiedlung für Obdachlose vorbei, die man Mau-Mau nannte. Diese wenigen hundert Meter an der Mau-Mau vorbei waren etwas gefürchtet. Geschichten darüber, dass die Mau-Mau-Bewohner hin und wieder die hier Vorbeigehenden überfielen, verkloppten und beklauten, nährten unsere Furcht und erhöhten an dieser Stelle unser Lauftempo.
Hatte man den gefürchteten Teil endlich und unbeschadet hinter sich gebracht, kam man an der Emscherbrücke der damaligen Cranger Straße aus, die hier eine S-Kurve machte. Von hier aus waren auch schon deutlich die ersten Freibad-Geräusche zu vernehmen: Nun waren es nur noch wenige Minuten bis zur ersehnten Abkühlung. Grimberg. Wir kommen.
Als zweite Möglichkeit gab es dann den Weg nur der Cranger Straße längs. Man ging also nun rechts um das Forsthaus herum, hinter dem jahrelang ein als Imbisswagen umgebauter VW-Bus, der von einem dicken, dunkelhaarigen, grimmig guckenden Mann betrieben wurde.
Man blieb hier auf der linken Fahrbahnseite und hörte bereits nach wenigen Metern lautes Hundegebell, das von dem links hinter dem Forsthaus liegenden Erler Tierheim stammt. Wenn man am Tierheim vorbei war, wurde der Weg Richtung Grimberg in der Sommerhitze lang und langweilig, weil er eben nur der Straße längs führte.
Hatte man dann endlich die stinkende Emscher an einer S-Kurve überquert, war es nicht mehr weit. Der Geräuschpegel allein verriet, dass das Freibad weiter vorne links liegen musste. Auch der Geruch von Chlor und Sonnencreme nahm zu.
Vor dem Freibad-Eingang stand links eine Trinkhalle, die zum Freibad gehörte und permanent belagert war, dann folgte nach rechts ein großes Eisentor, über dem ein weißgrundiges Schild mit der blauen Aufschrift FREIBAD GRIMBERG befestigt war.
Und wer mit dem Fahrrad kam, fuhr noch ein Stückchen weiter bis zur Fahrradwache hinter das Kassen- und Sanitätsgebäude.
Das zweiflügelige Eisentor wurde meist nur bei großem Andrang geöffnet, auch um Rettungswagen passieren zu lassen oder abends zum Freibad-Ende ab 19:00 Uhr alle Besucher schnell herauszuschleusen.
Rechts vom Tor ein kleines graues Gebäude mit mehreren kleinen Schalterfensterchen, aus dem die Eintrittskarten verkauft wurden. Davor mehrere Reihen hellgestrichener Eisengeländer, die die Besucherschlangen zu den einzelnen Kassen führten. Hatte man endlich seine 30 Pfennige (später mehr) bezahlt und seine Eintrittskarte im Empfang genommen, trat man durch die Türe und war drin.
Sofort strömte dem Besucher der schon vorher wahrgenommene Freibadgeruch entgegen, nur viel intensiver: ein Mix aus Wasser, Chlor und Sonnencreme.
Was ein erstmaliger Besucher sicher nicht vermuten würde: nach dem Eintreten befand man sich wirklich „oberhalb“ des Freibades. Ging man nur wenige Schritte nach vorn, stand man vor einer hüfthohen Hecke, die die gesamte, wirklich riesige Freibadanlage umschloss.
Der Blick über diese Hecke war überwältigend: wie in einem gigantischen, rechteckig angelegten „Tal“ befanden sich da unten die hellblau strahlenden Wasserbecken:
Links das tiefblaue Springerbecken mit einem 10-Meter-Turm. Direkt angeschlossen das Schwimmer-Becken. Verbunden durch eine breite, begehbare Mauer mit Startblöcken obenauf und Fenstern unter Wasser, durch die man von einem zum anderen Becken tauchen konnte.
Das Wasser hier im SCHWIMMER/SPRINGER war immer ordentlich kälter als in allen übrigen Becken des Freibades. Um beide Becken herum ein etwa anderthalb Meter breites, flaches umlaufendes Fußbecken mit Duschen in regelmäßigen Abständen.
Vom oberen Standpunkt des Betrachters folgte dann nach rechts durch einen wallartigen Wiesen- und Wegstreifen getrennt das „ALLGEMEINE“ Becken, das gleichermaßen von Alt und Jung, von Schwimmern und Nichtschwimmern am häufigsten aufgesucht wurde. Die Wassertiefe fiel von Kniehöhe bis zu 1,80 m ab. Ein dickes Seil trennte den Nichtschwimmerbereich vom tieferen Schwimmerteil.
Auch das ALLGEMEINE Becken war von einem umlaufenden wassergefüllten Fußbecken mit Duschen umgeben.
Ein schöner Spaß war es, mit mäßigem Tempo zu zweit nebeneinander durch das umlaufende Fußbecken zu marschieren, bis sich vor einem eine schöne hohe Welle aufschob, die dann zu beiden Seiten rollend überschwappte, leider auch ins Schwimmbecken selbst. Ein schriller Trillerpfeifton des Bademeisters beendete dann jäh unseren Spaß.
Um alle Becken gepflasterte Wege und überall Wiesenflächen, die mit Decken und Handtüchern belagert wurden, oftmals ganz dicht nebeneinander.
Rechts des „Allgemeinen“ Beckens erhob sich eine Art erhöhter Wiesenwall, auf dessen Anhöhe sich mittig ein mit dem Gelsenkirchener Stadtwappen getoppter Flaggenmast befand, einem Ausguck auf großen Schiffen nachempfunden, umgeben von einem niedrigen ovalen Mäuerchen, das gern von Müttern mit Kindern belagert wurde.
Von hier aus weiter rechts dann flach abfallend eine sehr große Liegewiese mit zwei nebeneinander angelegten flachen Nichtschwimmerbecken, die nur durch eine niedrige Mauer voneinander getrennt waren: „Pissbecken“ genannt. In jedes dieser Becken führte eine kleine bunte Metallrutschbahn.
Der Rasen um diese Becken war stets völlig durchmatscht.
Während das Wasser im Schwimmer/Springer- und dem Allgemeinen Becken strahlend blau schimmerte, fand man hier in den „Pissbecken“ nur eine warme, dreckig-grüne Brühe vor. Hiervon einen Schluck in den Mund zu bekommen, war uns eine ekelhafte Vorstellung.
Wieder weiter rechts eine große, nun ansteigende Wiesenfläche, die am obersten Punkt über drei Treppenstufen auf die Spielplatzwiese führte, die, wie alles hier, ebenfalls richtig große Ausmaße hatte und ringsum von einem Wäldchen umgeben war, in dem sich viele ein schattiges oder die Liebespärchen ein lauschiges Plätzchen suchten.
Auf dieser Riesenwiese gab es zwei Spielplatzgeräte für „Große“:
ein drehbarer Pilz, an den man sich, wenn man nur groß genug war, hängte und sich immer schneller werdend drehte, bis die verschwitzten Hände keine Kraft mehr zum Halten hatten, und man irgendwo landete.
Und ein sehr hoher drehbarer Mast mit vier dicken Seilen, an die sich meist die „Halbstarken“ hängten, herumschleuderten und sich messen konnten.
In dem Wäldchen zu rechten, also zur Straßenseite hin, lagerten einige Jahre lang Zigeuner in richtigen Holzwohnwagen, wie man sie von alten Zirkusbildern her kennt. Sie waren über das gesamte Wäldchen verteilt. Viele „Zigurras“, wie wir sie nannten, waren ebenfalls im Freibad zu sehen, zahlten aber keinen Eintritt: sie hatten sich, für jeden sichtbar, einen „eigenen Eingang“ in den Zaun geschnitten. Krach wollte keiner „mit denen“ haben. Also wurde es wohl geduldet. Nur hieß es immer, dass man besonders auf seine Klamotten aufpassen sollte...
Es lohnte sich aber, noch ein kleines Stück weiterzugehen, denn: hatte man auch diesen Spielwiesenteil durchquert, öffnete sich vor einem die tolle heiße „SANDWÜSTE“!
Die Sandwüste war eine riesengroße, nur aus feinem, hellem Sand bestehende Freifläche. Man musste schon gut Schmerzen aushalten können oder eine dicke Hornhaut unter den Fußsohlen haben, wenn man bei heißem Sommerwetter die Sandwüste barfuss durchqueren wollte.
Wir machten uns gern den Jux, uns zuerst im Pissbecken nass zu machen, schnell zur Sandwüste zu rennen, um uns dann in dem heißen Sand zu suhlen. So herrlich einpaniert rannten wir dann mit Gejohle wieder zum Pissbecken, um uns hier vom Sand zu befreien.
Diese Unsitte trug sicherlich dazu bei, dass das Pissbeckenwasser nie eine Chance hatte, mal richtig sauber zu werden….
All die beschriebenen Wasserbecken und Anlagen, mit Ausnahme der höher gelegenen Spielwiese und der Sandwüste lagen windgeschützt in einer tiefen rechteckigen Mulde, die ringsum durch steil hochansteigenden Rasenflächen und Grün umgeben war und von allen Seiten über mehrere großzügig angelegte Treppen erreicht werden konnte.
Oben umlief ein breiter von Rasen und Hecken umgebener Weg die gesamte Freibadanlage.
Wollte man sich ein Eis, Kuchen, oder Getränke kaufen, musste man „nach oben“, Richtung Straßenseite, die Treppen hoch.
Oberhalb zwischen dem Allgemeinen und des Pissbeckens befand sich eine schöne breite Terrasse mit Tischen und Stühlen und einem Masten mit einer großen Uhr obenauf, die weithin sichtbar war. Der zurückliegende Kiosk wurde ohne Unterbrechung von Massen belagert, weil es hier für den, der Geld hatte, alles gab: Würstchen, Eis, Pommes, Getränke, Sonnenöl, Kämme, Wasserspielzeug, Zeitschriften....
Rechts überdacht war separat eine Kuchentheke aufgebaut.
Wir haben spitzbekommen, dass man hier nach 18 Uhr an der Kuchentheke nach Kuchenkrümeln fragen kann. Für 20 Pfennige bekamen wir dann eine richtige Gebäcktüte voll mit leckeren, sattmachenden Streuselkrümeln, und manchmal war sogar ein ganzes Hefeteilchen mit dabei, weil es nur zerbrochen oder zerdrückt war und nicht mehr verkauft werden konnte. Jedenfalls war das leckerer als die mitgebrachten toten Kniften, bei denen die Rama stiften ging und sich die Wurstscheiben vonne Wärme dröge verbogen.
Freibad Grimberg war bei schönstem Sommerwetter jeden Tag proppevoll. Die Decken lagen dann wirklich „dicht an dicht“. Prima war es auch, wenn in der Decken-Nachbarschaft jemand lag, der ein Kofferradio oder sogar einen dieser neuen tragbaren Plattenspieler dabei hatte, bei denen man die Schallplatte nur in einen seitlichen Schlitz einschieben musste. Dann hörten wir die neuesten Schlager und hatten Spaß. Manche nahmen auch Gitarren mit und unterhielten sich und alle umliegenden Leute mit fetziger Musik.
Jeden Tag ins Freibad zu wollen, kostete ja auch Geld. Wenn ich Glück hatte, durfte ich bei Herbert und Berni im schwarzen Mercedes mitfahren, wenn sie abgeholt wurden, oder bei Boffens in ihrem schönen gelben Borgward Isabella.
Ansonsten war Laufen angesagt, denn die Tour mit der Straßenbahn kostete 20 Pfennige und endete ja schon am Erler Forsthaus, wo noch ein gutes Stück Fußweg vor mir lag. Ich nutzte daher sehr oft die Möglichkeit, mir im Freibad Grimberg Freikarten zu verdienen.
Das ging dann so: man meldete sich am frühen Nachmittag bei einem der Bademeister, und fragte, ob man abends Müll aufsammeln und Papierkörbe leeren dürfte. Denn hierfür gab es dann als Lohn eine Freikarte. Das Freibad schloss um 19 Uhr. Jeder Papiersammler bekam einen Bereich zugeteilt, der piccobello und frei von Müll sein musste. Das wurde dann auch von den Bademeistern geprüft. War er dann zufrieden, erhielt man seine Freikarte.
Der Nachteil allerdings war, dass man dann den langen Weg nach Erle zu Fuß und alleine machen musste, weil die anderen ja alle schon weg waren. Egal.
Dafür hatte man aber wieder einen Tag Grimberg umsonst gehabt.
Und dat war et doch wert, oder?
(c) Lothar Lange 2004