LebensgeschICHten von hier - Gisela Majewski

Gelsenkirchener blicken auf ihr Leben zurück und erzählen

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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Mein Mann und ich waren insofern schon ein modernes Paar.
Wir hatten vieles gemeinsam.
Dazu fällt mir auch noch eine nette Geschichte ein: Mein Vater war, wie gesagt, auf Grillo Funke und hat mit einem Cousin von Ernst Kuzorra zusammen gearbeitet. 1947 fingen die auch wieder an, Fußball zu spielen. Noch nicht so viel, aber jedenfalls Glückaufkampfbahn gab es ja.
Mein Vater kriegte ab und zu mal 2 Freikarten.
Nicht oft aber ab und zu.
Da er keine Söhne hatte, meine Mutter gar nichts mit Fußball am Hut hatte, meine Schwester noch zu klein war, hat er mich dann gefragt, - ich war 14 – ob ich mit zum Fußball gehe.
Da ich sowieso eine Vatertochter war, da hätte er mich sonst was fragen können. Ich hätte immer ja gesagt.
Also 1947 bin ich schon mit meinem Vater auf die Glückaufkampfbahn gegangen. Vielleicht habe ich 5, 6 Spiele gesehen.
Bis 1954, bis ich meinen Mann kennen lernte. Und selbst 1954 haben kaum Frauen sich für Fußball interessiert.
Gut da war gerade die Fußballweltmeisterschaft und wir sind Weltmeister geworden.
Dafür haben sich da Frauen auch interessiert. Aber allgemein für Fußball allgemein sonst nicht.
Und man hat noch samstags gearbeitet. Es blieb ja nur der Sonntag für Freizeit.
Und wir gingen ins Kino. War ja nichts Anderes als Kino. 1954? Gab’s nichts Anderes. Noch kein Fernsehen und nichts. Also sonntags war Kino.
Wir kannten uns jetzt seit einem Vierteljahr. Und er ist auch immer mit mir ins Kino. Ich durfte den Film aussuchen.
Mir ist erst hinterher klar geworden, dass die Sommerpause vom Fußball war.
Einen Sonntag druckste er so rum. Und sagt: „Du willst sicher gern ins Kino gehen.“
Ich sage: „Ja“.
„Ja“ sagt er, „aber heute spielt Schalke. Ganz wichtiges Spiel zu Hause.“
„Würde gern hingehen“, hat er sich noch getraut zu sagen.
„Kein Problem, gehe ich gerne mit.“
Wums! Aber so ein Stein!
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Aber er hatte auch seine eigenen Sachen. Mein Mann war 40 Jahre im Männerchor Liederkranz. Wenn Feiern waren, dann kannte man sich. Er ist darin aufgegangen.
Er hat geangelt. Das ist schon gar nichts für mich.
Er hatte seine Sachen so. Er wollte mir Schach beibringen. Da habe ich gesagt: „Heinz lass es“. So lange überlegen ist nicht mein Ding.
Ich spiele leidenschaftlich gern Skat. Auch schnell. Aber nicht Schach.
Also er war der Ruhige. Und ich hatte auch meinen Kreis.
Das hat wunderbar funktioniert.
Ich habe lange gehadert mit unserem Schicksal, weil ich genug Paare kenne in meinem Alter. Da sagen die Frauen: „Mein Mann wird jetzt Rentner. Ich habe jetzt schon Angst. Der guckt mir dann in die Pötte und ich darf gar nichts mehr allein“. Hatte ich nie Angst vor. Hätte ich mich drauf gefreut. Hat nicht sollen sein.
Manchmal denke ich auch. Jetzt fangen an: Halswirbelsäule, Lendenwirbel, Knie, nächstes Jahr muss ein Knie operiert werden. So was eben. Chronische Bronchitis und so was alles.
Ich werde dieses Jahr die Sache mit den Seniorenvertretern gern durchziehen, aber ab dem nächsten Jahr werde ich nur noch als Springer zur Verfügung stehen. Einer ist mal krank, einer im Urlaub. Da springe ich gern ein.
Aber ich kann nicht mehr garantieren, dass ich mit 77 noch so fit bin, dass ich das so schaffe. Ich bin ja auch die Älteste in der Gruppe.
Wenn ich dann körperlich so kaputt wäre, dass ich kaum noch raus könnte, das wäre schlimm für mich, weil ich gern Sachen außen mache. Ich bin noch so neugierig.
Sollte aber der Fall eintreten, dass ich nicht mehr so aktiv bin, peu à peu ein bisschen noch, aber nicht mehr so viel, dann hole ich mir einen kleinen alten Hund aus dem Tierheim.
Meine Kinder sagen: „Um Gottes Willen, da bist du ja angebunden.“ Ja, ich bin angebunden, aber ... Es soll ein Hund sein, keine Katze. Damit ich gezwungen bin, dreimal eine halbe Stunde mit ihm rauszugehen. Und ich habe ein Lebewesen bei mir.
„Dann kannst du nicht mehr in Urlaub fahren.“
Ich sage: „Es gibt Ferienwohnungen, wo man Hunde mitbringen darf.
Also damit kommt ihr mir gar nicht.“
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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Und wie war es im Krieg?

Mein Vater war auf Grillo-Funke. Er war kein Soldat.
Die mussten auch noch ein paar Männer haben, der hat nachher mit russischen Frauen gearbeitet, weil nur noch ein paar Handvoll Männer da waren und da haben sie die Gefangenen dazu genommen.
Meine Mutter blieb bei meinem Vater.
Und meine Schwester und ich waren von Februar 1944 bis Mai 1945 in Schötmar bei Bad Salzuflen. Wir hatten es gut getroffen. Sie war in der Bäckerei. Ich war in einer Fabrikantenfamilie, richtig in einer Villa.
Damals fielen da keine Bomben.
Hier fielen schon die Bomben. Wir waren richtig aufgenommen in den Familien, sozusagen als Pflegekinder, und sind da zur Schule gegangen.
Ich wurde 11 und meine Schwester 9.
Die mussten Leute aufnehmen, wenn sie Platz hatten. Als der Krieg fortschritt, mussten sie ganze Familien unterbringen.
In der Villa wohnte in zwei Zimmern eine Mutter mit 2 Kindern. Der Vater war im Krieg.
Ich hatte ein kleines Zimmerchen für mich. Dann war noch eine Einzelperson.
Das war so.
Oder die Leute wurden auf Bauernhöfen untergebracht.
Meine Schwester war in einer großen Bäckerei. Da waren 2 Söhne und die haben sich gefreut über so ein kleines Mädchen.
Wir sind in die Schule gegangen.
Jetzt muss ich dazu sagen, ich war sogar gern ein Jahr im BDM.
Obwohl ich die Tochter eines kommunistisch denkenden Vaters war. Mein Vater war nie in der kommunistischen Partei aber er stand sehr stark links. Wir waren noch so jung. Ich war also gern dabei. Man hat Spiele gemacht, Gemeinschaft...

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Gleichzeitig aber da fielen auch schon ein paar Bomben.
Ziemlich zum Ende des Krieges – ich war knapp 12 – hat man uns gesagt: „Oh! Wenn die Russen kommen!“
Hat man uns Angst gemacht. Ich hatte keine Vorstellung davon, wovor ich eigentlich Angst zu haben hatte.
Oder aber: „Wenn die Neger kommen!“ „Die Amerikaner, also die Neger. Die sind ganz schlimm und da müsst ihr Angst vor haben“. (Also, ich sage hier „Neger“, weil wir es damals so gesagt haben und der negative Beiklang war sicher auch gewollt.)
Jetzt war Kriegsende.
Ich muss aber erst noch auf meinen 11. Geburtstag zurückkommen. Meine Eltern haben uns dann an meinem 11. Geburtstag im August 44 besucht. Das war das letzte Mal bis Mai 45, dass wir sie gesehen haben.
Danach ging gar nicht mehr viel. Und ich 11, meine Schwester 9. Wir stehen am Bahnhof und bei uns beiden flossen die Tränen.
Dann sagte meine Mutter – ich habe heute noch ihre Stimme im Ohr – zu mir: „Und du heulst nicht. Du bist die Große. Du musst auf deine kleine Schwester aufpassen.“
Ich musste also meine Tränen runterschlucken.
Ende Mai hat unser Vater uns dann abgeholt.

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hörmal
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Beitrag von hörmal »

Meine Eltern haben 20 Jahre in 2 nackten Zimmern, noch nicht mal 40 qm gewohnt. Es waren 30 qm wenn überhaupt. Toilette noch halb auf dem Flur.
1935 haben meine Eltern dann die Wohnung gekriegt.
Die wurde nicht ausgebombt. Gott sei Dank.
Aber wir waren 20 Jahre drin, bis sie 1955 dann eine größere Wohnung kriegten.
Um auf die letzten Kriegswochen zurückzukommen und die Angstmacherei vor den Russen, und die „Neger“ kommen und dann wird es schlimm, und da fiel die eine oder andere Bombe.
Ich weiß es noch. Ich kam aus der Schule einmal. Da waren sogar Tiefflieger, die auch Bomben losließen. Ich kam gar nicht bis zur Haustür. Das war eine Allee mit Bäumen. Da habe ich mich einfach in den Graben geschmissen, bis die wieder weg waren.
Und da habe ich als knapp 12-Jährige gedacht: „Gott sei Dank, hoffentlich ist das bald vorbei.“ Diese schlimme Zeit. Ich habe das Ende herbeigesehnt. Das war wirklich schlimm.
Und was glaubst du? Der erste Amerikaner, der mir begegnet, ist ein Schwarzer.
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Ich habe erst so gezittert. Und da hat er breit gegrinst und mir eine Tafel Schokolade geschenkt. Und jetzt habe ich einen schwarzafrikanischen Schwiegersohn.
Wir waren Kinder. Wir konnten das nicht mitkriegen, was da so ablief.
Mein Vater hat mir das erst nach dem Krieg erzählt.
Meiner Schwester war das nicht so wichtig. Aber mir schon immer.
Der hat mir alles erklärt, was da so war.
Seither lautet meine Devise: Nichts auf der Welt rechtfertigt Kriege.
Ich war immer politisch interessiert und aktiv und das verdanke ich meinem Vater.
Wenn mir heute Leute sagen, die 10 Jahre älter sind als ich, also die 20, 22 waren, als der Krieg zu Ende war, wenn die sagen: Wir haben nie gewusst, dass er Konzentrationslager gab, das kann ich nicht glauben.
Ich war 5 als hier die Synagogen brannten. Ich wusste nicht, was da passierte. Aber 15, 18 jährige damals, die haben das mitkriegen müssen, die haben hier die Transporte mitkriegen müssen.
Also mein Vater sagte, hier auf Gelsenberg war auch eine Abteilung von einem Konzentrationslager.
Er hatte 1933 /1934 Freunde in beiden Lagern.
Einer von den Nazis sagte zu ihm: „Emil, nun versteck dich mal 8 bis 10 Tage.“ Der war arbeitslos mein Vater. „Versteck dich. Die haben dich auf dem Kieker.“
Dann ist er zu seinem Bruder nach Sprockhövel gefahren. Da war er erstmal weg aus der Schusslinie. Der wäre sonst wahrscheinlich irgendwann geschnappt worden.
Oder auch man sagt ja, viele haben denunziert oder so.
Ich war vielleicht 10 und meine Schwester 8. Und damals hing in jedem Haushalt ein Hitler-Bild. Von der Schule haben wir sie wohl gekriegt.
Unter Glas, nicht sehr groß. Aber Adolf Hitler hing an der Wand.
Wann war Stalingrad? 1942-43.
Wir kommen eines Tages aus der Schule. Da war das Glas von dem Hitlerbild zersplittert. Wir hätten nur auf dem Schulhof zu sagen brauchen: „Bei uns ist das Hitlerbild kaputt. Lauter Scherben.“ Wenn einer das gehört hätte, wäre er weg gewesen.
Er hatte darein geschlagen vor lauter Wut. Er hat nachher auch gesagt: „Wir hatten Angst. Nicht ihr denunziert uns. Ihr verplappert euch einfach. Ohne zu wissen, was ihr da sagt.“
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Beitrag von hörmal »

Meine Eltern haben im November 1932 geheiratet.
Ich bin genau 9 Monate und 2 Tage nach der Hochzeit geboren.
Sie sind aber schon vorher 3 Jahre zusammen gelaufen und hatten auch nur ein Zimmer bei der Oma.
Da sind meine Schwester und ich auch geboren, bevor sie die 2 Zimmer kriegten.
Und da war mein Vater schon arbeitslos. Von 1929 bis 1935. 6 Jahre war er arbeitslos bis eben auf kleine Notstandsarbeiten. Und 1935 hat er bei Grillo-Funke angefangen.
Als mein Vater von Masuren kam... Die hatten da auch keine Arbeit. Da waren seine Brüder schon hier. Bei einem seiner älteren Brüder ist er untergekommen. Das war ja so. Und hat 5 Jahre auf der Zeche gearbeitet. Er war todunglücklich, weil er als naturverbundener Mensch aus Masuren da unten hin musste. Dann hatte er einen Unfall und sagte: „Da kriegt mich keiner mehr hin.“ Dann hat er verschiedene Arbeiten gemacht, bei Glas und Spiegel und wo er alles war, bis er arbeitslos wurde. Und bis er erst 1935 bei Grillo-Funke anfangen konnte. In Ostpreußen gab es ja nun wirklich wenig Arbeit. Er war bei seinem Bruder, was normal für die damalige Zeit war. Da hat er übrigens auch meine Mutter kennen gelernt.
Die Schwägerin meines Vaters, meine Tante, war Friseuse. Aber sie hat nur im Haus frisiert. Klar. Nachher hatten sie einen Frisiersalon. Aber damals noch nicht. Und meine Mutter war Kundin da. Und in dem Haus, wo mein Vater bei seinem Bruder lebte, war der Hausbesitzer ein jüdisches Lebensmittelgeschäft. Und die waren auf einmal auch weg. Er wusste genug, um zu verstehen, auch wenn versucht wurde, es zu vertuschen. In den Anfängen glaube ich vielen, dass sie es nicht wissen konnten. Aber dann...
Jörg Reimann hatte am selben Tag Geburtstag wie ich. Der ist am 17. August 1945 geboren und vor 3 oder 4 Jahren an Krebs gestorben. Der hat in der VHS Kurse geleitet. Wir haben Schülerinnen und Schüler eingeladen, Oberstufenschüler, die nach dem Krieg fragten und wir, als diejenigen die den Krieg miterlebt hatten, Zeitzeugen nannte sich das, haben uns mit denen unterhalten.
Ich war auch früher aktiv, auch bevor mein Mann krank wurde. So weit es eben ging. Ich fand es nachher ganz schlimm. Wir haben gedacht... Er war sehr beliebt, durch seinen Chor, durch seinen Sportverein, durch seinen Angelverein und Freunde sowieso.
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Den konntest du nachts wecken. Der war leidenschaftlicher Autofahrer. Es war für ihn ganz schlimm, als er nicht mehr Auto fahren durfte. „Heinz, kannst du mich hinbringen oder abholen?“ Sofort hat er das gemacht.

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Wir hatten gedacht, wir haben einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Aber man lernt erst wirklich seine wahren Freunde in der Not kennen. Und dann blieben nachher von 20, sage ich mal, zwei, wenn du Glück hast, zwei übrig. Und das ging bis in die engste Familie rein.
Und mit den Freunden! Es gab mich doch noch! Auch wenn man nicht mit ihm reden konnte. Es gab mich ja noch. Ich habe 5 Jahre gebraucht. Da sagte meine Tochter: Mama, wenn es echte Freunde wären, würden sie zu dir Kontakt haben. Mit dem Papa können sie nicht mehr. Aber da sie das nicht tun, hake sie ab. Nach 5 Jahren habe ich sie abgehakt.
Ich hatte 3 Mal eine Kur. 1980, wegen meiner Depressionen, wegen der Oma. Nach 6 Wochen kam ich ganz stark zurück und dachte, mich haut so schnell nichts mehr um. Ja, von wegen. Nach einer Zeit war ich wieder am Boden. Dann kamen 3,4 Jahre, wo noch nicht erkennbar war, dass er krank war. Aber dann fing er an mit Mitte 50 und schon war bald klar, um was es da ging. Als die Diagnose dann stand nach der 3. Computertomografie, das hat mich nicht umgehauen, ich wusste es praktisch schon. Das war nur noch die Bestätigung.
1987 hatte ich 10 Wochen Kur, über Weihnachten. Da hatte die Oma ihn genommen. Da war ich aber nicht mehr depressiv. Da hatte ich ihn schon 2 Jahre zu Hause. Er konnte nicht mehr arbeiten. Und ich war überfordert. Ich brauchte Aufbau.
Dann habe ich 1990 noch mal eine gekriegt, immer im Saarland, in dem gleichen Kurheim. Damit ich ihn möglichst lange zu Hause halten konnte. Und da habe ich von diesen Kuren noch ganz viele Freunde.
Man braucht Freundschaften.
Da vor Ort die Freundschaften mehr oder weniger auseinander gebrochen sind, habe ich mir in den Gruppen neue Kontakte gesucht. Aber auch auswärtige Freunde. Da muss man telefonieren. Aber ich schreibe lieber. Ich schreibe auch heute noch gern, wenn ich Zeit habe. Briefe. Wenn ich eine Karte im Briefkasten habe, freue ich mich auch. Also habe ich mir neue Kontakte aufgebaut, die brauche ich, und die braucht jeder, denke ich. Aber man muss was dafür tun.
Jetzt kommt seine Schwester ins Spiel. Er hat nur die eine Schwester, 6 Jahre jünger. Die beiden hatten keine großen Gemeinsamkeiten. Die kleine war mit der Mutter evakuiert und er war bei der Tante in Ostpreußen. Und er kam als fast 15 jähriger zurück und sie war 9. Und er hatte Sportfreunde und so... Also sie hatten wenig gemeinsam. Das muss ich meiner Schwiegermutter jetzt ankreiden. Es ist ein Wunder, dass er kein verwöhntes Muttersöhnchen geworden ist. Er war der Kronsohn, sie hat dem Zucker in den A... geblasen. Und er war trotzdem prima. Und die kleine war ja „nur“ ein Mädchen (so ähnlich wie bei meiner Mutter und mir). So jetzt war er 6 Jahre älter. Ich kam dann schon dazu. Und wir haben schon verdient. Und wir gingen sonntags ins Kino. Und die kleine – sie war 16 und in der Lehre – sie sagte: „Mama gibst du mir auch eine Mark fürs Kino.“ Da sagte meine Schwiegermutter: „Ach was, was musst du ins Kino gehen. Setze dich an deine Nähmaschine – sie hat Näherin gelernt – oder mach dein Zimmer sauber.“ Also die Unterschiede schon! Dass sie natürlich eifersüchtig war und später auch immer mal quer geschossen hat, das war auch dadurch erklärbar, nicht nur, aber es war schon so.
Jedenfalls, mein Mann wird krank. 1992 kommt er ins Heim. Ich habe ihr das erklärt. Nachher hieß es: „Ja, ja sie hat ihn abgeschoben.“ Aber ich sagte ihr: „Du kannst ihn mal besuchen.“ Da hat sie ihn ein einziges Mal in St Georg besucht. Mein Mann ist am 16.Juni 2001 gestorben.
Mein Mann ist in Sutum anonym begraben, aber wir wissen genau wo. Er ist jeden Tag ein bisschen gestorben. Da brauche ich das Grab nicht.
Ich hätte gerne noch ein erfülltes Rentnerleben mit ihm gehabt. Und ich bin sicher, dass wir es gehabt hätten.
Aber auch ohne ihn bin ich nicht einsam, sondern gestalte mein Leben so, dass ich damit zufrieden bin.
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