Helene Badziong

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Helene Badziong

Beitrag von pito »

  • Helene Badziong - ein Porträt

    engagiert in der IG Bergbau und Energie seit 1945 und beteiligt am Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

    Der Lebensweg wird auf der Grundlage eines Berichts, den Helene 1985 gehalten hat, und zweier Interviews vom 12.03.1986 und 15.01.1991 nachgezeichnet.
    Bei einer Sondersitzung des Rates der Stadt Gelsenkirchen 1985 zur Erinnerung an das Ende der NS-Zeit vor 40 Jahren gehörte Helene zu den Ehrengästen, die ihr Leben darstellten. Im Mittelpunkt ihres Berichts steht daher ihr Anteil am Widerstand:

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Beitrag von pito »

  • "Ich bin Helene Badziong, Gewerkschaftlerin im Ruhestand. In wenigen Tagen werde ich 68 Jahre alt. 1917 wurde ich als zweitjüngstes von elf Kindern eines Bergmanns in Gelsenkirchen geboren. Mein Vater war ein engagierter Mann, der überall zur Stelle war, wo jemand gebraucht wurde; z. B. war er damals schon Knappschaftsältester und Mitbegründer der SPD in Erle. Ich habe viele Parteibücher gesehen, die seinen Namen getragen haben. So wuchs ich sozusagen von Haus aus in die Arbeiterbewegung hinein. Ich besuchte die „freie Schule "und organisierte mich schon früh bei den Naturfreunden und der sozialistischen Jugend, wo ich schnell zur Gruppenleiterin avancierte.

    Da war es selbstverständlich, daß ich mit 15 Jahren nach Beginn einer Lehre — ich wollte Textilwerkerin werden — in die Textilgewerk-schaft eintrat. Diese wurde 1933 — wie alle demokratisch strukturierten Organisationen, von der Arbeiterwohlfahrt angefangen bis zur Freiwilligen Feuerwehr — nach der Machtergreifung Hitlers aufgelöst. Alle, die als „politisch unzuverlässig" galten, waren an Leib und Leben bedroht. Alle oppositionellen Handlungen mußten in strengster Heimlichkeit vollzogen werden. Viele konnten sich der Verfolgung nur durch Flucht entziehen.

    Gelsenkirchen war und blieb mein Lebensmittelpunkt, obwohl ich — auch aus Sicherheitsgründen — immer mal den Wohnort wechselte. Im grenznahen Gebiet Gronau hatte ich es u. a. übernommen, gefährdete Personen — Sozialdemokraten, Kommunisten, aufrechte Demokraten und engagierte Christen ohne Ansehen der Person — über die holländische Grenze in Sicherheit zu bringen. Um wen es sich im einzelnen handelte, erfuhr ich nie, denn die wirklichen Namen blieben geheim, um alle Beteiligten so wenig wie möglich zu gefährden.

    Meine holländischen Kontaktleute hatten bald in Erfahrung gebracht, daß ich unter Gestapo-Beobachtung stand. Sie empfahlen mir daher, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Ich schlug die Warnungen jedoch in den Wind, und so wurde ich 1936, genau am 14. September, als Achtzehnjährige verhaftet. Mein Bruder Gustav befand sich bereits in Haft. Er kam nach Esterwegen, wo zur gleichen Zeit sein Kollege, sein Vorsitzender Fritz Husemann sein Leben lassen mußte. Auch mein Schwager wurde zweimal festgenommen. Er war zwei Jahre im Stapeler-Moor und sechs Monate in meinem Verfahren in Untersuchungshaft.

    Es stellte sich heraus, daß ich ebenso wie mein Bruder durch Spitzel im Kommunistengewand verraten worden war. Da ich sicher war, daß man mir so gut wie nichts würde nachweisen können, schwindelte ich mich mit der Behauptung heraus, ich hätte lediglich Grußbotschaften aus Holland übermittelt, sonst nichts. Das ersparte mir freilich nicht die Verurteilung am 14. April 1937 durch den 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm. Der Staatsanwalt beantragte für mich wegen „Vorbereitung zum Hochverrat" fünf Jahre Gefängnis mit der Begründung, allein der Verdacht der Gestapo reiche aus für eine Bestrafung, die dann mit zwei Jahren Freiheitsentzug noch vergleichsweise glimpflich ausfiel.

    Die zwei Monate der Gestapohaft hier in Gelsenkirchen in der Ahstraße waren durch ständige Verhöre gekennzeichnet, waren von Schlägen begleitet, weil man hoffte, durch körperliche Folter belastende Aussagen herauszupressen. Schlimmer noch waren die systematischen Torturen durch die Prügelkommandos der SS. Trotzdem habe ich eisern geschwiegen. Wenn du etwas verrätst, dachte ich, wird alles nur noch schlimmer, weil sie dann immer mehr herausprügeln wollen. Unter den Folgen der Verletzungen leide ich noch heute. Über Stolz rede ich kein Wort.

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Beitrag von pito »

  • Ich habe aber auch immer wieder Menschen getroffen, die sich für mich einsetzten. Zunächst saß ich im Gefängnis in der Munckelstraße ein, wurde dann vor meiner Verurteilung nach Hamm verlegt und sollte schließlich nach Bergen-Belsen verbracht werden. Dieses wurde jedoch durch Einsprüche des evangelischen Jugendamtes und durch die Fürsprache der Gefangenenfürsorge von mir abgewendet, so daß ich meine Strafe im Essener Gefängnis verbüßen konnte. Hier ging es vergleichsweise „normal" zu, vor allem gab es keine Schläge und keine Folter mehr.

    Nach meiner Entlassung auf Bewährung im Dezember 1938 — inzwischen war ich 21 Jahre alt — schlug ich mich mit Gelegenheitsarbeiten durch, denn an die Wiederaufnahme meiner Lehre war nicht mehr zu denken. Schließlich landete ich in der Rüstungsindustrie, in der Gutehoffnungshütte. Durch den Einsatz eines oppositionell eingestellten Gefängnisgeistlichen in Essen — obwohl ich nicht kirchlich eingestellt war — und der Gefangenenfürsorgerin Frau Professor Dr. Hartock wurde mir eine Ausbildung auf der Wohlfahrtsschule in Dortmund ermöglicht, die ich neben meiner Berufstätigkeit in der Hütte absolvierte. Das Diplom wurde mir wegen meiner „politischen Unzuverlässigkeit" allerdings verweigert, so daß ich weiter in der Produktion arbeiten mußte, wo ich es immhin bis zur Vorarbeiterin brachte.

    Eines Tages erfuhr mein Werksdirektor — den Namen könnte ich nennen, ich will es aber nicht tun — durch Zufall von meiner „Vergangenheit", deretwegen ich mich immer noch regelmäßig bei der Gestapo melden mußte, was die fristlose Entlassung bedeutete. Zunächst überraschte mich das nicht. Umso größer war mein Erstaunen, daß besagter Direktor, der auch von meiner Ausbildung in Dortmund Kenntnis erhalten hatte, über Umwege dafür sorgte, daß ich nun — auch ohne Diplom! — als Werksfürsorgerin in der Hütte eingesetzt werden konnte, aber nicht in Gelsenkirchen, sondern von Oberhausen aus. Diese Tätigkeit erleichterte es mir, Kontakte zu meinen politischen Freunden aufrecht zu erhalten und viele Beschäftigte der Hütte und deren Familien vor Nachteilen zu bewahren.

    Ende März 1945 wurde ich von der illegalen Gruppe der Bergarbeiter in ihre Arbeit einbezogen. Das war kein Wunder, mein Bruder Gustav hatte mich darauf angesprochen. Die erste Konferenz der antifaschistischen Betriebsräte aus den befreiten Gebieten westlich der Front fand bereits am 15. April 1945 im Hegeheim in Buer statt.

    Nach der Befreiung Gelsenkirchens trafen sich am 21. April die Vertreterinnen und Vertreter aller illegalen Gruppen, um darüber zu beraten, wie es weiter gehen sollte. Mir kam die Aufgabe zu, vor allem die Frauen in den Betrieben und die Frauen der Kollegen anzusprechen. Sie sollten auf ihre Männer einwirken, nicht unterzutauchen, sondern arbeiten zu gehen. Wir wußten: jetzt wurde jede Arbeitskraft zum Aufbau eines neuen Deutschlands gebraucht. Und sie kamen alle, alle zur ersten Schicht!

    Schon am 29. April 1945 trafen sich dann 360 Delegierte aus 56 Schachtanlagen sowie einige Vertreterinnen und Vertreter einiger Großbetriebe der Chemie-Metallindustrie sowie der Nahrungs- und Genußmittelindustrie. Die Losung dieser denkwürdigen Sitzung war: Ein Betrieb — eine Gewerkschaft". Man war sich einig, daß es zu einer Neuordnung Deutschlands einer starken, einheitlichen Gewerkschaftsbewegung bedurfte. Die neu zu errichtende Einheitsgewerkschaft sollte einer Zersplitterung vorbeugen und Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler aller weltanschaulichen Prägungen aufnehmen.
    Am 1. Mai 1945 wurde das Büro der neu formierten Bergbau-Gesellschaft in der Cranger Straße im ehemaligen Polizeirevier eröffnet, obwohl noch keine Genehmigung der Besatzungsbehörde vorlag. Da ich hier alle Hände voll zu tun hatte, ließ ich mich auf Drängen der Kollegen bei der Hütte für ein halbes Jahr beurlauben — aber ich kehrte nie wieder zurück. Bis zu meiner Pensionierung 1977 blieb ich hauptamtliche Gewerkschaftlerin.

    Mein ehrenamtliches gewerkschaftliches Engagement galt über 30 Jahre der Betreuung der weiblichen Mitglieder der IG Bergbau und Energie. Ich war Mitbegründerin des Frauenhaupt-ausschusses der Bundesrepublik.

    Als ich in den Ruhestand trat, verabschiedete mich der 1. Vorsitzende der IG Bergbau, Adolf Schmidt, mit den Worten: „Helene, du bist eine Frau der ersten Stunde und hast sehr, sehr viel für die Gewerkschaftsbewegung getan."
Zuletzt geändert von pito am 05.07.2009, 14:40, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag von pito »

  • In ihren Interviews erinnert Helene Badziong sich an die schlechten Bedingungen, unter denen sie als junges Mädchen von 15 Jahren in Gronau Textilwerkerin lernte. Sie lebte in einem Mäd-chenwohnheim, das von Schwestern geleitet und von der Firma van Beiden subventioniert wurde. Der Zusammenhalt und die Freundschaften unter den Mädchen einerseits, die dauernden Schikanen der Schwestern andererseits und ihr Kampf dagegen prägen ihre Erinnerungen. Z. B. mußte jedes neu angekommene Mädchen mit der leitenden Schwester einen Ringkampf machen.

    Helene wurde von anderen gewarnt, sie solle gewinnen lassen. "Ich dachte doch nicht daran!" Stühle wurden drumherum gestellt. Schwester Turnanzug an, Haube weg. Helene hatte keinen Turnanzug, zog Badeanzug an. Schwester kannte bestimmte Griffe, wo Mädchen empfindlich waren. "Da habe ich gedacht, Du gibst ihr gar keine Chance. So schnell wie möglich." Dann kam sie an, Handziehen und wie das so üblich ist. Ich hab sie mir geschnappt. Dann gings erstmal Kusel-kopf. Sie kam gar nicht zum Kämpfen und wurde sauer. Ich hab sie dann hingelegt und als Sieger, wie das so üblich ist, Fuß drauf. Dann wollte sie mir noch einen mit dem Fuß geben. Da hab ich gesagt:"Ne ne, das ist Freistil!" Dann hab ich se zum guten Schluß einen auf den Hintern geklatscht. Da hatte se Wut auf mich. Wo se nur konnte, hat se mir einen versetzt."

    Eine andere Episode:

    Samstagnachmittags gab es Brötchen mit Marmelade. Nach Krankheit, ich war Samstag nicht zur Schule, bekam ich keine Brötchen. "Du warst ungezogen." Ich protestierte und die anderen aßen ihre Brötchen auch nicht. Schwester wollte mir eine knallen. "Dann schlag mal zu!" Hat nicht geschlagen. Mädchen standen auf und sangen "Freiheit, die ich meine". "Das nenne ich Solidarität!"

    Durch Helenes Einsatz kommen die Schikanen schließlich heraus und das Heim wird von der Firma aufgelöst.

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  • Nach 1945 wird sie sofort in die Arbeit zum Aufbau der Bezirksverwaltung der IGBE zum Aufbau der Gewerkschaften in Gelsenkirchen einbezogen.

    "Ab 1. Mai 1945 lautet meine Einstellung. Meine Personalakte hatte die Nummer 1. Ich war die erste Angestellte des Verbandes. Ich konnte alles, Maschineschreiben und alles. Steno machte der Sohn vom Hermes (Motorradfahrer). Dann kam der Sohn vom Zeions, der kam von der Handelsschule.

    Nach dem Umbruch wurden die Werksküchen eingerichtet. Dann kamen die Kriegsgefangenen. Die Bergleute wurden schon im ersten Jahr entlassen. Da waren plötzlich alle Bergmann. Aus diesem Grunde ist auch Heinz O. Vetter zu uns gekommen
    aus dem Erler Lager. Der hatte vorher nie einen Pütt gesehen. Dann wurden für Bergmannsglück, Westerholt und Nordstern Küchen eingerichtet. Der Gastwirt Gustav Geb aus Horst (der Bruder hatte eine Kneipe in Erle) machte die Großküchen. Gustav war kein Nazi. "Ja, da müssen wir auch Frauen haben." Zum Arbeitsamt gegangen, Frauen für die Küche gesucht, Hilfsköchinnen, Putzfrauen. Da bin ich auch mit Maria Weber zusammengekommen. Wir als IG Bergbau haben auch die IG Chemie aufgebaut. Die IG Bergbau hat sich um je Sache gekümmert, so zerrissen, wie man war. Wir haben alle an Land gezogen.

    In den Küchen waren mittlerweile über 900 Frauen beschäftigt. Sie waren Angestellte der Zechen. Die Gewerkschaft betreute sie. Die Zuteilungen mußten in Essen-Heisingen besorgt werden, Lebensmittel über die Zentrale in Essen. Auch um Kleider und Schuhe mußte man sich kümmern."

    Bild
    • Veranstaltung der DGB-Frauen 1969
      Von links nach rechts:
      Marlies Kutsch, Frauensekretärin der IGBE Bochum
      Friedel Sawatzki, Vorsitzende des DGB-Kreisfrauenausschusses Gelsenkirchen
      Marlies Voss, Angestellte beim DGB Gelsenkirchen
      Helene Badziong, Angestellte der IGBE Gelsenkirchen
    Die IG Bergbau Gelsenkirchen schickt Helene auch 1945 für einige Wochen nach Gronau, um dort die Textilgewerkschaft zu gründen. Sie ist Referentin auf der Gründungsversammlung und übernimmt die Patenschaft.

    1946 wird der Frauenausschuß des Bezirks der IG Bergbau und Energie in Buer gegründet. Helene wird Vorsitzende und bleibt es bis 1975. Zugleich wird sie Mitglied des Bezirksvorstandes.

    "Das Problem war, die Männer für unsere Ziele zu gewinnen. Uns fehlte die Stärke und den Männern die Verzichtsbereitschaft. Wenn der Unternehmer sagte: "Wenn wir den Putzfrauen die niederigste Lohngruppe VI wegnehmen, kriegen die Männer eben weniger". Dann sagten die Männer: 'Was kümmern uns die Weiber!"
    Am Amtsgericht, Arbeits- und Sozialgericht und Landgericht ist sie jahrelang als Schöffin, Geschworene und ehrenamtliche Arbeitsrichterin tätig gewesen.

    Am 1.7.1977 geht sie in den Ruhestand.

    Aufgrund ihrer Verdienste wurden ihr am 11.8.88 das Bundesverdienstkreuz verliehen.

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  • Bild Helene Badziong
Quelle:
Marianne Kaiser / Gaby Meyer-Ullrich

aus: Keine GEschichte ohne Frauen,
Eine Auswahl von Materialien zur Geschichte von Frauen in Gelsenkirchen,
zusammengestellt von der Frauenwerkstatt an der VHS Gelsenkirchen, 1989/90
Nachdrucke mit Quellenangabe sind erwünscht.

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