Eduard Spranger

Menschen, deren Namen in Gelsenkirchen auftaucht, auch wenn sie nicht in Gelsenkirchen lebten

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Troy
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Eduard Spranger

Beitrag von Troy »

Dank an Lunte für die Anregung, hab mal hier neu angefangen:
Lunte hat geschrieben:Ein weiterer Kandidat für eine genauere Betrachtung seines Wirkens in der NS-Zeit -und auch nach 1945- ist Eduard Spranger. (Bezug : Eduard-Spranger-Berufskolleg, Goldbergstraße 60)

Zum Beispiel hat Eduard Spranger noch 1951 verkündet, "daß es nicht der Nationalsozialismus war, der in die Katastrophe geführt hat, sondern ganz eigentlich der Hitlerismus".* Mit dieser eindeutigen und keinesfalls mehrdeutigen Interpretation geht Eduard Spranger den Weg, Hitler für die Verbrechen der Nazis alleine verantwortlich zu machen und eine historisch nicht haltbare Differenzierung zwischen "Nationalsozialismus" und "Hitlerismus" zu konstruieren.

* Zitat aus: Spranger "Fünf Jugendgenerationen 1900-1945" in: Spranger: Pädagogische Perspektiven, Heidelberg 1951

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

"Adolf Hitler
dem Oberhaupt des großdeutschen Reiches
dem Führer und Beschützer des deutschen Volkes
dem Verkünder nationalsozialistischer Ideale
zum fünfzigsten Geburtstag
GLÜCK UND SEGEN"


Dies ist "die ganzseitige Einschaltung in der Zeitschrift ´Die Erziehung` zu Adolf Hitlers fünfzigstem Geburtstag ... . Spranger war inzwischen alleiniger Herausgeber und Wenke verantwortlicher Schriftleiter".

(Der hier genannte "Wenke" war - nur mal so nebenbei bemerkt - Gründungsrektor der Ruhr-Universität Bochum.)

Zitate aus :

Benjamin Ortmeyer, MYTHOS und PATHOS statt LOGOS und ETHOS - Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2009, S. 199.

Ortmeyer ergänzt in einer Anmerkung: "Noch 1941 sprach Spranger nicht ohne einen gewissen Stolz von ´meiner Zeitschrift ´Die Erziehung`` (Das Reich, Jg. 1941, Nr. 2 (12.1.1941)." (Ortmeyer, a.a.O., S. 199)

Die Zeitschrift "Das Reich" war eine Zeitschrift, in der ein gewisser Joseph Goebbels regelmäßig Leitartikel schrieb.

Hitlers fünfzigster Geburtstag wurde im Jahr 1939 gefeiert.

Bis dahin war unter anderem geschehen:

- Zerschlagung / Verbot der Gewerkschaften und Parteien
- Boykott jüdischer Geschäfte 1933
- Öffentliche Bücherverbrennungen 1933
- Aufbau der Hitler-Jugend mit massiven Auswirkungen auf die Schulen
- "Gleichschaltung" von Medien, kulturellen Einrichtungen, Ländern, Justiz ...
- Der sog. "Röhm-Putsch", 1934, die sog. "Nacht der langen Messer" (30. Juni, 1.Juli 1934, in der ca. 200 Personen (vor allem SA-Führer) ermordet wurden.
- Die "Nürnberger Rassegesetze" 1935
- Die Pogrom-Nacht 9. November 1938 ("Reichskristallnacht")
- Der "Anschluss" Österreichs
- Die Besetzung Tschechiens


Eduard Spranger war am fünfzigsten Geburtstag Hitlers 57 Jahre alt und Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Berlin.

In der Homepage des Eduard-Spranger-Berufskollegs Gelsenkirchen steht der Satz:

"Von 1920 bis l926 gehörte er als Professor der Universität Berlin an."

Selbst, dass er 1933 - 45 Professor in Berlin war, wird dort verschwiegen, geschweige denn, dass dort auch nur irgendeine Bemerkung über seine Nähe zum Nationalsozialismus mitgeteilt würde.

Stattdessen wird er dort als Widerstandskämpfer im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 stilisiert / verherrlicht. (Ich gehe darauf in weiteren Beiträgen ein.)

Die Parallelen zu Gertrud Bäumer sind offenkundig und erschreckend.

Da ich vorhabe, mich insbesondere mit Schulhomepages von nach Eduard Spranger benannten Schulen kritisch zu beschäftigen, werde ich alle Artikel hier mit meinem "Klarnamen" unterzeichnen, um die Verwaltung der GG oder die hier als "Autor" auftretende "Troy" von eventuell drohenden rechtlichen Problemen zu entlasten.

Weitere Beiträge folgen.


Manfred Schurich

Gert B.
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Eduard Spranger und der "Stahlhelm" 1

Beitrag von Gert B. »

"´Übrigens habe ich mich heut nach langem Überlegen zum Stahlhelm angemeldet,` schrieb Eduard Spranger (1882 - 1963), Professor für Philosophie und Pädagogik an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität, der Freundin Käthe Hadlich Anfang Juli 1933 und vermerkte kurz darauf: ´Dem Stahlhelm bin ich beigetreten, ohne bisher davon etwas zu merken.` Immerhin nahm Spranger, damals 51 Jahre alt, dann im August an einem Appell des Stahlhelm teil und legte sich dessen Uniform zu, den ´feldgraue(n) Anzug im Waffenrockschnitt`, auch als ´Deutsche Tracht` (...) bezeichnet. Im Oktober erwartete Spranger immerhin eine ´kulturell leitende Funktion im Stahlhelm` (...), die jedoch nicht zu Stande kam (...). Im November 1933 trat Spranger gleich zwei Mal beim Stahlhelm in Uniform und Mantel an: bei einer Langemarckfeier im Berliner Zeughaus und bei einem Kirchgang mit Fahnenweihe in Dahlem. (...)." (Quelle: s. u.)

Ich habe im Thread über die "Deutschnationale Volkspartei" schon einen Beitrag über die Mitgliedschaft Sprangers im "Stahlhelm" hier in den GG eingestellt. Daraus entnehme ich einen Teil, den ich aber hier noch ergänze:

"Der Ende 1918 gegründete ´Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten (Stahlhelm)` entwickelte sich in der Weimarer Republik zum mitgliederstärksten und einflussreichsten Wehrverband (...), personell eng verknüpft mit der völkisch und offen antisemitisch orientierten ´Deutschnationalen Volkspartei` (DNVP) (...). Die Mitglieder des völkisch und implizit antisemitisch orientierten Stahlhelm (...), überwiegend Soldaten und Offiziere des 1. Weltkrieges, einigte: die Verfassung von Weimar zu überwinden, einen neuen Nationalismus aufzubauen, die Beschränkungen des Versailler Vertrages zu beseitigen ebenso wie den Kommunismus. Um diese Ziele zu erreichen und die ´nationale Opposition` zu einigen, beteiligte sich der Stahlhelm im Oktober 1931 an der so genannten Harzburger Front, gemeinsam mit der DNVP und der `Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)`. Der Stahlhelm akzeptierte nach internen Machtkämpfen Anfang 1933 den politischen Führungsanspruch der NSDAP. Der Bundesführer des Stahlhelm, Franz Seldte, wurde im Januar 1933 Arbeitsminister in der Hitlerregierung und blieb dies bis 1945. Im April 1933 trat Seldte in die Nazi-Partei ein und erklärte über den Rundfunk, dass er sich und den Stahlhelm dem Führer Adolf Hitler unterstelle. Dieser überführte den Stahlhelm 1934 in die SA und löste ihn im November 1935 auf. "

(Zitate aus: Klaus Himmelstein, "Eduard Spranger im Nationalsozialismus", in: Werner Sacher / Alban Schraut (Hrsg.): "Volkserzieher in dürftiger Zeit - Studien über Leben und Wirken Eduard Sprangers - Beiträge zum internationalen Spranger-Symposion in Nürnberg am 11./12. Oktober 2002", Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2004, S. 105, 106) (Die in Klammern eingefügten Quellenhinweise des Autors habe ich jeweils durch "..." ersetzt.)

Sprangers Beitritt zum Stahlhelm erfolgte also nach dessen "Unterstellung" unter den "Führer Adolf Hitler" durch den Bundesvorsitzenden dieses Verbandes.

Himmelstein schreibt dazu:

"Mit seinem Beitritt zum Stahlhelm im Sommer 1933 dokumentierte Spranger öffentlich seine nationalkonservative Position im Spektrum der Koalitionsregierung Hitler, einem Bündnis aus DNVP, NSDAP und Stahlhelm." (Dort S. 106)

Ob Spranger durch die Überführung des "Stahlhelms" durch Hitler in die SA auch SA-Mitglied wurde, ist nicht geklärt, es gibt dafür keine Belege. Hitlers Intention war, den Stahlhelm aufzulösen, nachdem der "Stahlhelm" seinen Zweck für ihn erfüllt hatte, Reichskanzler zu werden. In diesem Zusammenhang erklärte sich der "Stahlhelm" bereit, sich von neu hinzugekommenen Mitgliedern von sich aus zu trennen, Spranger könnte davon betroffen gewesen sein.

Dass Sprangers Beitritt zum "Stahlhelm" nicht als Beitritt zu einer Art "Trachtenverein" missverstanden werden darf, ergibt sich aus den - oben schon erwähnten - Zielsetzungen und ideologischen Vorstellungen dieses "Wehrverbandes". Ich werde dazu noch weitere Informationen geben.

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Inzwischen schon fast überflüssig zu erwähnen: In den von mir "ergoogelten" Beiträgen zu E. Spranger in den Homepages der nach ihm benannten Schulen findet sich zum Beitritt Sprangers in den "Stahlhelm" kein einziges Wort.
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M. Schurich

Gert B.
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Eduard Spranger und der "Stahlhelm" 2

Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere aus:
Fritz Fischer, Bündnis der Eliten - Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871 - 1945, Droste Verlag Düsseldorf, 1979:

"Wenn es sich bei der Wirtschaft und ihrem Zusammenspiel mit den Reichsressorts noch primär um ökonomische Zielsetzungen handelte, in denen die politischen mehr latent waren, und die nicht ohne weiteres mit militärischer Expansion gleichgesetzt werden dürfen, so ist das machtpolitisch-kriegerische Element ganz offen sichtbar bei den beiden konservativen Gruppen, die Ende 1929 mit Hitler das ´Volksbegehren gegen den Young-Plan` in Szene setzten, die mit ihm im Oktober 1931 in der Harzburgerfront auftraten und die mit ihm im Januar 1933 eine Koalitionsregierung bildeten: die DNVP und der ´Stahlhelm`, die ihrerseits eng mit der protestantischen Kirche verbunden waren. In ihnen lebte in der Tradition der ´Hakatisten`, des Annexionismus von 1914/18 und der Freikorpskämpfe nach 1919 ein exremer Haß gegen Polen, das als gefährlichster Feind der Reiches betrachtet wurde. So wenn der ´Stahlhelm` schon 1928 öffentlich proklamierte:

´Wir hassen mit ganzer Seele den augenblicklichen Staatsaufbau ... weil er uns die Aussicht versperrt, unser geknechtetes Vaterland zu befreien, das deutsche Volk von der verlogenen Kriegsschuld zu reinigen, den notwendigen Lebensraum (!) im Osten zu gewinnen, das deutsche Volk wieder wehrhaft zu machen.`

In diesem Dokument sind die Ziele Hitlers bereits vorweggenommen: nämlich 1. die Abschaffung des parlamentarischen Regierungssystems, 2. die Aufrüstung und Wehrhaftmachung des deutschen Volkes, und 3. die Eroberung von Lebensraum im Osten. Auf dem Stahlhelm-Tag in Breslau wurde eine förmliche Kriegserklärung an Polen ausgesprochen, die dort größte Erregung auslöste. - So aber auch, wenn der Parteiführer Hugenberg 1931 in öffentlichen Reden erklärte, daß Deutschland`, ein ´Volk ohne Raum`, ein ´Volk in Ketten` neben einem Kolonialreich in Afrika für seine ´tatkräftige Rasse` neuen Siedlungsraum im Osten brauche, ´Freiheit und Raum`, die sich das deutsche Volk nur auf dem Wege der Sebsthilfe gewinnen könne. - So auch wenn der deutschnationale Abgeordnete Frh. v. Freytagh-Loringhoven 1932 vor der Reichsführertagung seiner Partei als Ziel aufstellte, nach Revision der Grenzen, vor allem im Osten, und nach der Errichtung eines ´Großdeutschen Reiches`, ´neuen Boden, neuen Raum für unser Volk zu gewinnen` und es ´wieder zu einem geistig und leiblich gesunden Bauernvolk zu machen`. Hier ist die Ideologie bis zur Blut- und Bodenlehre von der nationalsozialistischen kaum zu unterscheiden und zugleich ein zeitlicher Ablauf des Aktionsprogramms vorgezeichnet, wie es dann in Gemeinschaft mit dem nationalsozialistischen Koalitionspartner eingehalten wurde." (S. 79, 80)

(Das "(!)" oben hinter "Lebensraum" steht so im Original; Fettdruck des Wortes "Stahlhelm" jeweils: M.S.)

M. Schurich

Gert B.
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Eduard Spranger und der "Stahlhelm" 3

Beitrag von Gert B. »

Der im vorletzten Beitrag zitierte Klaus Himmelstein (er habilitiert zur Zeit über E. Spranger) hat den "Stahlhelm" als "völkisch und implizit antisemitisch orientiert" bezeichnet. (s.o.)

Die Behauptung bzw. der Vorwurf, Spranger sei Antisemit gewesen, wird in meinen weiteren Beiträgen hier noch eine Rolle spielen; es gibt dazu über seine "Stahlhelm"-Mitgliedschaft hinaus noch etliche andere Quellen.

Ich habe mich bemüht, für die Kennzeichnung des "Stahlhelms" als antisemitisch über die kurze, pauschalierende Wertung Himmelsteins hinausgehende, sie konkretisierende Hinweise und Belege zu finden.

Dazu zitiere ich aus:

Volker R. Berghahn, Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten 1918 - 1935, Droste Verlag Düsseldorf, 1966

"Interessant ist die Haltung der Frontsoldaten gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern. Die Gründer hatten den Stahlhelm zu einer Organisation machen wollen, in der Herkunft, Klasse oder Glaubenbekenntnis keine Rolle spielten. So war es schließlich auch in den Schützengräben gewesen. Anfangs war daher die Frontdienstklausel die einzige Bedingung für eine Mitgliedschaft im Bunde. (Diese Klausel wurde später aufgehoben; Spranger war im 1. Weltkrieg nicht Soldat. M.S.) Unter dieser Voraussetzung trat auch eine Reihe von ehemaligen Soldaten jüdischen Glaubens ein. Bald aber begann eine wachsende Zahl von Mitgliedern jenem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Antisemitismus das Wort zu reden, der zwar mit dem Rassismus der Nationalsozialisten wenig gemein hatte, aber gerade im deutschen Bürgertum recht verbreitet war. Das besondere Merkmal dieses Antisemitismus war seine Unterschwelligkeit, die, wie die Erfahrungen im ´Dritten Reich` dann zeigten, sehr unglückliche Folgen haben sollte."

Den nächsten Absatz überschlage ich; es geht da um Flügelkämpfe und Anträge zur "Judenfrage" auf dem "Frontsoldatentag" 1922 und Pressereaktionen dazu. Berghahn schreibt dann weiter:

"Kaum zwei Jahre später während des kritischen Winters 1923/24 meldeten sich die Antisemiten wieder zu Wort. Auch diesmal kam der Druck aus Halle, aber die Gemäßigten weigerten sich nach wie vor, einen ´Arierparagraphen` im Stahlhelm einzuführen, wie es von Maercker ... mit der Unterstützung Duesterbergs vorgeschlagen wurde. Doch im März 1924 blieb Seldte (Stahlhelm-Bundesführer, M.S.) nichts anderes übrig, als Maerckers Formel ´Juden können nicht in den Stahlhelm aufgenommen werden`zu akzeptieren. Soweit es den Duesterberg-Flügel betraf, löste diese Entschließung das Problem bis zum Jahre 1932, als man plötzlich Duesterbergs jüdische Abstammung entdeckte. Jüdische Mitglieder, die vor 1924 in den Bund eingetreten waren, verließen nach und nach den Stahlhelm, dessen Politik nunmehr darauf ausgerichtet war, ´fremdrassige Einflüsse` auszuschalten. Hiernach gab es viele und im Lokalkolorit verschiedene Ausfälle gegen das Judentum. Dazu gehörten Aufrufe, jüdische Geschäfte zu boykottieren, und als Höhepunkt die Ausschreitungen auf dem Berliner Kurfürstendamm, an denen Helldorf (Stahlhelm-Gebietsführer, M.S.), damals bereits Führer der Berliner SA, und der Jungstahlhelmführer Brandt als Rädelsführer beteiligt waren." (S. 65 - 67) (Die von Berghahn angegebenen Quellenhinweise habe ich hier weggelassen.)

Auf die "Duesterberg-Affäre" werde ich im nächsten Beitrag noch etwas genauer eingehen, weil sie den Antisemitismus im "Stahlhelm" zur Zeit des Spranger-Beitritts erhellt und für viel Wirbel in der Presse sorgte und somit dem politisch interessierten und Zeitung lesenden Berliner Professor Spranger unmöglich entgangen sein konnte. Da stand sogar die geplante Koalition NSDAP/DNVP/Stahlhelm und somit die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler auf dem Spiel.

M. Schurich

Gert B.
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Eduard Spranger und der "Stahlhelm" 4

Beitrag von Gert B. »

Wie ich im letzten Beitrag schon schrieb, wirft die - mir bis dahin völlig unbekannte - sog. "Duesterberg-Affäre" ein ziemlich grelles Licht auf die antisemitische Grundstimmung und Ausrichtung des "Stahlhelms" in der Zeit vor und während des Beitritts Eduard Sprangers zu diesem "Wehrverband".

Theodor Duesterberg war nach und neben dem "1. Bundesführer" Seldte der "2. Bundesführer" des "Stahlhelms".

1932 wurde entdeckt, dass Duesterberg "jüdischer Abstammung war. Um die Tragweite dieser Meldung voll zu ermessen, sollte man sich daran erinnern, daß während der zwanziger Jahre Duesterberg der Sprecher des völkischen Flügels im Stahlhelm gewesen war. Im Jahre 1924 hatte er sogar die Einführung eines ´Arierparagraphen` in die Stahlhelm-Satzung unterstützt, und auch in der Folgezeit hatte er mit seinem Vorurteil gegen die Juden nie zurückgehalten, obwohl gerechterweise betont werden sollte, daß er nie ein Radauantisemit nationalsozialistischen Schlages gewesen war." (Berghahn, s.o., S. 239)

Duesterberg "stellte selbst Nachforschungen an, und es erwies sich, daß sein Großvater ein jüdischer Arzt gewesen war, der im Jahre 1818 zum christlichen Glauben übertrat." Duesterberg "versetzte ... die Entdeckung einen argen Schock. Er war einem Zusammenbruch nahe und reichte sofort seinen Rücktritt von der Bundesführung ein." (Berghahn, S. 239)

"Inzwischen wurden nur ganz wenige Stahlhelmmitglieder mit der Entdeckung bekannt gemacht. War sich doch jeder der Eingeweihten darüber klar, daß das Bekanntwerden der Abstammung Duesterbergs den Stahlhelm in ´ganz außerordentliche Schwierigkeiten` bringen würde. Nachdem die Bundesführung jahrelang völkisches Gedankengut verbreitet hatte, fürchtete sie sich jetzt, ihren mehr oder minder antisemitisch eingestellten Mitgliedern die Wahrheit über den Zweiten Bundesführer zu sagen. Schließlich war das erste Echo nicht ermutigend. ... Der Führer des Donaugaus zum Beispiel schrieb ...,

´daß er´für den Weiterbestand des Stahlhelm in seinem Gaue beim Bekanntwerden des Umstands, daß der Stahlhelm einen Judenabkömmling an seiner Spitze zu halten gewillt ist, ernste Sorge hege.`"
(Berghahn, S. 240)

Duesterberg nahm sein Rücktrittsgesuch dann doch zurück.

"Niemand freute sich mehr über die Möglichkeit, gegen den ´Juden` Duesterberg zu Felde ziehen zu können, als die Nationalsozialisten. Hitler hatte selbstverständlich ´das bestimmte Versprechen gegeben, er werde seine Leute anweisen, von der Geschichte keinen Gebrauch zu machen ... .` ... Bald war der Fall überall bekannt, und die NSDAP begann, angeführt von Goebbels, eine Diffamierungskampagne." (Berghahn, S. 241)

Die Angelegenheit Duesterberg spielte dann auch in Presseberichten eine nicht unbedeutende Rolle, es gab eine Duellforderung, die abgelehnt wurde, da man sich mit einem Menschen "jüdisch-blütiger Abstammung" nicht duellierte, Offiziersehrengerichtsverfahren u.a.m. .

Geschichtlich betrachtet wichtig wurde die Sache dann bei den Planungen und schließlich der Einsetzung der Koalitionsregierung unter dem Reichskanzler Hitler am 30. Januar 1933. Im Vorfeld dieser Entscheidung war es bis kurz vor dem 30. Januar nicht klar, wer denn Reichskanzler werden solle, und noch am Morgen des 30. Januar stand nicht fest, ob der, der, der es dann werden sollte, es auch werden konnte. Ich verzichte hier auf Einzelheiten. Zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler der Koalitionsregierung NSDAP/DNVP/Stahlhelm durch Hindenburg kam es erst, als Hitler am Vormittag des 30. Januar 1933 den 2. Bundesführer des "Stahlhelms" für die NSDAP-Diffamierungskampagne gegen ihn um Entschuldigung bat:

"´Bevor der Stahlhelm sich endgültig entschloß, hatte Herr Hitler in der entscheidenden Vorbesprechung zwischen 10.30 Uhr und 11 Uhr vormittags am 30. Januar offiziell den 2. Bundesführer des Stahlhelm im Beisein des 1. Bundesführers wegen der persönlichen Angriffe mit dem Ausdruck des Bedauerns um Entschuldigung gebeten. Nachdem Herr Hitler auf sein Ehrenwort versichert hatte, daß er diese Angriffe weder veranlaßt noch gebilligt habe, hat der 2. Bundesführer die ihm dargebotene Hand eingeschlagen.` ...

Aufgrund der Gleichstellung der beiden Bundesführer in der Befehlsstruktur des Stahlhelms hätte Duesterberg Seldtes Eintritt in das Kabinett blockieren können." (Berghahn, S. 249) (Die von Berghahn angegebenen Quellenhinweise habe ich hier weggelassen.)

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Duesterberg verhinderte die Koalitionsregierung unter dem Reichskanzler Hitler nicht. Ob eine andere Entscheidung den Lauf der Geschichte verändert hätte, darüber braucht hier nicht spekuliert zu werden.

Hier geht es darum, aufzuzeigen, was das für ein "Verband" war, dem Eduard Spranger als 51jähriger Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Berlin Anfang Juli 1933 beitrat. Alles das, was ich hier mitteile, kann Spranger nicht entgangen sein. Und was den Antisemitismus ansonsten betrifft: Ihm kann auch der Antisemitismus auf den Straßen nicht entgangen sein, der gleich nach der "Machtübernahme" einsetzte ("Deutsche wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!"), und ihm ist - belegbar - nicht entgangen, was mit seinen jüdischen Professoren-Kollegen nach dem 30. Januar 1933 geschah.

Wie er sich dazu verhielt - dazu demnächst hier mehr.

M. Schurich

Feldmarkmafia
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Beitrag von Feldmarkmafia »

Gert B. hat geschrieben:"A... H....
dem Oberhaupt des großdeutschen Reiches
dem Führer und Beschützer des deutschen Volkes
dem Verkünder nationalsozialistischer Ideale
zum fünfzigsten Geburtstag
GLÜCK UND SEGEN"
Sehr schön.
Mich will man hier fertigmachen,weil ich jemanden Tipps gegeben habe,um gestohlenes zurückzubekommen,aber das darf hier einfach so geschrieben werden und zwar dick und Fett???
Man wird hier ungestraft als linksradikal tituliert,nur weil man mit der derzeitigen Politischen Situation nicht konform läuft,aber sowas ist voll Ok,nicht war?

Na Bravo liebe Verwaltung....Gut gemacht!

Da spielt das bei mir auch keine Rolle mehr,ob das aus geschichtlichen Hintergrund zitiert wurde oder nicht.
Damit ihr mein Ärgernis versteht:
Ich habe meinem 70 Jahre alten Vater dieses Forum gezeigt.Ich wollte es im schmackhaft machen und ob er nicht Lust hätte,seine Gelsenkirchener Geschichten mit euch zu teilen.
Als er diese fetten Letter gesehen hat,ist ihm die Lust vergangen.


Sorrry,musste raus bevor ich platze.

Es geht mir nicht um den Artikel selber,sondern um das zitieren.Dann kömmt ihr ja auch diverse Symbole erlauben.Soviel Ich weiß ist beides verboten......

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Krevert
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Beitrag von Krevert »

Lieber Feldmarkmafia, der Autor M. Schurich setzt sich hier auf wissenschaftlichem Niveau mit Gestalten aus der NS-Diktatur auseinander. Da sind Zitate und Hervorhebungen durchaus üblich. So etwas findet man z.B. auch in Schulbüchern inkl. Symbole, Hitler-Jubelposen usw. – also kein Grund zur Aufregung.
Suche älteres Schalke-Material, RTL-Fotos und Hobbyzeichner. www.peter-krevert.de

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Heinz O.
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Beitrag von Heinz O. »

Feldmarkmafia hat geschrieben: Es geht mir nicht um den Artikel selber,sondern um das zitieren.Dann kömmt ihr ja auch diverse Symbole erlauben.Soviel Ich weiß ist beides verboten......
§ 86 Absatz 3 StGB
Zitat aus: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html
3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.
Das ist hier der Fall !
Gegen Hass, Hetze und AfD
überalteter Sittenwächter

Gert B.
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Spranger und die Monarchie 1

Beitrag von Gert B. »

Eine wichtige Quelle für die neuere Spranger-Forschung sind die Briefe, die sich Eduard Spranger und seine Freundin Käthe Hadlich über Jahrzehnte - bis zum Tode K. Hadlichs 1960 - schrieben.
Eine wissenschaftlich edierte und kommentierte Auswahl aus diesen Briefen ist 2002 in Buchform erschienen. Insgesamt umfasst die gefundene Korrespondenz "Fast 14.000 Seiten, davon ca. 7.500 Seiten (etwa 2.900 Briefe und Postkarten) von Eduard Spranger und knapp 6.300 Seiten (etwa 1.700 Briefe und Postkarten) von Käthe Hadlich." (S. 384)

Die Buchausgabe enthält auf 382 Seiten eine Auswahl, plus Kommentierung durch die Herausgeber:

Eduard Spranger und Käthe Hadlich - Eine Auswahl aus den Briefen der Jahre 1903 - 1960, herausgegeben von Sylvia Martinsen und Werner Sacher, Klinkhardt Bad Heilbrunn, 2002

Aus dem Kommentar der Herausgeber ("Erste Interpretationsversuche ...") zitiere ich den ersten Abschnitt des Kapitels "Politische Einstellungen und Einschätzungen":


"Politische Einstellungen und Einschätzungen SPRANGERS werden erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs ausführlicher in den Briefen thematisiert. In den Jahren zuvor sind am ehesten einige Stellen bemerkenswert, die seine monarchistische Gesinnung ausdrücken, so die Passage in einem Brief vom 27.10. 1905, wo er beglückt von einer Begegnung mit dem Kaiser im Vorgarten der Universität berichtet, den er "für einen großen und ehrlichen Kämpfer hielt" - einer Begegnung, die offensichtlich nur in einem Blickkontackt und einem Gruß bestand. Ähnlich tief beeindruckte ihn eine ebenso flüchtige Begegnung mit dem Großherzog von Baden, die er im Tagebuch der Sommerreise des Jahres 1904 ... schildert. Dort findet sich auch sein Bekenntnis zur Monarchie: ´Ich bin monarchisch gesinnt; nicht aus Gefühl, sondern gegen mein natürliches Gefühl, aus Gründen, die ich allein meinem Nachdenken verdanke.` Auch noch nachdem die Revolution des Jahres 1918 die Monarchie hinweggefegt hatte, unterhielt SPRANGER Verbindungen zum Kaiserhaus und genoß es sichtlich, im Jahre 1926 vom Prinzen LOUIS FERDINAND und der Kronprinzessin empfangen zu werden. Im September desselben Jahres besuchte er gelegentlich des Internationalen Psychologen-Kongresses in Groningen sogar den Kaiser im Exil."
(S. 406; Schreibung in Großbuchstaben im Original; die detaillierten Quellenangaben lasse ich hier weg.)

Dass man die Verehrung Eduard Sprangers für den Kaiser nicht verwechseln darf mit der "Verehrung" für Monarchie, wie sie sich z.B. in den Zuschauerquoten bei der Übertragung "royaler" Hochzeiten o.ä. heute ausdrückt, will ich durch ein paar - mir so vorher nicht bekannte - Hintergrundinformationen über den Kaiser im Exil im niederländischen Doorn (bis 1941!) verdeutlichen. Die Option einer Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland spielte eine nicht ganz unbedeutende Rolle in der "Weimarer" Zeit bei den "deutschnationalen" Kräften, sogar - wenn auch nur aus taktischen Erwägungen - für Hitler. Auch der "Stahlhelm", in den Spranger Mitte 1933 eintrat, kommt da nochmal vor.

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Spranger und die Monarchie 2

Beitrag von Gert B. »

Vorweg eine kleine Korrektur: Es musste natürlich statt Blickkontackt Blickkontakt heißen. Vielleicht sollte ich doch besser mit einer Rechtschreibprüfung "vorschreiben".

Ich zitiere die Stelle, bei der es um diesen Blickkontakt Sprangers mit dem Kaiser geht, hier einmal aus dem Brief Sprangers an Käthe Hadlich vom 27.10.1905:

"Majestät hat mich gestern im Vorgarten der Universität durchdringend betrachtet; er hat jeden einzeln angesehen und gegrüßt. Wie Sie wissen, bin ich nicht der Meinung von Frl. Thönes, die der Modestimme folgt, sondern halte den Kaiser für einen großen und ehrlichen Kämpfer, und das deutsche Volk wird es bedauern, daß es ihn nicht geliebt hat, als es Zeit war."
(Briefe ES-KH. S. 77)

Direkt dazu eine - berühmt-berüchtigte - Information über die politischen Ansichten dieses Kaisers aus eben diesem Jahr 1905:

"Nachdem Wilhelm II. schon in der Staatsministerialsitzung vom 24. Januar 1904 exaltiert ausgerufen hatte: ´Ich habe Rache zu nehmen für (18)48 - Rache!` war dem Kaiser Ende 1905 klar geworden:

´Daß wir wegen unserer Sozialdemokraten keinen Mann aus dem Lande nehmen könnten, ohne äußerste Gefahr für Leben und Besitz der Bürger. Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen, wenn möglich per Blutbad und dann Krieg nach außen; aber nicht vorher und nicht à tempo!`"

(Zitat aus: Fritz Fischer, Bündnis der Eliten ..., s.o., S.20)


Und zum Jahr 1926, als Spranger den Kaiser im Exil in Doorn besuchte (und zu den Folgejahren), hier auch eine recht aufschlussreiche Quelle:

"Mit der Zeit, und vor allem im Zusammenhang mit der Kampagne gegen die drohende Fürstenenteignung 1926, gelangte Kaiser Wilhelm zu der Einsicht, daß ein Ruf des deutschen Volkes zur Rückkehr auf den Thron propagandistisch vorbereitet werden müßte. ... Die Restaurationsstrategie, ..., legte er in Anweisungen fest ... .Die gefallenen Kameraden, heißt es 1927 in seinen ´Richtlinien für das Denken und Wirken der Deutschen`, seien gestorben für die ´Deutsche Freiheit, (...) den Deutschen Raum` und ´die Deutsche Ehre`; das Ziel der monarchischen Bewegung sei die ´Verteidigung und Erhaltung ihrer Germanischen Rasse. Ihre Grundlage ist das Deutsche Vaterland, ihr Symbol der Deutsche Kaiser.` Und in Anweisungen an die nationalen Verbände forderte er: ´Mit ganzer Leidenschaft, mit schärfster Logik, mit klarstem Zielbewußtsein Entfachung der großen nationalen Bewegung mit dem Ziel der Wiederherstellung der Monarchie, und uns auf diese Weise ein neues Deutsches Reich unter mir erobern. Und das losgelöst von jeder Partei, Parteipolitik, Parteiorganisation. (...) Also gegen jedweden Parlamentarismus in jedweder Form. Er ist vollkommen westländisch, daher ungermanisch, undeutsch. (...) Bis der Tag anbricht, an dem die große, reine, heilige deutsche Bewegung für Kaiser und Reich das gesamte durch und durch verlogene parlamentarische Gebilde in Schutt und Trümmer schlägt und mit seinen ganzen Parteien!`

Zu seinem 70. Geburtstag am 27. Januar 1929 versammelten sich die kaiserliche Familie (darunter 19 Enkelkinder) und 30 ´Generäle und Obersten meiner alten siegreichen Armee`... in Doorn. ´Mir gehört der erste Platz zu Hause und niemand anders`, verkündete ihnen der Kaiser, in der ´feldgrauen`Uniform des 1. Garde-Regiments mit Säbel und Feldmarschallstab geschmückt.

Den ´ersten Platz zu Hause` machten dem Kaiser sein ältester Sohn und die Kronprinzessin Cecilie, zunehmend aber auch die Prinzen Eitel Friedrich, Oskar und August Wilhelm streitig, die Mitte 1927 dem antidemokratischen, paramilitärischen Stahlhelm beigetreten waren."

(Aus: John C. G. Röhl, Wilhelm II. - Der Weg in den Abgrund 1900 - 1944, C. H. Beck, 2008, S. 1300, 1301; die in den Anmerkungen genannten genauen Quellenangaben lasse ich hier weg. Kursivdruck im Original; die Auslassungen in runden Klammern im Original in eckigen Klammern; Fettdruck des Wortes Stahlhelm: M.S.)

Forts. folgt. (Es kommt noch schlimmer.)

M. Schurich

Gert B.
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Spranger und die Monarchie 3

Beitrag von Gert B. »

Eduard Spranger, der sich als Monarchist bekennt, besucht 1926 als etablierter und in Deutschland und darüber hinaus bekannter Berliner Professor den Kaiser im Exil im niederländischen Doorn: Da liest man schnell drüber weg; so ein Besuch ist ja - auf den ersten Blick - nichts "Schlimmes".
Insofern halte ich es für angebracht, noch ein wenig bei der Frage zu verweilen, wem denn der "monarchisch gesinnte" Eduard Spranger da seine Aufwartung machte.

Ich zitiere dazu noch mal ein paar Stellen aus dem Wilhelm II. - Buch von John C. G. Röhl:

"Erst mit dem 1928 von Hitler vollzogenen Rechtsschwenk und dem im Sommer 1929 von Alfred Hugenberg gegründeten ´Reichsausschuß für das deutsche Volksbegehren` gegen die ´Kriegsschuldlüge` und die Reparationen erblickte Wilhelm II. die Chance, durch eine Zusammenführung aller ´nationalen` Kräfte einschließlich der Nazibewegung die Weimarer Republik aus den Angeln zu heben und die Monarchie wieder einzuführen. ...

Seit dem Sommer 1929 hatte auch der Kaisersohn August Wilhelm den persönlichen Kontakt zu Hermann Göring und über ihn zu Adolf Hitler gesucht, der den Preußenprinzen umgehend als Ehrengast zum Parteitag in Nürnberg einlud. ...

Neben Prinz Auwi (August Wilhelm, M.S.) und in offener Konkurrenz mit ihm, entpuppte sich die ´Kaiserin` Hermine als glühende Verehrerin Hitlers. ...

Auch der Kronprinz suchte den persönlichen Kontakt zu Hitler, doch ... setzte er mehr auf den Stahlhelm und die Reichswehr und erklärte sich 1932 bereit, sich als Kandidat der ´nationalen Front` für das Amt des Reichspräsidenten aufstellen zu lassen. ...

Der Kaiser ... verbot die Präsidentschaftskandidatur seines Sohnes. ... ´Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, daß die Hohenzollern über den republikanischen roten Ebertschen Präsidentenstuhl wieder zur Macht gelangen.` Der jüngere Wilhelm verzichtete daraufhin auf die Kandidatur, verkündete jedoch in einer aufsehenerregenden Erklärung, er werde bei der Reichspräsidentenwahl für Hitler stimmem. ´Ich glaube, ich habe damit aus dem Kreis meiner Stahlhelm-Kameraden und aus dem Bereich der deutschen Nationalisten rund 2 Millionen Stimmen für Hitler gewonnen`, soll der Kronprinz sich gebrüstet haben. ...

Viel näher zu Hitler, den er auf seinen legendären Flügen quer durch Deutschland und bei Dutzenden von Massenveranstaltungen begeitete, stand weiterhin Prinz Auwi. ... Im April 1932 stellte Hitler diesen Preußenprinzen als Spitzenkandidaten der NSDAP für die preußischen Landtagswahlen auf, und zwar mit ausdrücklicher Zustimmung des Kaisers ... ."
(Röhl, s.o., S. 1302 - 1306; die genauen Quellenangaben des Autors lasse ich hier weg; Fettdruck des Wortes "Stahlhelm": M.S.)

Es geht mir hier um die Etikettierung Sprangers als "antidemokratisch", die er für sich selbst vornimmt (Belege folgen) und die sich auch schon in seiner Selbstetikettierung als "monarchisch gesinnt" klar ausdrückt. Das Etikett "antisemitisch" werde ich noch genauer behandeln. Spranger hat es für sich selbst nicht verwendet, aber neuere Spranger-Forscher tun das. Deshalb werde ich in meinem nächsten Beitrag auf den Antisemitismus Wilhlelms II. (und in der kaiserlichen Familie) noch etwas eingehen, da man darüber, so weit ich das beurteilen kann, z.B. in Schulbüchern kaum etwas findet.

M. Schurich

Gert B.
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Spranger und die Monarchie 4

Beitrag von Gert B. »

Wie am Schluss des letzten Beitrags angekündigt, nun ein paar Informationen über den Antisemitismus Kaiser Wilhelms II. und anderer Mitglieder der Kaiserfamilie.

Ich habe lange gezögert, diese Passagen hier einzustellen, weil man mir vielleicht vorwerfen könnte, ich wollte das, was ich hier vorstelle und was im schulischen Geschichtsunterricht wohl eher selten vermittelt wird, so etwas manipulativ Eduard Spranger zuschreiben. Das ist dabei nicht meine Absicht. Ich kann nicht einmal belegen, dass Spranger die im Folgenden zitierten antisemitischen Ausfälle des Kaisers (oder anderer Mitglieder der Kaiserfamilie) kannte. Aber es wäre andererseits auch - nach meiner Auffassung und meinem Kenntnisstand - naiv und unhistorisch, einfach zu unterstellen, dass er davon gar nichts wusste und das alles strikt verurteilt hätte. Sprangers demonstrativer Beitritt zum "Stahlhelm" nach ca. sechsmonatiger NS-Herrschaft spricht da eine deutliche Sprache und Spranger hat zum "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 einen Aufsatz geschrieben, der mich, als ich darauf stieß, überhaupt erst motiviert hat, mich mit Herrn Spranger näher zu beschäftigen. An diesem "Tag von Potsdam" fand nach den März-Wahlen eine deutschlandweit durch Rundfunkübertragung zelebrierte, von Goebbels inszenierte Huldigung Hindenburgs und Hitlers statt (Festpredigt: der evangelisch-lutherische Bischof Otto Dibelius), die aber auch die Kaiserfamilie mit umfasste: vier Söhne Wilhelms II. (Röhl, S. 1309, Wikipedia zählt 3) nahmen teil, für den Kaiser war ein Stuhl reserviert. Es darf wohl schon unterstellt werden, dass der Herr Professor Spranger recht genau wusste, wer da mitgefeiert wurde.


Ich zitiere aus Röhl, Wilhelm II - Der Weg in den Abgrund, s.o., S. 1291 - 1292:

"Im holländischen Exil nahm der Antisemitismus Kaiser Wilhelms ... geradezu genozide Züge an. Am 2. Dezember 1919 schrieb er eigenhändig dem allertreusten seiner Generalfeldmarschälle, August von Mackensen: ´Die tiefste und gemeinste Schande, die je ein Volk in der Geschichte fertigbegbracht, Deutschland hat sie verübt an sich selbst. Angehetzt und verführt durch den verhaßten Stamm Juda, der Gastrecht bei ihnen genoß. Das war der Dank! Kein Deutscher vergesse das je, und ruhe nicht, bis diese Schmarotzer vom Deutschen Boden vertilgt und ausgerottet sind! Dieser Giftpilz am Deutschen Eichbaum!`

Mit restloser Begeisterung las Wilhelm der II. die abgründigsten Schmähschriften ... und propagierte ihre Haßbotschaften gegen die Juden. ... Der frühere Flügeladjutant von Mutius traute seinen Ohren nicht, als ihm der Exilmonarch im Dezember 1920 erklärte, ´die Welt würde nicht eher Ruhe haben und besonders Deutschland nicht, bis alle Juden tot geschlagen oder wenigstens des Landes verwiesen wären.` Als der General einwandte, das werde ´ja nun leider nicht gehen, sie alle tot zu schlagen`, erwiderte Wilhelm II. erregt: ´Liebes Kind, das kann ich und werde ich tun. Das will ich Ihnen schon zeigen.` ...

Jahrein, jahraus schimpfte der Allerhöchste im Exil ´kolossal auf die Juden`; ´ein Jude ist der unmöglichste, widerwärtigste Kerl auf der Welt`."

Forts. folgt.
M. Schurich

Gert B.
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Spranger und die Monarchie 5

Beitrag von Gert B. »

Ich zitiere noch etwas mehr aus dem Wilhelm II - Werk von John C. G. Röhl, um den historischen Kontext der Verehrung des "monarchisch gesinnten" Eduard Spranger für die Monarchie und dieses Kaiserhaus zu verdeutlichen.

"Der bodenlose Antisemitismus Kaiser Wilhelms erhielt 1921 Nahrung durch zwei weitere Bücher, die ihn fesselten und aus denen er seiner Umgebung allabendlich vorlas: Friedrich Andersens Der Deutsche Heiland und Chamberlains Mensch und Gott. Beide Schriften bekräftigten ihn in der Überzeugung,, die von den ´Deutschen Christen` propagiert wurde, daß die ´die christliche Religion vom jüdischen Beiwerk [...] gesäubert` werden müsse. ...

Am 15. August 1927 schrieb er wörtlich in eigener Hand an Bigelow: ´Die Presse, Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß. I believe the best would be gas?`- Das Beste wäre wohl Gas.

In Anbetracht der bekannten Anhimmelung des Kaisers durch seinen Bruder Heinrich wird es nicht überraschen, daß der Prinz den krankhaften Judenhaß Wilhelms II. vollauf teilte. Heinrichs Frau Irenene hatte bereits 1912 das Hakenkreuz getragen, das schon im Kaiserreich als ´arisches` Bekenntnissymbol völkisch-nationaler Gruppen diente. In einem Rückblick auf die zwei Jahre seit dem Zusammenbruch schrieb Prinz Heinrich am 8. Dezember 1920 ..., die Judenverfolgung der NS-Terrorherrschaft um Jahre vorwegnehmend: ´Es unterliegt wohl kaum mehr einem Zweifel, dass Juda an allem Unheil die Hauptschuld trägt ... . Unser Volk muss auf die politische Gefahr des Semitentums aufmerksam gemacht werden und dahin belehrt werden, dass der Jude ein Ausländer, ein fremdstämmiges Individuum ist, - Ich denke mir die weitere Entwicklung dieser sehr bedeutsamen Frage dahingehend, dass auf gesetzgeberischem Wege, wie ehedem, gegen diese Auslandsrasse vorgegangen wird: Aberkennung der deutschen Bürgerrechte, Einzwängen in bestimmte Viertel und Ortschaften, Aufhebung der Freizügigkeit, Verbot der Teilnahme an irgend welchen öffentlichen Ämtern, sowie des Studiums an irgend welchen Hochschulen. - Strenge Massnahmen gegen eheliche Verbindungen mit Jüdinnen; gründliche Reinigung der arischen Rasse. ... Stolz teilte Heinrich mit, er habe für einen vaterländischen Abreißkalender die Losung ausgegeben: ´Des Deutschen Volkes Zukunft - und damit Europa`s - ist eine Rassenfrage. Soll Siegfried erstehen muss Juda vergehen!` ...

Das bisher weitgehend unbekannte Tagebuch des Leibarztes Haehner, die Gesprächsaufzeichnungen zahlreicher Besucher des gestürzten Monarchen in Amerongen und Doorn, seine eigenhändigen Briefe an ehemalige Mitarbeiter und Freunde und nicht zuletzt die gleichlautenden Erklärungen seines Bruders öffnen uns den Blick auf die Seele Wilhems II. im Exil - und das, was wir dort sehen, ist bestürzend und furchterregend. Aus dieser frühen Zeit sind selbst von Hitler, Himmler, Göring und Goebbels derart virulente Haßtiraden auf die Juden kaum überliefert. Sein brutaler Antisemitismus, den er mit weiten Teilen des nationalsozialistischen Deutschlands teilte und der für Leid und Tod von Abermillionen Unschuldiger Ausschlaggebend werden sollte, kam auch 1940 zum Ausdruck, als er bejubelte, daß es Hitler gelungen sei, die Juden vom europäischen Kontinent zu vertreiben. Weltanschauliche Bedenken, geschweige denn Skrupel, seine Restauration eventuell durch ein Bündnis mit der NS-Bewegung durchzusetzen, hat Wilhelm II. offenbar nicht gehabt."

(Röhl, s.o., S. 1293 - 1297; die Quellenangaben des Autors lasse ich hier weg. Kursivdruck im Original; eckige Klammern im Original,; meine Auslassungen durch einfache "...".)

Im nächsten Beitrag kehre ich dann wieder direkt zu E. Spranger zurück.
M. Schurich

Gert B.
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Beitrag von Gert B. »

Bevor ich mich wieder mit Spranger und dem Jahr 1933 (und den Folgejahren) beschäftige, halte ich es für angebracht, noch etwas bei der Zeit vor 33 zu verweilen. Hier werden weltanschauliche, politische Grundpositionen und Haltungen Sprangers deutlich, die er dann - so weit ich das übersehen kann - nicht wesentlich verändert hat. Für die Zeit nach 1945 ist dann später eine differenzierte Betrachtung nötig.

In dem von mir schon etwas weiter oben erwähnten Aufsatz "März 1933", über den Ortmeyer schreibt, dass er "für die Erziehungswissenschaftler in Deutschland in gewisser Weise den Charakter einer zentralen Orientierung" hatte (Ortmeyer, Mythos ..., S.174), beschwört Spranger später "den großen positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung" (a.a.O., S.175). Und deshalb lohnt es sich genauer aufzuzeigen, wie es dazu kam, dass unser Gelsenkirchener Schulnamensgeber in "der nationalsozialistischen Bewegung" einen "großen positiven Kern" erkannte.

Ich zitiere aus dem o. g. Kommentar zum Briefwechsel Eduard Spranger / Käthe Hadlich:

"Wenn Spranger am 12.11.1915 schrieb, seine politischen Anschauungen, die früher ´preußisch und rechts` gewesen seien, verschöben sich ´immer erheblicher nach links`, und wenn er 1918 den Eindruck hatte, ´daß wir in eine sozialistische Epoche eintreten`, so darf dies wohl kaum als parteipolitische Annäherung an die Sozialdemokratie, wohl aber als Ausdruck einer positiven Einschätzung der Ideen des Sozialismus verstanden werden. Im Brief vom 29.12.1918 schrieb er: ´Ich für meinen Teil sehe in keiner Weise etwas Beglückendes. Meine Neigungen waren immer antidemokratisch. Eher noch sozialistisch. Deshalb arbeite ich jetzt dafür, aus der ethisierten Idee des Sozialismus eine neue staatsbildende Kraft herauszuholen, die die alten deutschen Elemente bewahrt und doch der Zeit voranläuft, insofern sie sozialisiert und eine neue feste Organisation schafft.` Den sozialen Gedanken hielt für wichtig und zukunftweisend. Einen ´Sozialismus, bereichert durch die ethische Führeridee` hatte er schon in der Schrift ´Vom inneren Frieden des deutschen Volkes` (1917, M.S.) für erstrebenswert erklärt."
(Briefe ES - KH, s.o., Kommentar, S. 408)

Forts. folgt.
M. Schurich

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