- Das Gründungsjahr der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst eV als Vorläufer des Kunstvereins Gelsenkirchen e.V.
Das Jahr 1968 gilt bis heute als Jahr des Umbruchs. Die Zeit war reif für Veränderungen, und das haben vor allem die Künstler gespürt. Die Situation von damals wird vortrefflich im Jahr 1993 von Matthias Pötzsch beschrieben, als eine retrospektive Ausstellung an mehreren Orten zur Kunst und Kultur des Jahres 1968 eröffnet wurde.
Die Ausstellungsreihe begann mit einer Exposition europäischer Grafiken aus den Sammlungen der damaligen Vorsitzenden Paul Szepan und Uwe Obier im Horster Schlosskeller.
Matthias Pötzsch :
- Anstiftung zum Unfrieden? - Gedanken zur Ausstellung "1968 - Kunst und Kultur"
Die Jahreszahl 1968 bezeichnet ein magisches Datum in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Vierteljahrhundert später gilt dies möglicherweise noch mehr als damals. Die Faszination rührt daher, dass in jenem Jahr Hoffnungen frei gesetzt wurden, die es unmöglich machten, nach dem Scheitern so mancher Reformbestrebungen in den 70er und 80er Jahren zum Status quo ante zurückzukehren. Sie rührt daher, dass bis heute die Frage nach dem, was von der 68er Bewegung langfristig blieb, nicht eindeutig beantwortet ist Und sie verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass in den Lebensläufen der damaligen Akteure die soziale Utopie auf den individuellen Prüfstand geriet.
Niemals zuvor (und man muss leider hinzufügen: niemals nachher) haben Begriffe wie Engagement, Veränderung, Kritik und Utopie hierzulande einen solchen realen Kurswert besessen, niemals zuvor schienen die politischen Rahmenbedingungen (mit Willy Brandt als Hoffnungsträger) für den Gleichklang von Kultur und Macht so günstig.
Solch positive Sicht auf die späten Sechzigerjahre, die sich in manchem auch dem geistig ausgedünnten Klima unserer Tage verdankt, sollte nicht den Blick dafür verstellen, dass es die gesellschaftspolitischen Utopien einer Minderheit von Studentenbewegung und APO waren, die den geistigen Kern der Reformbewegung bildeten. Deren marxistisch inspirierter Systemkritik blieb die Resonanz in der vehement umworbenen Klasse der Arbeiter und Werktätigen verwehrt, indem die auf Kundgebungen und Demos skandierten Slogans wie "Macht kaputt, was euch kaputt macht!" im Proletariat statt des Revolutionärs eher den Kleinbürger und seine Ordnungsliebe wachriefen.
Es ist deshalb auch nicht das von den revolutionären Studenten um Rudi Dutschke erträumte Szenario einer umfassenden sozialen Umwälzung der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft, welches unser Bild jener Jahre bestimmt hat. Es waren vor allem die großen Protestmärsche und -kundgebungen, mit denen sich die Erinnerung an 1968 verbindet. "Vietnamkrieg", "Notstandsgesetze", "Springer-Presse", "Schah-Besuch", "Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei", so lauteten einige der Anlässe, die Hunderttausende in der Republik auf die Straße und in die Konfrontation mit der Staatsmacht und ihrem Aufgebot an bewaffneten Ordnungskräften führten. Von langhaarigen Kommunarden bevölkerte Wohngemeinschaften, in denen Haschisch und Marihuana geraucht, Gruppensex betrieben und mit Hilfe der Mao-Bibel der gewaltsame Umsturz vorbereitet wurde, galten dem aufgeschreckten und ob solcher Exzesse ratlosen Bürger als Inbegriff sittlicher Verwahrlosung, vor der die eigene Nachkommenschaft mit allen Mitteln zu bewahren war. Die Zeit ist über solche, nicht zuletzt auch von der Boulevard-Presse aufgebauschten Feindbilder hinweggegangen.
Vor diesem Hintergrund fällt es nicht leicht, den Stellenwert der Kunst innerhalb der Veränderungen des Jahres 1968 zu bestimmen. Diese zielte auf den ersten Blick nur mittelbar und keineswegs überall auf die Frage des gesellschaftlichen Engagements. Was sich in den vielfältigen und einander überlagernden Strömungen von Happening, Fluxus, Hard Edge, Pop Art oder Minimal Art ereignete, schien vor allem eine Folge innerkünstlerischer Auseinandersetzungen ohne aktuellen Bezug zu sein.
Die von elf Museen und städtischen Galerien in Nordrhein-Westfalen unter Beteiligung des Bauhauses Dessau entwickelte Ausstellung zur Kunst des Jahres 1968 möchte zu einer neuen Diskussion und Reflexion dieser bis heute verbreiteten Ansicht beitragen. "Im Spannungsfeld macht- und kulturpolitischer Ideen und Ideologien galt es, die Verantwortlichkeit kreativ künstlerischen Handelns festzustellen und zu beschreiben. Das Ergebnis formuliert sich in Katalog und Ausstellung." (B. Leismann)
Der besondere Reiz der Präsentation liegt einmal in der Tatsache, dass mit Werken von ca. 100 deutschen Künstlern ein umfassender und vergleichender Überblick geboten wird, der die Sparten Malerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie, Skulptur, Plastik, Objektkunst, Design, Mode sowie Wohnraum-, Alltags- und Politkultur umfasst. Zum anderen erfolgt die Vorstellung der zahlreichen Exponate nicht im Rahmen einer einzigen Veranstaltung, sondern, in Einzelkomplexe gegliedert, dezentral und zeitgleich in den beteiligten Museen und Galerien. Dieses Verfahren erlaubt es auch, besondere lokale und regionale Aspekte des (Kunst-) Geschehens von 1968 an den jeweiligen Veranstaltungsorten einzubeziehen. Der Besucher kann also entsprechend seinem persönlichen Interesse selbst eigene Wahrnehmungsschwerpunkte bilden, wobei ein umfänglicher Katalog Orientierungshilfe leistet.
Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die für September im Bauhaus Dessau geplante Zusammenfassung des Ausstellungszyklus‘. Ein Bauhaus-Kolloquium zum Thema "Kunst und Kultur in Ost und West 1968" am 2/3. Oktober 1993 wird das Projekt beschließen.
1968 - einmal mehr stellt sich die wichtige Erkenntnis ein, dass dieses Schicksalsjahr deutscher Nachkriegsgeschichte zwar von den spektakulären Entwicklungen in den Großstädten und kulturellen Zentren geprägt worden ist, dass letztere aber in der so genannten Provinz eine im Rückblick eigenständige und erinnernswerte Resonanz gefunden haben.
Matthias Pötzsch
- Anstiftung zum Unfrieden? - Gedanken zur Ausstellung "1968 - Kunst und Kultur"
Übernahme aus der Homepage des Kunstvereins: http://www.kunstverein-gelsenkirchen.de/frameset.htm