
Die Polizei in der Nacht: Von 21.30 Uhr bis 6.30 Uhr schiebt die Nachtschicht Dienst. Fotos: WAZ, Mike Röser
Mit vielen Problemen haben die Männer und Frauen in Grün zu kämpfen: Wechseldienste, veraltete Technik, immer größere Gewaltbereitschaft auf der Straße. Und Menschen, die Hilfe brauchen - sie aber nicht annehmen
MITMACH NACHTSCHICHT BEI DER POLIZEI Dunkel. Riesig. Mit weit geöffneten Augen verfolgt der Mann auf der Krankenhausliege Polizist Martin Lülsdorf. "Vielleicht flippt er aus, wenn er merkt, dass er eingewiesen wird", flüstert Lülsdorf in den Behandlungsraum - der erste Einsatz für ihn und Kollegin Sylke Petrich in der Nachtschicht an diesem Freitag.
Die Hände des Mannes sind mit Handschellen auf den Rücken gebunden. Er redet. Laut, schnell, immer schneller, die Halsschlagader tritt hervor: "Ich habe nichts zu verlieren!" Lülsdorfs Stimme bleibt ruhig: "Rauchen Sie noch?" Der Mann atmet durch. Mit ihm die Fahrer des Rettungswagens, die Pfleger, die Ärztin - Petrich hält die Spannung, ein Bein vor, die Arme angewinkelt, den Blick auf den Mann schräg vor ihr. Konzentriert. Minuten später liegt der Mann festgeschnallt auf einem Bett.
22.59 Uhr. Mit dem Krankenhaus lassen die beiden Oberkommissare ihren ersten Einsatz hinter sich. Eine knappe Stunde zuvor hatten sich Petrich und Lülsdorf Gedanken gemacht über die nächsten Stunden: das zurückliegende Karnevalswochenende. Das Monatsende, an dem vielen das Geld fehlt. Für Alkohol, für Drogen. Der Regen, der gegen die Scheiben der Polizeiinspektion Süd an der Overwegstraße platscht. Indizien für eine ruhige Nacht.
Nur der Wagen des Dienstgruppenleiters fehlt. "Wo ist Ralf?", fragt Lülsdorf. Ralf Erdmann, der Dienstgruppenleiter der Spätschicht, kommt Sekunden später hinein, eine Tüte in der einen, einen Baseballschläger in der anderen Hand, ein verkniffenes Lächeln auf den Lippen. Überstunden stehen für ihn und die Kollegen an: Sie haben den Mann in Gewahrsam genommen, den Lülsdorf und Petrich ins Krankenhaus bringen werden. Seine Nachbarin bedroht hatte er; die eigene Wohnung voller Messer, unbrauchbarer Schusswaffen und Munition. Ein Luftgewehr, das er nicht besitzen durfte. "Es ist ein blödes Gefühl, wenn man hört, da ist jemand, der will mit der Machete alle erschlagen", sagt Petrich vor dem Krankenhaus. Sie hält Lülsdorfs Waffe in der Hand, ihr Kollege ist im Rettungswagen mitgefahren.
Die Anzeige springt um: 23.00 Uhr. Der Funk rauscht vor sich hin. Wortfetzen, keine Einsätze. "Wir sind darauf angewiesen, dass die Leute anrufen", sagt Lülsdorf, während Husemann- und Hiberniastraße vorbeirauschen. "Aber das ist zurückgegangen."
Er nennt das Beispiel der toten Frau, die erst stört, wenn die Nachbarn sie riechen. Stattdessen ein Smart an der Arminstraße auf einem Behindertenparkplatz. Lülsdorf spricht ins Rauschen: "Scho, nimm mal das Kennzeichen auf." Ein "Okay-krr" kommt von Einsatzbearbeiter Dirk Schomaker zurück. Digitalfunk gibt´s überall in Europa. Nur nicht in Albanien. Und in Deutschland.
0.14 Uhr. Zurück in der Inspektion. Erdmann ist noch da, telefoniert. Warten. Kaffee. Rauchen. "In der Nacht raucht man am meisten", sagt Petrich. Mit Jugendkriminalität haben sie es sonst oft zu tun. "Früher war Ruhe, wenn die Polizei da war", sagt Lülsdorf. Die Schwelle zur Gewaltbereitschaft liegt heute tiefer, gerade bei Jugendlichen. In NRW sind 28,7 Prozent der Tatverdächtigen unter 21 - Jugendarbeitslosigkeit und Integrationsprobleme nennt der Altersstrukturbericht des NRW-Innenministeriums als Gründe.
Die niedrige Hemmschwelle zeigte sich vor kurzem in Gelsenkirchen: Ein Polizist wurde von einem Auto mitgeschleift. "Das zeigt: Es kann auch hier was passieren, ist nicht weit weg", sagt Petrich. Im Jahr 2000 wurden in Waltrop und Dortmund drei Kollegen per Kopfschuss getötet - das bleibt in Erinnerung. Doch vor Augen führen dürfe man sich das nicht jeden Tag. "Sonst kannst du deinen Job nicht machen", sagt Petrich.
0.58 Uhr. Zurück auf der Flora. Scho knarzt im Funk. Lülsdorf übersetzt: "Da nimmt jemand seine Wohnung auseinander - wahrscheinlich auch seine Frau." Schwerpunkt Nummer zwei: häusliche Gewalt - ein Fall für "34 Anton" - Paragraf 34 a des Polizeigesetzes, Wohnungsverweis. Auch gegen den Willen der Frau.
Wie in dieser Nacht in Rotthausen. Die Tür demoliert, sie mit blutiger Lippe, er sagt: "Ich liebe meine Freundin, auch wenn sie ein Miststück ist." Sisyphos-Arbeit nennt es Lülsdorf. Zwei Stunden später ist das Paar wieder vereint. Obwohl sie der Schwester im Krankenhaus von Schlägen und Tritten berichtete, lässt sie sich abholen von ihm und seinen Eltern. In die Wohnung kehren sie nicht zurück.
Anton bleibt arbeitslos."Wir sind darauf angewiesen, dass die Leute anrufen"
WAZ 02.03.2007 Von Mike Röser