Josef Voß
Geboren am 17. Oktober 1898 in Eickel als Sohn eines Bergmanns. Er wuchs in Wanne in beengten Verhältnissen auf. Von 1905 bis 1913 Besuch der Volksschule, dann ermöglichte ihm der Vater mit größten finanziellen Anstrengungen – als einzigem Kind – eine "bessere" Zukunft. Er schickte ihn zur Präparandenanstalt, der Vorbereitungsschule für spätere Lehrer, in Recklinghausen. Daran schloß sich, ebenfalls in Recklinghausen, das staatliche katholische Lehrerseminar an. Gegen Ende des Kriegs, am 30. Oktober 1918, bestand der gerade 20jährige seine erste Lehrerprüfung. (Knorr 1995)
Unmittelbar darauf wurde er als Schulamtsanwärter in Buer angestellt. Den Volksschuldienst mußte er infolge des Lehrerüberschusses durch bereits fest angestellte "Flüchtlingslehrer", die aus den abgetretenen Ostgebieten ins Ruhrgebiet strömten, beenden. Dies bedeutete jedoch keine Arbeitslosigkeit für Josef Voß, der von der Stadtverwaltung Buer [1922] beauftragt wurde, eine ständige Bild- und Filmstelle für Unterricht und Volksbildung einzurichten und zu verwalten. Er war einer der ersten Lehrer in Deutschland, der die Voraussetzungen für die Verwendung des Lehrfilms im Unterricht schuf. Zur gleichen Zeit war Voß auch als Bibliothekar an der Stadtbücherei Buer tätig. 1923 wurde er mit der Verwaltung einer neuerrichteten Lehrstelle zur Förderung des Lehrfilmewesens in Buer betraut und damit wieder in den staatlichen Volksschuldienst eingesetzt. 1925 Zweite Lehrerprüfung. 1927 endgültige Anstellung. Mit der Vereinigung der Städte Gelsenkirchen und Buer beendete er seine Tätigkeit an der städtischen Bild- und Filmstelle, weil diese mit der gleichen Stelle in Gelsenkirchen aus organisatorischen Gründen zusammengelegt wurde. 1919 war er in Buer Gründungsmitglied der literarischen Gesellschaft "Die Tafelrunde". 1920 ging aus der Tafelrunde und einer weiteren Vereinigung die Gesellschaft für Literatur und Kunst hervor, die sich das Ziel gesetzt hatte, in unserer jungen Industriestadt den künstlerischen Anspruch gegen das nüchterne Werktagsleben zu schaffen. Voß war Geschäftsführer der Gesellschaft, las aus eigenen Werken und hielt Vorträge über unterschiedlichste Themen. Zu den eingeladenen Dichtern gehörten u.a. Josef Winckler, Börries von Münchhausen, Lulu von Strauß und Torney, Ina Seidel, Wilhelm von Scholz, Heinrich Lersch und Otto Wohlgemuth, der 1921 nach Buer übergesiedelt war. Kontakte von Voß zu Wohlgemuths Ruhrlandkreis, in deren erster Anthologie Ruhrland (1923) Voß vertreten ist. Gedichte und Erzählungen von Josef Voß wurden in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht, er betrieb heimatkundliche Forschungen, war Mitarbeiter am "Vestischen Kalender" und an der "Buerschen Zeitung", in deren Beiblatt "Der Vestische Erzähler" einige seiner Werke gedruckt wurden. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zog er sich aus dem Gelsenkirchener Schuldienst zurück. Ab 1941 wurde er nochmals zur Betreuung von Schulkindern nach Oberbayern geschickt, wo er das Kriegsende erlebte. Von 1945 bis 1948 war er im Auftrag der amerikanischen Militärregierung in Bayern kommissarischer Schulrat. 1948 Rückkehr nach Gelsenkirchen, nachdem er die Mitteilung erhalten hatte, daß er als Westfale nicht endgültig in den bayerischen Staatsdienst übernommen werden könne. Zunächst unterrichtete er in Hassel. Nach kurzer Zeit wurde er vom Oberbürgermeister zum Geschäftsführer einer Theater-GmbH berufen. Von 1956 bis 1960 gehörte er als Ratsherr der SPD der Stadtverordnetenversammlung an und war ferner im Kultur- und Schulausschuß tätig. In dieser Funktion beeinflußte er stark den Bau des jetzigen "Musiktheaters im Revier" und von Schullandheimen. Zuletzt war er Rektor an einer Schule in Ückendorf. Wegen eines Lungenleidens vorzeitige Pensionierung. Er schrieb weiterhin Fernsehkritiken für die Buersche Zeitung. (Zitate nach Scheibe 1986) Er starb am 20. September 1961 in Gelsenkirchen.
In den frühen Texten von Josef Voß finden sich reichlich Belege für eine individualistisch-privatistische Position, die öffentlich-politische Probleme mied. Der junge Voß zog sich aufs eigene Ich zurück, was zugleich als Flucht vor den politischen Wirren als auch als Besinnung auf die eigene Kraft gedeutet werden kann: "Sich selbst genügen!" war seine Maxime, und die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" pflichtete ihm im August 1919 anläßlich der Vorstellung seiner gerade herausgegebenen, im Gestus hymnisch-bürgerlicher Lyrik verfaßten Sammlung "Weihe an den Tag" mit den Worten bei: "Was ihn uns lieb und wert macht, so daß wir ihn hoch schätzen, das ist die Echtheit seiner Lyrik; seine Dichtkunst ist im innersten Herzen geboren." (Ausgabe Eickel, Nr. 23)
Mit "Echtheit" [...] wurde von der Kritik ein Begriff als literarisches Werturteil benutzt, der zu einem wesentlichen Topos des konservativen literarischen Urteils in der Provinz, Gelsenkirchen und Buer werden sollte und seinerzeit nicht nur hier als "Gütesiegel" einer traditionell-bewahrenden Literatur galt. Zusammen mit einer bürgerlich begriffenen Herzensdichtung ("innersten Herzen") wurde Voß nahegelegt, sich aus den unwahren Wirren und Lügen öffentlichen Lebens, die als Thema von Dichtung nicht angemessen schienen, herauszuhalten. So flüchtete sich Voß in existentialistische Verse-Schmiederei. [...] Es ist, als ob das öffentliche und politische Leben an Voß vorbeizogen und er nur Trost in der poetischen Ästhetisierung seines Leidens fand. Anfang der 20er Jahre dichtete er Natur- und Idyllenlyrik, die oft von katholischem Geist durchzogen war. Schon die bieder anmutenden Titel seiner Gedichte wie "Vorfrühling", "Feierabend", "Vorfrühlingstag", "Sommermittag", "Pfingsten", "Die Lampe", "Am Abend", "Heimkehr zur Nacht", "Tröstliche Heimkehr" weisen auf eine brav-hausbackene Innerlichkeit hin, hinter der sich allerdings oftmals der große Schmerz eines jungen lyrischen Ichs versteckte, das mit der Welt, so wie sie war, kaum zurechtkam. (Knorr 1995)
Selbständige Veröffentlichungen: Weihe an den Tag. Köln: Salm 1919. 14S. (=Die westf. Dichtung in Flugblättern 1,6) (ULB Münster, StA Bielefeld, StLB Dortmund) – Buer i.W. und Umgebung. 15 Federzeichn. von O. Maybaum und Ged. von T. Meyer und J. Voß. Buer: Arenhold [1920] [enthält: Aus Häusermassen tot; Du Turm gemauert hart; In dumpfem Trotz; O keine Nacht ist so; Die Saaten ruhn wie Kinder; Und blühn aus lauten Tagen; Und Turm und Dächer; Wir wollen Raum und Brot] (StB Essen).
Unselbständige Veröffentlichungen in: Die Heimat, Dortmund, 6, 1924, H. 6 (=Sonderheft Buer): Hinnerk Mollenbroich. Aus vestischer Notzeit (1629) [Erz.]; Industrievolk [Ged.]; Jg. 8, 1926: Judith von Loe [Erz.]; Wälder im Rausch [Ged.]; Die Waghalsbrücke [Erz.] – Vest. Kalender, Buer, 1923: An Gustav Sack; Bergwerk; Die Brücke; Der sterbende Wald [jew. Ged.]; Gustav Sack, ein vestischer Dichter [Aufs.]; Jg. 1928: Industrievolk [Ged.] – Wohlgemuth 1923: Ausfahrt; Demonstrationszug bei Nacht; Der einsame Weg; Feierabend; Für eine Mutter; Gang zur Arbeit; Heimgang; Herbstgefühl; Impression; Kohlengrube; Die Lampe; Die schwere Nacht; Der sterbende Wald; Vater und Sohn; Winterabend [jew. Ged.] – Vest. Volkskalender, Buer, 1924: Schlagende Wetter [Rez.]; Jg. 1925: Die Kiliansfehde [Erz.]; Jg. 1927: Alte Stadt; Heimatwanderung [jew. Ged.] – Buersche Ztg. [u.a. vom 2.11.1922: Die Werkleute auf Haus Nyland; 1961: Fernsehkrit.] – Wohlgemuth 1924: Gefangen; Gelöbnis; Kanalhafen; Sperrmauer einer Talsperre [jew. Ged.]; Die Ohrfeige des hl. Urbanus [Erz.] – Haas 1926: Ausfahrt; Bergwerk; Koloniewald [jew. Nachdr. in Hüser/Köpping, 2. Aufl. 1961]; Die Brücke; Buchen im Frühling; Demonstrationszug bei Nacht; Feierabend; Gang zur Arbeit; Gefangen; Marktgang; Vater und Sohn; Wäldermord – Der Schacht, Bochum, 3, 1926/1927: Buerer Briefe; Jg. 4, 1927/1928, H. 4: Das literarische Leben in Buer – Meine Heimat. Ein Buch für Schule und Haus. Bd. 1. Buer 1953: Aus vestischer Notzeit (1629) [Erz.]; Die Römer an der Lippe [Aufs.]; Die Urnenfelder erzählen [Aufs.]; Bd. 23. Gladbeck 1957: Industrievolk [Ged.]; Die Kohle erobert Buer [Aufs.] – postum: 100 Jahre Bergarbeiter-Dichtung. Oberhausen 1982: Ausfahrt; Bergwerk; Koloniewald – Scheibe 1986 (s.u.): Der sterbende Wald; Aus Häusermassen; Die Brücke; Die Lampe; Feierabend; Alte Stadt; Gang zur Arbeit; Impression; Winterabend; Wäldermord; Kanalhafen; Industrievolk; Gelöbnis; Sperrmauer einer Talsperre; Der einsame Weg; Heimgang [jew. Ged.]; Die Kohle erobert Buer [Aufs.]; Die Ohrfeige des hl. Urbanus [Erz.].
Selbständige Veröffentlichungen über Voß: K. Scheibe (Bearb.): Josef Voß 1898-1961. Ein Dichter des "Ruhrlandkreises". Eine Dok. Gelsenkirchen 1986 (=Gelsenkirchener Lebensbilder 4) [Bildn.; Gedichtabdr.; Handschriftenabb.].
Unselbständige Veröffentlichungen über Voß: J. Grün: In memoriam Josef Voß, in: Vest. Kalender, Recklinghausen, 34, 1963.
Erwähnungen in: Dichter zwischen Ruhr und Lippe, in: Der Schacht, Bochum, 3, 1926/1927, S. 554-556 – W. Haas: Fehde um Gelsenkirchen. Drei Dichter: Philipp Witkop, Theodor Kummer, Adolf Wurmbach, in: Gelsenkirchen in alter und neuer Zeit. Ein Heimatbuch 1, 1948, S. 134-137 – Klaus 1980 [s. Reg.] – Overwien-Neuhaus 1986 [s. Reg.] – Käufer 1995, S. 179-196.
Bildnis: Fotogr. (Abb. in: Knorr 1995; Reprod. Ref. Lit. des LWL Münster).
Sammlungen: Fritz-Hüser-Inst. (Stadt Dortmund): Zeitungsausschnittslg.
Nachschlagewerke: Knorr 1995.
Aus Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren
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Josef Voß
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Ausfahrt
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Aus dem Geviert des Förderkorbes brechen sie
wie hungerheiße Tiere aus. Die Augen leuchten
voll Gier aus den geschwärzten und schweißfeuchten
Gesichtern. Blaß ins Helle blinzelt das Geglüh
des Grubenlichts. So drängen sie in die Kau. Gefühlt
von Seifendünsten schwellt die Luft. Die Glieder werden
in Hast befreit. Dann überströmt den unbeschwerten,
gebeugten Leib die Brause. Langsam niederspült
der schwarze Staub. Ein erstes blasses Lächeln trägt
Licht und Erlösung in die trotzversteinten Züge
und sprengt der Arbeitsketten schweres Stahlgefüge.
Ein Junge aber, kraft- und gliedergleich dem Stier,
brüllt einen Lustschrei, toll von Lebensgier,
der wie mit Fäusten jauchzend an die Wände schlägt.
Josef Voss
Aus dem Geviert des Förderkorbes brechen sie
wie hungerheiße Tiere aus. Die Augen leuchten
voll Gier aus den geschwärzten und schweißfeuchten
Gesichtern. Blaß ins Helle blinzelt das Geglüh
des Grubenlichts. So drängen sie in die Kau. Gefühlt
von Seifendünsten schwellt die Luft. Die Glieder werden
in Hast befreit. Dann überströmt den unbeschwerten,
gebeugten Leib die Brause. Langsam niederspült
der schwarze Staub. Ein erstes blasses Lächeln trägt
Licht und Erlösung in die trotzversteinten Züge
und sprengt der Arbeitsketten schweres Stahlgefüge.
Ein Junge aber, kraft- und gliedergleich dem Stier,
brüllt einen Lustschrei, toll von Lebensgier,
der wie mit Fäusten jauchzend an die Wände schlägt.
Josef Voss