Ruhrbesetzung

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Französischer Panzer vor dem Rathaus in Buer im März 1923
Französische Kavallerie auf der Dorstener Straße 16-20 in Buer im März 1923

Die Ruhrbesetzung (oder der Ruhrkampf, der Ruhreinmarsch, die Ruhrinvasion) bezeichnet den Höhepunkt eines politisch-militärischen Konfliktes, der 1923 im Ruhrgebiet zwischen dem Deutschen Reich und den belgisch-französischen Besatzungstruppen stattfand. Er war eines der großen Probleme in diesem Krisenjahr der Weimarer Republik.

Ausgangslage

Die Weimarer Republik war durch den Versailler Vertrag von 1919 verpflichtet, Reparationen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu leisten. Vor allem der französische Ministerpräsident und Außenminister Raymond Poincaré bestand, im wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interesse Frankreichs, auf einer kompromisslosen Erfüllung der Bestimmungen des Versailler Vertrages. Aufgrund Verzögerungen der Lieferungen rückte mehrfach französisches Militär in unbesetztes Gebiet ein. Am 8. März 1921 besetzten französische und belgische Truppen die Städte Duisburg und Düsseldorf in der Entmilitarisierten Zone. Mit der Besetzung dieses Gebietes sicherte sich Frankreich eine Ausgangsbasis für eine mögliche Besetzung des gesamten rheinisch-westfälischen Industriegebiets. Außerdem ermöglichte die Kontrolle der Duisburg-Ruhrorter Häfen die genaue Registrierung des gesamten Exports von Kohle, Stahl und Fertigprodukten des Ruhrgebiets. Konsequenterweise wurde das Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921, mit dem die alliierten Siegermächte ihren Zahlungsplan für die deutschen Reparationen in Höhe von 132 Milliarden Goldmark gegenüber Deutschland durchsetzten, mit der Drohung verbunden, im Weigerungsfall das Ruhrgebiet zu besetzen.

Das Ergebnis der Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens am 20. März 1921 (59,4 % für Deutschland, 40,6 % für Polen) und die auf französisches Betreiben durchgeführte Teilung der Provinz wurden in Deutschland als verheerende Niederlagen empfunden und markierten das Ende der bisherigen „Erfüllungspolitik“. Diese wurde abgelöst durch eine entschlossene Bekämpfung der gegen Deutschland gerichteten französisch-polnischen Allianz, was wesentlich zum Abschluss des deutsch-sowjetischen Vertrages von Rapallo am 16. April 1922 beitrug. Der Vertrag von Rapallo bewirkte wiederum einen Umschwung in der französischen Außenpolitik und beeinflusste direkt die Entscheidung zur Besetzung des Ruhrgebiets. Diese Umorientierungen in den Außenpolitiken Deutschlands und Frankreichs in den Jahren 1921 und 1922 führten wechselseitig zu einer Verhärtung der Fronten und bildeten letztlich den Hintergrund für die Besetzung des Ruhrgebiets im Januar 1923.

Wegen der immer größeren wirtschaftlichen Probleme des Deutschen Reiches verzichteten die Alliierten 1922 auf Reparationszahlungen in Form von Geld und forderten statt dessen Sachleistungen (Stahl, Holz, Kohle) ein. Am 26. Dezember stellte die alliierte Reparationskommission allerdings einstimmig fest, dass Deutschland mit den Reparationslieferungen in Rückstand war. Als am 9. Januar 1923 die Reparationskommission behauptete, die Weimarer Republik hielte absichtlich Lieferungen zurück (u. a. seien 1922 statt geforderter 13,8 Mio. Tonnen Kohlen nur 11,7 Mio. Tonnen und statt 200.000 Telegraphenmasten nur 65.000 geliefert worden), nahm dies Frankreich als Anlass zum Einmarsch in das Ruhrgebiet.

Besetzung

Französischer Panzerwagen vor dem Gelsenkirchen Hauptbahnhof

Zwischen dem 11. und dem 16. Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen in einer Stärke von anfangs 60.000, später 100.000 Mann das gesamte Ruhrgebiet, um die dortige Kohle- und Koksproduktion als „produktives Pfand“ zur Erfüllung der deutschen Reparationsverpflichtungen zu sichern. Dem französischen Ministerpräsidenten und Außenminister Raymond Poincaré ging es aber um sehr viel mehr als nur um die Beibringung von Reparationsleistungen. Er strebte eine mit dem Status des Saargebiets vergleichbare Sonderstellung des Rheinlands und des Ruhrgebiets an, bei der die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich nur mehr formal gewesen wäre und stattdessen Frankreich eine bestimmende Position eingenommen hätte. Von Großbritannien und den USA wurde dieser fait accompli eher skeptisch betrachtet.

Ruhrkampf

Einmarsch der französischen und belgischen Truppen in Buer

Die Besetzung löste in der Weimarer Republik einen Aufschrei nationaler Empörung aus. Die Reichsregierung unter dem parteilosen Kanzler Wilhelm Cuno rief die Bevölkerung zum „passiven Widerstand“ auf: Es wurden keine Reparationen mehr gezahlt, Industrie, Verwaltung und Verkehr wurden mit Generalstreiks teilweise lahmgelegt. Betriebe und Behörden leisteten teilweise den Anordnungen der Besatzer nicht Folge. Frankreich reagierte darauf mit 150.000 verhängten Strafen, die mitunter bis zu Ausweisungen aus dem besetzten Gebiet gingen. Inzwischen begingen ehemalige Freikorpsmitglieder und auch Kommunisten Sabotageakte und Anschläge gegen die Besatzungstruppen, unter anderem wurde der Emscher-Düker des Rhein-Herne-Kanals bei Henrichenburg durch eine Sprengung zerstört. Die Besatzungsmacht wiederum reagierte mit Sühnemaßnahmen, die Situation eskalierte und forderte 137 Tote, darunter der Bueraner Ludwig Knickmann. Albert Leo Schlageter wurde als Abschreckung wegen Spionage und Sabotage zum Tode verurteilt und hingerichtet, was ihn in der deutschen Öffentlichkeit zum Märtyrer machte. Neben dem durch passiven Widerstand erzeugten wirtschaftlichen wurde auch ein sprachlicher Druck entwickelt: Bis dahin im Deutschen gebräuchliche Lehnworte sollten völlig durch deutsche Begriffe ersetzt werden, wie z. B. Kasino durch Werksgasthaus, Telefon durch Fernsprecher, Trottoir durch Gehweg oder automatisch durch selbsttätig.

belgische Soldaten erstürmten nach der Besetzung Buers, 1923 die Zeche Hugo

Im Januar 1923 besetzen Französiche Truppen Gelsenkirchen, Buer und Horst. Der Oberbürgermeister Carl von Wedelstaedt und der Amtmann von Horst, Dr. Schumacher, werden verhaftet und zu mehreren Monaten Gefängis verurteilt. Der Oberbürgermeister von Buer, Emil Zimmermann wird viermal verhaftet und ausgewiesen.

Ende des Ruhrkampfes

Während des passiven Widerstandes wurden die Löhne von etwa zwei Millionen Arbeitern des Ruhrgebiets vom Staat übernommen, zu diesem Zweck wurde mehr Geld gedruckt. Dieses Vorgehen konnte nicht längere Zeit durchgehalten werden, da sich die Wirtschaftskrise verstärkte und Inflation und Produktions- und Steuerausfälle den reichsdeutschen Haushalt belasteten.

Der neue Reichskanzler Gustav Stresemann sah sich schließlich am 26. September 1923 gezwungen, den Abbruch des passiven Widerstandes zu verkünden. Antirepublikanischen, reaktionären Kräften in Bayern lieferte das Ende des Ruhrkampfes einen Vorwand zur Errichtung einer Diktatur. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden der Ruhrbesetzung belief sich auf 4 bis 5 Milliarden Goldmark. Das Ende des Ruhrkampfs ermöglichte eine Währungsreform, welche die Bedingung für eine Neuverhandlung der Reparationen war.

Schlagzeilen

  • 21.2.1923: Die Lage im besetzten Ruhrgebiet ist nach wie vor angespannt. Fast täglich kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen der deutschen Bevölkerung und den Besatzungstruppen. In Buer erschlägt ein Hufschmied mit dem Hammer einen französischen Offizier, nachdem ihn dieser mit einer Reitpeitsche misshandelt hatte.
Schwer bewaffnete französische Alpenjäger auf der Hochstraße in Buer
  • 11.3.1923: in Buer werden zwei französische Offiziere erschossen. Die französischen Behörden verhängen sofort den Ausnahmezustand. Der Bürgermeister wird verhaftet, und die Bevölkerung ist den Mißhandlungen der Franzosen ausgesetzt. Am 12. März stellt sich heraus, dass französische Soldaten die Offiziere getötet haben.
  • 2.4.1923: Um die auf Halde lagernde Kohle abzutransportieren, besetzen die Franzosen mit großem militärischem Aufgebot zwei staatliche Zechen in Buer und eine private Zeche in Recklinghausen. Bis zum 11. April werden insgesamt 22 Zechen besetzt.
  • 26.6.1923: In Marl und Buer werden im Zusammenhang mit dem verschärften Belagerungszustand drei Deutsche erschossen. Vorausgegangen war die Erschießung zweier belgischer Wachtposten durch einen Deutschen in der Nähe von Marl.

Ende der Ruhrbesetzung

Auf Druck der USA und Großbritanniens lenkte Frankreich 1923/1924 durch Abschluss des MICUM-Abkommen ein. Die Besetzung des Ruhrgebietes endete gemäß dem 1924 verabschiedeten Dawes-Plan im Juli/August 1925.

Literatur

  • Michael Ruck: Die Freien Gewerkschaften im Ruhrkampf 1923, Frankfurt am Main 1986;
  • Barbara Müller: Passiver Widerstand im Ruhrkampf. Eine Fallstudie zur gewaltlosen zwischenstaatlichen Konfliktaustragung und ihren Erfolgsbedingungen, Münster 1995;
  • Stanislas Jeannesson: Poincaré, la France et la Ruhr 1922–1924. Histoire d'une occupation, Strasbourg 1998;
  • Elspeth Y. O'Riordan: Britain and the Ruhr crisis, London 2001;
  • Conan Fischer: The Ruhr Crisis, 1923–1924, Oxford / New York 2003;
  • Gerd Krumeich, Joachim Schröder (Hrsg.): Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923, Essen 2004 (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, 69);
  • Gerd Krüger: „Aktiver“ und passiver Widerstand im Ruhrkampf 1923, in: Besatzung. Funktion und Gestalt militärischer Fremdherrschaft von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Günther Kronenbitter, Markus Pöhlmann und Dierk Walter, Paderborn / München / Wien / Zürich 2006 (Krieg in der Geschichte, 28) S. 119–130.

Weblinks

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